Obama will Atomterroristen das Handwerk legen
Nuklearsicherheit - zentraler Baustein für eine kernwaffenfreie Welt
Von Wolfgang Kötter *
Schwerbewaffnete Kämpfer dringen in eine Lagerstätte von Kernwaffen ein,
sammeln ein halbes Dutzend Atomsprengsätze ein und verschwinden ins
Nirgendwo - das sind die absoluten Horrorvorstellungen für jeden
Anti-Terrorspezialisten. Alternativ könnte der Schauplatz auch ein
nuklearer Forschungsreaktor oder ein Strahlenlabor sein. Ebenso
furchteinflößend wäre es, wechselten auf einem Flughafen oder grenznahen
Autobahnparkplatz Container mit radioaktivem Spaltmaterial und einige
Hunderttausend Dollar die Besitzer. Um derartige Szenarien zu
verhindern, hat US-Präsident Barack Obama Spitzenpolitiker aus rund 50
Staaten, dazu Vertreter von EU, IAEA und UNO nach Washington eingeladen.
Denn dass Terroristen Zugang zu Atomwaffen oder nuklearem Spaltmaterial
erlangen könnten, hält er für "die unmittelbarste und extremste
Bedrohung der globalen Sicherheit."
Hausse auf dem atomaren Schwarzmarkt
Entsprechende Drohungen sind für Rolf Mowatt-Larssen von der
renommierten Harvard Kennedy School keineswegs nur leere Rhetorik und er
erwartet sogar, dass sich das Terrornetzwerk Al-Kaida auf den
größtmöglichen Anschlag mit Massenvernichtungsmitteln vorbereitet.
Bereits seit längerem deuten Signale darauf hin, dass die Befürchtungen
durchaus berechtigt sind. Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden soll die
Beschaffung von Atomwaffen bereits vor Jahren als eine "heilige Pflicht"
für Dschihadisten bezeichnet haben. Der pakistanische Nuklear-Ingenieur
Sultan Bashiruddin Mahmood beriet nach eigenen Aussagen Bin Laden
darüber, wie die Terrororganisation Komponenten und Know-how zum Bau
eines nuklearen Sprengsatzes erwerben könne. Der bei München
festgenommene Bin-Laden-Vertraute Mamdouh Mahmud Salim hat sich der
US-Bundespolizei FBI zufolge darum bemüht, Einzelteile für Nuklearwaffen
zu beschaffen. Der Expertenbericht Global Fissile Material Report 2009
beziffert die Menge angereicherten Urans in der Welt mit 1.600 Tonnen,
dazu kommen mindestens 500 Tonnen waffenfähiges Plutonium.
Al-Kaida-Aussteiger Jamal Ahmed al-Fadl hat vor einem New Yorker
Bundesgericht ausgesagt, er habe im Auftrag Bin Ladens versucht, im
Sudan hoch angereichertes Uran - angeblich aus Südafrika - zu kaufen.
Selbst die russische Mafia wurde eingeschaltet, um an waffenfähiges
Spaltmaterial heranzukommen. Erst kürzlich wurde bekannt, dass
Al-Kaida-Mitglied Scharif Mobayli von 2002 bis 2008 zeitweise in
insgesamt sechs Kernkraftwerken in den US-Staaten New Jersey,
Pennsylvania und Maryland gearbeitet hatte.
Seit 1993 hat die Internationale Atomenergiebehörde IAEA insgesamt über
1.300 Fälle von Atomschmuggel registriert. In 18 davon ging es um die
Weitergabe von waffenfähigem Uran oder Plutonium. Bei einer
IAEA-Konferenz in Edinburgh wurde deutlich, dass nach wie vor ein
besonderes Risiko von der Halbinsel Kola im Nordwesten Russlands
ausgeht. In dieser an Finnland und Norwegen grenzenden Region befinden
sich 35 Nuklearanlagen. Dort gebe es tonnenweise hoch angereichertes
Uran und auch die weltweit größten Mengen radioaktiven Mülls, berichtet
der schwedische Atominspektor Lars van Dassen vom Swedish Nuclear Power
Inspectorate (SKI). Ein gemeinsamer Bericht der russischen
Atomenergiebehörde und des SKI nennt die Lage in Kola "beunruhigend".
Aufbauend auf einer gemeinsamen Analyse errichten Russland und Schweden
auf Kola ein regionales Sicherheitssystem. Dazu zählt unter anderem die
Installation von Überwachungsdetektoren mit denen die Strahlung von
radioaktiven Substanzen, zum Beispiel an Werkstoren, registriert werden
kann. Experten befürchten, dass die baltischen Nachbarländer eine
zentrale Rolle bei der Weiterleitung von aus Kola stammendem
Nuklearmaterial spielen könnten. Deshalb kooperieren Lettland und die
USA, um den Nuklearschmuggel durch das baltische Land zu verhindern. Die
USA liefern Detektoren für radioaktive Strahlung nach Lettland, mit
denen an Flug- und Seehäfen sowie den Grenzkontrollstellen an Straßen
gefahndet werden kann.
Terrorgruppen spielen nach Angaben der zuständigen Behörden nach wie vor
mit dem Gedanken, in den Besitz einer radiologischen Waffe zu gelangen.
"Kriminelle und Terrorgruppen zeigen Interesse am Bau einer so genanten
Dirty Bomb", meinte Andrej Nowikow, Chef der Anti-Terror-Zentrale der
GUS-Staaten am Rande der internationalen Rüstungsmesse
Interpolytech-2009 in Moskau. Mit einer solchen "schmutzigen Bombe",
einem konventioneller Sprengsatz, der bei seiner Explosion radioaktives
Material in der Umgebung verteilt, lassen sich zwar nur geringe
Zerstörungen anrichten, aber ganze Städte und Regionen könnten
unbewohnbar werden, weil die Strahlung sich flächendeckend ausbreiten
würde. Panik und Massenpsychosen wären die wahrscheinlichen Folgen
derartiger Anschläge.
Multilaterales Handeln gegen atomare Heimwerker
Aber nicht nur der Kauf oder Diebstahl von Strahlungsmaterial oder gar
einer fertigen Atomwaffe ist eine akute Gefahr. Immer wieder hat es auch
Versuche gegeben, einen eigenen nuklearen Sprengsatz zu konstruieren.
Gelänge es Terroristen, in den Besitz von hoch angereichertem Material
oder waffenfähigem Plutonium zu gelangen, wäre sogar der Bau einer
Atombombe denkbar. Das Wissen zum Bau eines nuklearen Sprengsatzes ist
frei zugänglich, und die Prinzipien von Kernwaffen wie auch detaillierte
theoretische Grundlagen kann jedermann im Internet nachlesen.
Nachweislich gab es Kontakte von Al-Kaida zu arbeitslosen russischen
Wissenschaftlern und zum pakistanischen Atomphysiker Abdul Qadeer Khan,
der sogar ein globales Netwerk illegaler Nuklearkollaboration entwickelt
hatte. Wie die deutschen Gotthard Lerch und Gerhard Wisser sollen auch
die Schweizer Brüder Urs und Marco Tinner dazu gehört haben. Unter ihren
beschlagnahmten 10.000 Akten und 20.000 Computerdateien befanden sich
Baupläne für Atomwaffen und Gaszentrifugen zur Urananreicherung. Die
Drohung des mutmaßlichen Al-Kaida-Chef in Afghanistan, Mustafa Abu
al-Jasid, im arabischen Fernsehsender Al-Dschasira, Pakistans Atomwaffen
gegen die USA einsetzen zu wollen, unterstreiche die Dringlichkeit zur
weltweiten Abrüstung, mahnt die Organisation Ärzten gegen den Atomkrieg
IPPNW. "Die Welt steht am Scheideweg: Entweder werden Atomwaffen
geächtet und abgeschafft oder sie werden von immer mehr Staaten und so
genannten `nichtstaatlichen Akteuren? entwickelt, erworben oder
gestohlen", so die Vorsitzende Dr. Angelika Claußen.
Für die Architektur einer atomwaffenfreien Welt bildet die Sicherung des
Nuklearmaterials einen zentralen Baustein. "Sollten diese gefährlichen
Materialien jemals Terroristen in die Hände fallen", warnt
US-Außenministerin Hillary Clinton, "wären die Konsequenzen so grausam,
dass es unsere Vorstellungskraft übersteigt." Nuklearterrorismus ist zu
einer globalen Gefahr geworden, der nur durch weltweite Kooperation
begegnet werden kann. "Wenn erst einmal 100.000 Menschen an einem Tag
getötet worden sind", fürchtet US-Altpolitiker Henry Kissinger, "wird
die Welt nicht mehr die gleiche sein."
Nach Vorbereitungstreffen in Tokio, Den Haag und Washington sieht die
US-Regierung im heutigen Gipfel (12. April) einen Auftakt zu noch
intensiverer internationaler Zusammenarbeit. "Präsident Obama ergreift
Maßnahmen, um den atomaren Terrorismus mehr ins öffentliche Bewusstsein
zu rücken", erklärt die für Rüstungskontrolle und Abrüstung zuständige
Staatssekretärin Ellen Tauscher das Anliegen. "Er hat internationale
Bestrebungen gefordert, im Rahmen derer alles ungeschützte
Nuklearmaterial innerhalb von vier Jahren gesichert werden soll, indem
illegale Märkte ausgehoben, Materialien, die von einem Land ins nächste
transportiert werden, lokalisiert und abgefangen und finanzpolitische
Instrumente eingesetzt werden, um illegalen Handel zu stören."
Auf der Tagesordnung steht heute zunächst eine Grundsatzdiskussion über
Art und Ausmaß der Bedrohung. Außerdem geht es um konkrete Schritte, wie
das weltweit verstreute Nuklearmaterial innerhalb der nächsten vier
Jahre zuverlässig gegen Diebstahl und Schmuggel gesichert werden kann.
Auch bei der Aufklärung möglicher nuklearterroristischer Attacken soll
effektiver kooperiert werden. In einem gemeinsamen Abschlusskommuniqué
wollen die Teilnehmer den politischen Willen bekräftigen, das
höchstmögliche Maß an Nuklearsicherheit herzustellen.
Weltweite Uranvorräte in Forschungseinrichtungen
Insgesamt befinden sich etwa 20 000 kg hoch angereichertes Uran (HEU) in
345 Forschungsreaktoren von 58 verschiedenen Staaten, darunter
mindestens 28 Entwicklungsländern. 95 dieser Reaktoren sind zwar nicht
mehr in Betrieb, allerdings wird in vielen immer noch HEU gelagert.
Wegen der vergleichsweise geringen physischen Schutzvorkehrungen für
Forschungsreaktoren ist das dort vorhandene hoch angereicherte Uran
besonders verwundbar gegenüber Diebstahl und illegaler Verbreitung. Zum
potentiell attraktiven Ziel für Terroristen werden Forschungsreaktoren
auch deshalb, weil nach wie vor keine internationalen Schutzstandards
existieren.
Angaben nach IAEA
www.iaea.org/Publications/Factsheets/English/ines.pdf
und: Aurora-Magazin:
www.aurora-magazin.at/gesellschaft/atom_terror_frm.htm
Chronologie: Zwischenfälle mit nuklearem Spaltmaterial
März 2009: In China kommt bei einem Fabrikabriss im nordwestlich
gelegenen Shaanxi Xingping ein mit potentiell tödlich wirkendem
radioaktivem Cäsium-137 gefülltes Messgerät abhanden und bleibt eine
Woche lang verschwunden, bevor es die Sicherheitsbehörden aufspüren.
Februar 2009: Inspektoren des US-Energieministeriums stellten fest, dass
im Vorjahr in 15 Einrichtungen insgesamt 20,58 Gramm angereichertes
Uran, 45 Gramm Plutonium, 5 kg normales Uran und rund 190 kg
abgereichertes Uran gestohlen oder einfach verloren wurden.
1996-2009: In den USA sind offiziellen Angaben zufolge innerhalb von 13
Jahren über 1 500 Strahlungsquellen spurlos verschwunden.
Frühjahr 2006 IAEA-Inspektoren begeben sich gemeinsam mit russischen
Experten in der Ex-Sowjetrepublik Georgien auf die Suche nach 9 kg
Plutonium, das angeblich während der bürgerkriegsähnlichen Zustände
zwischen den Jahren 1992 und 1997 verschwunden war.
1996-2006: Allein in einem Jahrzehnt registrierte die IAEA insgesamt 280
Vorkommnisse, davon 18 Fälle von Nuklearschmuggel mit hoch
angereichertem Uran (HEU) bzw. Plutonium.
März 2006: Die Sicherheitskräfte verhaften in Tadschikistan zwei
Personen mit vier Kilogramm radioaktiven Quecksilbers.
Dezember 2005: Verdeckten US-Ermittlern gelingt es, im Ausland
erworbenes Strahlenmaterial unbemerkt an Grenzübergängen zu Kanada und
Mexiko in die USA einzuschmuggeln.
November 2005: In Australien nimmt die Polizei mehrere Personen fest,
die einen Anschlag auf den einzigen Reaktor des Landes Lucas Heights im
Süden von Sydney geplant haben sollen.
April 2005: Die russische Polizei nimmt einen Vorarbeiter in einer
Nuklearfabrik fest, der 22 kg Uran verkaufen wollte.
2005- 2008: Kanadischen Presseberichten zufolge gingen innerhalb von 4
Jahren 75 radioaktive Materialien verloren. 24 von ihnen mit erheblicher
Gefahr für die Bevölkerung.
2004/05: Zwei Einbruchsversuche in russische Atomwaffenlager habe es in
den beiden Jahren gegeben meldet der zuständige General Walinkin und
räumt "Probleme bei der nuklearen Sicherheit" ein. In mehreren Fällen
haben terroristische Gruppen Nuklearanlagen und -transporte ausgespäht,
insgesamt 500 Mal wurde versucht, radioaktives Material illegal aus dem
Land zu schaffen.
2005: Aus einem britischen Prüfbericht geht hervor, dass im
vorangegangenen Jahr in der britischen Wiederaufbereitungsanlage
Sellafield 30 kg Plutonium verloren gegangen sind. Die Menge ist
ausreichend für 7-8 Nuklearsprengsätze.
2005: Eine Recherche des US-Fernsehsenders ABC findet Reaktoren ohne
bewaffnete Posten und mit Türen vor, durch die Besucher unkontrolliert
passieren durften.
November 2004: Das El-Kaida-Netzwerk von Osama bin Laden soll nach
Informationen des US-Magazins "Time" geplant haben, atomares Material
von Europa aus über Mexiko in die USA zu schmuggeln.
Mai 2003: Sicherheitskräfte in Bangladesh nehmen vier Mitglieder der
militant-islamistischen Jama'atul Mujahideen Bangladesh fest. Sie
befanden sich im Besitz von 225 Gramm Uranoxid, das mutmaßlich aus
Kasachstan stammte.
Dezember 2001: Georgische Sicherheitskräfte verhaften einen armenischen
Staatsbürger, der 300 Gramm Uran bei sich trug. Die Polizei vermutet,
dass es aus dem armenischen Metzamor-Kernkraftwerk gestohlen wurde.
Juli 2001: Ein Angestellter der früheren Wiederaufbereitungsanlage in
Karlsruhe wird im festgenommen, weil er ein Glasröhrchen mit
radioaktiven Spuren von Plutonium, Americium und Cäsium gestohlen hat.
Juli 2001: In Paris werden drei Männer verhaftet, die im Besitz von 5
Gramm 70 bis 80%igem HEU sind.
April 2000: Am Schwarzmeerhafen Batumi erwischt die georgische Polizei
Schmuggler mit rund zwei Kilo Uran mit einem Anreicherungsgrad von 30 %.
Mai 1999: Am bulgarisch-türkischen Grenzübergang Dunav Most finden
bulgarische Zollbeamte 10 g von auf 76 % angereichertem HEU im Auto
eines Türken.
September 1999: Im tschetschenischen Grosny versuchen Diebe, einen
Container mit radioaktivem Material zu stehlen und verstrahlen sich dabei.
Februar 1998: Sicherheitskräfte entdecken einen im Besitz der
italienischen Mafia befindlicher hoch angereicherten Uranbrennstab, der
zuvor aus dem Kinshasa Forschungsreaktor im Kongo gestohlen worden war.
1995: Tschetschenische Separatisten demonstrieren ihre Fähigkeit zum
Einsatz einer radiologischen Bombe, indem sie im Ismailovsky Park einen
mit Cäsium gefüllten Container deponieren.
Dezember 1994: Die Prager Polizei stellt zwei Kanister mit hoch
angereichertem Uran sicher. Darüber hinaus werden zwei weitere
HEU-Proben mit demselben Anreicherungsgrad im Juni 1995 in Prag bzw.
Budweis aufgefunden.
August 1994: Am Münchner Flughafen entdecken deutsche
Geheimdienstmitarbeiter 363 g Plutonium, das zuvor mit einer aus Moskau
kommenden Lufthansamaschine ins Land gebracht worden war.
1993: Aus dem KKW Tschernobyl verschwinden zwei Brennstäbe. Anscheinend
konnte ein Teil des vermissten Urans im Jänner 2002 bei einem
Schmugglerring in Minsk (Weissrußland) sichergestellt werden.
1993: Kurz vor dem Angriff auf das World Trade Center in New York wird
das Three Mile Island Kraftwerk in Alarmzustand versetzt, nachdem
Terroristen - nur knapp 50 km vom KKW entfernt - den nächtlichen
Überfall auf ein elektrisches Kleinkraftwerk geprobt haben.
1987: Ein mit radioaktivem Cäsium-137 in der Strahlentherapie übliches
Gerät wird auf einem Schrottplatz im brasilianischen Goiana gefunden und
geöffnet. Es gibt einen hübschen blauen leuchtenden Staub preis. Einige
Anwesende halten es für Farbe, und malen sich damit die Gesichter an.
Vier Menschen kommen ums Leben, zwischen 40 000 und 50 000 werden
verstrahlt.
* Eine gekürzte Version dieses Beitrags erschien am 12. April 2010 im
Neuen Deutschland
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