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Asiens Herz schlägt nun atomwaffenfrei!

Vertrag über eine kernwaffenfreie Zone in Zentralasien unterzeichnet

Von Wolfgang Kötter *

Heute (8. September 2006) unterzeichnen die Außenminister der fünf zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan in Semipalatinsk den Vertrag über eine kernwaffenfreie Zone in Zentralasien.

Auf dem Territorium dieser fünf ehemaligen Sowjetrepubliken befanden sich zu Zeiten der UdSSR mehr als 1400 strategische und über 700 taktische Nuklearwaffen, die inzwischen auf russisches Gebiet abgezogen wurden. Die Unterschrift unter den bereits seit längerem fertigen Vertragstext verzögerte sich zunächst, weil die gegensätzlichen Positionen der etablierten Kernwaffenmächte nur schwer unter einen Hut zu bringen waren. Vor allem Moskau fühlt sich durch die militärische Präsenz der USA im postsowjetischen Raum beunruhigt. Washington wiederum scheut vor rechtsverbindlichen Beschränkungen für künftige Waffenstationierungen und die Bewegungsfreiheit seiner Nuklearwaffen zurück. Während Russland und China immerhin grundsätzliche Zustimmung signalisierten, bestanden die westlichen Kernwaffenmächte USA, Frankreich und Großbritannien auf der Zusicherung, dass Russland die Zone nicht durch bilaterale Abkommen unterläuft, die eine Raketenstationierung in den zentralasiatischen Republiken erlauben.

Doch ungeachtet der Widerstände beharrten die Regionalstaaten auf dem Projekt, denn gerade wegen der von den Atommächten neuerdings verfolgte Doktrin präventiver Kriege sehen sie darin eine Sicherheitschance. Wenn das eigene Territorium frei von Kernwaffen ist, so das Kalkül bietet es auch kein lohnenswertes Ziel für einen nuklearen Angriff. Eine vertraglich festgeschriebene Denuklearisierung könnte so für die Teilnehmer eine gewisse Schutzfunktion erfüllen, bindet sie doch durch Zusatzprotokolle auch die Kernwaffenmächte in einen völkerrechtlichen Verpflichtungsrahmen ein und begrenzt etwaige Nuklearkriegsambitionen.

Außerdem bewahrt die Zone deren Teilnehmer davor, in einen regionalen Rüstungswettlauf hineingezogen zu werden, denn mit China, Indien und Pakistan verfügen drei weitere rivalisierende Nachbarn über Kernwaffen. Nachdem innere Unruhen in Usbekistan und zwischenstaatliche Spannungen mit Kirgisistan abgebaut wurden, geben die zentralasiatischen Regierungen nun ein deutliches Signal an Moskau und Washington gegen mögliche Stationierungsabsichten in ihren Ländern. Das Abkommen verbietet darüber hinaus den Transit von Atomwaffen und schützt die Region davor, von Terroristen als Bewegungsraum für illegales Spaltmaterial missbraucht zu werden.

Nicht zufällig erfolgt die Unterzeichnung im kasachischen Semipalatinsk. Hier erkranken und sterben immer noch Menschen an den Spätfolgen von über 500 sowjetischen Kernwaffentests. Mit der heutigen Unterschrift wird das dritte derartige Projekt auf dem asiatischen Kontinent zur Realität. Neben dem Vertrag von Bangkok über eine kernwaffenfreie Zone in Südostasien hat sich die Mongolei bereits vor Jahren zur „Einstaaten-Kernwaffenfreien-Zone“ erklärt. Darüber hinaus existieren von Atomwaffen befreite Regionen auch in anderen Teilen der Welt (siehe Infokasten).

Nord- und Südkorea vereinbarten bereits im Jahre 1992 eine Deklaration über die Denuklearisierung ihrer Länder. Im Rahmen der 6-Staaten-Verhandlungen erklärte die KDVR im vergangenen Herbst ihre Bereitschaft, das Kernwaffenprogramm aufzugeben und in den Atomwaffensperrvertrag zurückzukehren, wenn die USA auf die Stationierung von Nuklearwaffen in Südkorea verzichten und eine Nichtangriffserklärung abgeben. Wegen Unstimmigkeiten bei der Umsetzung und Querelen zwischen Washington und Pjöngjang liegen die Verhandlungen allerdings seit November auf Eis.

Angesichts der neuen Spirale im nuklearen Wettrüsten gewinnt das Konzept kernwaffenfreier Zonen aber auch für Europa wieder an Bedeutung. So verlangen zahlreiche EU-Parlamentarier in einer von der Vereinigung „Ärzte gegen den Atomkrieg“ IPPNW unterstützten Erklärung den Abzug der in ihrer Heimat gelagerten USA-Atomwaffen. Sie fordern die Regierungen von Belgien, Deutschland, Großbritannien, Italien, den Niederlanden und der Türkei auf, entsprechende Verhandlungen aufzunehmen. Doch die Atomwaffenmächte feiern gerade eine neuen Renaissance der Nuklearwaffen. Sie könnten damit eine gefährliche Dynamik in Gang setzen, in der weitere Staaten nach dem Besitz der verheerenden Massenvernichtungswaffe streben.

Mehr als ein Dutzend Anwärter könnten die Schwelle in den exklusiven Club der Atomwaffenmächte überschreiten. Dazu gehören neben dem Iran auch Ägypten, Algerien, Argentinien, Brasilien, Japan, Saudi-Arabien, Syrien, Südafrika, Südkorea und Taiwan, möglicherweise auch Venezuela und sogar die Türkei. Das aber würde das Risiko eines absichtlichen oder auch versehentlichen Atomwaffenkrieges enorm steigern. "Solange auch nur ein Staat Atomwaffen hat, werden auch andere sie haben wollen“, warnten die Abrüstungsexperten der hochrangig besetzten Blix-Kommission kürzlich. „Solange diese Waffen existieren, wird es auch das Risiko geben, dass sie eines Tages absichtlich oder bei einem Unfall benutzt werden. Jegliche Anwendung wäre katastrophal."

Kernwaffenfreie Zonen

Vertrag von Region Unterzeichner / Ratifikationen Jahr Unterzeichnung / in Kraft
Tlatelolco Lateinamerika/Karibik 33 / 33 1967 / 1968
Rarotonga Südpazifik 13 / 13 1985 / 1986
Bangkok Südostasien 10 / 10 1995 / 1997
Pelindaba Afrika 50 / 19 1996 / -
Semipalatinsk Zentralasien 5 / - 2006 / -


Zahlen und Fakten *

In den Arsenalen lagern auch 16 Jahre nach Ende des Kalten Krieges noch immer etwa 27 000 nukleare Sprengköpfe weltweit. Im Nichtweiterverbreitungsvertrag werden die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates mit Vetoprivileg als offizielle Atommächte geführt. Russland besitzt nach einer Statistik des »Bulletin of the Atomic Scientists« rund 16 000 Sprengköpfe, wobei gegenwärtig nur rund die Hälfte einsatzfähig sein sollen. Die USA sind die einzige Nuklearmacht, die bereits Atombomben eingesetzt hat. Ihre Arsenale umfassen 10 640 Sprengköpfe, 1700 davon sind auf 500 Interkontinentalraketen (ICBM) montiert. US-Kernwaffen sind auch in Europa und Asien stationiert, darunter in Deutschland. Frankreich zählt 350 Sprengköpfe, Großbritannien 200. China hat rund 400 Sprengköpfe und verfügt sowohl über Mittelstrecken- als auch Interkontinentalraketen.

Daneben gibt es eine wachsende Zahl »inoffizieller« Atommächte. Indien testete den ersten Sprengsatz 1974, seine Arsenale werden auf 50-60 Sprengköpfe geschätzt. Pakistan ist seit 1998 de facto Atommacht mit angenommenen 40-50 Sprengköpfen. Israel hat wahrscheinlich seit 1967 Atomwaffen, den Besitz bisher aber weder bestätigt noch abgestritten. Fachleute gehen von bis zu 200 Sprengköpfen aus. Nordkorea erklärte sich im Vorjahr zur Atommacht. Nach Schätzungen verfügt das Land über fünf bis 15 Sprengköpfe.

Irak betrieb seit etwa 1960 ein Atomwaffenprogramm, ohne jedoch Sprengköpfe hergestellt zu haben. Auch Iran wird verdächtigt, ein Atomwaffenprogramm zu forcieren, streitet dies jedoch ab. Auf Atomwaffen verzichtet haben Südafrika, das 1991 sechs Nuklearköpfe zerstörte, Argentinien, Brasilien sowie die ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine, Kasachstan und Belarus, die ihre Anlagen aus den Zeiten der UdSSR nach 1991 an Russland übergeben haben.

Olaf Standke



* Der Beitrag von W. Kötter erschien – ohne die Tabelle, aber mit der Übersicht "Zahlen und Fakten" (Kasten) - am 8. September 2006 im "Neuen Deutschland"


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