Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Polen-USA: Das Spiel um die Patriot-Raketen

Von Andrej Fedjaschin *

Wie es scheint, will die Obama-Administration ihr "Zugeständnis" an Russland möglichst teuer verkaufen.

Es handelt sich um das Quasi-Versprechen, von dem Plan für Stationierung des US-Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien abzurücken. Die Vorgängerregierung unter George W. Bush hatte die Absicht, bis 2013 in Polen 10 Abfangraketen zu stationieren und in Tschechien eine große Radarstation zu bauen, angeblich zum Schutz vor einem Raketenangriff seitens Irans.

Diese Pläne sind von Obama zwar bisher nicht aufgegeben worden, befinden sich jedoch im Stadium der "Überprüfung" zwecks Bestimmung ihrer Effektivität und Notwendigkeit der Aufstellung. Dabei spielen gewiss auch Überlegungen zum finanziellen Aufwand eine Rolle.

Im Sprachgebrauch des Weißen Hauses und des Außenministeriums kann eine solche "Überprüfung" beinahe alles bedeuten: von der Bereitschaft, die Absicht jederzeit überhaupt aufzugeben, bis zu ihrer vollen Bestätigung.

Eine dritte Variante wäre das Einlegen einer "Pause", um endgültig zu klären, welche zusätzlichen Vorteile sich aus dem Verzicht auf die Pläne der vorherigen US-Administration herausschlagen lassen.

Würden solche Vorteile die bereits gemachten Anstrengungen aufwiegen? Die jüngste dreitägige Washington-Reise des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski deutet darauf hin, dass gerade die dritte Variante in Washington unter die Lupe genommen wird.

Nach einem Treffen mit US-Außenministerin Hillary Clinton am 25. Februar sagte Sikorski: Unabhängig davon, ob die USA zehn neue Abfangraketen startklar stationieren oder nicht, würden sie dort eine Batterie von Patriot-Abfangraketen aufstellen. Die Abwehrraketen sind das Analog zu den russischen S-300-Systemen.

Noch in der Bush-Ära wurde im August in Warschau ein entsprechendes Abkommen geschlossen: Eine Patriot-Batterie werde im nordpolnischen Pomorze (einst Pommern) nahe der Ortschaft Redzikowo stationiert. Das liegt nur vier Kilometer von Slupsk entfernt, wo die USA Abfangraketen stationieren wollten.

Es war vor allem Warschau selbst, das die Patriot-Raketen wollte. Dort wurde behauptet, dass das Land mit ballistischen Abwehrraketen allein keinen Schutz vor einem "möglichen Angriff" haben werde. Anscheinend hat man die Verlegung der Patriots aus Deutschland nach dem "Rotationsprinzip" vereinbart.

Kennzeichnenderweise kommen alle Informationen über die garantierte Endgültigkeit des Beschlusses, Patriots an Polen zu liefern, bisher ausschließlich aus Warschau. Bereits früher sprach das polnische Verteidigungsministerium sogar davon, dass die Patriots bis 2013 "zeitweilig", ab 2013 aber ständig stationiert werden sollten und nicht mehr zwischen Deutschland und Polen hin- und herreisen würden.

Weder US-Außenministerin Clinton noch das Pentagon haben das nach dem Besuch des polnischen Ministers bestätigt. Doch ein Dementi erfolgte ebenfalls nicht.

Für die Polen ist die Stationierung sowohl von Abfangraketen als auch vom Raketenabwehrsystem finanziell von Vorteil. Für das "Recht", einen Teil des dritten Stellungsraums der US-Raketenabwehr bei sich "aufzunehmen" und zudem die Armee zu modernisieren, haben sich die Polen fast 20 Millionen Dollar ausgehandelt. In der heutigen Krise ist das viel Geld.

Die USA haben auch andere Gründe, das Spiel um die Patriots fortzusetzen. Die Amerikaner gaben bereits zu verstehen, dass sie für den Verzicht auf den Aufbau des neuen Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien demnächst ein Okay aus Moskau zu einem 80-prozentigen Abbau der strategischen Atomwaffenarsenale haben möchten, wobei jeder Seite nur 1000 atomare Gefechtsköpfe bleiben.

Russland hat jetzt kaum Gründe, auf diesen ungenau formulierten Vorschlag mit voller Freude einzugehen. Da Amerika gegenwärtig auf die Festigung der Raketenabwehrsysteme und den Übergang zu nuklearen Mittelstrecken-Marschflugkörpern (bis 3000 Kilometer) setzt, hat es für Moskau keinen Sinn, die Zahl der eigenen atomaren Gefechtsköpfe drastisch zu kürzen. Russland modernisiert jetzt gerade seine "ballistische Raketenflotte".

Würde es auf Bitte der Amerikaner die strategischen atomaren Gefechtsköpfe reduzieren, so hieße das, in den Atomstreitkräften ein Ungleichgewicht zu schaffen und so den USA automatisch große Vorteile bei den Mittelstreckenträgern und dem Raketenschild zu verschaffen.

Jedes Kampfsystem, darunter auch das Raketenabwehrsystem, verwandelt sich, wenn in den Grenzgebieten der Konfrontation von Atomwaffenmächten entfaltet (und Polen ist gerade ein solches Gebiet), bereits in ein Instrument der Geopolitik. Die Patriots bilden da keine Ausnahme.

Außerdem brauchen die USA und Polen die Patriots auch als einen Trumpf beim Ausspielen der "iranischen Karte".

Pentagon-Chef Robert Gates gab Mitte Februar der polnischen Zeitung "Rzeczpospolita" ein Interview, in dem er fast offen erklärte, die Frage sowohl des Raketenschilds als auch der Patriot-Raketen in Polen hänge direkt mit Russlands Iran-Politik zusammen. Wenn Russland den US-Standpunkt akzeptiere und Teheran unter Druck setze, eine härtere Position vertrete und dieses Land zum Verzicht auf die Fortsetzung des Nuklearprogramms zwinge, sei das Schild und folglich auch die in Polen stationierten Patriots unnötig.

Darauf wird Russland jedoch wohl kaum eingehen. Gerade erst haben die russischen Spezialisten die erste Baufolge des Atomkraftwerks im iranischen Bushehr beendet. Zudem ist Moskau bereit, weitere Verträge über die Atom-Kooperation mit Iran abzuschließen. Teheran "unter Druck zu setzen" hieße, die Verträge zu verlieren.

Im Übrigen braucht Polen die Patriot-Raketen ohne den Aufbau eines Systems mit ballistischen US-Abfangraketen überhaupt nicht. Das Land ist ohnehin durch die Raketenabwehrsysteme der Nato zuverlässig geschützt.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 27. Februar 2009; http://de.rian.ru



Zu weiteren Beiträgen zum Thema Raketenabwehr, Weltraumwaffen

Zur Polen-Seite

Zur Russland-Seite

Zur Sonderseite "US-Raketenabewehr"

Zurück zur Homepage