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Neue Initiative für Welt ohne Kernwaffen

Deutschland propagiert atomare Abrüstung und setzt "Nukleare Teilhabe" in der NATO fort

Von Olaf Standke *

Am Rande der 65. UNO-Vollversammlung wurde am Mittwochabend (Ortszeit) eine neue Initiative für eine atomwaffenfreie Welt aus der Taufe gehoben. Zehn Staaten, darunter Deutschland, wollen mehr Schwung in die laufenden Abrüstungsverhandlungen bringen.

»Die einzige Garantie gegen den Einsatz und die Bedrohung durch Atomwaffen ist deren völlige Abschaffung.« Diesen Satz aus dem Appell der »Cross-Regional Group on Non-Proliferation and Disarmement« wird wohl jeder vernünftige Mensch unterschreiben. Bundesaußenminister Guido Westerwelle tat es jetzt in New York. Er vereinbarte mit Amtskollegen aus neun Ländern eine neue Abrüstungsinitiative, um die Verhandlungen zum weltweiten Abbau der Atomwaffen voranzutreiben. Westerwelle warnte vor der Gefahr, dass diese Massenvernichtungswaffen in die Hände von Terroristen fallen könnten. Die Nichtweitergabe von Nuklearwaffen und die Abrüstung der Atommächte seien »zwei Seiten einer Medaille«, und der Vorstoß von USA-Präsident Barack Obama für einen vollständigen Verzicht auf Kernwaffen öffne ein »Fenster der Gelegenheiten«, das genutzt werden müsse.

Beim Besuch seines japanischen Amtskollegen Katsuya Okada Anfang September in Berlin hatte die Bundesregierung die Einladung Tokios angenommen, als Gründungsmitglied der »Überregionalen Gruppe zu Nichtweiterverbreitung und Abrüstung« zu fungieren. Ihr gehören neben Australien auch Kanada, Chile, Mexiko, Polen, die Niederlande, die Türkei sowie die Vereinigten Arabischen Emirate an. All diesen Ländern ist eines gemeinsam: Sie besitzen selbst keine Atomwaffen. Auf deutschem Boden allerdings lagern wie im holländischen Volkel und im türkischen Incirlik nukleare Sprengköpfe. Schätzungsweise 200 US-amerikanische Atombomben vom Typ B-61 aus den Zeiten des Kalten Krieges gibt es noch immer auf Luftwaffenstützpunkten in Europa; auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel sind es wahrscheinlich 15 bis 20. Maximal 44 könnten dort eingelagert werden. Diese unweit von Cochem an der Mosel stationierten Atombomben sind zum Abwurf durch Bundeswehr-Tornados des Jagdbombergeschwaders 33 vorgesehen – ein Konstrukt, das sich »Nukleare Teilhabe« nennt.

Selbst der frühere NATO-Generalsekretär Willy Claes spricht davon, dass diese »taktischen Nuklearwaffen in Europa vom militärischen Standpunkt aus keinen Sinn mehr ergeben«. Auch die schwarz-gelbe Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag deren Abzug als Ziel formuliert. Doch passiert ist bisher nichts. Im Gegenteil.

Die NATO wolle den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts schlagkräftiger begegnen, heißt es in den Empfehlungen für das neue strategische Konzept des Militärbündnisses, das auf dem November-Gipfel in Lissabon verabschiedet werden soll. Und »solange Atomwaffen existieren, sollte die NATO sichere und verlässliche Nuklearkräfte behalten«. Westerwelles Vorstoß, mit der neuen Strategie die letzten verbliebenen Nuklearwaffen aus Europa abzuziehen, scheiterte kläglich, so wie schon vor zwölf Jahren die Idee seines Amtsvorgängers Joschka Fischer, die Allianz auf einen Verzicht des Ersteinsatzes von Nuklearwaffen einzuschwören.

So arbeite »Deutschland nach wie vor an der Planung und dem Ersteinsatz von Atomwaffen in der NATO-Nuklearplanungsgruppe, ohne einen realen Feind zu haben«, wie die IPPNW-Abrüstungsexpertin Xanthe Hall kritisiert. Während der Außenminister auf dem diplomatischen Parkett wohlfeil eine atomwaffenfreie Welt beschwört, bezeichnet das Verteidigungsministerium »46 Luftfahrzeuge Tornado IDS« als »erforderlich«, um auch künftig die »Dauereinsatzaufgabe Nukleare Teilhabe« sicherzustellen. Das nächste Treffen der »Überregionalen Gruppe zu Nichtweiterverbreitung und Abrüstung« soll in Berlin stattfinden.

* Aus: Neues Deutschland, 24. September 2010


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