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Deutschland stützt Atommächte

Bundesregierung verweigert Unterschrift zu UNO-Erklärung gegen Nuklearwaffen

Von Johanna Treblin *

Der Besitz von Atomwaffen diene letztlich der Wahrung des Friedens. Das sagt die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion.

Schon zum vierten Mal hat sich Deutschland geweigert, eine internationale Erklärung zu unterzeichnen, nach der Atomwaffen »nie wieder und unter keinen Umständen« mehr eingesetzt werden dürfen. 124 Staaten setzten am Montagabend in der UN-Generalversammlung in New York ihre Unterschrift unter ein Schriftstück, das die Auswirkungen des Einsatzes von Atomwaffen auf Menschen im Fokus hat. Deutschland lehnte die Unterzeichnung mit der Begründung ab, die glaubwürdige Abschreckung der NATO beinhalte auch die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, Atomwaffen einzusetzen.

Die Erklärung geht auf eine Initiative der Schweiz zurück. Sie strebt die konsequente Ablehnung von Atomwaffen ähnlich dem Verbot chemischer Waffen an. Der erste Entwurf, den die Schweiz am 2. Mai 2012 bei der Konferenz des Atomwaffensperrvertrags in Wien vortrug, erhielt lediglich 16 Unterstützer. Das zweite Mal legte die Schweiz ihre Erklärung im Oktober vor einem Jahr vor. 35 Staaten unterzeichneten das Schriftstück. Beim erneuten Anlauf im April dieses Jahres, als Südafrika einen Entwurf vorlegte, waren bereits 80 Staaten dabei. Japan geriet international besonders in die Kritik, weil es als Staat, dessen Bevölkerung die tödlichen Auswirkungen der von den USA im Jahr 1948 abgeworfenen Atombombe über Hiroshima zu spüren bekommen hatten, die Unterzeichnung ablehnte. Am Montag setzte nun auch die japanische Regierung ihre Unterschrift unter die »Gemeinsame Erklärung über die humanitären Auswirkungen von Nuklearwaffen«.

In der vergangene Woche veröffentlichten Antwort auf eine Kleine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion erklärt die Bundesregierung ihre Ablehnung mit der glaubwürdigen Abschreckungspolitik der NATO. In der Erklärung werden Atomwaffen »per se und nicht nur ihrem Einsatz katastrophale Wirkungen zugeschrieben. Damit wird bereits der Besitz von Nuklearwaffen zur Abschreckung einer Aggression in Frage gestellt«, so die Bundesregierung. Das aber widerspreche dem Strategischen Konzept der NATO von 2010. Darüber hinaus wehrt sich die Regierung gegen die Formulierung »unter allen Umständen« (»under any circumstances«), die sich in der Erklärung findet. Der Besitz von Atomwaffen sei nicht völkerrechtswidrig und diene letztlich der Wahrung des Friedens.

»Die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen sind erkannt, dramatisch und nicht kontrollierbar in Raum und Zeit«, sagte Martin Hinrichs vom deutschen Zweig der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) am Dienstag in Berlin. Die Organisation hatte zu einer Protestaktion am Dienstagmorgen vor dem Auswärtigen Amt aufgerufen. Dort entrollten Aktivisten einen Banner mit der Aufschrift »Atomwaffen ächten«. »Die Bundesregierung hat die Verantwortung, die deutsche Bevölkerung vor einer derartigen Katastrophe zu schützen«, fügte Hinrichs hinzu. Zwar sei Deutschland selbst keine Atommacht, müsse aber international Druck ausüben, um die Staaten, die im Besitz von Atomwaffen sind und diese teilweise auch einsetzen, zur Abrüstung zu bewegen.

Stattdessen hat sich die Bundesregierung mit ihrer Ablehnung der Erklärung auf die Seite der Atommächte gestellt, die geschlossen ihre Unterschrift verweigerten. Atomwaffen besitzen die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und die Volksrepublik China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea. Auch Australien und Kanada sowie die Mehrheit der NATO-Mitgliedstaaten lehnten die Unterzeichnung ab.

Vor zwei Wochen stellte ICAN eine Untersuchung vor, nach der deutsche Finanzinstitute mit einem Volumen von insgesamt knapp 7,6 Milliarden Euro an der Finanzierung von Unternehmen beteiligt sind, die Kernwaffen herstellen. ICAN zufolge geben auch Banken in öffentlicher Hand Atomwaffenherstellern Geld. Die viert- und fünftgrößten Finanziers sind demnach die bayrische und die hessische Landesbank.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 23. Oktober 2013


Weiter lesen!

Hier geht es zum Bericht über die Sitzung des Ersten Komitees (dem Abrüstungskomitee) der Generalversammlung am Montag, 21. Oktober 2013:
www.un.org.

Die Delegierte Neuseelands stellte die gemeinsame Erklärung der "New Agenda Coalition (NAC)" vor, die bereits von 124 Staaten und dem Heiligen Stuhl (Vatikan) unterzeichnet worden sei. Ursprünglicher Titel der Erklärung aus dem Jahr 1998: "Towards a nuclear-weapon-free world: the need for a new agenda". Darin wird die schnelle, endgültige und vollständige Beseitigung von Atomwaffen gefordert. In das Erste Komitee eingebracht wurde sie von Neuseeland und der Schweiz. Selbst Japan befindet sich mittlerweile unter den Unterzeichnerstaaten, nicht aber die BRD. Das Statement Neuseelands wird im Folgenden so zusammengefasst:

DELL HIGGIE (New Zealand), delivering a joint statement on behalf of 124 Member States and the Holy See, said that past experience from the use and testing of nuclear weapons had amply demonstrated the unacceptable humanitarian consequences caused by the immense, uncontrollable destructive capability and indiscriminate nature of those weapons. At the Oslo Conference, a key message from experts and international organizations had been that no State or international body could address the immediate humanitarian emergency caused by a nuclear-weapon detonation or provide adequate assistance to victims. The broad participation at that Conference had reflected the recognition that the catastrophic humanitarian consequences of nuclear weapons were a fundamental and global concern.

She said that work to bring those concerns to the fore was essential, because the catastrophic consequences of nuclear weapons affected, not only Governments, but each and every citizen of the interconnected world. Such consequences had deep implications for human survival, for the environment, for socio-economic development, for economies, and for the health of future generations. For those reasons, awareness of those consequences must underpin all approaches and efforts towards nuclear disarmament. The idea as not new; the appalling consequences had been evident from the moment those weapons were first used. And, from that moment, the consequences had motivated humanity’s aspirations for a world free of that threat, as reflected in numerous United Nations resolutions, including the first one passed by the General Assembly, in 1946, and later, in multilateral instruments, including NPT.

The world’s most eminent nuclear physicists had observed as early as 1955 that nuclear weapons threatened the continued existence of mankind and that a war of that kind could quite possibly put an end to the human race, she said. Those expressions of profound concern remained as compelling as ever, but despite that, the humanitarian consequences of nuclear weapons had not been at the core of nuclear disarmament and non-proliferation deliberations for many years. She was encouraged, therefore, that the humanitarian focus was now well-established on the global agenda. It was in the interest of the very survival of humanity that nuclear weapons were never used again, through their total elimination. She welcomed the new resolve of the international community, together with the International Committee of the Red Cross (ICRC) and international humanitarian organizations, to address the catastrophic humanitarian consequences of nuclear weapons. In raising awareness, civil society had a role to play, side-by-side with Governments, as the international community fulfilled its responsibilities.


Die vollständige Grundsatz-Rede von Dell Higgie, die sich damit nach langjähriger Arbeit aus dem UN-Gremium verabschiedete, kann hier nachgelesen werden:
Farewell Statement by Dell Higgie
Rede der Abrüstungsbotschafterin von Neuseeland, 21. Oktober 2013




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