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Polen lehnt US-Angebot zur Stationierung der Raketenabwehr ab

Von Tomasz Konicz, Poznan *

Im Verhandlungspoker um die Stationierung einer US-Raketenabwehr in Polen werden die Einsätze erhöht. Man sei »geschockt« und »sehr enttäuscht« über die Haltung der polnischen Regierung, erklärte ein namentlich nicht genannter hochgestellter Mitarbeiter der Bush-Administration gegenüber der polnischen Nachrichtenagentur PAP. Der polnische Regierungschef Donald Tusk hatte am Freitag (4. Juli) erklärt, die als »allerletztes Angebot« deklarierte US-Offerte zur Stationierung von zehn Abwehrraketen in Nordpolen sei »nicht ausreichend« und müsse abgelehnt werden. Quellen aus dem polnischen Außenministerium ließen gegenüber der PAP durchsickern, daß die Gespräche mit den USA zwar andauern, doch habe es die amerikanische Seite »sehr schlecht aufgenommen«, daß Tusk die US-Offerte ausgerechnet am amerikanischen Unabhängigkeitstag, dem 4. Juli, ablehnte.

In der öffentlichen Erklärung vom Freitag machte der polnische Premier Tusk klar, daß der Aufbau eines Raketenabwehrschildes in seinem Land vor allem der »Sicherheit der USA« diene, während er zugleich »die Risiken und Gefahren für Polen« erhöhe. Die letzten amerikanischen Vorschläge hätten keine zufriedenstellenden »politischen und militärischen Garantien« enthalten, die diese Risiken hätten aufwiegen können, erläuterte Tusk. Folglich sei die Stationierung der Abwehrraketen zu den von der Bush-Administration gestellten Bedingungen abgelehnt worden. Man schließe grundsätzlich aber eine Kooperation mit Washington auf diesem Gebiet nicht aus, beschwichtigte Polens Regierungschef, man sei »zu weiteren Gesprächen bereit«.

Informationen der polnischen Zeitung Rzeczpospolita zufolge zeigte sich Warschau vor allem mit dem Umfang der amerikanischen Militärhilfe unzufrieden, die im Zuge des Aufbaus der Raketenabwehr an Polens Streitkräfte hätte fließen sollen. Während Polens ein breit angelegtes Programm in Höhe von mehreren hundert Millionen US-Dollar vorschwebt, bot Washington nur magere Unterstützung im Wert einiger Dutzend Millionen US-Dollar an.

Inzwischen löste diese Eskalation des seit über einem Jahr andauernden Tauziehens um die Raketenabwehr eine hektische, diplomatische Betriebsamkeit aus. Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski brach am Sonntag zu einer Kurzvisite nach Washington auf, wo er mit seiner amerikanischen Amtskollegin Condoleezza Rice zusammentraf. Nach Ansicht der polnischen Springer-Zeitung Dziennik bemüht sich Sikorski, den Gesprächsfaden mit den »Amerikanern nach der scharfen freitäglichen Erklärung von Premier Tusk« wieder aufzunehmen und Washington zu einer Verbesserung seines Angebots zu überreden.

Die Zeit drängt. Man habe nur noch drei Tage für die Verhandlungen über den Raketenschutzschild, titelte die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza am Montag. Am Donnerstag wird Condoleezza Rice in Warschau erwartet, doch sie werde nur dann auch tatsächlich eintreffen, wenn die »Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen sind«, berichtete die Wyborcza. Der polnische Verhandlungsführer Witold Waszczykowski erklärte gegenüber dem regierungsnahen Blatt, daß die »Amerikaner die Ankunft der Frau Außenministerin von der Unterzeichnung eines Vertrags abhängig machen«. Auch in Prag wird der Druck auf die polnische Regierung erhöht. Am heutigen Dienstag will Rice in Prag »ein Abkommen über die Stationierung einer Radaranlage für das amerikanische Raketenabwehrsystem ABM auf tschechischem Boden unterzeichnen«, berichtete die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti.

* Aus: junge Welt, 8. Juli 2008


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