Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gegen den Stillstand bei der atomaren Abrüstung

Prof. Götz Neuneck zu den wichtigsten Themen der heute beginnenden Pugwash-Konferenz in Berlin *


Heute (1. Juli) beginnt in Berlin die 59. Pugwash-Konferenz. Vier Tage lang werden hochrangige Entscheidungsträger, Experten und Wissenschaftler aus 43 Ländern über globale Fragen der nuklearen Abrüstung sowie Probleme der Krisen- und Konfliktgebiete im Mittleren Osten und in Asien beraten. Mit Prof. Dr. Götz Neuneck sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Olaf Standke.

ND: Über 300 Teilnehmer aus aller Welt werden zur 59. Pugwash-Konferenz erwartet. Wer wird in Berlin dabei sein?

Neuneck: Wir haben bei Pugwash-Konferenzen immer eine Mischung aus Wissenschaftlern, Experten und Entscheidungsträgern. Der Gedanken- und Meinungsaustausch in vertraulicher Atmosphäre auch bei ganz unterschiedlichen Sichtweisen, das ist ihr Markenzeichen. Natürlich gibt es angesichts des Hauptthemas eine starke europäische Beteiligung, aber auch viele Teilnehmer aus dem Mittleren Osten oder aus Asien. Auch eine kleine nordkoreanische Delegation wird dabei sein. Insgesamt sind in Berlin 43 Länder vertreten.

Welche Probleme sollen im Mittelpunkt der Debatten stehen?

Neben der Frage »Wie geht es weiter in Europa mit der nuklearen Abrüstung?« werden auch solche sensitiven aktuellen Prozesse wie der »Arabische Frühling« berührt. Welchen Einfluss hat er eigentlich auf die Debatte über Massenvernichtungswaffen im Mittleren Osten? Was ist mit Iran? Aber auch in anderen Arbeitsgruppen wird dieser Zusammenhang etwa mit Blick auf Pakistan oder Nordkorea Thema sein.

Zum Auftakt geht es in einem Symposium u.a. um Obamas Vision einer Welt ohne Kernwaffen. Wie weit sind wir von diesem erstrebenswerten Zustand entfernt?

Nach der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag und der Ratifizierung des neuen russisch-amerikanischen START-Vertrages zur Reduzierung der strategischen Offensivwaffen gibt es auf dem Feld der nuklearen Abrüstung einen gewissen Stillstand. Wozu etwa brauchen die USA und Russland weiter jeweils 1550 aufeinander gerichtete strategische Nuklearwaffen? Zudem hat die NATO den erhofften Abzug taktischer Nuklearwaffen aus Europa nicht beschlossen, sondern nur eine Überprüfung eingeleitet. Auch Russland hält an ihnen fest. Diese Waffen wurden einst stationiert, um die konventionellen Vorteile der Sowjetunion auszugleichen. Heute aber ist die NATO konventionell überlegen. Hier kommt auch der KSE-Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa ins Spiel, den Moskau suspendiert hat und dessen Aus extrem negativ für die europäische Sicherheit wäre.

So wie die Raketenabwehr?

Auch sie erweist sich als Stolperstein für die nukleare Abrüstung. Es gibt zwar ein Kooperationsangebot der NATO an Moskau, aber noch keinen Durchbruch. Dabei zu helfen, die konzeptionellen wie technischen Differenzen auszugleichen, das ist sicherlich ein wichtiger Konferenz-Punkt.

Das Motto der Konferenz fragt dezidiert nach dem europäischen Beitrag zur atomaren Abrüstung. Was erwarten Sie hier gerade auch von Deutschland?

Deutschlands Führerschaft in diesem Sektor muss wieder energischer betrieben werden, wenn ich an die Vermittlung in der NATO in Sachen taktische Nuklearwaffen denke, oder wenn es um eine Einigung mit Russland bei der Raketenabwehr und beim KSE-Vertrag geht. Man muss die USA überzeugen, dass sie den »alten Kontinent« bei diesen Fragen nicht links liegen lassen können. Ihre Atomwaffen müssen aus Europa abgezogen werden, auch um ein Zeichen für andere Länder zu setzen, nicht in diese sehr gefährliche Technologie zu investieren. Was Iran anbelangt, muss der Dialog wieder aufgenommen werden.

Gehört mit Blick auf Berlin dazu nicht auch der ausdrückliche Verzicht auf die sogenannte nukleare Teilhabe?

Das ist letztlich die Konsequenz. Man verweist allerdings immer darauf, dass das nur im Rahmen der NATO möglich sei. Aber Deutschland braucht diese taktischen Nuklearwaffen nicht. Und selbst bei den Militärs fordert keine ernsthafte Stimme ihren Verbleib.

Die Pugwash-Konferenz, eine Wissenschaftlerorganisation, wurde mitten im Kalten Krieg gegründet. Wo sehen Sie heute ihre besondere soziale Verantwortung?

Es gibt noch immer enorme Anstrengungen für militärische Entwicklungen, ob Raketenabwehr, Weltraumrüstung, hoch präzise konventionelle Waffen, die Anwendung der Nanotechnologie oder den »Cyberwar«. Hier müssen sich Wissenschaftler kritisch einmischen. Wir müssen den Dialog zu strittigen Fragen fördern. Wissenschaftler, mit einer neutralen Agenda und international vernetzt, können Konfliktparteien vielleicht eher an einen Tisch bekommen. Das hat schon während des Kalten Krieges ganz gut funktioniert. Und auch diese Konferenz wird Konfliktparteien wieder informell zusammenbringen, in den Arbeitsgruppen, am Rande der Tagung, bei sozialen Ereignissen.

Diese besondere Atmosphäre ist wichtig, um zu erörtern, dass eine weitere nukleare Aufrüstung für alle gefährlich ist. Im Grunde sind Atomwaffen nicht einsetzbar. Diese Erkenntnis weiter voranzutreiben, ist immer noch ein zentrales Ziel. Solange es so viele Nuklearwaffen und Länder gibt, die mit ihnen liebäugeln, ist die Agenda von Pugwash noch nicht vollständig umgesetzt.

* Prof. Dr. Götz Neuneck ist Mitglied des Exekutivkomitees von Pugwash und Pugwash-Beauftragter der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler. Er ist Stellvertretender Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Aus: Neues Deutschland, 1. Juli 2011


Pugwash- Konferenz

»Wir können Atomwaffen vernichten, aber nicht die Methoden ihrer Herstellung aus unserem Geist löschen. Deshalb ist es so wichtig, das politische Bewusstsein zu ändern«, so Joseph Rotblat einmal in einem ND-Gespräch. Diese Sätze könnten auch Credo der Pugwash-Konferenz sein.

Der in Warschau geborene und nach dem deutschen Überfall auf Polen nach London geflohene Atomphysiker, der später aus dem streng geheimen Manhattan-Projekt der USA zum Bau der ersten Atombombe ausstieg, gehörte zu den Unterzeichnern des berühmten Russell-Einstein-Manifests von 1955. Es ist so etwas wie die Geburtsurkunde der Wissenschaftlerorganisation, die 1957 im kleinen kanadischen Fischerdorf Pugwash in der Provinz Nova Scotia ins Leben gerufen wurde. In den Zeiten des Kalten Krieges entwickelte sich das Dialogforum zu einer blockübergreifenden Friedensinitiative und weltweit beachteten ethischen Instanz.

Die »Pugwash Conferences on Science and World Affairs« haben während des Ost-West-Konflikts den Atomwaffensperrvertrag und den Teststoppvertrag ebenso vorgedacht wie die strategischen Abrüstungsgespräche oder den KSZE-Prozess. 1995 wurde das Engagement der unabhängigen Nichtregierungsorganisation und ihres langjährigen Generalsekretärs und Präsidenten Joseph Rotblat (1908-2005) mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt. Auch nach Ende des Kalten Krieges macht sich die Bewegung für nukleare Abrüstung stark und engagiert sich diplomatisch und mit wissenschaftlicher Kompetenz in aktuellen Konflikten und Krisen.
Sta


Und auch das noch:

Außenminister Westerwelle hält Eröffnungsrede bei Pugwash-Expertenkonferenz zu nuklearer Abrüstung und internationaler Friedenssicherung

Nukleare Abrüstung steht im Vordergrund der Pugwash-Jahrestagung, die vom 01.07. – 04.07. im Auswärtigen Amt stattfindet. Im Rahmen der Expertenkonferenz diskutieren Politiker und Wissenschaftler sowie Vertreter von Medien und Öffentlichkeit das Thema „European Contributions to Nuclear Disarmament & Conflict Resolution“.

Die Pugwash-Expertenkonferenz beginnt einen Tag nach dem Treffen des European Leadership Networks im Auswärtigen Amt. Das European Leadership Network bringt am Donnerstag, 30.06., hochrangige ehemalige Politiker zum Thema „Reducing the Role of Nuclear Weapons in the NATO-Russia Relationship“ zusammen.

Pressemitteilung des Auswärtigen Amts, 28. Juni 2011




Zurück zur Seite "Atomwaffen"

Zurück zur Homepage