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Marshallinseln klagen gegen die neun Atomwaffenstaaten vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag

Internationale Juristenorganisation IALANA unterstützt diese Klagen mit einem hochrangigen Expertenteam


Ausgerechnet die Marshall-Inseln! In der UN-Generalversammlung haben sie bisher fast jede Resolution, die etwa die US-Blockadepolitik gegen Kuba oder die israelische Besatzungs- und Siedlungspolitik kritisiert, abgelehnt. Interesssant ist z.B. die Abstimmung im Dezember 2012 über ein Programm der UN-Generalversammlung zur Schaffung einer Atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten. Darin war u.a. Israel aufgefordert worden, sein Atomprogramm offen zu legen. Die einzigen Nein-Stimmen kamen aus den USA, Israel, Kanada, Mikronesien, Palau und - den Marshall-Inseln. (Hier geht es zur Resolution.) Das Besondere an diesem Ministaat im Pazifik ist die politische Konstruktion, wonach dessen Verteidigung laut einem Assoziierungsvertrag in den Händen der USA liegt. Die jetzige Klage könnte dem Inselstaat ein wenig Ärger mit dem Schutzpatron USA einbringen. Mutig ist der Vorstoß allemal.
Im Folgenden dokumentieren wir eine Pressemitteilung von IALANA zur Klage und einen Kommentar.



IALANA unterstützt Klage der Republik der Marshallinseln gegen die 9 Atomwaffenstaaten vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag

Pressemitteilung der IALANA vom 25.04.2014

Die Republik der Marshallinseln (RMI) hat gestern [24. April 2014] beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag Klageverfahren gegen die 9 Atomwaffenstaaten USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea eingeleitet. Ziel ist, diese Atomwaffenstaaten vor dem Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen für eklatante Verletzungen des Völkerrechts zur Rechenschaft zu ziehen. Rechtliche Grundlage der Verfahren sind Art. 92 der UN-Charta und Art. 36 des IGH-Statuts sowie der Atomwaffensperrvertrag. Den Atomwaffenstaaten wird im Kern vorgeworfen, ihre Verpflichtungen zur nuklearen Abrüstung nach Art. VI des Atomwaffensperrvertrages und nach dem Völkergewohnheitsrecht nachhaltig bis heute zu verletzen.

Die internationale Juristenorganisation IALANA unterstützt diese Klagen der Marshallinseln mit einem hochrangig besetzten internationalen „Expertenteam“, in dem auch Vertreter der deutschen IALANA mitwirken. Das „Prozessteam“ wird von dem niederländischen Rechtsanwalt Phon van den Biesen, Vorstandsmitglied der internationalen IALANA, zusammen mit dem Außenminister der Marshallinseln Tony de Brum geleitet.

Otto Jäckel, Vorsitzender der deutschen IALANA, verwies ferner auf eine im Auftrag der IALANA entstandene Gemeinschaftsstudie, die u.a. von dem Völkerrechtler und früheren Präsidenten des Internationalen Gerichtshofs Prof. Mohammed Bedjaoui sowie dem deutschen Bundesrichter Dr. Dieter Deiseroth erstellt und publiziert worden ist.[1]

Die Marshallinseln sind leidgeprüfte langjährige Opfer von US-Atomwaffenversuchen. Die USA haben dort von 1946 bis 1958 insgesamt 67 Atomwaffentests durchgeführt. Die Bevölkerung des Landes hat bis heute an den gesundheitlichen und ökologischen Konsequenzen dieser Katastrophen zu tragen. Allein die Stärke des 1954 durchgeführten „Castle Bravo“-Atomwaffentests war 1000mal größer als die Bombe, die 1945 die Stadt Hiroshima zerstörte.

Der Außenminister der Marshallinseln Tony De Brum sagte gestern bei der Vorstellung der Klagen: „Unsere Leute haben unter dem katastrophalen und nicht wieder gutzumachenden Schaden dieser Waffen gelitten und wir schwören weiter zu kämpfen, damit kein anderer auf der Erde jemals diese Gräueltaten erlebt.“

Mit ihren Klagen gegen die 9 Atomwaffenstaaten zielt die Republik der Marshallinseln nicht auf Schadensersatz oder Kompensationsleistungen. Vielmehr erhofft sich das Land Rechtsschutz durch Feststellungs- und Unterlassungsanträge beim IGH, um die Atomwaffenstaaten zu zwingen, ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen endlich nachzukommen.

Der Internationale Gerichtshof hat bereits in seinem auf Antrag der UN-Generalversammlung eingeholten Rechtsgutachten zur Völkerrechtswidrigkeit des Einsatzes und der Androhung von Atomwaffen[2] im Jahre 1996 einstimmig festgestellt: Artikel VI des Atomwaffensperrvertrags verpflichtet alle Atomwaffenstaaten, baldmöglichst konkrete Verhandlungen über eine Atomwaffenkonvention in redlicher Absicht aufzunehmen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zum Abschluss zu bringen, die zu einem weltweiten Verbot aller Atomwaffen unter strikter und wirksamer Kontrolle führen. Die fünf ursprünglichen Nuklearmächte USA, Russland, Frankreich, das Vereinigte Königreich und China sind Vertragsparteien des Atomwaffensperrvertrages. Sie ignorieren jedoch bis heute diese Verpflichtungen. Die vier weiteren Atomwaffenstaaten – Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea – sind zwar nicht Vertragsparteien des Abkommens. Sie sind aber nach dem Völkergewohnheitsrecht in entsprechender Weise verpflichtet.

Drei der neun Staaten, Großbritannien, Indien und Pakistan haben sich bereits vor Jahren der obligatorischen Gerichtsbarkeit des IGH gemäß Art. 36 Abs. 2 des IGH-Statuts generell für den Fall unterworfen, dass der Prozessgegner dies ebenfalls getan hat, wie dies bei den Marshallinseln der Fall ist. Was die restlichen 6 Staaten anbetrifft, ruft sie die klagende Republik der Marshallinseln dazu auf, die Zuständigkeit des IGH für diesen konkreten Fall nach Art. 36 IGH-Statut zu akzeptieren und vor diesem ihre Rechtsposition darzulegen.

Führende Politiker der ganzen Welt, internationale Nichtregierungsorganisationen, hochrangige Experten und Nobelpreisträger haben zwischenzeitlich ihre nachdrückliche Unterstützung für die Klagen der Marshallinseln bekundet.

Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, einer der Unterstützer der Klagen: „Wir müssen fragen, warum diese Staats- und Regierungschefs weiterhin ihre Versprechen brechen und ihre Bürger und die ganze Welt dem Risiko einer schrecklichen Verwüstung ausliefern. Dies ist eine der fundamentalsten moralischen und rechtlichen Fragen unserer Zeit.“

David Krieger, Präsident von INES (International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility): „Atomwaffen bedrohen jeden und alles, was wir lieben und schätzen. Sie gefährden Zivilisation und Menschheit. Nach 46 Jahren ohne Verhandlungen über eine Abschaffung aller Atomwaffen ist es an der Zeit diesen Wahnsinn zu beenden. Die Marshallinseln sagen: Genug ist genug. Sie nehmen eine kühne und mutige Haltung im Namen der ganzen Menschheit ein. Und wir sind stolz darauf, an ihrer Seite zu stehen.“

[1] Mohammed Bedjaoui/Karima Bennoune/Dieter Deiseroth/Elizabeth Shafer: Völkerrechtliche Pflicht zur nuklearen Abrüstung? – Legal Obligation To Nuclear Disarmament? – L’Obligation de Désarmement Nucléaire?. Norderstedt. 2009 (IBN 978-3-8370-9885-3)

[2] Vgl. dazu das von der deutschen Sektion der IALANA herausgegebene Dokumentationsbuch „Atomwaffen vor dem Internationalen Gerichtshof. Dokumentation – Analysen – Hintergründe. Mit einem Geleitwort von Bundesverfassungsrichter a.D. Dr. Helmut Simon.“ LIT-Verlag. Münster. 1997 (ISBN 3-8258-3243-0)


In der Abrüstungspflicht

Olaf Standke über eine Klage der Marshallinseln gegen die Atomwaffenstaaten *

Es gibt Gebiete auf den Marshallinseln, die wurden für 24 000 Jahre zum Sperrgebiet erklärt. Derart radioaktiv verseucht sind einige Atolle. Dort haben die USA insgesamt 67 Nukleartests unternommen, mit verheerenden Folgen für Natur und Mensch. So ist es von großer Symbolkraft, wenn der Inselstaat im Pazifischen Ozean jetzt die neun Kernwaffenmächte USA, China, Russland, Frankreich, Großbritannien, Pakistan, Indien, Nordkorea und Israel vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verklagt.

Dabei zielt er nicht auf Kompensation, obwohl die Bewohner »unter dem katastrophalen und nicht gutzumachenden Schaden dieser Waffen gelitten haben«, wie Außenminister Tony De Brum betont. Die Republik will diese Staaten vor dem wichtigsten Rechtssprechungsorgan der UNO zwingen, endlich ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung nachzukommen – und die heißt nukleare Abrüstung. Denn nach wie vor verletzen sie Artikel VI des Atomwaffensperrvertrages bzw. das Völkergewohnheitsrecht, wenn sie diesem Abkommen nicht beigetreten sind. Schon 1996 hatte der Gerichtshof in einem Rechtsgutachten zur Völkerrechtswidrigkeit eines Atomwaffeneinsatzes oder schon der Drohung damit das Gebot schnellstmöglicher Verhandlungen über eine Konvention formuliert, die zum weltweiten Verbot aller Atomwaffen führen soll. Es ist also höchste Zeit für Konsequenzen.

* Aus: neues deutschland, Samstag 26. April 2014 (Kommentar)


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