"Deutschland sieht sich als Ordnungsmacht"
Margaret Wirth zur Politik der EU und Deutschlands am Kriegsschauplatz Naher Osten
Die emeritierte Politologin Prof. Dr. Margaret Wirth lehrte an der Universität Bremen. Mit ihr sprach für "Neues Deutschland" Roland Etzel.
Wir dokumentieren im Folgenden das Interview im Wortlaut.
Wie erklären Sie sich den Eifer der Bundesregierung, nach dem diesjährigen israelischlibanesischen
Krieg unbedingt mit Bundeswehreinheiten an die Krisenzone heranrücken zu wollen?
Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete die Teilnahme der Bundesmarine an der Durchsetzung
der UNO-Sicherheitsratsresolution als historisch und sieht das wohl auch so. Nicht wegen des
Auslandseinsatzes der Bundeswehr, denn es ist ja bei weitem nicht der erste; auch nicht wegen des
möglichen Kampfeinsatzes, denn den gibt es bereits in Afghanistan. Nein, historisch für Merkel ist
die Region, in der Deutschland jetzt militärisch aktiv wird.
Es geht um die Durchsetzung der Resolution 1701. Soll sie nicht ein Wiederaufflammen des Krieges
verhindern?
Das UN-Mandat ist parteiisch, indem es das Kriegsergebnis zugunsten Israels vorsorglich
festschreibt. Die libanesische Kriegsgegnerin, die Hisbollah, soll in der entmachteten Position
verbleiben, in die sie durch den Krieg versetzt wurde. Die wahren Kriegsgründe wurden bei der
Mandatserteilung überhaupt nicht beachtet.
Kann so überhaupt Ordnung im Krisengebiet erreicht werden?
Ordnung im politischen Sinne ist eine sehr praktische Frage, und Bush, Chirac oder Merkel
betrachten natürlich ihre Auffassung von Ordnung im Nahen Osten als einzig gültige. Und zu dieser
gehört im Falle Libanons, dass die hergestellte Unterlegenheit der Hisbollah irreversibel bleiben soll.
Dazu soll nun offensichtlich auch die Bundeswehr beitragen.
Das Herangehen der (West)-Europäer unterstellt die Aufteilung der Welt in zwei Lager: Es gibt
Staaten, die Ordnung schaffen, und Staaten, die geordnet werden sollen. Deutschland sieht sich
natürlich als Ordnungsmacht. Diesen Status will sich die Bundesregierung sowohl vor den Mächten
vor Ort verschaffen als auch gegenüber den USA. Und ein Recht, anderen Staaten
vorzubuchstabieren, was sie tun sollen, geht nur mit militärischer Vor-Ort-Präsenz.
Ein Unternehmen, das gefährlich werden kann.
Ob man das überhaupt wollen soll, wird überhaupt nicht mehr diskutiert. In der Politik höchstens
noch von einigen in der Linkspartei, in den Medien so gut wie gar nicht. Es geht allenfalls darum:
Schaffen die das? Auf diese Frage will ich mich gar nicht einlassen.
Gibt es über dieses Vorgehen Konsens in der EU?
Im Grundsatz ist man sich einig. Differenzen gibt es allenfalls in Nuancen. Etwa wenn es darum
geht, wer sich am nachhaltigsten profiliert, sichtbar geworden zum Beispiel bei der Episode, als die
Franzosen zwischenzeitlich einen Rückzieher machten und die Italiener sofort versuchten, als
Führungsmacht in die Bresche zu springen.
Spiegelt sich darin eine geänderte Strategie gegenüber den USA?
Durchaus. Allen Mächten vor Ort, also auch Israel und den USA, soll bewusst werden, dass sie sich
auf EU-Europa einstellen müssen. Das unterschiedliche Herangehen lässt sich vielleicht so
kennzeichnen: Die USA haben ihre »Schurkenstaaten« nicht nur benannt, sondern bedrohen sie
auch militärisch und überfallen sie sogar. Demgegenüber gibt die EU zu verstehen: Wir halten sie
auch für Schurken. Aber wir reden mit ihnen und geben ihnen die Chance, sich unterzuordnen.
Was können die Folgen dieser Politik für Deutschland sein?
Die Bundesregierung hat sich offenbar für den alten Spruch entschieden: Deutschland wird
Weltmacht sein, oder es wird gar nichts sein. Zwei Dinge sind absehbar: Dieser Weg ist ein ziemlich
kostspieliges Dauerprogramm. Und: Mit dieser Politik macht man sich entsprechend neue Feinde.
* Aus: Neues Deutschland, 12. Dezember 2006
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