Veraltete Atomwaffen?
Modernisierungspläne der US-Streitkräfte sind gescheitert
Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag, der in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" am 18. Oktober 2008 erstmals gesendet wurde. Moderator der Sendung: Joachim Hagen.
Joachim Hagen
Eine Welt ohne Atombomben – das ist eine Vision, von der nicht nur Pazifisten träumen. In den 90er Jahren, nach dem Ende des kalten Krieges, schien es so, als könnte diese Vision irgendwann Realität werden. Doch diese Hoffnungen wurden enttäuscht. Inzwischen streben immer mehr Staaten nach dem Besitz der Atombombe. Gefördert wurde diese Entwicklung auch durch die Ankündigung der Vereinigten Staaten, ihr Atomwaffenarsenal zu modernisieren. Inzwischen musste die amerikanische Regierung allerdings zugeben, dass diese Pläne gescheitert sind. Otfried Nassauer berichtet:
Manuskript Otfried Nassauer
Vor acht Jahren wurde George W. Bush Präsident. Ganz oben auf seiner Agenda stand die Außen- und Sicherheitspolitik. Unter seiner Regierung sollte Amerika, die einzig verbliebene Supermacht, noch stärker werden. Er versprach, die Führungsrolle der USA auf Jahrzehnte abzusichern. Potenzielle Herausforderer sollten abgeschreckt werden. Vor allem durch die spürbare Überlegenheit der amerikanischen Streitkräfte. Diese sollten von Grund auf modernisiert werden: Raketenabwehr, weniger aber modernere Atomwaffen und viel Geld für die Transformation der Streitkräfte, ihre Anpassung an die Aufgaben der Zukunft – so lauteten die Stichworte.
Acht Jahre, zwei Kriege und eine Finanzkrise später, bietet sich ein ganz anderes Bild. Die Streitkräfte ächzen unter den Belastungen der Kriege im Irak und gegen den weltweiten Terrorismus. Viele Modernisierungsvorhaben wurden vertagt. Andere blieben Stückwerk. Militärausgaben und Staatsverschuldung sprinten von Rekord zu Rekord. Unter George W. Bush haben die USA an Handlungsfähigkeit verloren.
Deutlich wird dies sogar da, wo angesichts anderer Schlagzeilen fast niemand mehr hinschaut: Bei den Insignien der Supermacht USA, den Nuklearwaffen. Mit dem „Nuclear Posture Review“ wollte die Regierung Bush 2001 sicherstellen, dass die USA anderen Atommächten auch in Jahrzehnten noch deutlich überlegen sein werden. Die Entwicklung neuer atomarer Trägerraketen, Bomber, U-Boote und einer neuen Generation atomarer Sprengköpfe sollte eingeleitet werden. Die Forschungs-Einrichtungen und Fabriken, die die Nuklearwaffen der USA herstellen, bedürften der Erneuerung. Für die Zukunft seien Nuklearwaffen mit anderen Eigenschaften nötig: Waffen, die geeignet seien, Massenvernichtungswaffen, deren Herstellungsanlagen, Depots und Trägersysteme sicher zu zerstören – ganz gleich ob sie Staaten oder nicht-staatlichen Akteuren gehören. Mini-Nukes, Bunker-Buster, Waffen mit geringer Strahlungswirkung. Verlässliche Waffen, leicht zu warten und so sicher, dass kein Fremder sie je missbrauchen könne. Modernisiere man die Atomwaffen, so könne auch weiter abgerüstet werden, so das Versprechen. Weniger werde dann mehr sein.
Sieben Jahre später zeigt sich ein anderes Bild. Im September 2008 veröffentlichten Verteidigungsminister Gates und Energieminister Bodman ein Dokument mit dem Titel „Nationale Sicherheit und Nuklearwaffen im 21. Jahrhundert“. In weiten Teilen erweist es sich als unfreiwilliges Eingeständnis des Scheiterns an den eigenen Zielsetzungen. Die Forderung nach einer umfassenden Modernisierung des gesamten US-Nuklearpotenzials existiert zwar weiter. Sie umfasst auch weitgehend die selben Maßnahmen wie im Nuclear Posture Review und seinen Folgedokumenten. Doch die Begründung für deren Notwendigkeit ist verräterisch. Was in den Anfangsjahren der Bush-Administration als eigene Initiative zur Absicherung der Vormachtstellung Washingtons daherkam, wird nun als notwendige Reaktion auf globale Entwicklungen dargestellt. Die nukleare Modernisierung sei erforderlich, weil alle anderen Nuklearmächte dabei seien, ihre Nuklearpotenziale zu erneuern. China sei die Herausforderung der Zukunft. Als einzige klassische Nuklearmacht erweitere und modernisiere Peking zur selben Zeit seine Atomwaffen. Russland sei zwar kein unmittelbarer Gegner mehr. Aber auch Moskau modernisiere sein Nuklearpotenzial. Das gelte selbst für Großbritannien und Frankreich. Zudem seien Staaten wie Nordkorea und der Iran sowie Terrorgruppen daran interessiert, Nuklearwaffen zu besitzen. Washington könne deshalb nicht ohne Modernisierung seiner Nuklearabschreckung auskommen. Die USA seien der einzige Nuklearwaffenstaat, der seit Jahren keine neuen Atomwaffen mehr baue.
Das Dokument verschweigt allerdings, wie stark die weitreichenden Modernisierungsvorhaben der frühen Bush-Jahre die Planungen der anderen Nuklearmächte beeinflusst und befördert haben. Es beschreibt das Ergebnis und leitet daraus ab, dass die Regierung Bush schon immer das Richtige vorhatte: Selbst zu modernisieren. Praktische Fortschritte, die unter George W. Bush gemacht wurden, fehlen dagegen weitgehend. Es gäbe auch relativ wenig zu berichten. Über die Papiere, Vorstudien sowie Konzepte und einige bedeutende Änderungen militärischer Strukturen hinaus wurde bislang wenig umgesetzt. Teils, weil die US-Regierung aufgrund hoher Kriegsausgaben andere Prioritäten setzen musste, teils, weil der Kongress ihr die nötigen Mittel nicht bewilligte. Als Beispiel kann die geplante Entwicklung einer neuen Generation nuklearer Sprengköpfe dienen, der sogenannten Verlässlichen Ersatzsprengköpfe. Der Einstieg in ernsthafte Entwicklungsarbeiten wird seit Jahren vom Kongress blockiert. Auch für den Haushalt 2009 wird es dafür wohl keine Mittel geben.
Doch damit nicht genug: Studien, die das Pentagon nach mehreren schweren Pannen bei der Nuklearwaffensicherheit erstellen musste, zeigten jüngst: Auch um die bestehende Nuklearabschreckung der USA steht es nicht mehr zum Besten. Gerade die wenigen, strukturellen Veränderungen, die die Regierung Bush umgesetzt hat, haben dazu beigetragen. Eine hochrangige Expertengruppe, die die nuklearen Aufgaben der Luftwaffe im Auftrag von Verteidigungsminister Gates untersuchte, hielt im September fest:
Zitat:
„Die Expertengruppe hat herausgefunden, dass es einen unzweideutigen, dramatischen und unakzeptablen Verfall an Engagement und Verpflichtung bei der Luftwaffe gab, ihre nuklearen Aufgaben umzusetzen und dass bis vor Kurzem nur wenig getan wurde, um dies zu ändern.“
Die nuklearen Aufgaben seien in Organisationsstrukturen eingebunden worden, die primär nicht-nukleare Aufgaben wahrnehmen. Konventionellen Aufgaben sei dort absoluter Vorrang eingeräumt worden. Bei Training und Ausbildung seien nukleare Aspekte so weit verkürzt worden dass sie – so wörtlich - „nahezu eliminiert wurden“.
Bereits vor Monaten hatte eine andere Expertengruppe festgehalten: Der Umfang der konventionellen Aufgaben, die die US-Luftwaffe im Rahmen des Irakkrieges und der Bekämpfung des internationalen Terrorismus wahrnehmen muss, führt dazu, dass der Nuklearwaffensicherheit und der nuklearen Ausbildung zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Über das konzeptionelle Kernelement der nuklearen Reformen der Regierung Bush – die neue Abschreckungstriade aus nuklearen und konventionellen Angriffskräften, Raketenabwehr und nuklearer Infrastruktur - hielt die bereits erwähnte Studie aus dem September fest:
Zitat:
„Das Konzept der Neuen Triade – so wie es unsere nationalen Politikdokumente ausformulieren – wird von vielen, die in die nukleare Aufgabe der Luftwaffe involviert sind, nicht wirklich verstanden. Dieser Mangel an Klarheit kann bis auf die Ebene der einzelnen Mannschaften wahrgenommen werden.“
Die Fähigkeit der USA zur nuklearen Abschreckung wird auch durch so gravierende Mängel nicht gefährdet. Washington ist und bleibt die stärkste Nuklearmacht. Der Vorsprung, den die USA aus dem Kalten Krieg in das 21. Jahrhundert mitgenommen haben, bleibt bestehen. Zugleich aber zeigen sich erste Vorboten für ein neues Risiko. Welche Folgen hat es, wenn die Soldaten der stärksten Nuklearmacht der Erde, die Nuklearpolitik ihrer eigenen Regierung nicht mehr ausreichend verstehen? Was, wenn daraus Probleme für die Nuklearwaffensicherheit entstehen? Was, wenn die Mängel nicht schnell und effizient behoben werden oder sich gar weiter verstärken?
Ohne Zweifel: Der nächste US-Präsident findet in der Nuklearpolitik eine weitere Großbaustelle vor, mit der er sich schnell und intensiv befassen muss. Dabei wird er zunächst eine Grundsatzentscheidung treffen müssen: Welche Probleme geht er auf dem Weg der Rüstungskontrolle und Abrüstung an und welche erfordern tatsächlich Modernisierungsmaßnahmen oder Strukturreformen? Seine Entscheidung wird Signalwirkung für die Zukunft der nuklearen Rüstungskontrolle und die Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages im Jahr 2010 haben.
Quelle: NDR Info Das Forum, STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 18.10.2008/19.20-19.50 Uhr; www.ndrinfo.de
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