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Export der Hanauer Brennelementefabrik und ihre militärischen Verwendungsmöglichkeiten in China

Von Wolfgang Liebert und Michael Sailer*

Die Hanauer Brennstofffabrik

Die Hanauer Plutonium-Fabrik wurde in den achtziger Jahren geplant, um spezielle Brennstoffe für deutsche Kernkraftwerke zu produzieren. Dazu sollte Plutonium, das aus der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente stammt, zusammen mit Uran-Oxid zu Uran-Plutonium-Mischoxid (MOX) - Brennelementen verarbeitet werden. Die Anlage ist so ausgelegt, dass in mehreren chemischen und mechanischen Prozessschritten die keramischen Brennelemente erzeugt werden können; dazu gehört das Vermahlen, Pressen, Sintern und Schleifen, sowie das Verfüllen von Brennstofftabletten in Brennstäbe. Prinzipiell können in der Hanauer Anlage verschiedene Endprodukte hergestellt werden: Uran-Brennelemente (ohne Plutoniumzusatz) oder MOX-Brennelemente mit einem Plutoniumanteil von etwa 5% für den Einsatz in typischen Leistungsreaktoren oder auch MOX-Brennelemente mit einem Plutoniumanteil von 40% oder mehr, die für den Einsatz in Brutreaktoren gedacht sind.

Die technische Auslegung einer solchen Anlage ist besonders aufwändig und teuer, weil eine Reihe sicherheitstechnischer Probleme bewältigt werden müssen. Dazu gehört insbesondere das Kritikalitätsproblem (eine Kettenreaktion aufgrund des Umgangs mit Spaltstoffen in hoher und höchster Konzentration muss ausgeschlossen werden), die Gefährdung Beschäftigter durch Strahlung (insbesondere durch Neutronen) und die Gefährdung durch lungengängige radioaktive Stäube (insbesondere Plutoniumstäube). Die Bearbeitungsschritte in der Anlage erfolgen daher entweder fernbedient oder unter Verwendung sogenannter Handschuhkästen, deren komplexe Lüftungseinrichtungen unter Druckstaffelung Freisetzungen in die Arbeitsräume vermeiden. Weiterhin sind die Anlagenteile mit aufwändigen Abschirmungen gegen die Neutronenstrahlung versehen.

Die Hanauer Brennelementefabrik konnte wegen grundsätzlicher Bedenken, ungeklärter atomrechtlicher Genehmigungsfragen und mangelnder wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit von MOX-Brennstäben im Vergleich mit üblichen Uranbrennstoffen nicht in Betrieb genommen werden. Nach dem Verzicht des Erbauers und Betreibers Siemens wurde von 1995 bis 2000 der Export der Anlage nach Russland diskutiert. Diese Idee scheiterte. Nun wird ein Export nach China erwogen. Dies wirft wiederum schwerwiegende Fragen auf: Es geht um die Nutzbarkeit für militärische Zwecke, die mit dem Export verbunden Gefahren für die nukleare Weiterverbreitung und um die Frage, ob eine Begrenzung der Nutzung auf rein zivile Zwecke möglich erscheint. Dieses Papier gibt Informationen und Einschätzungen zu diesen Fragekomplexen. Potenzielle Nutzung für militärische Zwecke

Die Hanauer Anlage ist modular aufgebaut und könnte damit - zumindest teilweise - auch direkt für militärische Zwecke eingesetzt werden. Zu denken wäre etwa an eine Teilnutzung für die Bearbeitung von Plutonium für das Kernwaffenprogramm. Für eine Atomwaffe muss Plutoniummetall (etwa 4-8 Kilogramm) in Form von Hohlkugelsegmenten gefertigt werden. Dazu sind wesentliche Teile der Hanauer Anlage verwendbar. Dazu zählen neben Einrichtungen zu Analysezwecken Anlagenteile zur Reinigung von Plutonium, zur chemischen Umsetzung in metallische Form sowie zur maßgenauen mechanischen Bearbeitung. Ebenso könnten Anlagenteile zur Rezyklierung von Atomwaffen verwendet werden. Dabei wird der Plutoniumkern aus älteren Waffen herausgenommen, um sie in einer neu zu fertigenden Waffe gleichartigen oder neuen Designs wiederzuverwenden. Dabei muss das Plutonium ebenfalls bearbeitet und ggf. gereinigt werden.

Prinzipiell sind alle Hanauer Anlagenteile für die Verarbeitung von 100% Spaltstoff und damit für den Umgang mit Waffenplutonium geeignet, wenn die in den Anlagenkomponenten vorhandenen Spaltstoffmengen - zur Erreichung von Kritikalitätssicherheit - begrenzt werden. Die Fernbedienungseinrichtungen und die Bedienung durch Handschuhkästen der Hanauer Anlage würde die Handhabung und Bearbeitung von Waffenplutonium erleichtern. Die Handschuhkästen könnten auch unter Schutzgas (beispielsweise Argon) betrieben werden, was bei den Bearbeitungsschritten für Verwendung in Kernwaffen, in denen metallisches Plutonium vorliegt, hilfreich ist.

Neben einer solchen direkten militärischen Nutzung von Anlagenteilen könnte auch eine Nutzung der Hanauer Anlage durch Kopie wesentlicher, militärisch interessanter Sub-Technologien erfolgen. Die nachgebauten Technologien könnten dann an einem anderen Ort zur Plutoniumbearbeitung für die Sprengkopfproduktion genutzt werden.

Eine indirekte Form der militärischen Nutzung könnte in der Produktion von Brennstoff für Plutonium-Produktionsreaktoren für das Waffenprogramm bestehen. Für solche Reaktoren, die unterschiedlicher Bauart sein können, ist die Herstellung von Brennstoffen in einer entsprechenden Fabrik notwendig. Es könnte sich dabei um die Fertigung von Uran- oder MOX-Brennstoffen für spezielle Produktionsreaktoren oder für Leistungsreaktoren, die parallel zur Stromproduktion für das Waffenprogramm genutzt werden, handeln. Es könnte auch die Produktion von Brennstoff für einen Schnellen Brutreaktor erfolgen, der dann zur Plutoniumproduktion für Waffenzwecke genutzt wird.

Chinas Bombe und Nuklearpolitik

China zählt bekanntlich zu den fünf etablierten Kernwaffenstaaten mit ständigem Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Der Weg zur Atombombe gelang teilweise durch Unterstützung der Sowjetunion. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre erfolgte eine massive nukleartechnische "Freundschaftshilfe", die erst 1960 beendet wurde als der sowjetischen Seite klar wurde, dass sie keine Kontrolle über die chinesischen Programme festschreiben konnte, sondern China einen unabhängigen Atomwaffenzugriff anstrebte. In Folge des Abzugs der sowjetischen Berater und Techniker sowie des Abbruchs der Unterstützung beim bereits begonnenen Bau wesentlicher Nuklearanlagen setzte China zunächst auf den Uran-Pfad zur Bombe und konnte den Plutonium-Pfad nur mit gewisser Zeitverzögerung erfolgreich beschreiten.

Bereits 1964 erfolgte der erste Kernwaffentest mit einer Sprengkraft entsprechend 20 Kilotonnen (kt) TNT unter Verwendung von hochangereichertem Uran (HEU). Dieser erste Test benutzte bereits ein Design, das prinzipiell auch für die Verwendung von Plutonium geeignet ist (Implosionstyp). Auf dieser Basis konnte 1966 eine erste fusionsverstärkte 200 kt Kernwaffe ("boosting") gezündet werden. Ein Jahr später erfolgte der erste Test einer thermonuklearen Waffe unter Verwendung von Uran-235 und Uran-238 sowie fusionsfähigen Materialien (Lithium und Deuterium), deren Sprengkraft im Megatonnenbereich lag. Die erste Plutoniumwaffe konnte erst Ende 1968 getestet werden. 1971 gelang der Test einer fusionsverstärkten, "geboosteten" Plutoniumbombe. Es heisst, China habe 1988 eine Atomwaffe mit erhöhtem Anteil an Neutronenstrahlung (sogenannte Neutronenbombe) getestet. Bis 1996 hat China insgesamt 45 Kernwaffentests durchgeführt. Der erste Test einer Interkontinentalrakete gelang im August 1981 mit der "Dong Feng 5" ("Ostwind").

China ist ein Nachzügler im Club der offiziellen Kernwaffenstaaten. Dies gilt auch für seine Bemühungen um die nukleare Nichtverbreitung. Während die großen Kernwaffenstaaten seit 1963 den begrenzten Teststoppvertrag in Kraft setzten, beendete China erst 1980 die oberirdischen Atomwaffentests. Erst 1984 tritt China der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) bei. Erst 1992 wird der nukleare Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet. Erst seit 1997 trägt China internationale Verabredungen wichtiger Lieferländer über Exportkontrollen im Bereich von Massenvernichtungswaffen mit. In den Jahrzehnten zuvor hat China anscheinend nukleartechnische Unterstützung mit Waffenrelevanz für andere Länder geleistet, so für Pakistan (Plutoniumtechnologie, Zentrifugenteile), für den Iran (Technologien im Bereich Urananreicherung) und für Algerien (Forschungsreaktor).

Das Kernwaffenarsenal

Verlässliche Informationen über die chinesischen Kernwaffen liegen nur begrenzt vor, da nicht auf detailliertere und umfassende chinesische Erklärungen zurückgegriffen werden kann. Im chinesischen Kernwaffenarsenal befinden sich heute vermutlich etwa 400 Sprengköpfe. Die nuklearen Waffensysteme bestehen aus verschiedenen Raketen unterschiedlicher Reichweite, aus Bombenflugzeugen, die auf russischer Technik basieren, sowie einem nuklear bestückten U-Boot mit begrenzter Einsatzfähigkeit. Von besonderer Bedeutung sind voraussichtlich 20 Interkontinentalraketen vom Typ Dong Feng 5 (auch CSS-4 genannt), die eine Reichweite von 13.000 km besitzen. Ihre Sprengköpfe haben eine Zerstörungskraft, die 4-5 Millionen Tonnen TNT entspricht. Der Aufbau dieses einzigen chinesischen Interkontinentalsystems kam nur langsam voran (1998 waren erst sieben Systeme stationiert).

Die Bomberflotte gilt als veraltet, ebenso die meisten Raketensysteme. Der einzige Feststoffraketentyp ist im U-Boot im Einsatz. Alle anderen Nuklearraketen werden mit Flüssigbrennstoff betrieben, d.h. es besteht keine ständige Einsatzbereitschaft. Die Modernisierung des Arsenals läuft allerdings - so wie in allen anderen Kernwaffenstaaten. Wie in Kernwaffenprogrammen üblich werden alte Sprengköpfe von Zeit zu Zeit aus dem Arsenal entnommen durch neue oder modernere Systeme unter Wiederverwendung und entsprechender Bearbeitung des Spaltmaterials ersetzt. Das Dong Feng 41 Programm, das ein Interkontinentalsystem mit Mehrfachsprengkörpern anstrebte, wurde offenbar zwar eingestellt, aber statt dessen wird intensiv an der Dong Feng 31 gearbeitet. Es handelt sich um eine Feststoffrakete mit verbesserter Zielgenauigkeit und einer Reichweite von 8.000 km.

Für dieses Raketensystem werden Mehrfachsprengköpfe, die auch unabhängig in verschiedene Ziele gelenkt werden können (MIRV), entwickelt. Im Jahr 2000 wurde ein Raketentest mit Mehrfachsprengkörpern bekannt, bei dem insbesondere Sprengkopfattrappen freigesetzt wurden, die für die Täuschung bzw. Durchdringung eines Raketenabwehrsystems geeignet sind. Entwicklungsarbeiten in Richtung von MIRV-Systemen werden anscheinend bereits seit den achtziger Jahren verfolgt, als Reaktion auf die in ihrer konkreten technischen Auslegung wechselnden US-amerikanischen Pläne für Raketenabwehrprogramme. Die Skandale der späten neunziger Jahre um echte oder nur angebliche chinesische Spionage in US-amerikanischen Waffenlabors kreisen um solche modernen Kernwaffensysteme. China wird inzwischen die Fähigkeit zu MIRV zugeschrieben, die Verwirklichung steht anscheinend aber noch aus. Gemäß US National Intelligence Estimate aus dem Jahr 2001 wird China der Aufbau von 75-100 MIRV-Sprengköpfen bis 2015 zugetraut. Die Dong Feng 31 wird auch in einer Version mit interkontinentaler Reichweite entwickelt und soll voraussichtlich die heute stationierten Dong Feng 5 Systeme ersetzen.

Spaltmaterialproduktion

Die Produktion von Spaltstoffen für Kernwaffen kann nur in Form von Schätzungen aufgrund vermuteter Produktionskapazitäten mit großen Unsicherheiten angegeben werden. Man nimmt an, dass von 1964 bis 1987 oder 1989 die Menge von 15 bis 25 Tonnen hochangereicherten Urans produziert wurde. Die Plutoniumproduktion kam erst später in Gang. Im Jinquan Atomenergiekomplex ging 1967 ein spezieller Produktionsreaktor in Betrieb und erst 1970 nahm dort eine etwas größere militärische Wiederaufarbeitungsanlage den Betrieb auf, in dem das produzierte Plutonium von den abgebrannten Brennelementen abgetrennt werden konnte. Zunächst benutzte man dazu sowjetische Technologie. Später konnte eine eigene Abtrenntechnologie, dem in westlichen Ländern genutzten PUREX-Prozess verwandt, eingesetzt werden.

Die erste Generation von Nuklearanlagen mit wesentlicher Rolle im Waffenprogramm lagen aufgrund der chinesisch-sowjetischen Zusammenarbeit wenige hundert Kilometer von der Mongolei entfernt - in guter Reichweite des sowjetischen Militärs. Daher wurden seit Ende der sechziger Jahre Nukleareinrichtungen der sogenannten "Third Line" in der Mitte Chinas aufgebaut und somit alle wesentlichen Einrichtungen der Materialproduktion, aber auch der Kernwaffenforschung und -produktion quasi verdoppelt. Die neueste Abschätzung der chinesischen Plutoniumproduktion der unabhängigen US-Forscher Wright und Gronlund aus dem Jahr 2003 besagt, dass bis 1991 etwa zwei bis fünf Tonnen Plutonium abgetrennt wurden. Mitte der neunziger Jahre gab China bekannt, 1991 die Spaltmaterialproduktion für Kernwaffen eingestellt zu haben. Geht man davon aus, dass einige hundert Sprengköpfe je 4-8 Kilogramm Plutonium enthalten, so könnte China über eine Plutoniumreserve verfügen, die nach diesen Schätzungen zwischen nur wenige hundert Kilogramm und bis zu etwa drei Tonnen umfassen könnte.

Drohende nukleare Aufrüstung

Die strategische Planung der USA befindet sich seit einigen Jahren in einem tiefgreifenden Wandel (Nuclear Posture Review 2001, National Security Strategy 2002, u.a.). Danach setzt man u.a. auf den dauerhaften Erhalt und die Modernisierung des Kernwaffenarsenals, seine Integration in Offensivfähigkeiten der USA, den Aufbau von Raketenabwehr, die Entwicklung von bunkerbrechenden Kernwaffen, die für den tatsächlichen Einsatz gedacht sind, sowie präventive Kriegsführung - insbesondere gegen ABC-Waffenpotentiale anderer Staaten. Unabhängig davon ob je ein Raketenabwehrsystem der USA funktionstüchtig werden kann, sieht die chinesische Seite ihr begrenztes nukleares Abschreckungspotential bedroht und mittelfristig möglicherweise durch einen präventiven Angriff der USA ausschaltbar. Dies gilt insbesondere für ihre kleine Zahl von verbunkerten Interkontinentalraketen, die das ganze Territorium der USA erreichen könnten. Tatsächlich ist es so, dass US-Atomwaffen auf Ziele in China ausgerichtet sind und die momentan verfolgten Pläne den chinesischen Befürchtungen Nahrung liefern.

Daher wird mit einer chinesischen Reaktion auf die US-Pläne gerechnet. Gemäß der Logik der Nuklearstrategen muss die chinesische Führung auf den quantitativen und qualitativen Ausbau ihres Arsenals setzen, um die Verwundbarkeit durch einen US-Angriff auf ihre verbunkerten Interkontinentalraketen im Verbund mit der möglicherweise begrenzt aufbaubaren US-Raketenabwehr abzuwenden. Um die chinesischen "Abschreckungspotentiale" aufrechtzuerhalten, wäre die Indienststellung einer weit größeren Anzahl modernisierter Interkontinentalraketen ein geeignetes Mittel, ebenso die Bestückung mit Mehrfachsprengköpfen, die neu produziert werden müssten (ggf. unter Nutzung von Täuschkörpern). Eine begrenzte Aufrüstung von 200 Sprengköpfen würde bereits etwa eine Tonne Plutonium erforderlich machen. Ob eine dafür notwendige entsprechende chinesische "Plutoniumreserve" vorliegt, kann bereits nicht sicher angenommen werden. Bei einem massiveren Aufrüstungsprogramm, das erwartet werden muss, wäre China auf einen Wiedereinstieg in die Plutoniumproduktion angewiesen.

Bedenklich muss stimmen, dass China trotz seines erklärten Moratoriums für die Spaltstoffproduktion für Waffenzwecke sich seit Jahren weigert, gemeinsam mit den anderen Kernwaffenstaaten einen formellen Cutoff-Vertrag auszuhandeln, der einen entsprechenden Produktionsstopp international verbindlich regeln würde.

Brüterprojekt

Mit russischer Unterstützung befindet sich seit 2000 ein Versuchsbrüter im Bau (Chinese Experimental Fast Reactor CEFR). Dieser Schnelle Brutreaktor könnte vielleicht 2005 fertiggestellt werden und benötigt Plutonium-Uran-Mischoxid-Brennstoff (MOX) einer mittleren Spaltstoffanreicherung von etwa 50%. Immerhin knapp 100 kg Uran-235 und etwa 120 kg Plutonium werden für die Erstbeladung benötigt. Eine MOX-Brennelementefabrik vom Typ der Hanauer Anlage wird also dringend für die Herstellung der Brennelemente benötigt. Die bekannt gewordenen, aber inzwischen ad acta gelegten chinesischen Bemühungen um Brennelemente, die ursprünglich für den Betrieb des gescheiterten deutschen Kalkar-Brüters vorgesehen waren, belegen den chinesischen Bedarf.

Brutreaktoren sollen aus Natururan, das im sogenannten Brutmantel um den Reaktorkern angeordnet wird, mit Hilfe der dort erzeugten schnellen Neutronen zusätzliches Plutonium erbrüten. Dieses Plutonium hat höchste Waffenqualität (extrem hoher Anteil an Plutonium-239). Der Einsatz von Brutreaktoren wäre daher für ein nukleares Aufrüstungsprogramm besonders attraktiv. Ein Präzedenzfall ist die Nutzung des französischen Versuchsbrüters Phénix für das französische Kernwaffenprogramm. Nach IAEO-Angaben sieht der chinesische CEFR zwar im Widerspruch zum eigentlichen Ziel eines Brüterprogramms keine Plutoniumerbrütung vor, aber die Kernauslegung weist Stellplätze für abgebrannte Brennelemente in der Peripherie des Kerns aus, die durchaus für eine Brutoption genutzt werden könnten. Neben dem 65 Megawatt Versuchsbrüter CEFR plant China bereits einen großen Leistungsreaktor.

Dual-use ŕ la Chinoise

In China gibt es keine ernsthafte Trennung zwischen zivilen und militärischen Anteilen des Nuklearprogramms. Dies kann an der Rolle der China National Nuclear Corporation (CNNC) verdeutlicht werden. Bei der CNNC handelt es sich um ein 1988 als Nachfolger des Ministeriums für Nuklearindustrie gegründetes Staatsunternehmen, das etwa 200 Unternehmen und Institutionen mit knapp 300.000 Beschäftigten umfasst. Sein Auftrag ist es, gleichermaßen für den militärischen wie für den zivilen Bedarf im Nuklearbereich zu sorgen. Es handelt sich um ein klassisches Dual-use-Unternehmen mit breitest möglicher Zuständigkeit. Dazu gehört die Brennstoffbeschaffung, -bearbeitung und -produktion, die Wiederaufarbeitung, die Abfallbehandlung, Forschung und Entwicklung für neue Reaktoren, Technologietransfers im Inland und mit dem Ausland, nukleare Sicherheit und Strahlenschutz, etc. Das CNNC hat mehrere Teilunternehmen gebildet und wurde 1999 gemeinsam mit anderen Nuklearinstitutionen reorganisiert. Nach Eigenangaben des CNNC betrug der zivile Anteil der Tätigkeit im Bereich der zugehörigen Einrichtungen 1980 noch lediglich 5%, aber 1996 bereits 75-80%. Dies ist auch ein wichtiges Indiz für die Nuklearambitionen Chinas im Bereich der Energiewirtschaft.

China kooperiert mit Nuklearfirmen aus Deutschland, Frankreich, Kanada, Russland und den USA, die ein starkes wirtschaftliches Eigeninteresse am Ausbau des chinesischen Nuklearprogramms haben. Obwohl bereits eine Reihe - teilweise importierter - Leistungsreaktoren am Netz ist, liegt der nukleare Primärenergieanteil noch immer unterhalb von einem Prozent. Angesichts der großen Wachstumsraten im Primärenergiebedarf von im Mittel 3-4% pro Jahr erwartet die Internationale Energieagentur trotz massiver nuklearer Ausbaupläne, dass der nukleare Primärenergieanteil auch 2020 noch nicht einmal zwei Prozent erreichen wird.

Nutzen von Safeguards

Die Frage ist, ob ein militärischer Gebrauch der Hanauer Fabrik oder von Teilanlagen durch Sicherungsmaßnahmen der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO), sog. Safeguards, die in China durchgeführt würden, ausgeschlossen werden könnte. Safeguards der IAEO werden in allen Mitgliedsländern des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) vorgenommen. Das IAEO-Überwachungssystem in Nicht-Kernwaffenstaaten sieht heute vor, dass eine Bilanzierung aller Spaltstoffflüsse zwischen den unterschiedlichen Anlagen eines Landes vollständig in Form einer Buchführung über Ein- und Ausgänge durchgeführt werden kann. Zusätzlich wird für einige komplexere (und besonders sensitive) Anlagen der Spaltstofffluss an bestimmten "Übergabestellen", die jeweils vertraglich fixiert werden, innerhalb der Anlage selbst überwacht.

China hat als Kernwaffenstaat einen priviligierten Sonderstatus im NVV und ist danach nicht zu einer solchen "vollständigen Überwachung" seiner sämtlichen Nuklearanlagen verpflichtet. Alle fünf etablierten Kernwaffenstaaten lassen nur eine kleine Anzahl ihrer Anlagen durch die IAEO überwachen, so dass keine Bilanzierung der Spaltstoffflüsse erfolgen kann. Der indirekte Gebrauch der Hanauer Anlage für die Plutoniumproduktion für das Kernwaffenprogramm kann somit kaum verhindert werden. Wenn man ausschließen will, dass Uran- oder MOX-Brennstoffe, die in der aus Hanau stammenden Anlage gefertigt werden, in Plutonium-Produktionsreaktoren für das chinesische Atomwaffenprogramm verwendet werden, müsste aber die Safeguard-Überwachung auch sämtliche Transfers aus der Anlage zu solchen Reaktoren einschließen. Weiterhin müssten alle potentiellen Plutonium-Produktionsreaktoren, darunter auch der Versuchsbrüter, und deren abgebrannte Brennelemente, einschließlich des Transfers zu weiteren Anlagen (insbesondere Wiederaufarbeitungsanlagen) überwacht werden. Eine IAEO-Überwachung der Hanauer Anlage selbst wäre jedenfalls völlig unzureichend und eigentlich nutzlos. Das heißt, China müsste sich im Prinzip einem Safeguard-System unterwerfen, so wie es in Nicht-Kernwaffenstaaten etabliert ist, das eine Kontrolle des gesamten Spaltstoffmaterials zulässt.

Notwendigkeit neuartiger Kontrollen

Aber selbst das beschriebene Safeguard-System wären nicht hinreichend, da sie sich im Wesentlichen auf eine Buchführung der Spaltstoffflüsse beziehen. Gegen einen direkten militärischen Gebrauch von Hanauer Anlagenteilen würde dies wenig helfen. Ein wirksames Kontrollregime für die in China wiederaufgebaute Anlage müsste Festlegungen darüber enthalten, welche konkreten Ausgangs-, Zwischen- und Endprodukte (erlaubte Materialien) in der Anlage hantiert werden dürfen und welche technischen Möglichkeiten für ein angemessenes Inspektionsregime angewendet werden können (Inspektionsmethoden, -orte und -intervalle). Ein solches Inspektionsregime existiert noch nirgends und müsste speziell entwickelt werden.

Ebenfalls müssten Safeguard-Kontrollen implementiert werden für den Fall, dass Teile der Hanauer Anlage im zivil-militärischen oder militärischen Nuklearbereich andernorts in China wieder aufgebaut werden oder Kopien sensitiver Anlagenteile angefertigt werden, die im Waffenprogramm Verwendung finden. Das übliche IAEO-System der Spaltstoffbuchführung greift hier ebenfalls nicht. Der IAEO würden nur prinzipielle Daten über den Aufbau der Anlage und keine detaillierten Informationen über die technische Ausstattung aller Komponenten vorgelegt; der "Lebenslauf" der Komponenten ist ebenfalls nicht Gegenstand der IAEO-Überwachung. Diese Beschränkung des Wissens der IAEO wird insbesondere wettbewerblich begründet zum Schutz des jeweiligen nationalen oder firmeneigenen Know-hows. Dementsprechend könnte die IAEO nicht ernsthaft überprüfen, welche konkreten Anlagenteile tatsächlich am Ort des neuen Standplatzes der Anlage wiederaufgebaut werden, ob Anlagenteile ausgetauscht werden und an andere Orte zur dortigen Nutzung verbracht werden. Dies gilt um so mehr für die Überwachung der Nutzung etwaiger Kopien technischer Komponenten. Ein wirksames Kontrollregime müsste zunächst alle Anlagenteile detailliert erfassen, ihren Wiederaufbau in China überwachen, ein Melderegime für etwaige spätere Veränderungen etablieren und für alle wesentlichen Anlagenteile ein Inspektionsverfahren definieren, das sich über den ganzen Lebenszyklus der Komponenten erstreckt. Ein solches nukleares Kontrollregime ist bislang beispiellos und müsste speziell entwickelt werden.

Gefahren der Plutonium-Wirtschaft

Der Aufbau der Hanauer Brennstofffabrik in China wäre ein deutlicher Schritt in Richtung auf den Beginn einer umfangreichen Plutoniumwirtschaft, die China plant. Bislang ist allerdings noch keine größere kommerzielle Wiederaufarbeitungsanlage in Sicht, die genügend Plutonium für ein so geartetes Nuklearprogramm aus den radioaktiven Abfällen abtrennen könnte. Die Kapazität der Hanauer Fabrik, die fünf Tonnen Plutonium pro Jahr verarbeiten könnte, ist jedenfalls gigantisch überdimensioniert sowohl für die jetzige energiewirtschaftliche Ausgangslage in China als auch für die absehbare Zukunft. (China hat offiziell angegeben, bislang kein Plutonium aus seinen zivil genutzten Leistungsreaktoren abgetrennt zu haben. Die augenblicklich vermutlich vorhandenen militärischen Wiederaufarbeitungs-Kapazitäten wären für eine energiewirtschaftliche Nutzung auch zu klein. Überdies hat sich die aufwändige Plutonium-Abtrennung und -Wiedernutzung weltweit als unwirtschaftlich erwiesen.)

Die Abtrennung und Bearbeitung von Plutonium, sein Transport und der Umgang mit Plutonium an vielen Orten mit dem Ziel des Reaktoreinsatzes schafft vielfältige Abzweigungsmöglichkeiten für Waffenzwecke. Daher sollte Deutschland kein Interesse daran haben, einen solcher Art proliferationspolitisch gefährlichen Technologiezugang in anderen Teilen der Welt zu unterstützen.

Schon im Falle des - gescheiterten - Hanau-Exports nach Russland sind diese Aspekte bedacht worden. Im Falle Chinas besteht aber nicht einmal die Absicht, unter Nutzung der Anlage Plutonium aus möglicherweise abgerüsteten Sprengköpfen unzugänglicher zu machen.

Wohin würde ein Export führen?

Man muss sich ernsthaft fragen, wozu die chinesische Führung die Hanauer Anlage verwenden will. Hochtechnologie aus dem Westen weckt offenbar prinzipielle Begehrlichkeiten. Bedenklich wird dies, weil die strukturellen Randbedingungen im chinesischen Nuklearkomplex so geartet sind, dass eingeführte Technologie voraussehbar nicht nur zivil genutzt wird, sondern auch im militärischen Kontext wieder auftauchen kann.

Es ist nicht auszuschließen, dass Teile der Hanauer Anlage direkt für die Sprengkopfproduktion innerhalb des Atomwaffenprogramms verwendet werden. Dies kann bereits für die laufende Modernisierung des chinesischen Atomwaffenarsenals gelten, da das hohe technische und sicherheitstechnische Niveau relevanter Komponenten (oder deren Kopien) attraktiv erscheinen muss. Ebenso muss mit dem indirekten militärischen Gebrauch der Anlage in Form der Brennstofffertigung für Plutonium-Produktionsreaktoren gerechnet werden. Die militärische Nutzung des chinesischen Brüterprogramms, das auf eine MOX-Brennelementefabrik vom Typ der Hanauer Anlage angewiesen ist, wäre für das Waffenprogramm besonders attraktiv.

Es wäre naiv anzunehmen, China würde nicht auf die neuen nuklearstrategischen Pläne der USA reagieren. Für eine massivere nukleare Aufrüstung Chinas würde der Waffenstoff Plutonium in größeren Mengen als bisher gebraucht. Dies träfe insbesondere dann zu, wenn China die Technologie der Mehrfachsprengköpfe (MIRV) für seine Waffensysteme einführen würde. Eine zusätzliche Plutoniumproduktion wäre dann wahrscheinlich notwendig, ebenso eine Vergrößerung bzw. Modernisierung der Kapazitäten für die Sprengkopfproduktion. Die Hanauer Anlage könnte so ein wichtiger Baustein innerhalb eines chinesischen Aufrüstungsprogramms werden.

Der Export der Hanauer Anlage in China birgt so ein hohes Risiko eines direkten oder indirekten Gebrauchs für militärische Zwecke, selbst bei Etablierung eines Inspektionsregimes (IAEO-Safeguards) für die Anlage, das die verschiedenen oben diskutierten Aspekte beinhaltet. Sollen ernsthaftere Maßnahmen gegen einen möglichen militärischen Gebrauch ergriffen werden, so wäre weit mehr zu tun. Der Kernwaffenstaat China müsste sich zusätzlich bereit erklären, die Spaltstoffflüsse in allen potenziell nachgeordneten Anlagen ebenfalls überwachen zu lassen. Dazu gehören alle möglichen Plutonium-Produktionsreaktoren, einschließlich des Brüters, die Wiederaufarbeitungs-anlagen, sowie weitere Einrichtungen. Dies ist aber höchst unwahrscheinlich, da China sich als priviligierter Kernwaffenstaat nicht zu Formen der Überwachung seines zivil-militärischen Nuklearprogramms bereit finden wird, die nicht auch in den anderen Kernwaffenstaaten etabliert wären. Aber auch die IAEO-typische Überwachung von Spaltstoffflüssen wäre nicht ausreichend. Um die direkte militärische Nutzung von Anlagenteilen auszuschließen, müsste, wie oben genauer erläutert, sogar ein völlig neues Kontrollregime entwickelt und dann etabliert werden. Dieses müsste sich insbesondere auf die realen Endprodukte der Anlage beziehen, auf sämtliche sensitiven Anlagenteile, deren Verbleib, sowie die mögliche Nutzung an anderen Orten.

Falls es in Reaktion auf die Politik der USA zu einer quantitativen und qualitativen atomaren Aufrüstung Chinas kommt und dabei der Hanau-Export aus Deutschland einen Beitrag liefert, wäre dies ein Fiasko für die deutsche Nichtverbreitungs- und Abrüstungspolitik. Eine nukleare Aufrüstung Chinas kann weder im deutschem noch im globalen Interesse sein. Man denke dabei auch an die weitere Destabilisierung der Ost- und Süd-Ost-Asiatischen Region, die bereits aktuell durch die nordkoreanische Nuklearpolitik empfindlich beeinflusst wird. Die Kette der Reaktionen in Ländern wie Taiwan, Indien, Pakistan und Japan wären jedenfalls unübersehbar.

Die tatsächlichen Absichten, die China mit dem Import der Anlage verbindet, bleiben undurchsichtig. Die Hanauer Anlage wäre jedenfalls auf lange Zeit völlig überdimensioniert für Pläne einer chinesischen Plutoniumwirtschaft im energiewirtschaftlichen Bereich. Die damit heraufbeschworenen Gefahren sind ebenfalls bedeutsam. Die deutsche Politik hat hier im eigenen Land bewusst und sachgerecht einen anderen Weg, nämlich die Beendigung der Plutoniumwirtschaft, eingeschlagen.

Im übrigen sind die Bestimmungen des Deutschen Außenwirtschaftsgesetzes so zu interpretieren, dass eine militärische Nutzung von exportierten Gütern ausgeschlossen sein muss. Aus unserer Sicht kann eine militärische Nutzung jedenfalls nicht ausgeschlossen werden.

* Wolfgang Liebert ist Wissenschaftlicher Koordinator und Sprecher der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der Technischen Universität Darmstadt; Vorsitzender des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS), Beiratsmitglied der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW).
Michael Sailer ist Vorsitzender der Reaktorsicherheitskommission. Am Darmstädter Öko-Institut koordiniert er den Fachbereich Nukleartechnik und Anlagensicherheit und ist stellvertretender Geschäftsführer. Seit 1975 beschäftigen ihn verschiedene Fragen der Kernenergie, seit 1980 arbeitet er beim Öko-Institut e.V.

Wir bedanken uns bei den Autoren für die Überlassung des Manuskripts zu Dokumentationszwecken auf unserer Homepage.

Der Beitrag erschien in einer gekürzten Fassung auf der Dokumentationsseite der Frankfurter Rundschau am 16. März 2004.



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