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Obama bietet Moskau Atomabrüstung an

USA brauchen bessere Beziehungen zu Russland, um den Afghanistan-Nachschub zu sichern

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Eine bis zu 80-prozentige Reduzierung der Kernwaffenarsenale will der neue USA-Präsident Barack Obama seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedjew anbieten.

Den USA und Russland verblieben nach der Obama-Offerte dann nur noch je 1000 atomare Sprengköpfe. Die neuen Obergrenzen sollen in einem Folgeabkommen für den START-Vertrag zur Reduzierung strategischer Offensivwaffen festgeschrieben werden. Das 1991 ausgehandelte Abkommen läuft Ende des Jahres aus und begrenzt die Anzahl der Kernsprengköpfe pro Seite auf 5000 bis 6000.

Außerdem will Obama, der Medwedjew voraussichtlich am 2. April in London trifft, die Entscheidung seines Vorgängers zur Stationierung von Raketenabwehrstellungen in Mitteleuropa überdenken. Russland, das sich dadurch bedroht sieht, hatte einschlägige Pläne von Anfang an scharf kritisiert und zwischenzeitlich sogar erwogen, im Raum Kaliningrad Kurzstreckenraketen des Typs Iskander zu stationieren.

Der US-Präsident, so hiesige Beobachter, wolle mit den neuen Abrüstungsvorschlägen signalisieren, dass er an einer substanziellen Verbesserung der Beziehungen zu Moskau interessiert ist. Grund des Einlenkens dürften vor allem akute logistische Probleme bei der geplanten Ausweitung der Anti-Terror-Operation in Afghanistan sein: Die Versorgung der dort stationierten Truppen mit Nachschub über die Südroute hat sich seit Sprengung einer Brücke in Pakistan in der Nacht zu Mittwoch definitiv erledigt. Die Nordroute aber führt über die ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien, wo Moskau nach wie vor – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – die Lufthoheit hat.

Erst am Mittwoch kündigte Kirgistans Präsident Kurmanbek Bakijew offiziell die vorfristige Beendigung des Nutzungsvertrages für die Luftwaffenbasis Manas nahe der Hauptstadt Bischkek an, wo die USA 1200 Soldaten stationiert haben. Diese, so Bakijew, würden zunehmend Konflikte mit den Einheimischen vom Zaun brechen und Unfälle verursachen, bei denen auch Zivilisten zu Schaden kommen. Das Parlament soll bereits am Freitag die Kündigung des Abkommens ratifizieren. Für Washington ein herber Schlag. Die Basis ist seit dem Rauswurf der USA aus Usbekistan 2005 der mit Abstand wichtigste Umschlagplatz für den Afghanistan-Nachschub. Dort werden Kampfflugzeuge aufgetankt und Kriegstechnik verladen. Tadshikistan und Kasachstan, mit denen die USA im Januar über Alternativen verhandelten, haben ihre Flugplätze bisher nur für den Umschlag von nichtmilitärischen Gütern freigegeben.

Die Basis in Kirgistan, so Dmitri Rogosin, Russlands Ständiger Vertreter bei der NATO, werde »bald eine neue Anwendung finden«. Der Diplomat spielte damit offenbar auf den außerordentlichen Gipfel der Organisation für kollektive Sicherheit – dem Verteidigungsbündnis der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS – an, der am Mittwoch in Moskau begann. Dieser beschloss eine gemeinsame Luftabwehr und eine schnelle Eingreiftruppe. Offiziell wurde deren Notwendigkeit mit dem Kampf gegen Terrorismus und Drogenschmuggel begründet. Dass ihr auch Luftlandebrigaden angehören werden, lässt indes den Schluss zu, das Moskau mit dem weiteren Vormarsch der Taliban in Afghanistan rechnet, wodurch auch radikal-islamische Gruppierungen im angrenzenden Zentralasien neuen Auftrieb bekommen. Die Misserfolge des Westens am Hindukusch, so NATO-Botschafter Rogosin im hiesigen Fernsehen, hätten sich zu einer handfesten Bedrohung für die gesamte Region ausgewachsen.

Hinzu kommt, dass die Verteilungskämpfe, die sich die Staaten Zentralasiens um Wasser und Energie liefern, zu einem regionalen Konflikt eskalieren könnten. Die schnelle Eingreiftruppe soll daher bei Bedarf auch »Zwang zum Frieden« ausüben.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Februar 2009


Russland drängt auf Gespräche zu neuem START-Vertrag

MÜNCHEN, 08. Februar (RIA Novosti). Russland will dem Vize-Premier Sergej Iwanow zufolge mit den USA einen neuen Vertrag über die Reduzierung der strategischen Offensivwaffen erörtern, sobald die amerikanische Seite dazu bereit ist. Der geltende START-Vertrag läuft am 5. Dezember 2009 aus.

„Ich glaube, dass zu diesem Zweck ein besonderer Mechanismus entwickelt wird und die Verhandlungen recht bald und aktiv begonnen werden, sobald die amerikanische Seite dazu bereit ist“, sagte Iwanow nach Abschluss seiner Verhandlungen mit US-Vizepräsident Joseph Biden in München.

„Das Thema der Abrüstung, insbesondere der Reduzierung der strategischen Offensivwaffen, ist eines der aktuellsten, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Die Uhr tickt und der Rechner ist in Gang, es bleibt nur wenig Zeit bis zum 5. Dezember“, sagte der Vize-Premier.

„Wir müssen selbstverständlich einen neuen Mechanismus zur Abrüstung, zur Kontrolle und zur Diversifizierung dieser Abrüstungsmaßnahme entwickeln.“ Iwanow gab zugleich zu, dass es hierbei „sehr viele Riffe und Klippen“ gibt. „Natürlich müssen die Partnerländer einander in Fragen der strategischen Sicherheit vertrauen, aber sie müssen auch die Erfüllung der erzielten Vereinbarungen prüfen“, so Iwanow.

Der START-Vertrag war im Jahre 1991 von den Präsidenten der UdSSR und der USA unterzeichnet worden. Das Dokument verpflichtete Moskau und Washington, die strategischen Atomstreitkräfte von je 10 000 auf je 6 000 nukleare Gefechtsköpfe zu reduzieren.

Russland und die USA schlossen 1993 den START-II-Vertrag, der eine beachtliche Reduzierung der Zahl der ballistischen Interkontinentalraketen bzw. der nuklearen Gefechtsköpfe vorsah. Im Jahre 2002 ist die Russische Föderation aus dem Vertrag ausgestiegen - als Antwort auf den Verzicht der USA auf den Vertrag über das Verbot der Schaffung von Raketenabwehrsystemen aus dem Jahr 1972.

Späterhin wurde ein bilaterales Abkommen geschlossen, dem zufolge die strategischen Offensivpotentiale Russlands und der USA zum 31. Dezember 2012 auf 1700 bis 2200 nukleare Gefechtsköpfe zu verringern ist. Russland schlug der amerikanischen Seite im Jahre 2005 vor, ein neues Abkommen statt des START-Vertrages zu schließen.

Beim G8-Gipfel im Sommer 2006 in Sankt Petersburg hat sich der damalige russische Präsident Wladimir Putin mit seinem US-amerikanischen Amtskollegen George Bush über das Schicksal der früheren Vereinbarungen zur strategischen Stabilität geeinigt. Die Absicht, die strategischen Offensivpotentiale auf ein möglichst niedriges Niveau abzubauen, wurde beim russisch-amerikanischen Gipfeltreffen 2008 in Sotschi bekräftigt.

Die Staatschefs Russlands und der USA versprachen, die juristische Ausgestaltung des neuen START-Vertrages fortzusetzen.

Wie „ The Times“ kürzlich schrieb, wird US-Präsident Barack Obama Russland die Reduzierung der Atomwaffen um 80 Prozent auf je 1000 nukleare Gefechtsköpfe vorschlagen.

** Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 8. Februar 2009; http://de.rian.ru


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