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Putins ABM-Vorschlag:

Europäisches Raketenabwehrsystem bekommt neuen Charakter

Von Pjotr Gontscharow *

Wladimir Putins Angebot an die USA, die von Russland gepachtete Radaranlage Gabala in Aserbaidschan gemeinsam zu nutzen, kann die Situation um das in Europa entstehende Raketenabwehrsystem (ABM) ändern.

Es geht dabei nicht nur darum, dass die Radaranlage in Gabala einmalig ist: Die technischen Parameter decken vollständig alle Richtungen, von denen aus eine Gefahr für ganz Europa ausgehen könnte. Sie ist in der Lage, einen Raketenstart innerhalb weniger Sekunden zu fixieren, die Flugbahn zu verfolgen und die Daten für ein optimales Abfangen vorzulegen. Es geht mehr ums Prinzip. Putins Angebot ändert grundsätzlich den Charakter des Raketenabwehrsystems, das in Europa entstehen soll.

Für die USA galt die Frage der Errichtung eines strategischen Raketenabwehrsystems in Europa bereits als gelöst. Bemerkenswert ist beispielsweise folgende Tatsache: Buchstäblich am Vorabend des G8-Gipfels in Deutschland hat US-Verteidigungsminister Robert Gates seine Bereitschaft bekundet, „Möglichkeiten, technische Daten und Einschränkungen“ für ein amerikanisches Raketenabwehrsystem in Ostasien „genauso wie mit Russland auch mit China zu erörtern“. Das bedeutet, dass die Notwendigkeit eines ABM-Systems in Ostasien, wie auch im Fall mit Russland - in Europa - nicht zur Diskussion stand.

Moskau gab dennoch die Hoffnung nicht auf, die USA zu einem professionellen Dialog mit Russland zu bewegen. Es war offensichtlich, dass die USA-Pläne für ein ABM-System in Europa beim G8-Gipfel in Heiligendamm zu den aktuellsten Themen gehören würden.

In seinem Interview für die G8-Journalisten im Vorfeld des Gipfels hatte der russische Präsident die Situation mit dem ABM-System in Europa für seine Opponenten so dargelegt, wie sie in der russischen Metropole betrachtet wird. Das Kernstück dieser Situation bestand in einer Frage, die Russland beschäftigen musste: Wozu wird eigentlich das ABM-System in Europa aufgebaut?

Putins Logik ist einfach und konkret. Es ist offensichtlich, dass das ABM-System in Europa nicht gegen Nordkorea und Iran gerichtet sein wird, weil die aus diesen Ländern abgeschossenen Raketen Europa einfach nicht erreichen können. Genauso klar ist aber auch, dass es nicht gegen Russland gerichtet ist, weil Russland niemanden zu überfallen beabsichtigt. Wozu dann?

Eine Antwort gerade auf diese einfache Frage und gerade in diesem Kontext wollte Wladimir Putin denn auch vom US-Präsidenten in Heiligendamm bekommen. Diese Antwort ist zwar im Kreml bekannt, das Weiße Haus hat aber diese aus bestimmten Gründen bisher geheimgehalten.

Die Geschichte um das ABM-System in Europa hat ein weiteres interessantes Detail bekommen. In der letzten Zeit hat Washington die Ziele des geplanten Raketenabwehrsystems spürbar korrigiert. Nun ist Washington nicht mehr kategorisch hinsichtlich der Länder, gegen deren Raketen das ABM-System geschaffen werden soll, und zieht algemeinere Formulierungen vor, wie etwa: „Gegen Länder mit unberechenbaren und instabilen Regimes wie in Nordkorea und Iran“.

Die unberechenbaren Regimes sind aber allein schon wegen ihrer „Instabilität“ nicht ewig. Was soll dann mit dem ABM-System passieren, nachdem diese Regimes eine natürliche Transformation erlebt haben? Sie wird dann doch nicht demontiert, geschweige denn gegen andere Länder unter demselben Vorwand gerichtet - oder?

Insofern lanciert Washington unterschwellig die Idee, das ABM-System werde „auf alle Fälle“ und im Interesse von allen aufgebaut - d. h., für immer und ewig. In dem Fall würden aber alle Steuerhebel des Systems, alle Daten und sonstiges in den Händen der USA allein liegen.

Wladimir Putins Vorschlag über eine gemeinsame Nutzung der Radarstation in Gabala macht das ABM-System in Europa zu einem kollektiven Raketenabwehrsystem.

Was werden die USA darauf antworten?

Es wäre naiv zu glauben, dass die Radarstation in Gabala für die amerikanischen Experten bisher ein Geheimnis hinter sieben Siegeln gewesen wäre. Zweifellos haben sie auch diese Variante erwogen. Allem Anschein nach passt sie ihnen jedoch nicht. Es wäre deshalb auch naiv, darauf zu hoffen, dass das Weiße Haus die russische Initiative sofort und gern annehmen würde.

Zweifellos wird diese Initiative viele Gegner auch im US-Kongress und unter den amerikanischen Militärs haben. Höchstwahrscheinlich könnte vieles bei dem von George Bush versprochenen strategischen Dialog zwischen den USA und Russland geklärt werden.

Heute positionieren sich die Vereinigten Staaten als einen Vorreiter aller globalen Projekte. In allernächster Zukunft wird zwangsläufig die Frage der Bildung eines Raketenabwehrsystems aktuell, das die Welt vor eventuellen nuklearen Kollisionen weitgehend garantiert schützen könnte. Wie die Praxis eben zeigt, hat die internationale Völkergemeinschaft bisher keine Mechanismen entwickelt, die sie vor einer Verbreitung der Nukleartechnologien schützen könnte.

Offensichtlich ist auch die Tatsache, dass die Länder, die sowohl über Raketenabwehrsysteme als auch über Mittel verfügen, die ein jedes ABM-System leicht überwinden könnten, bei der Schaffung des globalen Raketenabwehrsystems zu ein und derselben Seite gehören sollten. Das Angebot des russischen Präsidenten ist in dieser Hinsicht ein erster und offenbar auch überaus rechtzeitiger Schritt.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 13. Juni 2007;
http://de.rian.ru


Jung offen für Putins Raketenabwehr-Plan

Iran verärgert / Prag ignoriert Bevölkerung

Im Streit um die geplante US-Raketenabwehr erwartet Moskau von Washington eine ernsthafte Prüfung seines Vorschlags für eine gemeinsame Anlage in Aserbaidschan.

Moskau (Agenturen/ND). Präsident Wladimir Putin sei es wichtig gewesen, die Konfrontation in dieser Frage zu beenden, sagte sein außenpolitischer Berater Sergej Prichodko am Sonntag dem russischen Fernsehen. Zugleich forderte Russland die USA auf, die Verhandlungen über eine Stationierung von US-Raketentechnik in Mitteleuropa einzufrieren.

Das iranische Parlament kritisierte den Vorstoß Putins am Sonntag scharf und forderte eine entsprechende Reaktion des iranischen Außenministeriums. Dagegen wiegelte Außenamtssprecher Mohammad Ali-Husseini ab. »Russland hat gesagt, dass keine Bedrohung durch iranische Raketen existiert«, sagte er.

Putin hatte auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm den USA vorgeschlagen, die Radarstation in Aserbaidschan in eine gemeinsame Raketenabwehr gegen den Iran einzubinden. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung sagte der »Bild am Sonntag«: »Der Vorschlag Putins zeigt, dass auch Russland offensichtlich von der Notwendigkeit eines Schutzes gegen Raketen überzeugt ist. Wir werden in der kommenden Woche im Rahmen der NATO und im NATO-Russland- Rat gemeinsam über eine mögliche Ausgestaltung eines Schutzschildes diskutieren.« Zustimmung äußerte auch SPD-Chef Kurt Beck: »Ich halte den Vorschlag für prüfenswert. Damit könnte ein neues Wettrüsten und ein Auseinanderdividieren Europas verhindert werden«.

Tschechien hat dagegen den Appell des russischen Außenministers Sergej Lawrow zurückgewiesen, die Gespräche mit den USA über das geplante Raketenabwehrsystem in Mitteleuropa auszusetzen. »Ich sehe überhaupt keinen Grund, unsere Verhandlungen auf Wunsch Russlands einzustellen«, sagte Vize-Regierungschef Alexandr Vondra am Sonntag in Prag.«

Unterdessen lehnten acht weitere tschechische Gemeinden die geplante Stationierung einer USRadaranlage in ihrer Nachbarschaft ab. In kommunalen Referenden habe sich jeweils eine überwältigende Mehrheit gegen eine Beteiligung ihres Landes an dem umstrittenen USRaketenabwehrsystem ausgesprochen, teilten die Behörden in Prag am Sonntag die Ergebnisse mit. Die Befragungen haben keine bindende Wirkung für die Regierung. Umfragen zufolge lehnen fast zwei Drittel der Tschechen das US-Raketenabwehrsystem ab.

Im Streit um die geplante US-Raketenabwehr erwartet Moskau von Washington eine ernsthafte Prüfung seines Vorschlags für eine gemeinsame Anlage in Aserbaidschan. Moskau (Agenturen/ND). Präsident Wladimir Putin sei es wichtig gewesen, die Konfrontation in dieser Frage zu beenden, sagte sein außenpolitischer Berater Sergej Prichodko am Sonntag dem russischen Fernsehen. Zugleich forderte Russland die USA auf, die Verhandlungen über eine Stationierung von US-Raketentechnik in Mitteleuropa einzufrieren.

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Putin hatte auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm den USA vorgeschlagen, die Radarstation in Aserbaidschan in eine gemeinsame Raketenabwehr gegen den Iran einzubinden. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung sagte der »Bild am Sonntag«: »Der Vorschlag Putins zeigt, dass auch Russland offensichtlich von der Notwendigkeit eines Schutzes gegen Raketen überzeugt ist. Wir werden in der kommenden Woche im Rahmen der NATO und im NATO-Russland- Rat gemeinsam über eine mögliche Ausgestaltung eines Schutzschildes diskutieren.« Zustimmung äußerte auch SPD-Chef Kurt Beck: »Ich halte den Vorschlag für prüfenswert. Damit könnte ein neues Wettrüsten und ein Auseinanderdividieren Europas verhindert werden«.

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Unterdessen lehnten acht weitere tschechische Gemeinden die geplante Stationierung einer USRadaranlage in ihrer Nachbarschaft ab. In kommunalen Referenden habe sich jeweils eine überwältigende Mehrheit gegen eine Beteiligung ihres Landes an dem umstrittenen USRaketenabwehrsystem ausgesprochen, teilten die Behörden in Prag am Sonntag die Ergebnisse mit. Die Befragungen haben keine bindende Wirkung für die Regierung. Umfragen zufolge lehnen fast zwei Drittel der Tschechen das US-Raketenabwehrsystem ab.




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