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Schutz vor der "schmutzigen Bombe"

Staatengipfel sucht Wege zur Sicherung von Nuklearmaterial vor Terroristen und Dieben

Von Wolfgang Kötter *

Spitzenpolitiker aus über 50 Ländern sowie führende Vertreter internationaler Organisationen begannen gestern (24.3.14) in Den Haag ein drittes Treffen zum Thema nukleare Sicherheit. Nach Konferenzen in Washington 2010 und Seoul 2012 beraten sie nun in der niederländischen Metropole. Dabei geht es vor allem darum, wie die Tausenden Tonnen von Nuklearmaterial, die auf der ganzen Welt verstreut sind, und nicht selten unsicher gelagert und nur nachlässig bewacht werden, vor Diebstahl und Missbrauch bewahrt werden können. Drei Schwerpunktaufgaben stehen auf der Agenda:
  • Die Menge gefährlichen Nuklearmaterials auf der Welt reduzieren;
  • die Sicherheit des vorhandenen Materials erhöhen;
  • und die internationale Zusammenarbeit verbessern.
Der Atomgipfel in Seoul hatte insbesondere zum Kampf gegen Nuklearterrorismus aufgerufen. In ihrer Erklärung zum Abschluss des zweitägigen Gipfeltreffens forderten die Teilnehmer „energische Maßnahmen auf nationaler Ebene und eine internationale Kooperation" zu diesem Zweck. Der Atomterrorismus sei „weiterhin eine der größten Bedrohungen der internationalen Sicherheit".

Internationaler Schutz von Kernmaterial

Eine wichtige Rolle für die nukleare Sicherheit kommt der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA zu, doch nicht alle Staaten haben die bestehenden internationalen Rechtsnormen akzeptiert. Die Organisation unternimmt zurzeit große Anstrengungen, damit ein Zusatzprotokoll zum 1987 abgeschlossenen Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial, dem gegenwärtig 149 Staaten angehören, endlich in Kraft treten kann. Ursprünglich ging es vor allem um den Schutz von für friedliche Zwecke genutztem Kernmaterial während internationaler Transporte. Die neuen Regelungen sehen eine Ausweitung des Anwendungsbereichs auf die gesamte friedliche Nutzung von Kernmaterial vor, also auch auf nationale Transporte, sowie die Lagerung und die Nutzung von Kernanlagen. Die Teilnehmerstaaten verpflichten sich, all jene rückhaltlos strafrechtlich zu verfolgen, die illegal radioaktives Material besitzen, sich beschaffen, freisetzen oder anderweitig in die Vorbereitung von Nuklearanschlägen verwickelt sind. Für diese Vergehen wird das entsprechende nationale Recht geschaffen bzw. ergänzt. Es sieht schwere Strafen für diejenigen vor, denen die Absicht nachgewiesen werden kann, durch Nuklearverbrechen Menschen zu töten oder zu verletzen und Schäden an Eigentum oder der Umwelt anzurichten. Strafbar ist ebenso die Erpressung von Personen, Staaten oder internationalen Organisationen mit der Androhung derartiger Taten. Alle Staaten sind verpflichtet, ihr radioaktives Material entsprechend den IAEA-Standards zu sichern. Die Regierungen werden angehalten, ihre Zusammenarbeit beim Austausch von Geheimdienstinformationen zu verstärken und potentiellen Nuklearterroristen keinen Unterschlupf zu gewähren. Mit der Vereinbarung besteht nun auch eine Rechtsgrundlage für die internationale Zusammenarbeit bei der Untersuchung, Bestrafung und Auslieferung aller Personen, die Straftaten mit atomarem Spaltmaterial oder Nuklearmitteln begehen. Das bereits 2005 vereinbarte Protokoll haben inzwischen zwar 73 Länder ratifiziert, aber noch fehlen fast 30 weitere Staaten, damit die Regelungen rechtswirksam werden. „Viele Bemühungen werden unternommen, um sicherzustellen, dass die Vereinbarung noch im Jahr 2014 in Kraft tritt“, versichert der IAEA-Direktor für nukleare Sicherheit Khammar Mrabit.

Hochbetrieb auf dem nuklearen Schwarzmarkt

Die IAEA unterhält auch eine Datenbank zur Erfassung rechtswidriger Handlungen mit nuklearen Geräten und Materialien. Seit 1993 wurden insgesamt über 3 330 Fälle illegaler Aktivitäten und von Atomschmuggel registriert, davon 140 im Jahre 2013. Insgesamt 16 Mal ging es sogar um die Weitergabe von waffenfähigem Uran oder Plutonium. Bevorzugte Quellen zur illegalen Beschaffung sind Strahlungsabfälle aus der Wiederaufarbeitung und radioaktive Materialien aus medizinischen Einrichtungen oder einem der weltweit rund 230 Forschungsreaktoren.

Allein in Georgien liefen in den vergangenen acht Jahren 15 Verfahren wegen illegaler Delikte mit radioaktiven Materialien. Die jüngste Festnahme von zwei Straftätern, die versuchten, Radium-226 zu verkaufen, erfolgte im vergangenen Dezember. Exemplarisch für derartige Vergehen ist ein Vorfall, der sich am 15. April 2012 ereignete. Ein Sondereinsatzkommando der österreichischen Polizei überwältigte sieben aus der Türkei und Bulgarien stammende Männer, die radioaktives Material zum Kauf angeboten hatten. Agenten der Polizei hatten sich als Kaufinteressenten ausgegeben und die Täter in eine Falle gelockt. Bei einem Treffen legten die Täter auch Materialproben vor. Für ihre Lieferung verlangten die Kriminellen eine Millionensumme.

Mitarbeitern der Anti-Schmuggeleinheit der Polizei in Ankara war im Dezember 2012 in einem anderen Fall ein sensationeller Fund gelungen. Bei der Durchsuchung eines Autos wurden insgesamt 500 Gramm Cäsium-137 in zwei Glasröhren sowie eine nicht lizenzierte Pistole und 18 Münzen von historischem Wert entdeckt. Im Fahrzeug selbst befanden sich drei Personen. Die in Deutschland lebenden türkischen Staatsangehörigen wurden festgenommen. Sie hatten bereits früher wegen Schmuggeldelikten vor Gericht gestanden. Das radioaktive Material war vermutlich von Russland über Georgien in die Türkei geschmuggelt worden. Cäsium-137, ist die häufigsten Form des radioaktiven Alkalimetalls und ein Produkt der Kernspaltung. In der Regel wird es in der Krebsbehandlung eingesetzt. Darüber hinaus ist es in einer Vielzahl von Messgeräten in der Bau- und der Bohr-Industrie, aber auch in der Landwirtschaft enthalten. Allerdings kann das Material ebenfalls zum Bau einer radioaktiven Strahlungswaffe verwendet werden.

Die moldawische Polizei beschlagnahmt im Sommer 2010 zwei Kilogramm gestohlenes Uran-238. Das radioaktive Material, das ebenfalls zum Bau einer radiologischen sogenannten „schmutzigen“ Bombe verwendet werden kann, war in einer Garage in der Hauptstadt Kischinau entdeckt worden. Schmuggler, darunter einige Ex-Polizisten, wollten das Uran offenbar für rund neun Millionen Euro in Europa verkaufen. Mindestens drei Mitglieder einer siebenköpfigen Bande wurden festgenommen. Die Polizei war auf die Gruppe aufmerksam geworden, als diese nach einem Weg suchte, das Material zu verkaufen. Ebenfalls in Moldawien war es im Jahr darauf bei einer verdeckten Aktion sogar gelungen, 10 Gramm hochangereichertes Uran sicherzustellen.

So wichtig Erfolge zur Verhinderung illegaler Aktivitäten auch sind, nukleare Sicherheit kann nicht nur durch polizeiliche Maßnahmen erreicht werden. Experten empfehlen vielmehr ein komplexes Handeln. Als vordringliche Maßnahmen zur Gefahrenabwendung gelten folgende:
  • Waffenfähiges Nuklearmaterial so weit wie möglich zu vernichten;
  • für Lagerstätten und Transporte strengste Sicherung,
  • zuverlässigen Schutz und Bestandsaufnahmen anzuwenden;
  • alle Anreicherungs- und Wiederaufbereitungsanlagen unter Kontrolle der IAEA zu stellen
  • und relevante Nuklear-Verträge einzuhalten.
Auf internationaler Ebene sollte ein globales Sicherheitssystem für Nuklearmaterial aufgebaut werden. Das erfordert jedoch einen Dialog über Prioritäten, Bewertungsmaßstäbe für Fortschritte, erhöhte Transparenz der Staaten und einen Stopp für die weitere Anhäufung von waffenfähigem Material. Ein weiteres Gipfeltreffen zur nuklearen Sicherheit ist für 2016 in Washington geplant.

Keine nukleare Sicherheit ohne atomare Abrüstung

Weltweit wächst jedoch ebenfalls die Erkenntnis, dass es ohne atomare Abrüstung letztlich auch keine dauerhafte nukleare Sicherheit geben kann. Aber die vorhandenen Atomwaffenvorräte sind gewaltig. Laut Angaben des Internationalen Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI besitzen acht Staaten etwa 4 400 einsatzbereite Atomwaffen. Fast 2 000 davon werden in höchster Einsatzbereitschaft gehalten. Berücksichtigt man alle nuklearen Sprengköpfe - also einsatzbereite Sprengköpfe, Reserven in aktiver und inaktiver Lagerung sowie intakte Sprengköpfe, die zur Demontage vorgesehen sind - so besitzen die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan und Israel zusammen über 17 000 Sprengköpfe. Keiner dieser Kernwaffenstaaten ist für absehbare Zeit bereit, auf diese Waffen zu verzichten. Im Gegenteil, trotz einiger zahlenmäßiger Reduzierungen unterhalten sie umfangreiche Modernisierungsprogramme zum qualitativen Ausbau ihrer Nukleararsenale, die die Zerstörungskraft dieser Waffen weiter erhöhen.

Die IAEA

Die Internationale Atomenergie Agentur (International Atomic Energy Agency) wurde 1957 gegründet, um die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu fördern. Seit 1970 der Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen in Kraft trat, kontrolliert sie zusätzlich die Einhaltung der Vertragsverpflichtungen durch die Mitgliedstaaten. Die Kontrollen sollen sicherstellen, dass kein spaltbares Nuklearmaterial abgezweigt und zum Bau einer Atombombe missbraucht wird. Die IAEA ist eine unabhängige zwischenstaatliche Organisation, der gegenwärtig 162 Staaten angehören. Oberste beschlussfassende Organe sind die Generalkonferenz und der Gouverneursrat mit 35 Staaten. Die Atomagentur arbeitet eng mit der UNO zusammen, unterbreitet der Vollversammlung jährliche Tätigkeitsberichte und kann im Falle einer Bedrohung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens den Sicherheitsrat anrufen, der gegebenenfalls Sanktionen gegen einen Vertragsverletzer beschließen kann.


Internationale Abkommen zur nuklearen Sicherheit

  • Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen (1986)
  • Konvention zum physischen Schutz von Nuklearmaterial (1987);
  • Übereinkommen über Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder strahlungsbedingten Notfällen (1987)
  • Übereinkommen über nukleare Sicherheit (1996)
  • Übereinkommen über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle (2001)
  • Verhaltenskodex für die Sicherheit der Forschungsreaktoren (2004)
  • Verhaltenskodex für die Sicherheit und Sicherung radioaktiver Strahlenquellen 2004)
  • Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen (2007)
  • Zusatzprotokoll zur Konvention zum physischen Schutz von Nuklearmaterial (noch nicht in Kraft)


* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - in: neues deutschland, Dienstag, 25. März 2013


Warnung vor skrupellosen Verbrechern

Japan gibt waffenfähiges Nuklearmaterial zurück

Von Olaf Standke **


Barack Obama begann seinen gestrigen Gipfeltag mit einem Besuch im Amsterdamer Reichsmuseum. Die Pressekonferenz vor Rembrandts Meisterwerk »Die Nachtwache« hatte dabei durchaus Symbolisches. Geht es beim Haager Spitzentreffen von 53 Staats- und Regierungschefs doch um den Schutz Tausender Tonnen Nuklearmaterials vor Terroristen oder anderen Kriminellen. Der USA-Präsident hatte vor fünf Jahren in seiner Prager Rede den Anstoß für solche Gipfel gegeben. Allerdings wird der seit langem geplante dritte von den Ereignissen auf der Krim überschattet. So fehlt nicht nur Russlands Präsident Waldimir Putin; der Auftakt am Montag wurde dominiert von den Krisengesprächen der Gruppe der sieben führenden Industrienationen (G7) zur Ukraine am Rande des Gipfels. Fragen der atomaren Abrüstung oder der Gefahren der Kernenergie stehen ohnehin nicht auf der Tagesordnung.

Der niederländische Regierungschef Mark Rutte lobte zur Eröffnung zwar die Fortschritte bei der Sicherung von hoch radioaktiven Strahlenquellen, verwies jedoch zugleich darauf, dass weltweit noch immer 2000 Tonnen waffenfähiges Material im Umlauf seien. »Skrupellose Terroristen werden sich nicht scheuen, jede Waffe zu nutzen, die sie in die Hände bekommen«, warnte Rutte. Deshalb seien weitere Anstrengungen für den Schutz und zur Verringerung von Nuklearmaterial notwendig.

Da fast jedes Land über Nuklearmaterial verfüge, etwa aus der Medizintechnik, müsse sichergestellt werden, dass niemand eine »schmutzige Bombe« bauen könne, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel schon zuvor erklärt. Auch sie verwies auf bisherige Fortschritte und nannte die Sicherung ausgemusterter Atom-U-Boote der russischen Nordmeerflotte und von Nuklearmaterial der Ukraine. Beunruhigend ist dagegen die Nachricht aus Kiew, wonach Abgeordnete der Parteien von Julia Timoschenko und Vitali Klitschko einen Gesetzentwurf im Parlament eingebracht haben, der auf den Austritt der Ukraine aus dem 1994 unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag zielt. In Den Haag hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Russlands Vorgehen auf der Krim als schwere Belastung für das Abkommen zur Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen bezeichnet und Moskau vorgeworfen, seine 1994 übernommene Garantie der Souveränität der Ukraine missachtet zu haben.

Ein konkretes Ergebnis konnte der erste Gipfeltag auch vorweisen: Japan gibt 100 Kilogramm waffenfähiges Uran und Plutonium an die USA zurück, wo es unschädlich gemacht werden soll. So könne man den Risiken durch Atomterrorismus vorbeugen. Tokio erhielt das Material während des Kalten Krieges zu Forschungszwecken. Insgesamt lagern Medienberichten zufolge über 300 Kilo Plutonium und knapp 200 Kilo hoch angereichertes Uran in einer Anlage in Tokai, rund 140 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt. Das würde ausreichen, um Dutzende Atomwaffen zu bauen. Kein Wunder, dass Experten Tokai als potenzielles Ziel für Terroristen ansehen.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 25. März 2013


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