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Atomwaffen abschaffen

66 Jahre nach Hiroschima und Nagasaki: Bundesregierung soll "nukleare Teilhabe" im Rahmen der NATO sofort beenden

Von Claus Schreer *

Seit dem Abwurf der US-Atombomben auf Hiroschima und Nagasaki im August 1945 gehört der Kampf für die Abschaffung aller Atomwaffen zu den zentralen Zielen der Friedensbewegung in allen Ländern der Welt. Denn anders als bei anderen Kriegswaffensystemen ist bei einem Einsatz von Atomwaffen die gesamte Existenz der Menschheit bedroht.

Mit dem Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama sahen viele – auch in der Friedensbewegung – das ersehnte Ziel einer »Welt ohne Atomwaffen« in greifbare Nähe gerückt. Inzwischen bekennen sich Regierungen und führende Politiker fast aller Staaten zu diesem Ziel. Auch die Bundesregierung und alle im Bundestag vertretenen Parteien haben entsprechende Beschlüsse gefaßt. Selbst die NATO »verpflichtet« sich in ihrem neuen strategischen Konzept, »die Bedingungen für eine Welt ohne Kernwaffen zu schaffen«. Doch die imperialen Machtansprüche der NATO-Staaten verhindern alle weiteren Schritte zur atomaren Abrüstung.

1996 erklärte der Internationale Gerichtshof in Den Haag den Einsatz von Atomwaffen für völkerrechtswidrig. Die weltweite Abschaffung aller Atomwaffen steht aber weder auf der Agenda der Politik der US-Regierung, noch der der anderen NATO-Staaten. Die von Obama proklamierte »Welt ohne Atomwaffen« ist nichts anderes als ein medienwirksam inszeniertes Täuschungsmanöver. Die USA selbst untergraben jeden der dazu erforderlichen Abrüstungsschritte und beharren sogar auf dem Ersteinsatz von Atomwaffen. Die Bundesregierung bekennt sich zwar verbal zur weltweiten atomaren Abrüstung, gleichzeitig hat sie jedoch dem in Lissabon beschlossenen »Neuen Strategischen Konzept« der NATO zugestimmt, das nach wie vor den Einsatz von Atomwaffen »als Kernelement der NATO-Gesamtstrategie« vorsieht.

Wenn die Abschaffung aller Atomwaffen jemals erreicht werden soll, dann müssen die realen Hindernisse, die diesem Ziel im Wege stehen, im Zentrum der Kritik der Friedensbewegung stehen. Diese Abrüstungshindernisse müssen beseitigt werden. Einen anderen Weg gibt es nicht.

Erstes Hindernis

Die USA und Rußland verfügen auch nach der im »New START«-Vertrag vorgesehenen Reduzierung ihrer strategischen Atomwaffen noch über 90 Prozent aller weltweit existierenden Atomwaffen. Der vielgelobte Abrüstungsvertrag ändert überhaupt nichts an der atomaren Überlegenheit der NATO und Rußlands gegenüber allen anderen Ländern der Welt. Die NATO-Staaten USA, Frankreich und Großbritannien haben über 2080 Sprengköpfe, Rußlands 1550.

Um einen Verhandlungsprozeß zur weltweiten atomaren Abrüstung in Gang zu setzen und andere Atomwaffenstaaten mit einzubeziehen, müßten die beiden atomaren Supermächte ihre Arsenale mindestens auf das Niveau Chinas reduzieren, das derzeit nur über rund 160 Atomsprengköpfe und 20 strategische Atomwaffenträger verfügt.

Zweites Hindernis

Der Verzicht auf die Raketenabwehr ist die entscheidende Voraussetzung für einen Vertrag über wesentlich weitergehende Reduzierungen der Atomwaffenpotentiale Rußlands und der USA. Moskau befürchtet zu Recht, daß mit Hilfe der Raketenabwehr das bisher geltende Prinzip der gesicherten gegenseitigen Abschreckung außer Kraft gesetzt wird und daß eine substantielle Reduzierung seiner Atomwaffen die Erstschlagsfähigkeit Washingtons verbessern würde.

Der Verzicht auf die Raketenabwehr ist aber auch die Voraussetzung dafür, daß sich alle anderen Staaten am Abrüstungsprozeß beteiligen. Denn der Zweck der Raketenabwehr ist nicht die Abwehr eines Atomangriffs, sondern ausschließlich die Abwehr von Gegenschlägen bei Angriffskriegen der USA und NATO.

Ein funktionierender Raketenabwehrschirm soll die USA und Europa unverwundbar machen und wäre der Freibrief zum Angriff gegen jeden denkbaren Gegner.

Drittes Hindernis

Nicht nur die Raketenabwehr, sondern auch die unumschränkte militärische Überlegenheit der USA und ihrer ­NATO-Verbündeten in der sogenannten konventionellen Kriegsführung stehen der Verwirklichung einer globalen Null­lösung im Wege.

Das US-Militärpotential ist mit seiner »Global Strike«-Fähigkeit allen anderen Staaten um ein vielfaches militärisch überlegen. Die US-Streitkräfte verfügen über die höchstentwickelten Waffensysteme der Welt, über Kriegsflottenverbände auf allen Weltmeeren und über rund 800 Militärstützpunkte rund um den Globus.

Staaten, die sich von einem Angriff der USA und NATO existen­tiell bedroht sehen und der stärksten Militärmaschinerie der Welt hoffnungslos unterlegen sind, werden deshalb kaum auf atomare Abschreckungswaffen verzichten. Xanthe Hall, Atomwaffen-Expertin der friedenspolitischen Ärzteorganisation IPPNW Deutschland, betont zu Recht: »Es wird keine Beseitigung aller Atomwaffen geben, so lange USA und NATO ihre militärische Dominanz im konventionellen Bereich aufrechterhalten.«

Nukleare Teilhabe

Am Atomwaffenstandort Büchel in der Eifel sind zirka 20 US-Fliegerbomben B-61 mit einer variablen Sprengkraft von jeweils mehreren Hiroschima-Bomben stationiert. Im NATO-Einsatzfall sollen sie mit Tornado-Flugzeugen der Bundeswehr und von Piloten des Jagdbombergeschwaders 33 auf Ziele des Gegners abgeworfen werden. Die USA haben sich außerdem vorbehalten, die Atombomben auch im Rahmen ihrer nationalen Strategie durch US-Streitkräfte einzusetzen und arbeiten derzeit an der Modernisierung der B-61.

Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP steht, daß sich die Bundesregierung für eine Welt ohne Atomwaffen und dafür einsetzen wird, daß die in Deutschland verbliebenen US-Atomwaffen abgezogen werden – leere Worte, denen bis heute keine Taten folgen.

Konkrete Forderungen

Die Bundesregierung könnte jedoch– wenn sie es ernst meint – unverzüglich handeln. Sie könnte die »nukleare Teilhabe« im Rahmen der NATO sofort beenden. Dafür braucht sie weder die Genehmigung der USA noch die der anderen NATO-Verbündeten.

Konkret heißt das:
  1. Die Bundesregierung muß die Bereitstellung der 46 deutschen Tornado-Flugzeuge für den Atomwaffeneinsatz sofort beenden.
  2. Die Bundesregierung muß die Ausbildung von Soldaten der Bundeswehr und die Übungsflüge für den Abwurf der in Deutschland stationierten Atomwaffen einstellen.
  3. Die Bundesregierung muß das Stationierungsabkommen für die Lagerung der US-Atomwaffen in Deutschland kündigen.
Diese konkreten Forderungen sollten – anstelle allgemeiner Abrüstungsappelle an die Atommächte – auf der Tagesordnung der Friedens- und Antikriegsbewegung stehen.

* Der Autor ist Sprecher des »Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus« (www.www.muenchen-gegen-krieg.de)

Aus: junge Welt, 4. August 2011



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