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Herbeigesehnter Krieg

Karlheinz Schonauer widerlegt Christopher Clarks »Schlafwandler«-These über den Ersten Weltkrieg

Von Annette Hauschild *

Der Politikwissenschaftler Karlheinz Schonauer erzählt in seinem Buch »1914. Protokoll eines gewollten Krieges« in erfrischender und lockerer Sprache vom Lügen- und Ränkespiel der deutschen und österreichischen Spitzendiplomaten zur Vorbereitung des Krieges 1914 – 1918.

In Anlehnung an die Schule von Fritz Fischer vertritt der ehemalige Referent des SPD-Parteivorstands die These, das Deutsche Reich und die k. k.-Monarchie Österreich-Ungarn hätten den Krieg bewußt gesucht und vorangetrieben. Sein Buch erschien 2012, also vor der deutschen Übersetzung von Christopher Clarks Buch »Die Schlafwandler« und nahm die Gegenposition damit quasi vorweg.

Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers in Sarajevo im August 1914 sei lediglich zum Anlaß genommen worden, um einen lange herbeigesehnten Krieg führen zu können. Allerdings habe Deutschland mit seiner Mobilmachung so lange gewartet, bis Rußland eine Generalmobilmachung angeordnet habe, um seine Kriegsanstrengungen als Vaterlandsverteidigung darstellen zu können.

Kriegsziele Deutschlands waren die Vorherrschaft in Europa und ein »Platz an der Sonne« in der Welt, die Gewinnung von Kolonien und die Niederhaltung Frankreichs. Das Kriegsziel Österreich-Ungarns war die Festigung seiner Herrschaft auf dem Balkan.

Der Zweite Weltkrieg sei danach bereits der zweite Versuch Deutschlands gewesen, sich die Vormacht in Europa zu sichern. Die Nazidiktatur stehe in einer politischen und ideologischen Kontinuität mit deutschnationalen Bestrebungen vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Es seien »zwei Generationen einer Idee, lediglich unterbrochen durch ein Aufflackern republikanischer Energie, die aus der Kriegsmüdigkeit der Deutschen im Winter 1918/19 gespeist worden war«. Das NS-Regime sei mithin kein »Ausrutscher« oder »Betriebsunfall der Geschichte«, wie die deutsche Geschichtswissenschaft lange behauptet habe.

Besonderes Augenmerk legt der Autor auf die Rolle der deutschen Sozialdemokratie, auf den Druck, unter dem diese Partei durch die neuerliche Verbotsgefahr stand und auf die innerparteiliche Zerrissenheit, die in der Debatte vor der Zustimmung zu den Kriegskrediten sichtbar wurde.

Schonauer wählt eine bisher in der Historiografie ungewöhnliche Darstellungsform: das Ereignisprotokoll. Seine Schilderungen erinnern an einen Episodenfilm. In einem »Vorspiel« genannten Teil zeichnet er die deutschen Weltmachtgelüste seit Bismarcks Zwangspensionierung nach. Im Hauptteil, »Protokoll eines gewollten Krieges«, zeichnet er die Verwicklung und internationale Verstrickung der Handlungsstränge von Januar 1914 bis zum ersten Kriegswinter 1914 nach. Chronologisch beschreibt er den Ablauf der Ereignisse: Diplomatentreffen, Konsultationen, Depeschen und Absprachen zwischen dem deutschen Reichskanzler Bethmann-Hollweg, der Spitze des Auswärtigen Amtes, ihren österreichischen Counterparts und den ausländischen Botschaften und Regierungen der Entente-Mächte.

Mit Hilfe eines umfangreichen Dokumentenmaterials aus Depeschen, Briefen, Tagebucheinträgen von Militärs, Politikern und anderen Personen des öffentlichen Lebens, von Zeitungsartikeln und schriftlichen Berichten von Zeitzeugen, entsteht ein komplexes Bild dessen, was zwischen der Julikrise und dem deutschen Überfall auf das neutrale Belgien und den Kriegsverbrechen an der belgischen Bevölkerung geschah.

Das Buch ist trotz des Umfangs von 500 Seiten gut zu lesen. Besonders bewegend ist der letzte Teil, in dem das brutale und menschenverachtende Vorgehen der Reichswehr gegen die belgische Bevölkerung beschrieben wird. Leider fehlt dem akribisch recherchierten Werk ein dokumentarischer Anhang.

Karlheinz Schonauer: 1914 - Protokoll eines gewollten Krieges. Books on Demand, Deutschland 2012, 614 Seiten, 39 Euro

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. Juni 2014


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