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Demoverbot nach Sprengsatzfund

Dortmunder Polizeipräsident: Rechtsextreme Demonstration wäre ein "nicht kalkulierbares" Risiko

Von Marcus Meier *

Ein Neonazi, der Kontakt hatte zu Dortmunder Kameraden, soll Sprengsätze hergestellt haben. Die für den Samstag geplante Nazi-Demonstration in der Westfalen-Metropole wurde deswegen polizeilich verboten. Ob diese Entscheidung vor Gericht bestand haben wird, ist offen.

Gestern Morgen verkündete Dortmunds Polizeipräsident Hans Schulze das Verbot einer für Samstag geplanten Neonazi-Demonstration in der Westfalen-Metropole. Die Begründung: Ein Aachener Neonazi war verhaftet worden, weil er lebensgefährliche Sprengsätze gebaut hatte. Er stehe in engem Kontakt zu den Dortmunder Demoanmeldern.

Tagelang habe sich der 19-jährige Bombenbauer in Dortmund aufgehalten, berichtete Schulze. Er war dort sogar kurzzeitig in Gewahrsam genommen worden nach einem gewalttätigen Übergriff gegen eine linke Szene-Kneipe. Er kam aber wieder frei, obwohl wegen Gewalttaten vorbestraft und offenbar seit Längerem im Visier der Ermittlungsbehörden stehend. Möglicherweise hat er, so Schulzes Befürchtung, in Dortmund Sprengsätze »abgelegt oder abgegeben oder übergeben«.

Dann kündigte der Behördenchef an, seine Beamten werden in Dortmund »intensiv« nach »diesem Sprengmaterial« suchen, »wenn wir genau wissen, wie sich die Situation für uns darstellt«. Die Entwicklung sei ja ganz frisch. »Wir werden das tun«, bekräftigte der Polizeipräsident die Bereitschaft zu künftigem Handeln. Von Hausdurchsuchungen wurde nichts berichtet. Auf Nachfrage des ND sprach die Polizeipressestelle davon, dass man sich aus ermittlungstaktischen Gründen zu dieser Frage nicht äußern werde. Etwaige Täter dürften gewarnt sein vor künftigen Durchsuchungsmaßnahmen.

Der verhinderte Bombenleger wird der »Kameradschaft Aachener Land« zugerechnet, einer überaus aktiven Neonazi-Gruppe. Am 1. Mai soll er gen Berlin gereist sein. Im Gepäck: Neun selbst gebastelte Sprengsätze. An einer Polizeikontrolle entledigte er sich des explosiven Materials, flüchtete. Doch wurde seine DNA an den Sprengkörpern festgestellt. Nun wurden Sprengsätze bei dem Neonazi gefunden. Die Dortmunder Polizei wurde nach eigenen Angaben durch die Landeskriminalämter Berlin und NRW informiert.

»Die Demonstration wäre ein nicht kalkulierbares Risiko«, erläuterte Polizeichef Schulze das Verbot. »Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Menschen zu Tode kommen.« Bisher hatte Schulze keinen Gedanke daran verschwendet, den »Nationalen Antikriegstag« - es ist der sechste in Dortmund - zu verbieten. Antifaschistischen Gegenaktionen war jedoch durchaus die Erlaubnis verweigert worden (ND berichtete). Ein rechtsextremes Konzert am Vorabend der geplanten Demonstration wurde nicht verboten.

Das Aufmarsch-Verbot sei ein überfälliger Schritt, sagte die Dortmunder Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (LINKE). Schließlich sei es ein Skandal, »dass für das Verbot des Nazi-Aufmarsches erst nach Polizeiaussagen lebensgefährliche Sprengsätze gefunden werden müssen, während friedliche antifaschistische Mahnwachen bereits vorher willkürlich verboten wurden«.

In Dortmund gebe es jetzt schon einen »gelebten Terror«, die gewalttätigen Übergriffe häuften sich, sagt Ralf Beltermann, Sekretär des DGB Dortmund und Aktivist im »Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus«. Am 1. Mai 2009 hatten 300 Neonazis, für die Polizei völlig überraschend, eine DGB-Kundgebung brutal angegriffen. Mehrere Morde gehen auf das Konto Dortmunder Neonazis. »Wenn jetzt Sprengkörper gefunden werden«, sagt Beltermann, »dann zeigt das eine neue Qualität der Gewaltbereitschaft.«

Die Nazis kündigten via Internet an, das Verbot gerichtlich anzufechten. »Wir klagen gegen das Verbot und rechnen mit einem positiven Urteil.« Der Instanzenweg: Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Oberverwaltungsgericht Münster, Bundesverfassungsgericht Karlsruhe. Während Gelsenkirchen und Münster im Jahr 2009 ein polizeiliches Verbot des damaligen »Nationalen Antikriegstages« bestätigten, entschied Karlsruhe, dass die Demonstration stattfinden dürfe. Denn die mögliche Teilnahme einer größeren Zahl »Autonomer Nationalisten« begründe »nicht schon für sich gesehen« die Annahme, dass »von einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auszugehen« ist.

Auch sei, argumentierten die Bundesrichter seinerzeit, eine rechtsextreme Demonstration einen Monat zuvor »ohne jegliche Gewaltanwendung« verlaufen, obwohl auch dort »Autonome Nationalisten« teilnahmen. In Bad Nenndorf war's, knapp 230 Kilometer von Dortmund entfernt. Der als vorbildlich friedlich empfundene Aufmarsch fand »zum Gedenken alliierter Folteropfer« statt. Pikantes Detail: Zumindest in diesem Jahr soll an der jährlich stattfindenden Bad Nenndorfer Demonstration auch der Aachener Bombenbauer teilgenommen haben, der nun ins Visier der Polizei geriet.

* Aus: Neues Deutschland, 3. September 2010


"Kameraden" gebremst

Von Markus Bernhardt **

Ein für Sonnabend (4. Sept.) in Dortmund geplanter Großaufmarsch von Neonazis ist am Donnerstag überraschend verboten worden. »Autonome Nationalisten« hatten zu einem »Nationalen Antikriegstag« aufgerufen.

Bereits am Mittwoch (1. Sept.) hatte die Polizei Hausdurchsuchungen in Aachen und dem Bergischen Land durchgeführt. Unter den inspizierten Objekten war auch die Wohnung eines 19jährigen Neonazis, der der »Kameradschaft Aachener Land« zugerechnet wird. Der junge Mann war den Beamten bereits am 1. Mai in Berlin aufgefallen, da er bei einer Kontrolle mehrere Sprengsätze mit sich geführt hatte. In den letzten Tagen soll sich der Rechtsextreme in Dortmund aufgehalten und engen Kontakt zu den Anmeldern des »Antikriegstages« gehabt haben. Auch an einem Überfall auf die alternative Kneipe »HirschQ« (siehe jW vom 28. August) soll er beteiligt gewesen sein. Nach der Razzia am Mittwoch wurde er wegen des Verdachts der Vorbereitung einer Sprengstoffexplosion verhaftet.

Vor diesem Hintergrund stelle der Aufmarsch ein »nicht kalkulierbares Risiko« dar, erklärte der Dortmunder Polizeipräsident Hans Schulze. Man könne nicht ausschließen, daß der junge Mann Sprengsätze deponiert oder an andere Personen weitergegeben hat. Es bestehe die Gefahr, daß Menschen verletzt oder getötet würden.

Während die Neonazis gegen das Verbot vor Gericht ziehen wollen, kündigte das antifaschistische Bündnis »Dortmund stellt sich quer!« an, weiterhin zu Massenblockaden mobilisieren zu wollen. Vor einem Jahr war eine Verbotsverfügung der Polizei gegen den »Nationalen Antikriegstag« wenige Stunden vor dem Aufmarsch gekippt worden.

Die Neonazis haben vom heutigen Freitag bis zum Sonntag zudem mehrere Veranstaltungen in Dortmund geplant. Lediglich die für Samstag vorgesehene Demonstration ist von der Verbotsverfügung betroffen. Zu dem Aufmarsch der Rechten wurden 1500 Teilnehmer erwartet. Gegen den Aufzug gibt es zahlreiche Gegenveranstaltungen, zu denen rund 13500 Menschen erwartet werden.

Ob das Verbot Bestand haben wird, hängt nun davon ab, ob die Rechtsextremisten – wie so häufig – juristisch gegen das Verbot vorgehen. Der juristische Streit kann durch alle Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht gehen.

Der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) erklärte, er sei froh, daß der Aufmarsch verboten worden sei. Die Stadt und ihre Partner würden sich aber nicht von ihrem »Kampf gegen rechts« ablenken lassen. Alle geplanten Veranstaltungen gegen die Kundgebungen der Rechten würden unverändert stattfinden. »Dortmund stellt sich quer!« ruft unterdessen insbesondere zu einer Demonstration am heutigen Freitag um 17.30Uhr am Dortmunder Hauptbahnhof gegen ein nicht verbotenes Neonazikonzert auf. Antifaschisten aus dem gesamten Bundesgebiet sind weiter aufgefordert, zu Blockaden am Samstag anzureisen, da das Bündnis mit einer Aufhebung des Verbots durch die Karlsruher Richter rechnet, die auch 2009 den »Antikriegstag« ermöglicht hatten. Damals hatten rund 3000 Menschen den Aufmarsch der Rechten blockiert. Die Neonazis hatten nur 700 statt der angekündigten 2000 »Kameraden« mobilisieren können und mußten ihren Aufzug vorzeitig mit einer Kundgebung auf einem Parkplatz beenden.

** Aus: junge Welt, 3. September 2010


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