Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wollen die USA wieder unterirdische Atomtests aufnehmen?

Die Nuklearstrategie könnte bald auch Mini-Atombomben vorsehen

Von Rainer Rupp

Im Gegensatz zu den vorschnellen Berichten einiger Nachrichtenagenturen, daß die USA ihr Moratorium für Atomwaffentests nicht in Frage stellen, hat die amerikanische Regierung in ihrem neuen Grundsatzdokument zur militärischen Nuklearstrategie (Nuclear Posture Review) doch Zeichen gesetzt, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß unterirdische Test wieder aufgenommen werden. In der für die Öffentlichkeit bestimmten Version des Strategiedokuments, das die Regierung von George Bush am Dienstag dem Kongreß vorgelegt hatte, wird zwar empfohlen, daß die USA das Moratorium für Atomwaffenversuche beibehalten. Zugleich aber heißt es, daß die USA darauf vorbereitet sein müßten, nicht erst nach zwei Jahren – wie bisher geplant –, sondern innerhalb kürzester Zeit die Tests wieder aufzunehmen, sollte man sich entschließen, daß Moratorium aufzugeben. Im Klartext heißt das, daß die Bush-Regierung beabsichtigt, alle notwendigen Vorbereitungen zu treffen, um sofort nach Beendigung des Moratoriums die Versuche unverzüglich wieder aufzunehmen. (Zur Erinnerung: bei der Abstimmung über die Ratifizierung des nuklearen Teststoppvertrags am 13. Oktober 1999 war im US-Senat die erforderliche Mehrheit nicht zustande gekommen.)

In amerikanischen Zeitungen rechtfertigen derzeit hohe Beamte des Pentagon die im neuen Strategiedokument angedeutete Wiederaufnahme der Tests damit, daß in Anbetracht der beabsichtigten Reduzierung des strategischen Atomwaffenarsenals von derzeit rund 7000 auf 1700 bis 2200 Waffen die Tests der restlichen Waffen an zusätzlicher Bedeutung gewinnen würden.

Bereits vor zwei Jahren hatte Stephen Younger, der beisitzende Direktor der US-Atomwaffenschmiede Los Alamos National Laboratory und Chef der dortigen Nuklearwaffenabteilung, sich für eine Entwicklung eingesetzt, die weg von großen und hin zu kleinen Atomwaffen führt. Die große, flächendeckende Sprengkraft der als »City-Busters« (»Städtezerstörer«) bekannten Atombomben sei heute nicht mehr nötig, wenn durch punktgenaue Navigation eine Rakete mit einem viel kleineren nuklearen oder gar mit einem konventionellen Sprengkopf dieselbe Aufgabe erledigen könnte, nämlich, gegnerische Raketensilos oder unterirdische Kommando- und Kommunikationszentralen in die Luft zu jagen. Younger setzt sich denn auch konsequent für die Entwicklung kleiner, d.h. »einsetzbarer« Nuklearwaffen ein, die tief in den Fels eingegrabene, gegnerische Bunker zerstören.

Auch andere, in der Vergangenheit den Atomwaffen zugewiesene Aufgaben (z. B. die Vernichtung von großflächigen Aufmärschen von Panzerverbänden), können heute zunehmend durch sogenannte Smart Bombs oder Intelligente Waffensysteme übernommen werden, die entweder von hochempfindlichen Sensoren gelenkt eigenständig ihr Ziel finden oder über immer genauer arbeitende und bei jedem Wetter funktionierende globale Positionierungssysteme (GPS) ins Ziel gesteuert werden. Wie sich bereits bei der US-Kriegführung gegen Irak vor zehn Jahren abzeichnete, können die sogenannten intelligenten Waffensysteme bei der Vernichtung konzentrierter Großverbände in der Tat die bisher den Atomwaffen zugedachten Aufgaben mit Erfolg übernehmen. Genau diese Entwicklung wird in der neuen Nuclear Posture Review – die erste seit 1994 – mit als Grund für die vorgeschlagene Reduzierung der Atomwaffen vorgetragen.

Trotz aller Fortschritte auf dem Gebiet der Präzisionswaffen ist es jedoch nach wie vor nicht möglich, ohne Atomwaffeneinsatz gut befestigte, unterirdische Bunkerkomplexe zu zerstören. Allerdings sollen die schweren Nuklearwaffen, die auch im weiten Umkreis der Bunkeranlagen alles Leben zerstören, durch kleine Atomwaffen ersetzt werden, weshalb der amerikanische Kongreß bereits vor Jahren die Pläne der US-Regierung zur Miniaturisierung der Atomwaffen und Entwicklung einer »Deep-Penetration-Bombe« abgesegnet hat. Das Ziel ist – in den Worten eines Pentagon Beamten – »Saddam Husseins Bunker auszuheben, ohne dabei ganz Bagdad anzuzünden«. Aber ohne unterirdische Versuche werden sich die USA auf diese neuen Waffen nie verlassen können. Und hier liegt der eigentliche Grund, warum das Pentagon verstärkt mit der Wiederaufnahme der Atomwaffentests liebäugelt.

Während diese Zusammenhänge in der öffentlichen Diskussion um die Nuclear Posture Review außen vor bleiben, zeigten Kongreßmitglieder ihre Verwunderung darüber, daß die Bush-Regierung daran denkt, die abzurüstenden Atomsprengköpfe der strategischen Waffen nicht zu zerstören, sondern statt dessen waffentauglich einzulagern. Das dürfte für Moskau kaum ein Anreiz sein, sein Arsenal von etwa 6000 strategischen Systemen um zwei Drittel zu reduzieren und unbrauchbar zu machen. Die Entwicklung in China geht sogar in die vollkommen entgegengesetzte Richtung. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der einseitigen Kündigung des ABM-Vertrages und der Entwicklung eines strategischen Raketenabwehrschirms durch Washington will Peking sein strategisches Abschreckungsarsenal weiter ausbauen. Ein am Mittwoch veröffentlichter Bericht der CIA geht davon aus, daß bis zum Jahre 2015 die Volksrepublik ihr nukleares Abschreckungspotential vervierfacht hat und zwischen 75 und 100 Langstreckenraketen auf die USA gerichtet sein werden.

Aus: junge welt, 12. Januar 2001

Zur "Atomwaffen"-Seite

Zur "Waffen"-Seite

Zurück zur Homepage