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Aktionsplan mit Lücken

G20-Agrarminister wollen Spekulationen auf Lebensmittel eindämmen

Von Haidy Damm

Die Agrarminister der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer haben sich am Donnerstag (23. Juni) in Paris wie erwartet auf ihren Aktionsplan verständigt. Mit den Maßnahmen wollen sie die stark schwankenden Preise bei Nahrungsmitteln stabilisieren.

Die deutsche Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) zeigte sich im Anschluss an den G20-Gipfel höchst zufrieden. Sie sprach von einem »historischen Treffen«, das ein »klares Signal« für mehr Offenheit an den Agrarmärkten gegeben hätte. Der Aktionsplan soll eine Grundlage für den G20-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im November 2011 sein.

Zentrales Ergebnis der Beschlüsse ist eine Datenbank, die die Produktion und Lagerbestände von Reis, Mais, Weizen und Sojabohnen erfassen soll. Dieses »Landwirtschaftliche Marktinformationssystem« (AMIS) war insbesondere in Indien und China umstritten, die ihre Lagerbestände nicht preisgeben wollten. Nun erklärten sich aber doch alle G20-Länder im Prinzip dazu bereit. Allein diese Bereitschaft sei ein »riesiger Fortschritt«, sagte Aigner. Allerdings können Privatbetriebe ihre Daten freiwillig an das AMIS weitergeben, das bei der Welternährungsorganisation (FAO) angesiedelt sein soll. Diesen Haken hatten Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen im Vorfeld kritisiert. Aigner hielt dem entgegen, die Betriebe hätten ein großes Eigeninteresse daran, die Marktstände zu kennen.

Neben der Datenbank vereinbarten die Agrarminister vier weitere Maßnahmen gegen Preisschwankungen: die Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion, eine engere Zusammenarbeit in Krisenzeiten, ein Ende der Exportbeschränkungen im Fall von Hungersnöten und eine stärkere Regulierung der Rohstoffmärkte. Letztere fällt allerdings in die Zuständigkeit der Finanzminister. Dazu will die Internationale Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden IOSCO im September einen Bericht vorlegen. Die agrarpolitische Sprecherin der LINKEN, Kirsten Tackmann, forderte: »Hier müssen sich Agrar- und Finanzpolitiker zusammensetzen und sich bis zum G20-Gipfel im November auf wirksame Kontrollinstrumente verständigen.« Die Einführung eines Agrarmarkt-Informationssystems sei ein »viel zu zaghafter Schritt«, um diesen Preisschwankungen zu begegnen.

Auch Aigner betonte, nicht nur auf den Agrarrohstoff-Märkten, sondern auch auf den Finanzmärkten für Agrarderivate müsse mehr Transparenz geschaffen werden, etwa durch eine Registrierung kommerzieller wie nicht-kommerzieller Händler. »Es muss für alle Seiten erkennbar sein, welche Gruppen sich auf dem Rohstoff-Finanzmarkt betätigen und wer Waren kauft und verkauft. Das können Rohstoffhändler sein, die ihr Risiko absichern, aber eben auch reine Finanzjongleure, die um den schnellen Profit pokern.« Ein Transaktionsregister könne hier Transparenz schaffen. Auch könnten regelmäßige Berichtspflichten für die Warenterminbörsen eingeführt werden, wie sie in den USA längst üblich seien. Diese Vorschläge fanden aber wenig Beachtung innerhalb des Aktionsplanes, da sie ebenfalls in die Zuständigkeit des Finanzministers fallen.

Kritik an dem Aktionsplan kam überwiegend von Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen. Die Spekulationen an den Nahrungsmittelmärkten treffen in erster Linie die Menschen in Entwicklungsländern, die schon heute bis zu 80 Prozent ihrer Einkünfte für die Ernährung ausgeben müssen. Die Menschenrechtsorganisation FIAN kritisierte, das Thema Landraub sei völlig ausgespart worden, obwohl »mittlerweile vielfach dokumentiert wurde, dass durch diese Investitionen das Recht auf Nahrung der lokalen Bevölkerung verletzt wurde«, sagte FIAN-Agrarreferent Roman Herre. Private Investoren würden riesige Agrarplantagen aus dem Boden stampfen oder auf steigende Preise spekulieren.

Überwiegend ausgespart wurde auch das Thema Agrartreibstoffe. Hier wollen die G20-Agrarminister weitere Analysen abwarten.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Juni 2011


Gegen die Armen

Von Haidy Damm **

Mit großen Worten hatte der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy den Aktionsplan der G20-Agrarminister angekündigt. Er wollte den Spekulationsschurken das Handwerk legen. Herausgekommen ist eine mäßige Absichtserklärung. Die Frage der Regulierung von Spekulationen auf Agrarrohstoffe überlassen die Minister der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer lieber ihren Kollegen aus den Finanzressorts. Auch beim Thema Agrartreibstoffe geben sie sich zurückhaltend und wollen zunächst weitere Analysen anfordern. Ebenfalls keine Rolle auf dem Gipfel spielte das Thema Landraub. Immer mehr reiche Investoren – meist aus den G20-Staaten – kaufen Land in armen Ländern. Entweder um dort große Standorte zu errichten wie im Fall des südkoreanischen Investors, der im indischen Bundesstaat Orissa einen riesigen Stahlkomplex bauen will. Oder um für die eigene Bevölkerung Nahrungsmittel und Agrartreibstoffe zu produzieren. Oder auch, um auf die Bodenpreise zu wetten. An jedem dieser Orte gibt es Betroffene. Deren Kämpfe spielen jedoch in den Aktionsplänen und Berichten der Minister keine Rolle. Auch wenn Ilse Aigner behauptet, mit diesem Treffen seien wichtige Schritte zur Ernährungsgerechtigkeit getan: Wer all diese wichtigen Themen ausspart, zeigt sich freiwillig handlungsunfähig und stellt sich klar auf die Seite der Investoren. Deren Recht auf Gewinn steht damit über dem Recht auf Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität.

** Aus: Neues Deutschland, 24. Juni 2011 (Kommentar)


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