Complex 2030:
US-Atomwaffen für das 21. Jahrhundert
Von Jacqueline Cabasso *
Unter dem Namen »Complex 2030« fassen die beteiligten Ministerien der Vereinigten Staaten – das für alle Nuklearangelegenheiten zuständige Energieministerium, vertreten durch die ihm untergeordnete National Nuclear Security Administration (NNSA),[1] sowie das Verteidigungsministerium - ihre Pläne für eine Runderneuerung des Nuklearwaffenkomplexes bis zum Jahr 2030 zusammen. Fester Bestandteil des Planungszenarios ist der komplette Austausch des bestehenden US-Atomwaffenarsenals durch den so genannten Reliable Replacement Warhead (RRW, zuverlässiger Austausch-Sprengkopf). Wird das Projekt realisiert, so belaufen sich die Kosten in den nächsten 25 Jahren auf mehr als US$ 150 Milliarden, legen sich Vereinigten Staaten auf die Aufrechterhaltung eines Nuklearwaffenarsenals auf unabsehbare Zeit fest und verletzt die Regierung ihre Verpflichtungen aus Artikel VI des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags „zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft“ beizutragen und „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen“ über die vollständige Abrüstung ihres Atomwaffenarsenals.[2]
Im neuen »Strategic Plan« erläutert das US-Energieministerium, dass die Behörde
„eine reiche und vielseitige Geschichte hat, deren Wurzeln bis zum Manhattan Project und dem Wettrennen um die Entwicklung der Atombombe im Zweiten Weltkrieg zurückreichen.”[3] Im Los Alamos National Laboratory (LANL) in Neu Mexiko, speziell für das Manhattan Project gegründet, wurden die ersten Atombomben gebaut. 1952 wurde ein Konkurrenzlabor aufgebaut, das Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien. Hier entstand die Wasserstoffbombe, ein Bombentyp mit der vielfachen Sprengkraft der beiden US-Atombomben, die 1945 Hiroshima und Nagasaki zerstörten. Heute sind die beiden Nuklearlaboratorien in ein ganz neues Wettrüsten verwickelt: Sie arbeiten an konkurrierenden Entwürfen für einen Sprengkopf, der die 100 Kilotonnen-Bombe W76 ersetzen soll; von diesem Bombentyp werden zur Zeit etwa 1.600 Stück auf U-Boot-gestützten Trident-Raketen einsatzbereit gehalten.[4] Die NNSA wird bald eine Entscheidung für einen der beiden Entwürfe treffen und damit die nächste Programmphase einläuten.
Kürzlich wurde die Tabelle »Stockpile Transformation« (Transformation des Arsenals) aus dem Verteidigungsministerium bekannt, die einen Zeitplan für die künftige Gestaltung des Atomwaffenarsenals vorgibt. Für 2010-2020 ist vorgesehen, dass die USA
„Sprengköpfe für die nächste Generation Trägersysteme entwickeln.“[5] Zur Langzeitvision der Tabelle, die bis zum Jahr 2030+ reicht, gehören 2-4 RRW-Typen.
(Neue) Atomwaffen bis an das Ende aller Zeiten
Bei einer Anhörung im Kongress prahlte im April 2006 der stellvertretende NNSA-Direktor für Verteidigungsprogramme, Thomas D’Agostino:
„Wir haben mit dem RRW bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Vergangenes Jahr starteten das Verteidigungs- und das Energieministerium einen gemeinsamen RRW-Wettbewerb, in dem zwei unabhängige Entwicklerteams unserer Nuklearwaffenlaboratorien... die Optionen für den RRW erkunden. Einen solchen Wettbewerb hat es seit mehr als 20 Jahren nicht gegeben, und er bietet die einmalige Chance, die nächste Generation Atomwaffenentwickler und –ingenieure auszubilden. Beide Teams sind zuversichtlich, dass ihre Entwürfe den Vorgaben entsprechen und ohne Nukleartests zertifiziert und gefertigt werden können. Das Programm liegt im Terminplan, die Vorentwürfe liegen demnächst vor. In einem intensiven, gründlichen Peer Review werden dann die Entwürfe begutachtet und die Option ausgewählt, die für die ingenieurmäßige Entwicklung am besten geeignet ist.“[6]
Bei der Anhörung begründete D’Agustino, warum das Szenario von Complex 2030 Unterstützung verdient. Den Plan, der im April 2006 zum ersten Mal öffentlich vorgestellt wurde, beschreibt die NNSA wie folgt:
„Der Zukunftspfad der NNSA liegt im Aufbau eines kleineren, effizienteren Nuklearwaffenkomplexes, der sich an die veränderlichen nationalen und globalen Sicherheitsprobleme anpassen kann.“[7] Das RRW-Programm wird als Kernelement von Complex 2030 bezeichnet,
„um die langfristige Zuverlässigkeit und Sicherheit des Atomwaffenarsenals sicher zu stellen und eine reaktivere Unterstützungsstruktur zu ermöglichen und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit zu senken, dass die Vereinigten Staaten jemals wieder unterirdische Tests durchführen müssen.“[8]
Die NNSA behauptet zwar, dass
„der RRW keine neue Waffe mit neuen oder anderen militärischen Fähigkeiten bzw. Einsatzoptionen ist“,[9] NNSA-Chef Linton Brooks hat aber immer offen zugegeben, dass Tests auch weiterhin nicht ganz vom Tisch seien:
„Im Jahr 2030 kann unsere Reaktive Infrastruktur je nach Bedarf auch Waffen mit anderen oder modifizierten militärischen Anforderungen fertigen. Die Waffenentwickler-Community, die durch das RRW-Programm neu belebt wurde, kann eine vorhandene Waffe innerhalb von 18 Monaten modifizieren. Die Entwickler können innerhalb von 3-4 Jahren nach Erteilung eines entsprechenden Auftrags einen neuen Waffentyp konzipieren, entwickeln und in Fertigung geben… Wenn der Kongress und der Präsident entsprechend verfügen, können wir rasch auf veränderliche militärische Anforderungen reagieren.“[10]
Die NNSA sieht die Sache so:
„Ist erst einmal der Nachweis erfolgt, dass die Fertigung von Austauschsprengköpfen in dem Zeithorizont möglich ist, in dem neue geopolitische Gefahren heraufziehen könnten, oder wenn der Nuklearwaffenkomplex zeitnah auf technische Probleme im Arsenal reagieren kann, dann können wir auch die Anzahl nicht-stationierter Sprengköpfe weiter verringern.“[11] Diese Zielvorgabe macht den Anspruch, Atomwaffen schrittweise weiter abzurüsten, ganz offensichtlich zu Makulatur.
Der NNSA-Chef erklärte die Funktion der »reaktiven Infrastruktur« genauer:
„Der momentane Atomwaffenkomplex wurde in den 1950ern und `60ern für den Kalten Krieg aufgebaut. Wenn wir diese Infrastruktur nicht verbessern, kann sie den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gerecht werden. Im Nuclear Posture Review [12] [Überprüfung des Nuklearwaffendispositivs] von 2001 wurde ausgeführt, dass wir uns auf ein kleineres nukleares Abschreckungspotential zu bewegen, das leistungsfähiger ist und besser geeignet, auf die veränderliche Anforderungen zu reagieren. Unser Plan Complex 2030… bringt die NNSA auf einen Weg, der es uns ermöglicht, diese notwendigen nationalen Sicherheitsziele zu erreichen… Kurzum, ich sehe eine zukünftige Welt, in der ein kleineres, sichereres, verlässlicheres und zuverlässigeres Arsenal untermauert wird durch robuste industrielle und Entwicklungskapazitäten, mit denen wir besser auf veränderliche technische, geopolitische oder militärische Anforderungen reagieren können.“[13]
Bestandsicherung – ein Erbe aus der Ära Clinton
Unter Verweis auf die Zusage, die die Vereinigten Staaten bei der unbeschränkten Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages im Frühling 1995 machten, gab Präsident Clinton im August desselben Jahres bekannt, dass er den Abschluss eines Umfassenden Teststoppvertrages bis 1996 befürworte, um
„die Gefahr einer Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verringern“.[14] Gleichzeitig erklärte er die Absicht der USA,
„im Rahmen unserer nationalen Sicherheitsstrategie“ die
„strategischen Nuklearstreitkräfte aufrecht zu erhalten… In diesem Zusammenhang,“ sagte er,
„ist die Aufrechterhaltung eines sicheren und zuverlässigen Atomwaffenarsenals im übergeordneten nationalen Interesse der Vereinigten Staaten.“ Clinton befürwortete energisch das Science Based Stockpile Stewardship-Programm der Nuklearwaffenlaboratorien (wissenschaftliches Bestandsicherungsprogramm) zur Aufrechterhaltung des »nuklearen Abschreckungspotentials« ohne weitere Atomwaffentests.
Etwa zehn Jahre später, im Oktober 2006, ließ die NNSA verlauten, sie plane eine Umweltverträglichkeitsstudie für Complex 2030 als Ergänzung zu der Umweltverträglichkeitsstudie, die 1996 bereits für das Stopckpile Stewardship-Programm erstellt worden war. Das Umweltschutzgesetz der USA schreibt vor, das in der Startphase einer Umweltverträglichkeitsprüfung die Öffentlichkeit zum Umfang (scope) der Studie angehört wird und dass bei der Prüfung »angemessene Alternativen« zu berücksichtigen sind. Folglich finden im Winter 2006/7 in Dutzenden von Gemeinden, die in der Nähe von Nuklearwaffenanlagen liegen, sowie in Washington D.C. sogenannte scoping meetings statt. Laut der Notice of Intent (Absichtserklärung), die im US-amerikanischen Bundesgesetzblatt abgedruckt wurde, soll die Umweltverträglichkeitsstudie
„analysieren, wie sich die anhaltende Transformation des Nuklearwaffenkomplexes der USA auf die Umwelt auswirkt, wenn die Vision der NNSA für den Komplex bis zum Jahr 2030 … bzw. Alternativen umgesetzt würden.“[15] Zum Planungsszenario von Complex 2030 gehören u.a. vier langfristig ausgelegte Strategieelementen, die diese Version so buchstabieren:
„(1) In Partnerschaft mit dem Verteidigungsministerium das Nuklearwaffenarsenal transformieren durch Entwicklung von Reliable Replacement Warheads, Überholung einer begrenzten Anzahl vorhandener Waffentypen und beschleunigte Demontage des Arsenals aus dem Kalten Krieg;
(2) Transformation zu einem modernisierten, kosteneffektiven Nuklearwaffenkomplex durchführen;
(3) einen vollständig integrierten und interdependenten Nuklearwaffenkomplex gestalten; und
(4) die wissenschaftliche und technologische Basis vorantreiben, die für nationale Sicherheit langfristig unabdingbar ist.
Diese Strategien werden durch kurzfristige Maßnahmen ergänzt, um Vertrauen in den Transformationsprozess aufzubauen.“[16]
Und genau diese Aufgaben wurden auch schon mit Stockpile Stewardship angegangen. Der Haushaltsplan der NNSA für das Finanzjahr 2007 [17] listet »Life Extension Programs« auf, also Programme zur Verlängerung der Lebenszeit von Sprengköpfen, um ein zuverlässiges Nuklearwaffenarsenal für die nächsten Jahrzehnte zu gewährleisten. Betroffen sind die Fliegerbombe B61,[18] der Sprengkörper W76 für U-Boot-gestützte Raketen und der Atomsprengkopf W80 für Marschflugkörper.[19]
Bei der Aufstellung des Haushalts orientierte sich die NNSA am Nuclear Posture Review von 2001. Als Teile des geheimen Dokuments im Frühjahr 2002 über die New York Times an die Öffentlichkeit drangen, taten Rüstungskontrollexperten die dort aufgelisteten Vorhaben noch als »Wunschzettel« ab. Jetzt aber ist der Aufbau einer
„Nuklearwaffeninfrastruktur, die sich an künftige Anforderungen anpassen kann“, erklärtes Ziel – diese Formulierung wird im Haushaltsplan 2007 wie in Complex 2030 verwendet - und im Budget werden die Mittel für das RRW-Programm erhöht. Das RRW-Programm sieht die Neuentwicklung von buchstäblich jeder einzelnen Sprengkopfkomponente vor, wahrscheinlich auch des »physics package«, also der Plutoniumhohlkugel (Plutoniumkern). Es ist nicht geplant, die neuen Nuklearsprengköpfe zu testen; um aber für alle Fälle gerüstet zu sein, sieht das Budget Mittel für die Betriebsbereitschaft des Atomtestgeländes in der Wüste von Nevada vor.
Überdies sind in den Haushalt Gelder eingestellt, um bis 2007 den Nachweis zu erbringen, dass die USA weiterhin Tritium produzieren können. Tritium, ein radioaktives Wasserstoffisotop, ist das »H« in der H-Bombe. Und tatsächlich: Am 4. Dezember 2006 ließ die NNSA verlauten, dass in der Atomfabrik von Savannah River Site (South Carolina) eine neue Anlage zur Extraktion von Tritium
„den Betrieb aufgenommen hat, so dass jetzt Tritium aus Targets gewonnen werden kann und eine nachhaltige Tritiumversorgung für das Nuklearwaffenarsenal der Nation sichergestellt ist.“[20] Somit werden in den USA jetzt wieder Tritium und Plutoniumkerne gefertigt, nachdem aus Umwelt- und Gesundheitserwägungen die Produktion 1988 (Tritium) bzw. 1989 (Plutoniumkerne) eingestellt worden war.
Geht es wirklich um Plutoniumkerne?
Das Nuklearlabor von Los Alamos ließ im April 2003 verlauten, es habe zum ersten Mal seit 14 Jahren wieder einen Plutoniumkern gefertigt, der den Spezifikationen für das Arsenal der USA entspricht. Dabei handelte es sich um einen W88-Sprengkopf mit 475 Kilotonnen Sprengkraft [21] für eine U-Boot-gestützte Tridentrakete, laut Presseerklärung ein
„Eckpfeiler des nuklearen Abschreckungspotentials der USA.“[22] Jetzt will die NNSA die Fertigungsrate von Los Alamos auf 30-40 neue Plutoniumkerne pro Jahr erhöhen. In ihrem Haushaltsplan für 2007 erklärt die NNSA, dass für die nächsten fünf Jahre Mittel vorgesehen sind, um
„die Fertigungskapazität des LANL oder einer langfristigen Fertigungsanlage zu erhöhen.“ Daneben steigen die Mittel für die Fertigung und Zertifizierung von Plutoniumkernen im Livermore Lab.[23] Dabei lagern in der Montage- und Demontageanlage Pantex in Texas nach wie vor mehr als 12.000 Plutoniumkerne aus demontierten Atomwaffen, die jederzeit wieder zum Einsatz kommen können.[24]
Das Labor von Los Alamos ist einer von fünf Standorten, die im Complex 2030 in Frage kommen als »konsolidiertes Plutoniumzentrum« für die längerfristige Forschung, Entwicklung, Kontrolle und Fertigung von Plutoniumkernen, wobei eine Kapazität von 125 »qualifizierten« Kernen pro Jahr angestrebt wird. Die Notice of Intent zur oben bereits erwähnten Umweltverträglichkeitsstudie sieht noch weitere Handlungsfelder vor, um die
„Transformation zu einem modernisierten, kosteneffektiven Nuklearwaffenkomplex durchführen“ zu können, darunter die Konsolidierung redundanter Anlagen und Programme, um so die »Betriebseffektivität« von Tritiumforschung und –entwicklung ebenso zu verbessern wie Sprengstofftests und die Nuklearmateriallagerung. Zu den weiteren Prioritäten auf der Liste gehört die Suche nach Gelände für gemeinsame Flugtests, in denen
„für vorhandene und künftige frei fallende Bomben die Hardware der NNSA und des Verteidigungsministeriums auf Schnittstellenkompatibilität gestestet wird“[25] sowie für die beschleunigte Demontage nicht mehr benötigter Nuklearsprengköpfe. Mit anderen Worten: weniger, aber neuere Atomwaffen bis zum Ende aller Zeiten. Übrigens: Die »Alternative: Keine Aktion« der Umweltverträglichkeitsstudie sieht laut Notice of Intent
„den Status Quo von heute vor und ist bereits in Planung.“ Auch bei einer negativen Beurteilung von Complex 2030 ist also kein Ende der Nuklearbewaffnung in Sicht.
Damit noch immer nicht genug. Das Pentagon und seine Subunternehmer drängen zusätzlich zur o.g. Runderneuerung der Nuklearwaffen auch auf die Entwicklung einer neuen Generation weitreichender Trägersysteme, wahlweise für konventionelle oder nukleare Bewaffnung. Solche Systeme, mit denen die USA vor allem ihre deutliche Überlegenheit bei der konventionellen Rüstung ausbauen wollen, könnten sich auf lange Sicht als noch gefährlicher erweisen als die beabsichtigen Modernisierung nuklearer Sprengköpfe.[26]
Im November 2006 erregten die Ergebnisse einer Regierungsstudie zum Alterungsverhalten von Plutonium erhebliches Aufsehen. Die Studie wurde von Nuklearwissenschaftlern der Laboratorien von Livermore und Los Alamos durchgeführt und von der unabhängigen JASON-Gruppe überprüft und kam zum Schluss, das Plutoniumskerne viel langsamer altern als gedacht. Die Experten fanden heraus, dass das Plutonium im Kernwaffenarsenal der USA bis zu 100 Jahre lang nutzbar sei – das ist mehr als doppelt so lange wie bisher angenommen. Einige Kritiker von Complex 2030 folgerten, damit sei
„bewiesen“, dass die neuen Fertigungsanlagen und Konzepte für Plutoniumkerne
„vollkommen unnötig“ seien.[27] Ganz anders die demokratische Kongressabgeordnete des Wahlkreises vom Livermore Lab, für die das Alterungsverhalten von Plutonium nur ein Nebenaspekt ist, der die Entscheidung über das RRW-Programm nicht beeinflussen sollte. Letzteres beschrieb sie als
„eine Gelegenheit zur Verjüngung des Komplexes“ und als Chance, die
„cleversten Wissenschaftler der Welt“ an die Waffenlabors zu holen.[28] Kaum überraschend also, dass die NNSA zwei Tage später bekannte, das RRW-Programm sei die beste Strategie
„um das Nuklearwaffenarsenal der Nation auf lange Sicht ohne unterirdische Atomwaffentests aufrecht zu erhalten.“[29]
Die einzige sinnvolle Alternative: nukleare Abrüstung
Es wäre ein großer Irrtum, anzunehmen, dass das vorhandene Atomwaffenarsenal nicht »einsetzbar« sei. Ein Planungsdokument aus dem US-Verteidigungsministerium vom August 2006 belehrt uns da eines Besseren:
„Im Global Strike-Konzept [30] tragen die Nuklearstreitkräfte der USA einzigartig und grundlegend zur Abschreckung bei... Atomwaffen bieten dem Präsidenten das ultimative Mittel, einen Konflikt innerhalb kürzester Zeit zu beenden, und zwar zu Bedingungen, die für die USA vorteilhaft sind… Atomwaffen drohen mit der Zerstörung der Anlagen, die für ihn den größten Stellenwert genießen, darunter seine Massenvernichtungswaffen, kritischen Industrieanlagen, Schlüsselrohstoffe sowie die Einrichtungen zur politischen Organisation und Kontrolle (einschließlich der gegnerischen Führerclique selbst). Dies schließt die Zerstörung solcher Ziele ein, die konventionellen Angriffen standhalten könnten, z.B. tief- und hart verbunkerte Anlagen, Ziele mit ungenauen Positionsangaben, usw. Atomwaffen erschüttern das Vertrauen der gegnerischen Entscheidungsträger, dass sie die Kriegseskalation selbst kontrollieren könnten.“[31]
Die Aufrechterhaltung eines Nuklearwaffenarsenals für weitere hundert Jahre, sei es nun in der Form vorhandener oder neuer Waffen, vom einzigen Land, das bislang je Atomwaffen einsetzte, ist eine unannehmbare und ungesetzliche Alternative. Es ist höchste Zeit, das wir uns von den Zwängen spitzfindiger technischer Argumente zur »Notwendigkeit« austauschbarer Atomsprengköpfe befreien und statt dessen die einzige vernünftige Alternative einfordern: nukleare Abrüstung. Die Vereinigten Staaten sollten gemäß ihren Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag bis spätestens zum Jahr 2030 ihr vollständiges Atomwaffenarsenal beseitigen. Dazu sollten sie wie beim Vertragsbeitritt versprochen schleunigst Verhandlungen in Gang bringen
„über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle.“
Fußnoten-
Die National Nuclear Security Administration (NNSA) wurde im Jahr 2000 als neue Behörde im US-Energieministerium gegründet. Dies geschah als Reaktion auf das Mandat des US-Kongresses, „das Sicherheitsdispositiv im gesamten Nuklearwaffenprogramm neu zu beleben und das Bekenntnis der Nation zur Aufrechterhaltung der nuklearen Abschreckungsfähigkeiten der Vereinigten Staaten zu erneuern.“ Zitiert nach: Office of Defense Programs, National Nuclear Security Administration und U.S. Department of Energy, Complex 2030. An Infrastructure Planning Scenario for a Nuclear Weapons Complex Able to Meet the Threats of the 21st Century. »Getting the Job Done«, 23. Okt. 2006; www.complex2030peis.com/Complex%202030%20-%20October%2023%202006.pdf.
- Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Atomwaffensperrvertrag) vom 1. Juli 1968, in Kraft getreten 1970; http://www.atomwaffena-z.info/pdf/NPT-Vertrag.pdf.
- U.S. Department of Energy: Strategic Plan, 2. Okt. 2006, S. 6; www.doe.gov/media/2006_DOE_Strategic_Plan.pdf.
- Stephen I. Schwartz: Nukes: Betcha Can’t Make Just One!, 27. Juli 2006; www.defensetech.org/archives/002613.html.
- Office of the Deputy Assistant to the Secretary of Defense for Nuclear Matters: Stockpile Transformation, undatiert; www.acq.osd.mil/ncbdp/nm/stockpiletransformation.html.
- Thomas P. D’Agostino, Deputy Administrator for Defense Programs, National Nuclear Security Administration: Statement Before the House Armed Services Committee Subcommittee on Strategic Forces, 5. April 2006, S. 9; www.nnsa.doe.gov/docs/congressional/2006/2006-04-05_HASC_Transformation_Hearing_Statement_(DAgostino).pdf. d.Ü.: Am 6. Jan. 2007 meldete die New York Times, das US-Präsident Bush innerhalb weniger Tage seine Entscheidung bekannt geben werden, die vermutlich vorsieht, dass die jeweiligen Stärken der beiden Entwürfe zu einem gänzlich neuen Entwurf verarbeitet werden sollen.
- NNSA: Future of the Nuclear Weapons Complex, undatiert; www.nnsa.doe.gov/docs/Future_of_the_Nuclear_Weapons_Complex.pdf.
- Ibid.
- NNSA: NNSA’s Reliable Replacement Warhead (RRW) Program; Modernizing the Nuclear Weapons Complex Today To Make It More Responsive to the Challenges of Tomorrow, Mai 2006; www.nnsa.doe.gov/docs/factsheets/2006/NA-06_FS03.pdf.
- Ambassador Linton F. Brooks, Administrator, National Nuclear Security Administration: Speech to the East Tennessee Economic Council, 3. März 2006, S. 4; . d.Ü: Am 4. Jan. 2007 gab US-Energieminister Samuel Bodman bekannt, dass er Linton Brooks wegen schwerwiegender Sicherheitsmängel in Los Alamos zum Rücktritt aufgefordert habe. Nachfolger von Brooks wird Thomas D’Agostino.
- NNSA: NNSA’s Reliable Replacement Warhead (RRW) Program, op.cit. d.Ü. Nicht stationierte Sprengköpfe im Arsenal zählen zur sog. Reserve.
- D.Ü.: Der Nuclear Posture Review vom 31. Dezember 2001 unterliegt weiterhin der Geheimhaltung. Im März 2002 kamen aber wesentliche Teile des Dokuments über die New York Times an die Öffentlichkeit und sind seither im Internet zugänglich: www.globalsecurity.org/wmd/library/policy/dod/npr.htm.
- NNSA: Presseerklärung, 28. Juni 2006; www.nnsa.doe.gov/docs/newsreleases/2006/PR_2006-06-28_NA-06-20.htm.
- The White House, Office of the Press Secretary: Statement by the President: Comprehensive Test Ban Treaty, 11. Aug. 1995.
- U.S. Department of Energy: Notice of Intent To Prepare a Supplement to the Stockpile Stewardship and Management Programmatic Environmental Impact Statement - Complex 2030, Federal Register (Bundesgesetzblatt), Vol. 71, No. 202, 19. Okt. 2006, Notices, S. 61731; www.complex2030peis.com/NOI%20Oct%2019%2006.pdf.
- Complex 2030, op.cit., S. 2.
- Department of Energy: www.mbe.doe.gov/budget/07budget/Content/Volumes/Vol_1_NNSA.pdf.
- D.Ü.: B61 ist der in Deutschland und anderen europäischen Ländern stationierte US-Atombombentyp.
- Das »Stockpile Life Extension Program« dient der Verlängerung der Lebensdauer des bestehenden Atomwaffenarsenals der USA. Dazu werden potentielle technische Probleme identifiziert und behoben sowie in jeder Waffe bestimmte Komponenten ausgetauscht. Außerdem sollen vorhandene Waffen neue oder verbesserte Funktionalitäten erhalten. So wird z.B. ein Subsystem im Wiedereintrittskörper (Gehäuse) des Sprengkopftyps W76 so verändert, dass die Waffe mit einer »Bodenexplosion« auch »gehärtete Ziele« zerstören kann. Der W76 ist der erste Sprengkopftyp, der im Rahmen des RRW-Programms umkonstruiert wird. Am Ende sollen komplett neue Sprengkopfvarianten gefertigt werden.
- NNSA: Presseerklärung, 4. Dez. 2006; www.nnsa.doe.gov/docs/newsreleases/2006/PR_2006-12-04_NA-06-48.htm.
- D.Ü.: Die Bombe von Hiroshima hatte etwa eine Sprengkraft von 13 Kilotonnen (das entspricht 13.000 Tonnen TNT-Sprengstoff.)
- Los Alamos National Laboratory: Presseerklärung, 22. April 2003; www.lanl.gov/news/releases/archive/03-054.shtml.
- Alliance for Nuclear Accountability: Fact Sheet, 2006; www.ananuclear.org/dc_days06/PitProduction2006.pdf.
- Robert S. Norris und Hans M. Kristensen: Global nuclear stockpiles, 1945-2006, Bulletin of the Atomic Scientists, Juli/August 2006 (vol. 62, no. 4), S. 64-66; www.thebulletin.org/article_nn.php?art_ofn=ja06norris.
- NNSA: Joint Flight Test Program, Nov. 2006; www.complex2030peis.com/Flight%20Test%20Program.pdf.
- Eine ausführliche Analyse der neuen Entwicklungen bei US-Trägersystemen und deren Konsequenzen siehe in: Andrew M. Lichterman: Missiles of Empire: America’s 21st Century Global Legions, Western States Legal Foundation, Information Bulletin, Herbst 2003; www.wslfweb.org/docs/missiles03.pdf.
- So argumentierte z.B. der AP-Korrespondent H. Josef Hebert: Study: Warhead plutonium long-lasting, 29. Nov. 2006; www.sfgate.com/cgi-bin/article.cgi?f=/n/a/2006/11/29/national/w161905S84.DTL.
- Ian Hoffman: Report: Nukes not so rusty. Oakland Tribune, 29. Nov. 2006; www.insidebayarea.com/search/ci_4738283.
- NNSA: Presseerklärung, 1. Dez. 2006; www.nnsa.doe.gov/docs/newsreleases/2006/PR_2006-12-01_NA-06-47.pdf.
- D.Ü.: »Global Strike« ist ein US-Konzept, das die Möglichkeit vorsieht, innerhalb kürzester Zeit (etwa 30 Minuten) jeden Punkt auf der Erde angreifen zu können, u.a. mit unterschiedlichen Waffensystemen (Bomber, Raketen oder eine Art Weltraumflugzeug mit nuklearen, konventionellen oder auf anderen Wirkungsprinzipien basierenden Waffensystemen), Cyber-Operationen oder Sondereinsatzkommandos.
- www.dtic.mil/futurejointwarfare/concepts/do_joc_v20.doc.
* Jacqueline Cabasso ist Geschäftsführerin der Western States Legal Foundation in Kalifornien.
Übersetzung – einschließlich der Zitate: Regina Hagen.
Dieser Beitrag erschien in: Wissenschaft & Frieden 1/2007, S. 43-47
Die Zeitschrift Wissenschaft & Frieden erscheint vier Mal im Jahr und ist zu beziehen bei:
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