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Sicherung von Atommaterial - Zu hohe Erwartungen an den Nuklear-Gipfel?

Ein Beitrag von Jerry Sommer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
In der kommenden Woche treffen sich die Staats- und Regierungschefs aus mehr als 50 Ländern zum sogenannten Nuklear-Gipfel. Bei dem Treffen im niederländischen Den Haag geht es um Vereinbarungen, mit denen verhindert werden soll, dass atomares Material in falsche Hände geraten kann. Präsident Putin wird allerdings nicht anreisen. Über die Erfolgsaussichten der Konferenz – Jerry Sommer:


Manuskript Jerry Sommer

In Washington fand 2010 das erste, in Seoul 2012 das zweite Gipfeltreffen zur nuklearen Sicherheit statt. Die Gipfel sind eine Initiative von Präsident Obama, sagt Graham Allison von der Universität Harvard in Boston:

O-Ton Allison (Overvoice)
„Er hat oft gesagt, sein größter Albtraum sei, dass eine Gruppe wie Al Qaida, die auch die Anschläge vom 11. September zu verantworten hat, in den Besitz von waffenfähigem Nuklearmaterial gelangt, und damit irgendwo in der Welt eine große Stadt in die Luft jagt.“

Die Wahrscheinlichkeit eines solchen nuklearen Anschlages ist allerdings sehr gering. Denn die Atomwaffen sind gut gesichert. Allerdings wird waffenfähiges Nuklearmaterial – Plutonium und hochangereichertes Uran - auch zivil verwendet, zum Beispiel in Forschungsreaktoren oder Wiederaufbereitungsanlagen. Dieses Material zu stehlen, ist zwar nicht unmöglich, aber äußerst schwierig. Zudem würden Nuklearterroristen vor weiteren Problemen stehen, glaubt Professor Gerald Kirchner, der Leiter des Zentrums für Naturwissenschaft und Friedensforschung der Universität Hamburg:

O-Ton Kirchner
„Der zweite Punkt, den ich von der Naturwissenschaft her für sehr hoch einschätze, ist, dass selbst dann, wenn sie Uran oder Plutonium haben, dann haben sie zwar das Material. Aber der technische Weg, den man gehen muss, um daraus eine funktionsfähige Waffe zu bauen, der ist noch sehr weit und auch für terroristische Gruppen unter Umständen nach wie vor zu komplex.“

Trotz unterschiedlicher Bedrohungseinschätzung - Regierungspolitiker und Experten sind sich einig, dass weitere Maßnahmen sinnvoll sind, um das nukleare Material besser zu sichern. Bei den bisherigen Nukleargipfeln ist deshalb ein Schwerpunkt darauf gelegt worden, die Verwendung von hochangereichertem Uran in zivilen Forschungsreaktoren einzuschränken.

Dabei sind einige Fortschritte erzielt worden. Über zehn Staaten - darunter Rumänien, die Türkei, Mexiko, die Ukraine und Österreich - haben inzwischen Forschungsreaktoren entweder geschlossen oder auf leichtangereichertes Uran umgestellt. Allerdings haben andere Staaten wie die Niederlande ihre Umrüstungsankündigungen nicht eingehalten. Deutschland hat bisher offen gelassen, ob es den mit hochangereichertem Uran betriebenen Forschungsreaktor München bei Garching umrüsten will. Gerald Kirchner kritisiert scharf, dass diese Anlage vor 15 Jahren in dieser Form überhaupt zugelassen worden ist.

O-Ton Kirchner
„Ich halte es politisch für völlig falsch, dass Deutschland mit dem Insistieren darauf, den Forschungsreaktor München mit hochangereichertem Uran in Betrieb zu nehmen, ein völlig falsches Signal gesetzt hat.“

Nach wie vor gibt es 25 Staaten, die relevante Mengen an hochradioaktivem Material für zivile Zwecke nutzen. Darunter sind neben den Kernwaffenmächten auch Kasachstan, Südafrika, Italien, Japan und Weißrussland. Von dem Gipfel in Den Haag erhofft der Bostoner Sicherheitsexperte Graham Allison, dass sich weitere Staaten freiwillig verpflichten, ihre entsprechenden Forschungsreaktoren umzurüsten.

O-Ton Allison (Overvoice)
„Das Wichtigste ist, dass sie einen konkreten Zeitpunkt nennen, an dem das erreicht sein soll. Zu oft versuchen Staaten, sich mit der Aussage ‚wir arbeiten daran‘ herauszureden. Es ist leider prinzipiell so, dass man sich in den Kommuniqués nur auf den niedrigsten gemeinsamen Nenner einigt.“

Ein weiteres Thema wird bei dem Treffen in Den Haag die Frage der Sicherung von anderen leicht radioaktiven Quellen sein, wie es sie in vielen Krankenhäusern gibt. Allerdings haben 17 von 53 Teilnehmerstaaten des letzten Gipfels, darunter auch die USA, eine entsprechende internationale Konvention bisher nicht ratifiziert, obwohl sie es ankündigt hatten. Die Konvention gibt es schon seit knapp 10 Jahren.

Graham Allison hält es zudem für notwendig, auf dem Gipfel auch über die Sicherung und Kontrolle von waffenfähigem Nuklearmaterial zu sprechen, die das Militär in den Atomwaffenstaaten nutzt.

O-Ton Allison (Overvoice)
„Es wäre vernünftig, auch die Nuklearwaffen und das militärisch genutzte Nuklearmaterial in die Diskussion einzubeziehen. Aber Frankreich, zum Beispiel, ist da sehr zurückhaltend.”

Mit kleineren Fortschritten und Vereinbarungen ist bei dem Nuklear-Gipfel nächste Woche wohl zu rechnen - trotz der Krim-Krise. In zwei Jahren soll es dann in Washington ein weiteres Treffen geben. Die Frage bleibt allerdings, ob für die relativ mageren Ergebnisse überhaupt eine Reihe von Gipfeln notwendig sind.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN,22. März 2014; www.ndr.de/info


24. und 25. März: Proteste gegen die Nuklear-Gipfel in Den Haag, Amsterdam und Almelo

(Bonn, Den Haag, Amsterdam, Almelo, 21.03.2014) Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) weist darauf hin, dass am Montag und Dienstag in Den Haag, Amsterdam und Almelo Protestaktionen der niederländischen Friedens- und Anti-Atomkraft-Bewegung stattfinden werden. Der Protest richtet sich einerseits gegen den am 24. und 25. März in Den Haag stattfindenden „Nuclear Security Summit“ (NSS). Der NSS wird der größte Polit-Gipfel, der je in den Niederlanden durchgeführt wurde. Der NSS ist ein internationales Gipfeltreffen zahlreicher Staaten gegen Nuklear-Terrorismus.

Zur gleichen Zeit und als Teil des NSS findet in Amsterdam der „Nuclear Industry Summit“ statt: Ein Gipfeltreffen der Atomindustrie. Mit diesem Treffen will die globale Atomindustrie ihr angeschlagenes Image verbessern. Beim NIS treffen sich allerdings Unternehmen, die die weitere Verbreitung von Nukleartechnologie und Nuklearmaterialien aktiv fördern.

Damit wird das Treffen in Den Haag zur Farce. "Wer den Nuklearterrorismus bekämpfen will, muss sich gleichzeitig für den sofortigen Atomausstieg einsetzen", so BBUVorstandsmitglied Udo Buchholz. Und so ist es aus Sicht der Anti-Atomkraft-Bewegung ein Hohn, dass als offizieller Programmteil der Tagung, bei der die Verbreitung von Nukleartechnologie verhindert werden soll, ein Treffen organisiert wird, um Schritte zur Verbreitung derartiger Materialen und Technologien vorzubereiten.

Niederländische Anti-Atomkraft-Initiativen rufen zum Protest in Den Haag und Amsterdam auf. Bereits am Sonntag (23. März) beginnt in Den Haag um 14.00 Uhr eine Demonstration beim Hobbemaplein. Am Montag, 24. März 2014 beginnt um 5 vor 12 (11.55 Uhr) vor dem Hauptbahnhof in Den Haag eine Kundgebung der Friedensbewegung. Weitere Informationen zu den Aktionen in Den Haag unter https://stopdenss.nl. Ebenfalls am Montag wird in Amsterdam gegen das Treffen der Chefs der weltweit wichtigsten und größten Atomkonzerne protestiert. Mit der Protestaktion soll deutlich gemacht werden, dass die Weiterverbreitung von Nukleartechnik zu unbeherrschbaren Problemen führt. Weil die Konzernleitungen der Atomindustrie am Montag bereits um 7.30 Uhr ankommen und der Gipfel schon 8.30 Uhr vom Wirtschaftsminister der Niederlande eröffnet wird, beginnt der Protest bereits um 7.15 Uhr. Treffpunkt: Beursplein. Mehr Informationen zu dem Protest in Amsterdam unter www.stopkernenergie.nl

Am Dienstag (25. März) werden Konzernleitungen der Atomindustrie verschiedene niederländische Atomanlagen besuchen. Auch die Urananreicherungsanlage der Urenco in Almelo, nahe der deutschen Grenze, steht auf dem Programm. Die Zentrifugentechnik, die heute im Iran heftig umstritten ist, hat in Almelo ihren Ursprung. Auch hier in Almelo wird die örtliche Anti-Atomkraft-Bewegung gegen den Besuch der Atomkonzerne protestieren.

Beginn der Aktion ist um 9.30 Uhr am Haupteingang der Urananreicherungsanlage. Mehr Informationen unter www.enschedevoorvrede.nl.

Nach Auffassung von Udo Buchholz werden sich die Nukleargipfel in den Niederlanden auch mit dem Verkauf der Urenco-Anteile seitens der Anteilseigner befassen. Auch RWE und E.ON planen den Verkauf der deutschen Urenco-Anteile. "Für den BBU steht fest, dass nur die Stilllegung der Urenco-Urananreicherungsanlagen einen Betrag zur nuklearen Sicherheit liefern kann", so Buchholz.

Weitere Informationen zur UAA Almelo und zum Widerstand gegen Atomanlagen in den Niederlanden gibt es beim Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), http://www.bbu-online.de.

Der BBU begrüßt die niederländischen Proteste gegen die Weiterverbreitung von Nukleartechnik. Zudem weist der Verband darauf hin, dass sich auch die kommenden Ostermärsche gegen die sogenannte zivile und militärische Atomtechnik richten werden.

Ein Ostermarsch wird direkt an der einzigen deutschen Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau stattfinden. Auch diese Anlage gehört ebenso wie die Urananreicherungsanlage im niederländischen Almelo zum Urenco-Konzern. Urenco ist maßgeblicher Organisator des NIS in Amsterdam.

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Zur Finanzierung seines vielfältigen Engagements bittet der BBU um Spenden aus den Reihen der Bevölkerung. Spendenkonto: BBU, Sparkasse Bonn, BLZ 37050198, Kontonummer: 19002666.
Informationen über den BBU und seine Aktivitäten gibt es im Internet unter www.bbuonline. de; telefonisch unter 0228-214032. Die Facebook-Adresse lautet www.facebook.com/BBU72. Postanschrift: BBU, Prinz-Albert-Str. 55, 53113 Bonn.





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