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Nicht entscheidungsreif: MEADS zur Ablehnung empfohlen

Eine kritische Analyse des bodengestützten Raketenabwehrsystems aus der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)

Vor wenigen Tagen kritisierte die "Grüne Jugend", eine gewöhnlich wenig aufmüpfige Parteigliederung von Bündnis90/Die Grünen, in einem Offenen Brief an die Partei- und Fraktionsspitze gegen die von der Bundesregierung geplante Beteiligung an einem lanmgfristigen Rüstungsprojekt "MEADS". MEADS steht für Medium Extended Air Defense System und bezeichnet ein Raketenabwehrsystem mittlerer Reichweite, das sopäter das Patriot-Abwehrsystem ersetzen soll. Das Besondere: Es handelt sich um ein trinationales Projekt, an dem neben Deutschland auch die USA und Italien beteiligt sind. Eine Absegnung des Rüstungsprojekts im Bundestag noch im Februar 2005 soll wohl auch als - teure - Geste des guten Willens an den Staatsbesuch von US-Präsident George W. Bush am 23. Februar in Mainz gedacht sein.

Im Folgenden dokumentieren wir
  • einen einführenden Artikel aus dem "Parlament", worin über die jüngste Entwicklung bei MEADS informiert wird, sowie
  • eine längere kritische Stellungnahme aus der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Bernd Kubbig, HSFK-Projektleiter, plädiert darin dafür, die Bundestagsabgeordneten sollten sich nicht zu einer Entscheidung drängen lassen.

MEADS vor der Entwicklungsphase - Raketenabwehrsystem mittlerer Reichweite

Von Martin Agüera

Das Bundesverteidigungsministerium hofft nach derzeitigen Erkenntnissen, die Vorlage für das trinationale Raketenabwehrsystem mittlerer Reichweite, MEADS, im Februar vom Haushaltsauschuss des Deutschen Bundestages gebilligt zu bekommen. Die Leitung des Ministeriums traf Mitte Januar die Entscheidung, die Vorlage nun in den kommenden Tagen zeitgerecht zunächst dem Finanzministerium und dann dem Haushaltsauschuss zukommen zu lassen. Üblicherweise braucht dieser haushaltsrechtliche Abstimmungsprozess vier bis sechs Wochen. Wie aus dem Verteidigungsministerium verlautete, wäre eine Beschlussfassung über die knapp eine Milliarde Euro umfassende Entwicklungsphase im Februar aus mehreren Gründen sinnvoll.

Zum einen wäre damit die Einhaltung der sechsmonatigen Frist gewahrt, die Deutschland im September von den USA und Italien zur parlamentarischen Befassung ermöglicht wurde. Damals beschlossen Washington und Rom zwar, direkt in die anstehende Entwicklungsphase einzusteigen. Deutschland wurde auf Grund des Haushaltsrechts einen späterer Beitritt zugesagt. Diese Frist endet im März. Zum anderen wäre eine Beschlussfassung gegen Mitte oder Ende Februar aus politischer Sicht äußerst günstig. Derzeit arbeitet die Bundesregierung an einem Besuchsprogramm für das Treffen zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und US-Präsident George W. Bush am 23. Februar in Mainz. Es ist der erste Besuch Bushs seit den politischen Zerwürfnissen ausgelöst durch den Irak-Krieg.

Auf beiden Seiten des Atlantiks wurde erklärt, eine politische Annäherung werde wieder angestrebt. Die Streitigkeiten, die für eine nie da gewesene Verstimmung in den deutsch-amerikanischen Beziehungen gesorgt hatten, sollen durch das Treffen endgültig beigelegt werden. Die Symboltracht des MEADS-Programms ist deshalb nicht zu unterschätzen. Als eines der wenigen großen gemeinsamen Rüstungsprogramme mit den USA käme die Billigung der knapp fünf Jahre langen Entwicklungsphase genau recht, um eine erneute Annäherung in den transatlantischen Beziehungen einzuläuten, sagen Branchenexperten. Die Regierung könnte MEADS Präsident Bush sozusagen als Geschenk auf dem "Gastteller" präsentieren, schrieb jüngst der Branchendienst "Griephan Briefe".

Wie aus dem Verteidigungsministerium und dem Bundestag zu vernehmen war, hatte eine jüngst veröffentlichte Studie der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) nicht die positive Grundhaltung der Parlamentarier zum Raketenabwehrsystem MEADS beeinflusst. Kurz vor Weihnachten hatte die HSFK ihre 79-seitige Analyse zum MEADS-Programm der Öffentlichkeit vorgestellt. Darin hatte der Autor, Bernd Kubbig, die Beschlusslage als unzureichend für eine derzeitigen Eintritt in die Entwicklungsphase des Programms bezeichnet. Die Bundestagsabgeordneten sollten sich laut Kubbig nicht zu einer Entscheidung drängen lassen und mehr Zeit für die Befassung mit dem Thema veranschlagen. Das Verteidigungsministerium bezeichnete diese Aussagen als ein "Nachtreten" Kubbigs.

Der Friedensforscher aus Frankfurt hatte im Laufe des vergangenen Jahres seine Position zu MEADS einer Berichterstattergruppe unter Vorsitz des Abgeordneten Hans-Peter Bartels (SPD) vorgetragen, die sich über ein Jahr mit der Thematik einer bodengebundenen Luftverteidigung auseinandergesetzt hatte. "Dort hat Kubbig seine Argumentation nicht durchbringen können und die Abgeordneten haben durch ihren Abschlussbericht ihre Auffassung der Lage abgegeben. Alles was jetzt folgt, ist der Versuch einer Beeinflussung der Abgeordneten", hieß es aus dem Ministerium.

Kubbig hatte den Abgeordneten vorgeworfen, eine vom Verteidigungsministerium gefertigte Vorlage nahezu identisch als parlamentarischen Abschlussbericht übernommen zu haben. Des weiteren stellte Kubbig die These auf, die Beschaffungskosten des Programms könnten deutlich höher ausfallen als bisher angenommen. Man dürfe "ruhig mit dem drei- oder vierfachen" der heute drei Milliarden Euro geschätzten Kosten rechnen, betonte Kubbig vor Journalisten. Eine Aussage, die Offizielle des Verteidigungsministeriums entzürnte. Derzeit seien solche Aussagen durch die noch nicht begonnene Entwicklung von MEADS nicht legitim. "Um zu wissen, was das Programm endgültig kostet, müssen wir es überhaupt erst entwickeln", so der Kommentar aus dem Verteidigungsministerium. Alle bisher vorliegenden Zahlen seien ordnungsgemäß den Abgeordneten der Berichterstattergruppe vorgelegt und erklärt worden.

Aus: Das Parlament, 24. Januar 2005


Bulletin No 50 - Winter 2004/05

Als Entscheidungsgrundlage für das Raketenabwehrprojekt MEADS ungeeignet

Eine Analyse der Dokumente von BMVg und Berichterstattergruppe - Zusammenfassung
Von Bernd W. Kubbig


Die Bundesregierung will sich am Raketenabwehrsystem MEADS (Medium Extended Air Defense System) beteiligen. Es soll Flugzeuge, Helikopter, Marschflugkörper, vor allem aber taktisch-ballistische Raketen mit einer Reichweite von bis zu 1.000 km abwehren. MEADS soll Soldaten bei ihren Auslandseinsätzen und das deutsche Territorium schützen; auch im Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist ihm offenbar eine Rolle zugedacht. Zusammen mit der zu verbessernden Patriot-Abwehrwaffe und dem Kauf von rund 300 Patriot-Flugkörpern des neuesten Typs PAC-3 möchte die Bundeswehr den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen begegnen. Geplant ist, dass Patriot und MEADS ab etwa 2012 in Deutschland die Kernelemente der bodengebundenen Erweiterten Luftverteidigung bilden.

Anfang 2005 wird sich der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages mit MEADS befassen. Zur Diskussion und Abstimmung steht die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der Entwicklung, Beschaffung und Aufstellung dieses von den USA, Deutschland und Italien Mitte der Neunzigerjahre begonnenen Rüstungsvorhabens. Die Regierungen Italiens und der USA haben Ende September 2004 das erforderliche Memorandum of Understanding (MoU) unterzeichnet und mit der Entwicklung begonnen. Washington hat Rom hierfür einen Vorschuss von $ 80 Mio. gewährt. Der Bundesregierung wurde für die Unterzeichnung des MoU eine Frist von sechs Monaten eingeräumt; dies ist auf die erforderliche Zustimmung des Deutschen Bundestages zurückzuführen.

Im Parlament ist dieses Abwehrsystem weitgehend eine Angelegenheit des nicht öffentlich tagenden Verteidigungsausschusses gewesen. Der hatte am 5. November 2003 beschlossen, die Berichterstattergruppe "Bodengebundene Luftverteidigung" einzurichten. Im Mittelpunkt der Erörterungen stand MEADS. Von Seiten des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg) nahmen vor allem ein ziviler Beamter sowie fünf Offiziere der Luftwaffe an den Sitzungen teil. Sie erstellten eine Arbeitsunterlage, die die sieben Parlamentarier in einen praktisch identischen Abschlussbericht umwandelten und einstimmig annahmen. Die "Gruppe" empfahl damit dem Verteidigungsausschuss am 19. Oktober, dass sich Deutschland am MEADS-System beteiligt, also die Waffen entwickelt und beschafft. Dieser Ausschuss hat seinerseits den Abschlussbericht in seiner Sitzung am 10. November 2004 einstimmig angenommen.

Beide Vorlagen veranschlagen zwar den deutschen Beitrag für die Entwicklung auf rund 1 Mrd. € (995 Mio. €). Es gibt jedoch keine öffentlich zugänglichen Angaben über die Anzahl und die Stückkosten der zu beschaffenden Systeme. Auch die Arbeitsunterlage und mithin der Abschlussbericht enthalten keine entsprechenden Zahlen. Je nach Bemessungsgrundlage und Umfang kann sich MEADS leicht zum Einzelvorhaben in zweifacher Milliardenhöhe auswachsen.

Die Arbeitsunterlage aus dem BMVg bzw. der Abschlussbericht der sieben Parlamentarier stellen das Plädoyer für dieses trinationale Rüstungsvorhaben dar. Mit den vorgebrachten Argumenten setzt sich die vorliegende Studie auseinander. Aus diesem Blickwinkel fragt sie auch nach der militärischen Notwendigkeit, der technischen Effizienz und der Finanzierbarkeit des Vorhabens. Eine dritte Analyseebene betrifft Demokratie-bezogene Aspekte, konkret: die mangelnde Kontrolle des Militärs und die nicht sichtbare Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative. Diese Ebene ergibt sich aus der Tatsache, dass die 17-seitige Arbeitsvorlage des BMVg mit der von den sieben Parlamentariern verabschiedeten 18-seitigen Fassung praktisch deckungsgleich ist. Die Vertreter der Legislative haben das Papier aus der Exekutive also weitgehend übernommen.

Die HSFK-Studie kommt aufgrund der herausgearbeiteten Ungenauigkeiten und Inkonsistenzen, der nicht eingelösten Ansprüche und der mangelnden Transparenz zu dem Schluss: Die Arbeitsunterlage/der Abschlussbericht sind als Entscheidungsgrundlage für die anstehenden Erörterungen und Abstimmungen im Deutschen Bundestag ungeeignet. Insgesamt sieht dieser HSFK-Report bei beiden Vorlagen einen beträchtlichen Präzisierungs-, Informations- und Klärungsbedarf.

Die neun wichtigsten Kritikpunkte:

Unangemessenes Instrumentarium für die Gefahrenanalyse (2.1). In ihrer militärischen Lagebeurteilung verwenden beide Papiere die zentralen Begriffe "Risiko" und "(potenzielle) Bedrohung" als Synonyme. Für die adäquate Gefahrenanalyse sind die Folgen einer terminologischen Unterscheidung zwischen Bedrohung und Risiko beträchtlich. Denn diese Differenzierung reduziert die Anzahl der problematischen Staaten, die Deutschland mit Raketen bedrohen können, deutlich.

Inkonsistente Begründung für die militärische Notwendigkeit des Rüstungsvorhabens (2.2). MEADS ist gegen die Abwehr von Raketen bis zu einer Reichweite von 1.000 km ausgelegt. Beide Vorlagen machen jedoch das zukünftige Gefahrenpotenzial vor allem bei den ballistischen Flugkörpern mit einer Reichweite von über 1.000 km aus, für deren Bekämpfung MEADS nicht ausgelegt ist.

Unklar und größtenteils nicht überzeugend formulierte militärische Ziele für MEADS (2.3). Beide Vorlagen heben zwar unmissverständlich die Bedeutung hervor, die dieses Rüstungsprojekt für den Schutz von Soldaten im Auslandseinsatz gegen ballistische Flugkörper mit einer Reichweite von bis zu 1.000 km haben soll. Ein anderes maßgebliches Positionspapier des Verteidigungsministeriums spricht allerdings lediglich vom Grundschutz für Truppen bei Auslandsaktivitäten. Gegen das Gefahrenspektrum von Kleinwaffen bis hin zur Artillerie gewähren Systeme wie MEADS keinen Schutz. Damit sind sie keine Antwort auf die Hauptgefahren, denen die Soldaten bei ihren Einsätzen schon jetzt und möglicherweise auch in Zukunft ausgesetzt sind. Beide Papiere erwecken gleichzeitig den Eindruck, als tauge das System auch gegen terroristische Anschläge, die in der Regel ohne Vorwarnzeit durchgeführt werden. Die in beiden Vorlagen vertretene Auffassung, MEADS könne das deutsche Territorium schützen, ist irreführend. Mit einer Hauptschwäche in der Begründung von MEADS setzen sich die Vorlagen nicht auseinander: dass Deutschland im Umkreis von 1.000 km, in dem das System technisch wirksam sein könnte, inzwischen nur von Freunden umgeben ist.

Tendenziöse Darstellung der technischen Leistungsfähigkeit von MEADS bei Ausblendung der Erfahrungen mit den Patriot-Abwehrraketen im letzten Irakkrieg (2.4). Die Stabsoffiziere der Luftwaffe präsentieren die technischen Leistungen von Abwehsystemen in der Endanflugphase feindlicher Raketen im Sinne eines "Textbooks" - sie listen Probleme auf und liefern die Lösungen gleich mit. Demgegenüber präsentieren die "echten Techniker" der Rüstungsbranche die gleichen Sachverhalte als extreme Herausforderungen für die taktischen Abwehrsysteme. Eine "umfassende" Lageanalyse hätte zudem eine Einschätzung der bisherigen Leistungsfähigkeit der Patriot-Systeme, vor allem im letzten Krieg gegen den Irak, enthalten müssen. Hier geht es neben den Problemen von militärischer Taktik und Strategie um brisante beschaffungspolitische Fragen. Insbesondere die US Army ist wegen der unbefriedigenden Resultate ihrer PAC-3, dessen Lenkflugkörper ja auch die Bundeswehr in einer Größenordnung von 300 Stück kaufen möchte, äußerst nervös; denn für sie bzw. für die US-Rüstungsindustrie ist dieses weiter entwickelte System ein potenziell lukratives Exportgut, das weltweit verkauft werden soll.

Es bleibt schwer nachvollziehbar, warum die Bundeswehr die PAC-3 beschaffen will - und das in so großer Anzahl. Dies umso mehr, als die beiden Vorlagen vom Herbst 2004 sich in mehrere Widersprüche verwickeln. Ein bis 2010 "technisch weitgehend ausgereizt(es)" System bildet das "Rückgrat" der bodengebundenen Luftverteidigung, auch nach 2020, wo doch zuvor nur von "zunächst" die Rede war - die Ausführungen von BMVg und Berichterstattergruppe weisen auch in einem so zentralen Punkt beträchtliche Inkonsistenzen auf. Sie belegen damit, dass die Konzeption der Erweiterten Luftverteidigung, wie sie in beiden Vorlagen präsentiert wird, nicht als ausgereift bezeichnet werden kann und als Grundlage für einen operativen Schutz von Soldaten und Territorium äußerst zweifelhaft ist. Insbesondere den Luftwaffenoffizieren gelingt es in ihrem interessegeleiteten Papier nicht, Erhalt, Anpassung und Ausbau der bodengebundenen Luftverteidigung befriedigend zu legitimieren. Wenn das Patriot-System bereits bis 2010 "technisch weitgehend ausgereizt" ist: Wie erklärt sich dann, dass die japanische Regierung derzeit dabei ist, bei den traditionellen Beschaffungen erheblich einzusparen, um $ 5,6 Mrd. für die Einführung des PAC-3-Lenkkörpers ("upgraded") in das Patriot-System aufwenden zu können? Das Argument, der Obsoleszenzzyklus des Patriot-Systems sei 2010 abgeschlossen, bricht dann in sich zusammen, wenn man die offizielle "Rechtfertigung" ("justification") der US-Armee für das Patriot/MEADS-System berücksichtigt. In den "Procurement Programs" der US Army wird der PAC-3-Lenkkörper als "baseline missile" für MEADS bezeichnet; die angestrebte "Missile Segment Enhancement"-Rakete soll indes für "größere Reichweiten ausgelegt" sein.

Fragwürdiger Modellcharakter von MEADS als transatlantisches Kooperationsprojekt und für die deutsche Rüstungswirtschaft (2.5). Die Bewertung des Rüstungsvorhabens als europäisch-amerikanisches Erfolgsmodell hängt davon ab, welche Maßstäbe man anlegt. Zwischen den USA und den europäischen Vertragspartnern hat es in letzter Zeit durchaus gewisse Kompromisse in den entsprechenden Verhandlungen gegeben.

Wenn man dieses Vorhaben an den ursprünglichen oder zwischenzeitlich von europäischer Seite erhobenen Forderungen misst, dann fällt die Bewertung jedoch eher negativ aus. Denn es kann kaum noch davon die Rede sein, dass es sich hier um die gemeinsame Entwicklung eines Gesamtprojekts handelt. Die Vereinigten Staaten haben trotz des europäischen Widerstands darauf bestanden, dass ihr PAC-3-Flugkörper für MEADS verwendet wird. Nicht einmal die danach von Berlin und Rom deutlich abgeschwächte Forderung nach einem Einblick in die PAC-3-Daten hat Washington erfüllt. Zu fragen wäre auch, ob das ausgehandelte Memorandum of Understanding für andere Staaten wie etwa Japan attraktiv ist. Tokio und Washington stehen unmittelbar vor der Unterzeichnung eines Abkommens, das die Lizenzherstellung von PAC-3 durch Mitsubishi Heavy Industries über ein Auftragsvolumen von über $ 1 Mrd. vorsieht; die Produktion soll im nächsten Jahr beginnen. Gegenwärtig laufen bilaterale Gespräche, die an die ursprünglichen Erwartungen Deutschlands und Italiens im Rahmen des MEADS-Projekts erinnern: Gemeinsam die nächste Generation von SM-3 Standard-Raketen zu entwickeln. Die Beteiligung Japans an der US-Produktion - wäre das aus kooperationspolitischer Sicht nicht ein attraktives Modell für MEADS?

Die positiven Auswirkungen auf die deutsche Rüstungsindustrie bedürfen während der Entwicklungszeit der Quantifizierung. Dies gilt umso mehr für die finanziellen Aufwendungen in der Beschaffungsphase sowie für die gesamtwirtschaftlichen Belastungen.

Nicht eingelöster Anspruch eines multilateralen Rüstungsvorhabens im NATO-Rahmen (2.6). MEADS ist innerhalb eines Jahrzehnts bis heute nicht über den Status eines Dreistaatenprojekts hinausgewachsen. Auf der entscheidenden Programmebene ist nicht erkennbar, dass andere Mitglieder der Allianz sich diesem Projekt anschließen wollen. Ein deutlicherer Beleg dafür, dass dieses Vorhaben weder in militärischer noch in wirtschafts- und technologiepolitischer Hinsicht attraktiv ist, lässt sich nicht anführen. Für die parlamentarischen Erörterungen dürfte ein derart negativer Befund nicht unerheblich sein.

MEADS als rüstungskontrollpolitisch problematisches Element der Gesamtarchitektur von Raketenabwehr und des Proliferationsproblems (2.7). Wie unterschiedlich die Zielvorstellungen und Perspektiven der europäischen bzw. des amerikanischen Vertragspartners sind, zeigt sich nicht nur in wirtschafts- und technologiepolitischer, sondern auch in konzeptioneller Hinsicht. Für Deutschland ist MEADS ein System für sich. Für die Vereinigten Staaten ist es hingegen eine Komponente in der Gesamtkonfiguration von "Missile Defense"; diese schließt die technologisch wesentlich aufwändigeren und rüstungskontrollpolitisch problematischeren Pläne für einen regionalen und globalen Schutzschirm ein. Dies hat mit dem neuesten US-Verteidigungshaushalt Gesetzeskraft. Die Notwendigkeit von militärischen Anschlussprogrammen an MEADS gegen Raketen größerer Reichweite drängt sich geradezu auf. Diese Aufrüstungsperspektive ist auch in beiden Vorlagen enthalten. MEADS ist zudem im Verbund mit der Aufrüstung bei den Offensivwaffen zu sehen. Es hat in der Vergangenheit keinen Rüstungskontrollvertrag verletzt und wird dies auch in Zukunft nicht tun (selbst wenn der Anti-Ballistic Missile Treaty noch in Kraft wäre, hätte sich eine solche Möglichkeit nicht abgezeichnet). Da es aber auf der technologischen Ebene eine große Überlappung zwischen Raketen und Abwehrraketen gibt, dürfte die zunehmende Verbreitung von Systemen ŕ la MEADS zu einem Teil des Problems werden, das es in anderen Teilen der Welt bekämpfen möchte.

Nicht erforderliches und wohl kaum wirksames Signal der politischen Entspannung an Washington via MEADS (2.8). Dieses politische Argument beruht auf der Behauptung, MEADS sei das "einzige transatlantische Rüstungsgroßprojekt". Diese Behauptung hat keine empirische Basis. Ferner gibt es die "Empfänger" für diese Entspannungssignale in Washington nicht. Denn das primäre US-Interesse an diesem Projekt ist wirtschaftspolitischer, nicht kooperations- oder allianzpolitischer Art (das war in der Ära Clinton zumindest teilweise anders). MEADS ist im gesamten Raketenabwehretat allein von der finanziellen Größenordnung ein Programm "unter ferner liefen". Im ausgeprägt protektionistischen Kongress befürwortet eine starke Fraktion MEADS, aber nicht primär aus Gründen der Zusammenarbeit, sondern aus verkaufspolitischen Interessen.

Selbst wenn es die erhofften "Empfänger" in Washington gäbe: Würde dieses Projekt nicht angesichts der außerordentlichen Kompromisse von deutscher Seite eher Anbiederung denn Annäherung signalisieren? Es ist weder erkennbar noch zu erwarten, dass ein für die Vereinigten Staaten so wenig wichtiges Projekt zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen beiträgt. Die Einstellung des Vorhabens dürfte deshalb in den USA keine Krise heraufbeschwören, sondern allenfalls zu einem transatlantischen "Sturm im Wasserglas" führen.

Unvollständige Angaben zu den Entwicklungs- und Beschaffungskosten bei gleichzeitigem Offenlassen der Frage, ob der behauptete Militärbedarf für den Schutz von Soldaten und von Territorium im geplanten Leistungs-, Zeit- und Kostenrahmen realisierbar ist (2.9). Auf diese Fragen wird sich die Diskussion in den nächsten Wochen und Monaten konzentrieren. Daher gewinnen die anstehenden Erörterungen von MEADS im Haushaltsausschuss, vor allem aber im gesamten Bundestag, eine besondere Bedeutung. Die gravierenden Einwände des Bundesrechnungshofes dürften im Mittelpunkt stehen. Die Bundesregierung wird den Parlamentariern die entsprechenden Zahlen vorlegen müssen, die in beiden Vorlagen nicht enthalten sind. Auch für die Öffentlichkeit ist ein genaues Bild von den Größenordnungen unabdingbar.

Mangelnde parlamentarische Kontrolle des Militärs und nicht erkennbare Gewaltenteilung. Problematisch für den anstehenden Beratungs- und Entscheidungsprozess ist, dass die Arbeitsvorlage des BMVg und der von den sieben Abgeordneten verabschiedete Abschlussbericht praktisch identisch sind. Deshalb drängt sich die prinzipielle Frage auf: Inwieweit sind Parlamentarier strukturell in der Lage, dem Gebot der zivilen Kontrolle des Militärs nachzukommen, indem sie aufgrund eigener analytischer Ressourcen die Vorlagen der Exekutive evaluieren - dies im Sinne von "checks and balances", die genuiner Bestandteil einer stabilen parlamentarischen Demokratie sind? In der Presse ist bereits der Verdacht aufgekommen, die sieben Parlamentarier hätten die Arbeitsunterlage aus dem Verteidigungsministerium ohne erkennbaren eigenen inhaltlichen Input lediglich pauschal akzeptiert.

Diese Position dürfte unterschätzen, dass sich diese Abgeordneten im Verteidigungsausschuss vielleicht seit Jahren mit dem Thema MEADS befasst haben. Möglicherweise drückt die Vorlage aus dem BMVg nur das aus, was die Parlamentarier im Endeffekt nach der angestrebten "Informationsgewinnung" selbst dachten. Aber selbst wenn man annähme, die Abgeordneten hätten das Bundesverteidigungsministerium als eine Art Sekretariat benutzt, weil sie nicht über die entsprechenden Kapazitäten verfügen, tut sich ein weiteres fundamentales Demokratie-bezogenes Problem auf: das der nicht beachteten Gewaltenteilung - der Abschlussbericht der Parlamentarier, der für sich genommen nach außen den Eindruck erweckt, als sei er im Wesentlichen ihr Produkt, stellt sich aufgrund der Vergleichsmöglichkeit mit der BMVg-Arbeitsunterlage in Wirklichkeit im Wesentlichen als Produkt des BMVg heraus. Kurzum, der jeweilige Input von Exekutive und Legislative hätte in diesem Fall klar erkennbar sein müssen. In der Öffentlichkeit sollte sich nicht der Verdacht erhärten, dieses Milliardenprojekt würde auf einer analytisch unzureichenden BMVg-Vorlage in den kommenden Monaten ohne eine angemessene parlamentarische Behandlung und Debatte verabschiedet.

Vor diesem Hintergrund gibt diese Studie abschließend drei Empfehlungen.

Erste Empfehlung: Der Haushaltsausschuss möge keinen zustimmenden Beschluss zu MEADS fassen, bevor nicht die kritischen Anmerkungen des Bundesrechnungshofes vollständig ausgeräumt sind. Seine Bedenken und Vorschläge laufen darauf hinaus, vor Eintritt in die Entwicklungsphase zu klären, ob die angestrebten Systeme finanzierbar sind - dies um so mehr, als die Bonner Kontrollbehörde die haushaltspolitischen Aspekte mit denen der Leistungsfähigkeit und der militärischen Notwendigkeit von MEADS verknüpft.

Zweite Empfehlung: Haushaltsausschuss und Parlament sollten die Begründungen des BMVg einer Überprüfung unterziehen, kurzfristig einen angemessenen Diskussionsprozess organisieren und mittel- wie langfristig ihre analytischen Ressourcen zur eigenständigen Evaluation von Regierungsvorlagen ausbauen. Bei hoch komplexen Projekten wie MEADS sollte der Bundestag zukünftig eine angemessene, unabhängige Beratung für das Parlament in die Wege leiten. Entscheidungen für ein militärisches Großprojekt bedürfen der breiten Legitimation. Die ist im Fall MEADS nicht gegeben. Denn die Erörterungen und Beratungen haben fast vollständig hinter verschlossenen Türen stattgefunden. Es bleibt dem Parlament vorbehalten, ob es die Voraussetzungen dafür schafft, auf einer soliden Entscheidungsgrundlage zu diskutieren und zu beschließen. Es empfiehlt sich, die Öffentlichkeit einzubeziehen, z.B. durch eine internationale Anhörung von Experten. Mittel- und langfristig drängt sich angesichts der fast identischen Vorlagen die Empfehlung auf: Das Parlament möge, um seiner Kontrollfunktion gerecht zu werden, die Ressourcen für die Einstellung von Fachkräften aufstocken.

Dritte Empfehlung: Haushaltsausschuss und Parlament sollten in ihren Beratungen der Überprüfung der MEADS-bezogenen Aspekte sowie den umfassenden außenpolitischen Fragen den Vorrang einräumen und sich nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Den Termin im März 2005 sollten die Parlamentarier als Richtschnur, aber nicht als kategorisches "Muss" ansehen. Die Beantwortung einer Reihe von Fragen verlangt mehr Zeit.

Quelle: Website der HSFK: www.hsfk.de

Das Bulletin No 50 in der Langfassung ist als pdf-Datei ebenfalls auf der Homepage der HSFK herunterzuladen:
Bernd W. Kubbig: Als Entscheidungsgrundlage für das Raketenabwehrprojekt MEADS ungeeignet.
Eine Analyse der Dokumente von BMVg und Berichterstattergruppe (pdf-Datei, 1,2 mb)


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