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Streit um Atomwaffen

Ein Kommentar zu den US-Atomwaffen auf deutschem Boden und den Absichten der Regierungskoalition *

Es gibt mit Blick auf die Beziehungen Deutschlands zu den USA nicht viel im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, was über Allgemeinplätze hinausgeht. Auch das Nachrichtenmagazin »Time« fand dort wenig Überraschendes, aber ein Detail könne international für Aufmerksamkeit sorgen: Das Versprechen der neuen Bundesregierung, sich »dafür ein(zu)setzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden«. Es sind US-amerikanische Nuklearwaffen, die zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Kriegs noch immer auf deutschem Boden lagern, und es ist eine alte Forderung der Friedensbewegung, sie endlich abzubauen. Washington hatte in den 50er Jahren in mehreren Ländern Europas Atombomben stationiert. Offiziell werden keine Angaben zu den Standorten gemacht. Die NATO entwickelte ein Konzept der »nuklearen Teilhabe«, durch das auch jene Mitglieder in einen Einsatz einbezogen werden können, die keine eigenen Kernwaffen haben. So ist Berlin verpflichtet, Kampfflugzeuge bereitzuhalten.

Atomwaffengegner gehen davon aus, dass sich noch bis zu 20 Sprengköpfe auf dem Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz befinden, wo eine US-Spezialeinheit stationiert sei. Unterlagen belegten, dass es dort unterirdische Magazine für die Bomben gebe. Zudem gehöre Büchel zu jenen Orten, die Washingtoner Experten für Nuklearwaffensicherheit besuchen. Im Vorjahr hatten sie in einer Studie festgestellt, dass »die meisten« Lagerstätten in Europa die Sicherheitsanforderungen des Pentagon nicht mehr erfüllen.

Der neue Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat sich den Abzug seit geraumer Zeit auf die Fahnen geschrieben, aber dass seine Chefin diesen Wunsch heute nachdrücklich vorbringen wird, scheint unwahrscheinlich. Noch im März hatte Bundeskanzlerin Merkel im Bundestag betont, dass sie an der »nuklearen Teilhabe« festhalten wolle, sie sichere »Einfluss im Bündnis, auch in diesem höchst sensiblen Bereich«. So sei die FDP-Forderung bei den Koalitionsverhandlungen auf einigen Widerstand bei den Christdemokraten gestoßen, wie die »New York Times« vermerkte.

Und man muss die Formulierung der Koalitionäre genau lesen, denn sie ist keineswegs bedingungslos: Der Abzug soll sich im Rahmen einer »neuen Dynamik für vertragsbasierte Regelungen« auf der Überprüfungskonferenz zum Nuklearwaffensperrvertrag im Jahre 2010 und der »Ausarbeitung eines strategischen Konzeptes der NATO« bewegen. Die Bundesregierung will ihre Verantwortung also möglichst klein halten. Allianz-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen rechnet denn auch nicht damit, dass Deutschland einseitige Maßnahmen ergreift, wie er jetzt der Pariser Tageszeitung »Le Figaro« sagte.

Aus Sicht von Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit, gibt es jedenfalls keine Abzugsgarantie. Er befürchtet sogar ein »taktisches Bündnis neuer NATO-Mitglieder, wie Polen, Tschechien und die baltischen Republiken, mit Vertretern des bürokratischen Beharrungsvermögens in der NATO«, das »aus antirussischen Motiven« auf einer Beibehaltung des substrategischen Nuklearpotenzials der NATO pocht oder darauf drängt, diese Waffen im Falle eines Abzugs aus Deutschland in neuen NATO-Staaten zu stationieren. Da könnte es Washington mit Blick auf Moskau »als kleineres Übel erscheinen, vorläufig alles beim Alten zu belassen«.

Sta

* Aus: Neues Deutschland, 3. November 2009


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