Deutsche Außenpolitik auf dem Prüfstand
Eine erste Bilanz des außenpolitischen Wirkens von Angela Merkel
Von Hans Voß
In Versailles traf Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag (nach Redaktionsschluss dieser
Ausgabe) zum zweiten Mal seit ihrer Amtsübernahme mit Frankreichs Präsidenten Jacques Chirac
zusammen. Der Abschluss der ersten Phase ihres außenpolitischen Wirkens erlaubt es, eine
Zwischenbilanz zu ziehen.
Die neue Bundesregierung trat mit der Losung an, sie werde Kontinuität in der deutschen
Außenpolitik wahren. Und sie scheint gewillt zzu sein, dieser Absicht zu folgen. So will die
Bundeskanzlerin – wie sie erklärt – die deutschen Verpflichtungen auf militärischem Gebiet erfüllen. Das betrifft den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und auf dem Balkan. Doch will die
Bundesregierung dort, wie Verteidigungsminister Franz Josef Jung wissen ließ, keine zusätzlichen
Leistungen erbringen. Das Potenzial sei ausgeschöpft. Was Jung allerdings nicht daran hinderte,
laut über mögliche Einsätze in Kongo nachzudenken.
In der Europäischen Union will die Bundesregierung das Projekt eines Verfassungsvertrages neu
beleben. Zugleich schließt sie sich Kritikern an, die vor einer Überregulierung der Verhaltensnormen
in der EU warnen.
Angesichts der Irritationen, die es in den vergangenen Jahren in den Beziehungen zu den USA gab,
fragte man sich, ob Angela Merkel auf einen Kurs bedingungsloser Gefolgschaft gegenüber
Washington einschwenken würde. Schließlich hatte sie sich vor dem Krieg der USA gegen Irak an
die Seite George Bushs gestellt. Doch offenkundig versteht die Kanzlerin in das Wort Kontinuität in
diesem Zusammmenhang nicht als Abkehr von jener kritischen Distanz, die Gerhard Schröder
eingenommen hatte. So sehr sie in Washington Begriffe wie neuer Anfang, verbessertes Klima und
persönliches Verständnis strapazierte, so sehr auch Bush die Geschicklichkeit der Kanzlerin lobte –
ganz bedenkenlos will die deutsche Regierung dem USA-Vorgehen im Kampf gegen den
internationalen Terrorismus offenbar doch nicht folgen. Kritische Anmerkungen zum
Gefangenenlager Guantanamo und zu illegalen CIA-Praktiken stehen dafür. Als Ausgleich bietet die
Bundesregierung – ebenso wie ihre Vorgängerin – Hilfe beim zivilen Wiederaufbau Iraks an.
In Sachen Iran bekräftigt die Dringlichkeit einer diplomatischen Lösung, schließt jedoch UNOSanktionen
nicht aus. Sie warnt die iranische Führung vor weiteren unverantwortlichen Drohungen
gegen Israel, da sie im Westen nur die Stimmung fördern, Teheran durch Sanktionen zu bestrafen.
In der Berichterstattung über Merkels USA-Besuch blieb indessen unterbelichtet, dass sie – ebenso
wie Schröder vor einem Jahr auf der Münchener Sicherheitskonferenz – verbesserte Konsultationen
innerhalb der NATO verlangt. Ebenso fand ihr Beharren auf dem Multilateralismus in den
internationalen Beziehungen und der Stärkung der Rolle der Vereinten Nationen geringe Beachtung.
Es fehlte in diesem Zusammenhang auch der Hinweis auf die Forderung nach einer Reform des UN-Sicherheitsrates.
Die Bundesregierung bleibe bei ihrem Anspruch, dass Deutschland ständiges
Mitglied dieses Gremiums werden müsse.
Bei ihrem Besuch in Moskau griff Merkel Kritikpunkte deutscher Medien auf (sicher nicht zum
Wohlgefallen Wladimir Putins), sie vermied jedoch Überspitzungen und setzte damit die Zukunft der
deutsch-russischen Zusammenarbeit nicht aufs Spiel. Wiederholt war von strategischer
Partnerschaft die Rede, und entgegen Kritiken aus dem In- und Ausland wird es keine Abstriche am
Projekt der so genannten Ostsee-Pipeline geben.
Alles in allem hat Angela Merkel ihren Einstieg in die internationale Politik durchaus erfolgreich
gemeistert. Eben weil sie die Erwartungen der Partner im Hinblick auf die Kontinuität deutscher
Politik erfüllte. Dabei führt sie durchaus Elemente der Veränderung ein, so im Verhältnis zu den USA
und zu Russland. Zugute kommt ist, dass sie im Gegensatz zu Gerhard Schröder keinem der
handelnden Akteuren zu besonderer Rücksichtnahme verpflichtet ist. Zumal
einige dieser Akteure – etwa in den USA, Großbritannien und Frankreich – vor dem Ende ihrer
politischen Karriere stehen. Und das Ansehen von USA-Präsident George W. Bush im eigenen Land
befindet sich auf einem historischen Tiefpunkt.
So ist Angela Merkel inzwischen auch in ihrer Koalition in außenpolitischen Fragen die
unangefochtene Nummer eins. Die SPD hat damit zu tun, Fehlleistungen der Regierung
Schröder/Fischer zu verteidigen. Insbesondere Außenminister Frank Walter Steinmeier ist wegen
seiner zwielichtigen Haltung in Sachen USA-Bombardements auf Bagdad unter Beschuss geraten.
Sein Stern sinkt, während der von Angela Merkel im Steigen begriffen ist.
* Aus: Neues Deutschland, 24. Januar 2006
Zur Seite "Außenpolitik"
Zurück zur Homepage