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Tauziehen geht weiter

Warschau und Washington konnten sich bislang nicht auf die Konditionen zur Stationierung des US-Raketenschildes einigen. Aber noch wird verhandelt

Von Tomasz Konicz, Poznan *

Bei dem diplomatischen Tauziehen um den Aufbau einer US-Raketenabwehr in Polen ist ein weiteres Ultimatum ergebnislos abgelaufen. Am Donnerstag (10. Juli) sollte die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice in Warschau zwischenlanden, um ein vorläufiges Abkommen über die Stationierung von zehn Abfangraketen in der Nähe des nordpolnischen Redzikowo zu unterzeichnen. Doch Rice machte um die polnische Hauptstadt einen weiten Bogen, da eine Einigung immer noch nicht erzielt werden konnte. Am Dienstag (8. Juli) hatten Rice und ihr tschechischer Amtskollege Karel Schwarzenberg in Prag einen Vertrag über die Stationierung einer Radarbasis im Tschechien unterschrieben. [Siehe: Zielscheibe Europa.)

Gefahr für Polen

Die USA und Polen betonen dennoch, auch weiterhin ernsthaft zu verhandeln. Am Mittwoch unterrichtete der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski den »Ältestenkonvent« des polnischen Parlaments über die Ergebnisse seiner US-Visite, die er unverzüglich nach der öffentlichen Ablehnung einer US-Offerte durch den polnischen Premier Donald Tusk am 4. Juli unternahm. U.a. habe Sikorski die Parlamentarier über technische und finanzielle Aspekte des Unterfangens aufgeklärt. Ohne in die Details der teilweise als geheim eingestuften Informationen Sikorskis einzugehen, sprach der sozialdemokratische Abgeordnete Wojciech Olejniczak von einer »großen Gefahr für Polen«, die mit der Stationierung der Raketenabwehr einherginge: »Der Raketenschild verringert die Sicherheit Polens, und eventuelle Patriot-Raketen nivellieren diese Bedrohung nicht.«

Olejniczak deutete hier auf die konkreten Forderungen Warschaus hin, die am Donnerstag von der amerikanischen Seite publik gemacht wurden. Die mit der Einschätzung der »Modernisierungsbedürfnisse« der polnischen Streitkräfte beauftrage RAND Corporation veröffentlichte einen Bericht, in dem die polnischen Bedingungen genannt werden. So fordert laut dem US-Thinktank die polnische Regierung »12 bis 15 Batterien« der modernsten Patriot 3-Luft-und Raketenabwehrsysteme im Gesamtwert von stolzen 22 Milliarden US-Dollar. Überdies besteht Polen auf verbindliche Sicherheitsgarantien der USA. Man habe »über die Sicherheit und nicht über Geld« geredet, betonte Polens Außenminister nach seiner US-Visite.

Derweil überschlägt sich vor allem die »deutsche« Presse Polens mit wilden Spekulationen: Das Springer-Blatt Dziennik berichtet, daß die Verhandlungen mit den USA »spätestens am 15. Juli« abgeschlossen sein müßten, da nach diesem Datum laut einem »ungeschriebenen Gesetz« keine scheidende US-Administration mehr »wichtige Entscheidungen« treffe. Die von der Passauer Neuen Presse herausgegebene Tageszeitung Polska berichtet am Freitag hingegen, daß die US-Streitkräfte bereits einen alternativen Standort für ihre Raketenbasis in der Nähe des litauischen Seebades Palanga gefunden hätten.

Politikwechsel Warschaus

In einem Statement für junge Welt führte Andrzej Sakson, der Direktor des »Westinstituts« beim polnischen Außenministerium, diese harten Verhandlungen auf einen Politikwechsel Warschaus zurück: »Polen gibt den Ländern der EU ein Signal, daß es eine deutliche Balance in seinem Engagement zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union sucht und seine frühere Haltung korrigiert, die sich in erster Linie auf die Beziehungen mit den USA konzentrierte.« Sollte die Raketenabwehr in Litauen gebaut werden, so wäre das aus polnischer Sicht eine sehr gute Neuigkeit, erklärte Sakson. »Doch ich glaube nicht, daß die Amerikaner sich für solch eine Lösung entscheiden. Das würde die Beziehungen zwischen den USA und Rußland noch weitaus stärker belasten.« Litauen befinde sich unmittelbar an der Grenze Rußlands, das polnische Redzikowo sei aber einige hundert Kilometer von dieser entfernt.

* Aus: junge Welt, 12. Juli 2008


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