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Tiefe Gräben im Wiener IAEA-Sitz

Westliche Industriestaaten und Entwicklungsländer streiten über Baradei-Nachfolger

Von Olaf Standke *

Heut (2. Juli) versucht der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergieagentur in Wien erneut, einen Nachfolger für den langjährigen Chef der Behörde, Mohammed el-Baradei, zu finden.

Da waren's nur noch drei. Unmittelbar vor dem erneuten Versuch, einen neuen IAEA-Generaldirektor zu bestimmen, hat erst am Dienstag der slowenische Ex-Diplomat und Verfassungsrichter Ernest Petric das Handtuch geworfen und gestern folgte ihm der belgische Ex-Verteidigungsminister Jean-Pol Poncelet, inzwischen einer der führenden Köpfe beim französischen Nuklearkonzern und Weltmarktführer Areva. Beide gehörten zu den fünf Kandidaten, die sich bei einer Testwahl vor drei Wochen dem Votum des 35-köpfigen Gouverneursrats gestellt hatten. Und beide gingen leer aus. Der spanische Aspirant Luis Echavarri, Chef der Pariser Atomenergie-Agentur der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), erhielt bei diesem Votum nur vier Stimmen, obwohl er sich angesichts der verhärteten Fronten selbst gern als besten Kompromiss anpreist.

Letzte Meldung

Japaner Amano zu neuem IAEA-Chef gewählt

Drei Monate nach dem Scheitern der ersten Abstimmungsrunde hat der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) den Japaner Yukiya Amano zum neuen Chef der Behörde gewählt. Mit 23 von 35 Stimmen errang der 62-jährige Diplomat in Wien die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit, wie Diplomaten mitteilten. Der langjährige IAEA-Chef, der Ägypter Mohammed ElBaradei, gibt sein Amt Ende November ab.

Bei der außerordentlichen Versammlung stimmten im vierten Wahlgang 23 Mitglieder des IAEA-Gouverneursrats für Amano und elf gegen ihn, ein Mitglied enthielt sich. Gegen den Japaner war der langjährige südafrikanische IAEA-Botschafter Abdul Samad Minty angetreten. Der dritte Kandidat, der Spanier Luis Echavarri, schied vorzeitig aus. Ende März war eine erste Abstimmungsrunde gescheitert, weil in allen drei Wahlgängen kein Kandidat die notwendige Stimmenmehrheit erzielte.

Am Freitag (3. Juli) sollten die 146 IAEA-Mitgliedsstaaten die Wahl Amanos per Akklamation formell bestätigen. Offiziell ernannt wird er, wenn die IAEA-Vollversammlung im September zustimmt.

"Ich bin sehr erfreut über die Unterstützung", sagte Amano nach seiner Wahl. Wenn die Wahl bestätigt werde, werde er sein "Äußerstes tun, das Wohlergehen der Menschheit zu fördern und nachhaltige Entwicklung durch die friedliche Nutzung von Atomenergie sicherzustellen". Amano rief "alle Mitgliedstaaten im Norden, im Süden, im Osten und Westen" zum gemeinsamen Kampf gegen die Verbreitung von Atomwaffen auf.

Der Japaner, der sein Land seit 2005 bei der IAEA vertrat, galt als Favorit der Industrienationen, während Minty vor allem von den Entwicklungsländern unterstützt wurde. Die algerische Gouverneursratsvorsitzende Taous Feroukhi widersprach aber dem Eindruck, das Gremium sei in ein Nord- und ein Südlager gespalten. Der bisherige IAEA-Chef ElBaradei scheidet Ende November nach zwölf Jahren aus dem Amt. Er verzichtete auf eine vierte vierjährige Amtszeit.

Quelle: Nachrichtenagenturen, 2. Juli 2009

Porträt des neuen IAEA-Chefs am Ende dieser Seite!



Die meisten Stimmen, nämlich 20, gingen auf das Konto des japanischen IAEA-Botschafters Yukiya Amano. Sein schärfster Konkurrent Abdul Samad Minty, Abrüstungsexperte und südafrikanischer Vertreter bei der IAEA, brachte es auf elf Stimmen. Um auf der Generalversammlung der IAEA im September einen Nachfolger für Mohammed el-Baradei präsentieren zu können, ist aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich – also das Plazet von mindestens 24 Ländern im Gouverneursrat. Baradeis dritte Amtszeit endet im November.

Bereits im März hatten mehrere Wahlgänge keine Entscheidung gebracht. Ob die Hängepartie heute beendet werden kann, bezweifeln viele Beobachter. Petric wie Poncelet begründeten ihren Rückzug jetzt mit der Hoffnung, so die Wahl eines »Konsenskandidaten« zu befördern. Auch sie sehen mit Sorge die tiefen Gräben zwischen Industrie- und Entwicklungsländern in der IAEA, wenn es um die künftigen »nuklearen Prioritäten« geht. Diese Kluft schade der Atomenergiebehörde sehr, so ein europäischer Diplomat dieser Tage in Wien. Während der von den USA geführte westliche Block den Schwerpunkt auf die Ausweitung von Inspektionen setzt, um die Entstehung von neuen Kernwaffenstaaten zu verhindern, fordern die ärmeren Länder mehr Unterstützung von den Industriestaaten für ihre friedliche Nutzung nuklearer Technologien.

Der 63-jährige Amano wird als zurückhaltender Diplomat beschrieben, der aber eher Technokrat als Politiker sei und wenig eloquent, zumal im Englischen, der Amtssprache der Organisation. Der 69-jährige Minty, einst Kämpfer gegen die Apartheid in seinem Land und dezidierter Atomwaffengegner, scheut dagegen nicht vor der offenen Konfrontation zurück. Immer wieder hat er sich als »Anwalt des Südens« für die Rechte der atomaren Habenichtse stark gemacht und auch keine Probleme mit einem zivil ausgerichteten Atomprogramm Irans.

Immerhin bekleidet der IAEA-Generaldirektor in den Augen vieler Experten nach dem UN-Generalsekretär das zweitwichtigste Amt innerhalb der Organisation der Vereinten Nationen. Vor allem mit Blick auf die bestehenden Atomwaffenarsenale und die nuklearen Ambitionen nicht nur von Staaten wie Iran oder Nordkorea ist seine Wahl von erheblicher geostrategischer Bedeutung. Vor zwölf Jahren war Baradei überraschend von Washington favorisiert worden. Spätestens als sich der Juraprofessor aus Kairo 2003 weigerte, der Bush-Regierung den nuklearen Kriegsvorwand gegen Saddam Hussein zu liefern und sich gegen die US-amerikanische Irak-Invasion aussprach, dürfte man das dort schwer bedauert haben. Im Dezember 2004 wurde bekannt, dass man Baradei sogar systematisch illegal abgehört hatte – wie der vermutet, um belastendes Material zu finden, mit dem es möglich gewesen wäre, ihn aus dem Amt zu drängen. 2005 versuchte Washingtons UNO-Botschafter Bolton dann vergeblich, seine Wiederwahl zu verhindern. Und Baradei wurde im selben Jahr zusammen mit der IAEA der Friedensnobelpreis zugesprochen.

In den vergangenen Wochen wurde Yukiya Amano nicht müde zu betonen, dass er ein IAEA-Chef aller Länder sein würde, nicht nur der westlichen, die ihn favorisieren. »Ich werde alles unternehmen, um die Differenzen zwischen den entwickelten und den Entwicklungsländern abzubauen«, betonte er im Mai bei einer Anhörung vor Mitgliedern des Gouverneursrates. Doch befürchten europäische Diplomaten, dass er in der »Dritten Welt« nach wie vor nicht als »Brückenbauer zwischen Nord und Süd« gesehen werde.

Sollte heute erneut kein Kandidat die notwendige Mehrheit finden, ist das noch kein Beinbruch, auch wenn es die Arbeit der Behörde durchaus beeinträchtigt. Der Schwede Hans Blix erzielte 1981 auch erst im September die erforderliche Stimmenzahl. Für einen dritten Wahlgang allerdings, so kann man in Wien hören, sollten Amano wie Minty die »Interessen der Agentur über nationale stellen« und darüber nachdenken, nicht wieder anzutreten.

Lexikon

Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO, englisch: International Atomic Energy Agency – IAEA) wurde 1957 mit dem Ziel gegründet, den Beitrag der Kernenergie zu Frieden, Gesundheit und Wohlstand in der Welt zu erhöhen (»atoms for peace«). Gleichzeitig soll die IAEA die militärische Nutzung dieser Technologie durch Überwachungsmaßnahmen (»safeguards«) verhindern.

Die IAEA ist eine unabhängige zwischenstaatliche Organisation, der 146 Staaten angehören. Sie berichtet regelmäßig der UN-Vollversammlung und darüber hinaus dem Weltsicherheitsrat, wenn sie eine Gefährdung der internationalen Sicherheit feststellt, ist aber keine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Seit 1970 der Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen in Kraft trat, kontrolliert sie die Einhaltung der Vertragsverpflichtungen durch die Mitgliedstaaten. So will man sicherstellen, dass kein spaltbares Nuklearmaterial für den Bau einer Atombombe missbraucht wird.

Oberste beschlussfassende Organe der Atomenergieagentur sind die Generalkonferenz und der Gouverneursrat, dem 35 Staaten angehören. Letzterer muss sich auch über den IAEA-Generaldirektor einigen. Der Verwaltungssitz der Organisation befindet sich in der Wiener UNO-City; Genf, New York, Toronto und Tokio beherbergen regionale Büros. Im etwa 30 Kilometer von Wien entfernten Seibersdorf wurde auf dem Gelände des Austrian Institute of Technology ein kerntechnisches Untersuchungslabor errichtet. Zudem betreibt und fördert die IAEA Kernforschungszentren in Monaco und Triest.

Die Organisation zählt insgesamt rund 2300 Mitarbeiteraus mehr als 90 Ländern, darunter etwa 350 Inspektoren. Für ihren friedenssichernden Einsatz wurde die Atomenergieagentur 2005 gemeinsam mit ihrem aktuellen Generaldirektor Mohammed el-Baradei aus Ägypten mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Sta

Die bisherigen IAEA-Chefs

W. Sterling Cole, USA, 1957-1961
Sigvard Eklund, Schweden, 1961-1981
Hans Blix, Schweden, 1981-1997
Mohammed el-Baradei, Ägypten, 1997-2009



* Aus: Neues Deutschland, 2. Juli 2009


Umstritten

Es war eine schwere Geburt. Schon im März hatte der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergieagentur in Wien versucht, einen Nachfolger für den im November aus dem Amt scheidenden IAEA-Generaldirektor Mohammed el-Baradei zu finden. Doch wie bei einer Testwahl vor drei Wochen erreichte keiner der Kandidaten die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit. Auch nicht Yukiya Amano, der als Favorit ins Rennen gegangen war, standen hinter ihm doch die Industriestaaten. Aber genau das wurde zum Stolperstein, denn viele Entwicklungsländer wollten dem japanischen IAEA-Botschafter nicht so recht abkaufen, dass er auch ihre Interessen nachdrücklich wahrnehmen würde. Schließlich klappte es jetzt im vierten Wahlgang, wenn auch nur äußerst knapp. Im Rat votierten 23 der 35 Länder für den 62-Jährigen, am Freitag wollten die 146 IAEA-Mitgliedstaaten die Wahl per Akklamation formell bestätigen. Offiziell ernannt wird er aber erst, wenn die Vollversammlung im September zustimmt.

Amano, der Japan seit 2005 bei der IAEA vertritt, will nun sein »Äußerstes tun, das Wohlergehen der Menschheit zu fördern und nachhaltige Entwicklung durch die friedliche Nutzung von Atomenergie sicherzustellen«. Und er rief »alle Mitgliedstaaten im Norden, im Süden, im Osten und Westen« zum gemeinsamen Kampf gegen die Verbreitung von Atomwaffen auf – ein Thema, das ihn schon lange beschäftigt. Amano trat nach seinem Jura-Studium 1972 ins japanische Außenministerium ein, wo er sich schnell als Abrüstungs- und Atomexperte einen Namen machte. Er arbeitete an den Botschaften seines Landes in Washington und Brüssel, leitete die Wissenschafts- und Atomenergieressorts des Außenamtes in Tokio und nahm an vielen internationalen Verhandlungen zur Begrenzung der Kernwaffen teil.

Zwar gilt Amano als überaus höflicher Diplomat und genau arbeitender Fachmann, doch werfen ihm Kritiker mangelnde politische Ausstrahlung und fehlende Eloquenz vor. In Japan aber sind die Erwartungen an den neuen IAEA-Chef hoch: »Wir haben große Hoffnungen, dass er auf eine Roadmap hinarbeitet, mit der Atomwaffen abgeschafft werden«, sagte gestern Hiroshimas Bürgermeister Tadatoshi Akiba.

Olaf Standke

** Aus: Neues Deutschland, 4. Juli 2009


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