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Außenpolitik ging auch anders

Ein interessantes Buch über die Diplomatenausbildung der ehemaligen DDR erschienen - Zwei Rezensionen


Erhard Crome (Hrg.): Die Babelsberger Diplomatenschule - Das Institut für Internationale Beziehungen in der DDR. WeltTrends: Potsdam 2009, 272 Seiten, 14,90 Euro; ISBN 978-3-941880-01-6

Neue Diplomaten

Erhard Crome hat ein Buch über die Geschichte der Ausbildungsstätte für DDR-Außenpolitiker in Potsdam-Babelsberg herausgegeben

Von Franz-Karl Hitze *


Am Anfang stand vom März bis Juli 1949 ein Lehrgang zu Problemen des Völkerrechts in Potsdam-Babelsberg - Vorgriff auf die noch zu gründende DDR. Da ahnte noch niemand, daß es einmal ein Institut für Internationale Beziehungen (IIB) geben sollte. Das Ende war ein Beschluß der brandenburgischen Landesregierung, das IIB bis zum 31. Dezember1990 aufzulösen und das Personal komplett zu entlassen.

Das IIB war die wichtigste DDR-Ausbildungsstätte für Außenpolitik. Erhard Crome, Herausgeber des Bandes »Die Babelsberger Diplomatenschule. Das Institut für Internationale Beziehungen in der DDR« und Absolvent des IIB, schreibt einleitend, daß das Institut eine »Voraussetzung für die Gründung der DDR war, weil der Bruch mit dem Faschismus bedeutete, ehemalige Nazis zur Außenvertretung dieses Staates nicht zuzulassen«.

Wissenschaft und Politik

Es mußte also Personal gefunden werden. Für die Potsdamer Ausbildungsstätte wurden vornehmlich Arbeiter- und Bauernkinder ausgewählt. Zugangsvoraussetzung war ein gutes oder sehr gutes Abitur, die Studiengänge waren bei der »Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften« bzw. ihren Vorgängereinrichtungen angesiedelt. Sie waren vornehmlich Lehrgänge für »Völkerrecht und internationale Beziehungen«, d.h. die juristische Ausbildung wurde mit der in Politik, Geschichte und Sozialwissenschaft verbunden. Das blieb ein Charakteristikum des IIB mit seinen insgesamt über 2000 Studenten. Das Institut wuchs seit 1970 schrittweise in die Hochschullandschaft der DDR hinein. Das Regelstu­dium dauerte seither fünf Jahre, etwa 40 Professoren und Dozenten, 80 wissenschaftliche Mitarbeiter, 50 Sprachlehrer und 40 technische Mitarbeiter standen zur Verfügung - alle hochqualifiziert und der DDR treu ergeben.

Die Aufgaben und den Platz des IIB beschreibt Hellmut Matthes so: Ausbildung von Hochschulabsolventen (Diplom-Staatswissenschaftler) für Außenpolitik und internationale Beziehungen: Forschung zur Außenpolitik, für die außenpolitische Praxis und für die Öffentlichkeit; Weiterbildung der DDR-Diplomaten sowie Öffentlichkeitsarbeit. Das IIB war dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten unterstellt, sein Direktor Mitglied des Kollegiums des Ministeriums. Die Abteilung Internationale Verbindungen des Zentralkomitees der SED nahm direkten Einfluß auf die politische Führung des Instituts, Rat war gefragt, Vorschläge und Meinungsäußerungen erbeten. Matthes: »Somit war trotz bestehender Kontrollsysteme ein Spielraum für eigenes Denken besonders in der Aus- und Weiterbildung, gegeben«. Die in der »Zentrale entwickelte und bestimmte Außenpolitik mußte in der wissenschaftlichen Arbeit des Instituts.begründet, vermittelt und .vertreten« werden. Klar, daß zwischen dem Streben nach Wissenschaftlichkeit und der Einbindung in ein staatliches Leitungssystem Widersprüche entstanden. Die DDR war zentralistisch geordnet, das schränkte ein.

Über die Forschung zur Außenpolitik, zum Völkerrecht und in den Regionalwissenschaften berichtet Werner Hänisch. Er schreibt, daß Theoriebildung und die Herausbildung wissenschaftlicher Auffassungen auch auf diesem Feld einem machtpolitischen Primat unterlagen. Das IIB war Leitinstitut der außenpolitischen Forschung und hatte damit eine koordinierende Aufgabe. Es gab einen wissenschaftlichen Rat für das Fachgebiet, der zwei- bis dreimal im Jahr tagte.

Akribische Register

Von besonderem Interesse ist die Analyse der ersten Jahre. Joachim Krüger beschreibt, wie ein neuer Typus deutscher Diplomaten gebildet und erzogen wurde. Das IIB und seine Vorläufer haben weit über die Hälfte der DDR-Außenpolitiker ausgebildet, darunter neben SED-Mitgliedern auch Bewerber aus CDU, der LDPD und der NDPD. Krüger listet alle Lehrgänge am IIB akribisch auf, nennt die Teilnehmerzahl und viele Namen, die später im DDR-Außenministerium in leitenden Funktionen bzw. als Botschafter wieder auftauchten.

Zum Ende des Buches wird über den neunmonatigen Versuch berichtet, 1990 am Institut einen Studiengang Politikwissenschaften aufzubauen. Es ging um die Fähigkeit, das Personal von innen heraus radikal zu erneuern, um unterschätztes Beharrungsvermögen, aber auch um die Verteilungskämpfe in der bundesdeutschen Wissenschaft angesichts der neuen Pfründe.

Der Anhang des Buches enthält neben einer Zeittafel ein Register von 250 Dissertationen und Habilitationen, die Titel von etwa 100 Monographien und anderer Publikationen des Instituts. Das ausführliche Verzeichnis der Autoren belegt deren Kompetenz. Wenn die Geschichtsschreibung zur Diplomatie der DDR noch einer Ergänzung bedurfte, dann liegt sie mit diesem informativen Band jetzt vor.

* Aus: junge Welt, 3. August 2009


Kompetenz und Ignoranz

Die Babelsberger Diplomatenschule – und ihre Abwicklung

Von André Brie **

Das Interesse an internationaler und gesellschaftlicher Politik und politischen Veröffentlichungen war in der DDR ungleich größer als heutzutage. Die Gründe dafür waren vielfältig. Sie reichten vom hohen Stellenwert politischer Bildung, Information und Erziehung in den Schulen und praktisch allen gesellschaftlichen Bereichen bis zur heute weithin fehlenden Überzeugung und immer stärker werdenden Hoffnung von vielen Menschen, dass die Veränderung von Politik notwendig und letztlich möglich sei.

Das Institut für Internationale Beziehungen (IIB) war zu DDR-Zeiten durch die intensive Publikationsund Vortragstätigkeit seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für politisch Interessierte daher durchaus keine Unbekannte. Über seine eigentlichen Aufgaben, die Aus- und Weiterbildung von Diplomaten und seine Forschung, sickerte dagegen kaum etwas in die Öffentlichkeit. Das lag nicht zuletzt am elitären und geschlossenen Charakter der DDR-Diplomatenausbildung und am Fehlen eines öffentlichen Diskurses in wichtigen gesellschaftswissenschaftlichen Bereichen, zumal gerade die Außen- und internationale Sicherheitspolitik direkten und massiven politischen und ideologischen Vorgaben der engsten SED-Führung unterlag.

Es ist eher Zufall, dass die Publikation der verdienstvollen und maßgeblich von ehemaligen Mitarbeitern des Instituts gegründeten Zeitschrift »WeltTrends« jetzt, in einem Jahr intensiver Auseinandersetzungen um die Geschichte der DDR erschien; die Arbeit daran wurde bereits vor längerer Zeit begonnen. So jedoch kann sie weit über eine Institutsgeschichte hinaus einen wichtigen Beitrag zur kritischen, aber realistischen und differenzierten Sicht auf die DDR, aber auch auf die Defizite altbundesdeutscher Politik und neubundesdeutscher Gegenwart leisten. Und genau das leisten praktisch alle Beiträge dieses Sammelbandes, zu denen sich fast die gesamte frühere wissenschaftliche Führung des IIB, aber auch ehemalige Studenten des Instituts noch einmal versammelt haben.

Behandelt werden hier der Platz des IIB im politischen System und der außenpolitischen Forschung der DDR, die Entwicklung seiner Lehrtätigkeit, darunter der an deutschen Hochschulen beispiellosen Fremdsprachenausbildung, die Forschungsergebnisse zur internationalen und europäischen Sicherheit, zur westeuropäischen Integration, zur Außenpolitik sozialistischen Staaten und der USA, zur Rolle der asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen »Entwicklungsländer« und zum Völkerrecht. Das Buch schließt mit den euphorischen Vorstellungen zur Neugestaltung des IIB und der internationalen Politikwissenschaft im Umbruch der DDR und der ignoranten Abwicklung des Instituts in ihrem Zusammenbruch.

Sammelbände haben den Vorteil, dass ein umfassenderer Überblick und unterschiedliche Positionen zum Ausdruck kommen können. Das ist ein Vorzug auch dieses Bandes. Dass es dabei eine gemeinsame Diktion aller Autorinnen und Autoren gibt – eine kritische und selbstkritische Auseinandersetzung mit den Beschränkungen und Selbstbeschränkungen (!) von Lehre und Forschung durch die Vorgaben der SED-Führung und ihre Unterordnung unter eine wissenschaftsfremde Ideologisierung, aber auch eine selbstbewusste Verteidigung eigener Arbeitsansprüche und vieler Arbeitsergebnisse – dürfte nicht einem gemeinsamen Konzept, sondern einer viel wichtigeren Tatsache zu verdanken sein: Bei aller (und großer) Inkonsequenz zeigten sich auch am IIB seit den 1970er und verstärkt in den 1980er Jahren eine widersprüchliche emanzipatorische Tendenz und eine zunehmende Verpflichtung gegenüber kritischer Wissenschaftlichkeit, die sich zugleich aus einem politischen Engagement für eine Zivilisierung der internationalen Beziehungen und eine realistische Politik der DDR speiste. Viele Absolventen des IIB, die nach 1990 von der Arbeit im auswärtigen Dienst der Bundesrepublik fast vollständig ausgeschlossen worden sind, fanden dank ihrer oft hochkarätigen fachlichen Bildung und sozialen und kulturellen Kompetenz rasch interessante Arbeitsplätze in der Wirtschaft, in internationalen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, in den Medien und anderswo.

Wie in den meisten Sammelbänden ist ein Nachteil nicht vermieden worden: Gerade die Bewertung der Forschungsergebnisse, ihres zunächst oft primär apologetischen, aber tendenziell wissenschaftlicheren, theoretisch und empirisch fundierteren Charakters hätte eine tiefergehende Analyse verlangt. Das konnte und wollte diese Publikation nicht leisten. Doch für eine breitere Leserschaft, die sich die DDR nicht von Leuten erzählen lassen will, die wie Karl May über die Indianer in Amerika schreiben, ohne je dort gewesen zu sein, eine lohnenswerte Lektüre.

** Aus: Neues Deutschland, 13. August 2009


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