Bilder und Zerrbilder
Geschichte. Das Attentat am 28. Juni 1914 von Sarajevo und das ihm geltende wechselnde Gedenken
Von Kurt Pätzold *
Kein zweites Ereignis aus der Geschichte des Ersten Weltkrieges kann sich mit dem Bekanntheitsgrad des Attentats messen, das serbische Nationalisten am 28. Juni 1914 gegen Franz Ferdinand von Österreich-Este, den Neffen des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. richteten. Der Nachfolger auf den Thron stattete mit seiner tschechischen, aus altböhmischem Adel stammenden Gattin, Sophie Gräfin Chotek von Chotkawa und Wognin, die 1909 zur Herzogin von Hohenberg erhoben worden war, der bosnischen Hauptstadt Sarajevo einen Staatsbesuch ab. Nur diesem ähnliche Ereignisse wie der mißglückte Anschlag auf Hitler am 20. Juli 1944 in der Wolfsschanze, seinem Hauptquartier, und der geglückte auf den US-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy am 22. November 1963 in den Straßen von Dallas/Texas haben in Wort und Schrift, auf Leinwänden und Fernsehschirmen so viel Aufmerksamkeit und so weite Verbreitung gefunden. Das mag zu einem erheblichen Teil daran liegen, daß sich Zeitgenossen wie Nachgeborenen vis-à-vis solchen Geschehens die Frage aufdrängt: Was wäre, wenn sich die Dinge anders zugetragen oder weiterentwickelt haben würden?
Pulverfaß und Lunte?
Mit dem Terrorakt von Sarajevo verbindet sich der Krieg, den die k.u.k. Monarchie einen Monat später gegen Serbien im Wissen begann, daß es bei dieser Konfrontation nicht bleiben werde. Sie führte zu einem beispiellosen Weltkrieg. Das Attentat gilt in vielen Darstellungen und Deutungen als dessen Auslöser, wenn auch nicht als dessen Verursacher. Mit ihm sei von Gavrilo Princip, dem jugendlichen Serben, der die tödlichen Schüsse abfeuerte – so lautet das wohl populärste Bild vom Geschehen –, die Lunte an das Pulverfaß Balkan gelegt worden. Es läßt den Krieg als Wirkung oder Folge des Anschlags erscheinen und ihn mithin als eine die Weltgeschichte prägende Tat. Damit ist ein gedanklicher Holzweg gelegt und von der Tatsache abgelenkt, daß zwischen ihm und dem Beginn des Völkermordens Entscheidungen mächtiger, einflußreicher Individuen und Personengruppen an der Spitze von Großmächten lagen. Diese bewegten sich in keineswegs alternativlosen Situationen. Um zu dem irreführenden Bild noch einmal zurückzukehren: Diese Menschen konnten die Lunte löschen und das Pulverfaß entsorgen.
Princip und seine Mitverschwörer hatten ohnehin nicht beabsichtigt, einen weltweiten Krieg auszulösen. Sie hofften – ähnlich anderen individuellen Terroristen vor und nach ihnen – mit ihrer Tat ein Signal zum Massenkampf für einen Staat Großserbien zu geben. Es sollte ein Aufruf zur Erhebung der Südslawen ergehen, die zu erheblichen Teilen unter der Knute – jedenfalls rechtlos und damit anders als Österreicher und Ungarn – in der k.u.k. Monarchie lebten. Damit aus diesem Angriff auf die königlichen Hoheiten in Sarajevos Straßen eine Entwicklung zu einem großen Krieg werden konnte, mußte es Interessenten geben, die in dem Ereignis eine Chance erblickten, ihre Pläne zu rechtfertigen, mit denen sie bisher nicht zum Zuge gekommen waren. Mit dem Attentat hofften sie, sich Zustimmung und Unterstützung für diese zu verschaffen. Das Projekt, dem es in Wien an Zustimmung nicht fehlte, hieß: gewalttätige, also kriegerische Züchtigung des ungeliebten serbischen Nachbarn. Wobei die einen seine Liquidierung, andere seine Unterwerfung als Zielbild vor sich haben mochten. Das »Exempel« sollte zugleich Entmutigung und Schwächung der unruhigen slawischen und weiteren Minderheiten im Kaiserreich bewirken. Von diesem Vorgehen versprachen sich Zivilisten und Militärs an der Spitze der Monarchie wenn schon keine Verjüngung so doch eine Stabilisierung des altersschwachen Vielvölkerstaates.
Gesucht: Auftraggeber und Helfer
Diesem Vorhaben konnte nur dienlich sein, wenn unwiderlegbar nachgewiesen wurde, daß die gefaßten Attentäter nicht aus eigenem Entschluß, sondern von den im Königreich Serbien Herrschenden gelenkt, in Aktion getreten waren. Die Mordanstifter auf dem Belgrader Thron mußten also bestraft und entmachtet werden. Damit war den Ermittlungsbeamten der k.u.k. Monarchie, die mit der Aufklärung des Hergangs beauftragt wurden und die Hintermänner der Tat jenseits der Grenzen namhaft zu machen hatten, von kriegsinteressierter Seite der Weg gewiesen. Daß die Täter von Nationalisten in Serbien selbst unterstützt worden waren, lag nahe, existierten dort doch geheime, aber bekannte Organisationen, die sich für Großserbien einsetzten und auf deren Konto Anschläge auf österreichischem Territorium schon bisher standen. Zudem ließ sich darauf verweisen, daß die von den Akteuren benutzten Revolver und Bomben serbischer Herkunft waren. Dies und auch die Versorgung der Täter mit Giftkapseln, die sich dann freilich als für den gedachten selbstmörderischen Zweck untauglich erwiesen, deutete zumindest auf beziehungsreiche Helfer jenseits der Staatsgrenze hin, die hinter dieser Gruppe nahezu durchweg junger Männer und Burschen standen. Daß die Spur aber in das Königshaus und zur Regierung Serbiens führte, war damit nicht bewiesen. Doch konnten beide, 1903 durch einen Militärputsch und die Ermordung des Königspaars an die Macht gelangt, durchaus der Anwendung solcher Methoden verdächtig gemacht werden. Auch spätere Forschungen über die Personen, welche die Tätergruppe unterstützten, haben keine vollständige Klarheit gebracht.
Die verfolgte Fährte führte jedoch zum serbischen Militärgeheimdienst. An dessen Spitze stand mit Dragutin T. Dimitrijevic, genannt Apis, eine führende Figur der 1911 gegründeten Organisation »Vereinigung oder Tod«, bekannter unter dem Namen »Schwarze Hand«. Weiter als bis zur Beschuldigung, er und weitere Offiziere dieses Dienstes hätten das Attentat geplant, kam es nicht. Zumal Dimitrijevic bald darauf unter der Anklage, den serbischen Prinzregenten ans Leben zu wollen, gefangen gesetzt, zum Tode verurteilt und 1917 in Thessaloniki hingerichtet wurde.
Daß es Jahrzehnte später, 1953, in der jugoslawischen Volksrepublik zu einem Prozeß vor dem Obersten Gerichtshof Serbiens kam, der ihn und seine Mitangeklagten von der erhobenen Beschuldigung freisprach, gehört eher zu den Grotesken der Geschichte. Dimitrijevic’ denkbare Rolle bei den Morden von Sarajevo bildete da keinen Gegenstand der Untersuchung. Doch zeigte das Gerichtsverfahren, daß sich Jugoslawien auf dem Wege zu einer Neubewertung der serbischen Politik und der großserbischen Aktivisten am Vorabend des Ersten Weltkrieges befand.
Zurück dahin: Noch bevor handfeste Ergebnisse vorlagen, wurde von der österreichischen Presse den Machthabenden in Belgrad die Urheberschaft zugeschrieben und eine Kampagne begonnen, die in der k.u.k. Monarchie Stimmung für einen Krieg wider die Serben erzeugte. Den begann Wien am 28. Juli 1914. Seine Truppen drangen auf serbisches Territorium vor, gerieten dort aber alsbald auf die Verliererstraße. Dann fand vom 12. bis zum 23. Oktober 1914 der Prozeß gegen die Gruppe der Attentäter und weitere Angehörige der Verschwörerorganisation statt, aus der nur einer hatte entkommen können. Insgesamt 25 junge Männer klagte ein Gericht in Sarajevo an. Princip, der Hauptbeschuldigte, der sich wie die anderen zu seiner Haltung und Tat bekannte, wurde, da er zum Zeitpunkt des Terroraktes noch nicht 18 Jahre alt war, nicht zum Tode verurteilt. Fünf seiner Genossen wurden im Februar 1915 gehängt. Er erhielt eine 20jährige Festungshaft zugesprochen. Auch andere seiner Mitangeklagten wurden zu Gefängnisstrafen ebenfalls von 20, andere von 16, 13 oder zehn Jahren verurteilt. Princip kam in die sogenannte Kleine Festung des böhmischen Theresienstadt (heute Terezin) und dort in eine Steinzelle, in der er weder lesen noch schreiben konnte. Seine Haftbedingungen wie die seiner Leidensgenossen kamen einem Todesurteil gleich. Er starb, an Tuberkulose erkrankt, am 28. April 1918. Sein Leichnam wurde an einer unbezeichneten Stelle vergraben, um niemandem einen Gedenk- oder Wallfahrtsort zu bieten. Ganz ließ sich der Platz dennoch nicht geheimhalten.
Freiheitsheld oder Terrorist?
Auch ein Jahrhundert nach dem Attentat in Sarajevo bildet es noch immer eine Herausforderung für Parteinahmen. Dies ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, daß derlei Akte individuellen Terrors – anders als das Vierteilen und Rädern – nicht der Vergangenheit angehören. Der in unseren kulturellen Breitengraden in diesem Zusammenhang häufig hergestellte Bezug führt zurück zu Friedrich Schillers »Wilhelm Tell« (1804) und dessen Anschlag gegen Hermann Gessler, den Reichsvogt in der Schweiz und in Uri. Ihn tötete er mit einem von seiner Armbrust geschossenen Pfeil. Der Begriff, auf den die Tat gebracht wurde, lautete »Tyrannenmord«. Seine Rechtfertigung liest sich bei dem Dichter in den Worten des Stauffachers so:
Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht,
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last – greift er
Hinauf getrosten Mutes in den Himmel,
Und holt herunter seine ew’gen Rechte,
Die droben hangen unveräußerlich
Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst –
Der alte Urstand der Natur kehrt wieder,
Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht –
Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr
Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben –
Der Güter höchstes dürfen wir verteid’gen
Gegen Gewalt –
Nun sind die Bilder und Rollen des Gessler bei Schiller und das des Erzherzogs Franz Ferdinand nicht deckungsgleich und zur Biographie des Anwärters auf den Wiener Thron, so unsympathisch er auftreten mochte, gehörten jedenfalls keine Willkürakte und Verbrechen. Von ihm wurden im Staatsinneren, wenn er eines Tages an die Stelle des damals 83jährigen Onkels treten würde, Änderungen erwartet, die den nationalen und ethnischen Minderheiten und namentlich denen Südslawiens Rechte einräumen würden, mit denen sich das Staatsgefüge stabilisieren ließ. Nun waren freilich in vielen Fällen schon bis dahin die Vorsätze vor einer Thronbesteigung mit den auf sie folgenden Taten nicht identisch, und auch in Schönbrunn war ein Habsburger nicht Alleinherrscher. Aber, und das prägt viele Urteile über die Tötung Franz Ferdinands, er war der zweithöchste Repräsentant einer machtbewußten Adelskaste und aus der Sicht der Unterdrückten für alles mitverantwortlich, was ihnen an Ungemach zugefügt wurde.
So läßt sich die Tat Gavrilo Princips samt des sich daran anschließenden Leidenswegs als ein, wenn auch gescheiterter, Beitrag zur nationalen Befreiung der Serben und über sie hinaus anderer südslawischer Völker einordnen. Das taten beispielsweise während der Zeit der deutsch-faschistischen Besatzung 1941 bis 1945 und dann zu Regierungszeiten Josip Broz Titos (1953–1980), eines Kroaten an der Staatsspitze Jugoslawiens, viele Landeseinwohner. Davon zeugten auch Blumen, die in Princips Theresienstädter Festungszelle von Besuchern immer wieder niedergelegt wurden.
Wechselndes Gedenken
Und davon wird auch das Denkmal sprechen, das ihm in diesem Gedenkjahr in Belgrad am heutigen Sonnabend auf dem Gelände der einstigen Festung Kalemegdan hoch über der Mündung der Save in die Donau errichtet werden soll. Dann wird auf dem Burgberg der Hauptstadt die Statue des Attentäters in der Nachbarschaft des alles überragenden Denkmals »Pobednik« (Der Sieger) stehen, das 1928 zum Gedenken an den zehnten Jahrestag des Sieges englischer, französischer und serbischer Truppen an der Balkanfront errichtet wurde. Die damalige Ankündigung ging mit einer Pressekritik einher, daß bisher zwar Straßen Serbiens nach Princip benannt worden seien, ihm aber zu keiner Zeit ein Denkmal gewidmet wurde.
Doch ist des Nationalisten in Jugoslawien auf verschiedene Weise zu allen Zeiten gedacht worden. 1920 wurde sein in Theresienstadt exhumierter Leichnam nach Sarajevo überführt und auf einem dortigen Friedhof begraben. Seit 1930 befand sich an der Stelle, da er geschossen hatte, eine granitene Gedenktafel, deren Text postulierte, hier sei von ihm die Freiheit gebracht worden. Entfernt wurde sie auf ausdrücklichen Wunsch Hitlers nach der Einnahme der Stadt durch Wehrmachtstruppen im Jahre 1941 und gelangte in das Berliner Zeughaus.
Als Titos Partisanen die Stadt am 6. Mai 1945 befreiten, wurde bereits einen Tag später eine neue Gedenktafel angebracht. Deren Text dankte Gavrilo Princip und seinen kämpfenden Freunden gegen die deutschen Eroberer. Sieben Jahre darauf folgte auf dieses Gedenkzeichen ein anderes, dessen Text besagte, daß »Princip mit seinen Schüssen den Volksprotest gegen die Tyrannei und das Jahrhunderte währende Streben unserer Völker nach der Freiheit ausgedrückt« habe. Das wiederum wurde ein Opfer des Bosnien-Krieges.
Nicht von Dauer waren auch andere im Verlauf von Jahrzehnten entstandene Zeichen. Das galt für in Sarajevos Straßen eingelassene Fußspuren, die ebenfalls nahe dem Ort des Geschehens an Princips Tat und Lebensweg erinnern sollten. Und es betraf die über den Fluß Miljazka führende, aus osmanischen Zeiten stammende Lateinerbrücke. Auch sie hatte den Namen des serbischen Nationalisten erhalten, ihn jedoch ebenfalls als Folge des Bürgerkrieges, der von 1993 bis 1995 währte, wieder verloren. Nun also soll Sarajevo ein Duplikat des Belgrader Denkmals bekommen, für das ein Platz im Osten der Stadt bestimmt ist. Doch wird das nicht die einzige Erinnerung an das ein Jahrhundert zurückliegende Ereignis bleiben, das den Namen der Stadt erst weithin bekannt machte und noch immer einen zusätzlichen Magneten für Besucher bildet.
Schon während Princip in der Festung Theresienstadt schmachtete, war an die Opfer seiner Tat in Sarajevo erinnert worden. 1916 erhielt die Stadt in Gestalt zweier griechischer Marmorsäulen ein Erinnerungszeichen an Franz Ferdinand und Sophie. Das stand nicht lange am Orte. Kaum daß nach dem Kriegsende das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen etabliert war, ließen es dessen Behörden abbauen und in seine Teile zerlegen, von denen manche im Stadtmuseum anlangten. Der Plan, den beiden eine Gedenkkirche zu bauen, war gefaßt, wurde aber bis zum Ende der k.u.k. Monarchie nicht in Angriff genommen. Nun wird erwogen, die beiden Säulen mit den Bildnissen des hochadligen Ehepaars wiederzuerrichten. So würde erstmals in den Mauern der Stadt beider gedacht, des Täters und der Opfer. Das gibt keinen verfälschten Bezug zur historischen Realität des Junitages 1914. Denn da fehlte es nicht an freudig grüßenden Untertanen, die am Rande der Fahrstrecke das Erzherzogpaar willkommen hießen, in deren Mitte sich die Attentäter bewegten und eigentlich als Fremdlinge verloren. Weder in der Stadt noch in den Tagen zuvor in deren Umgebung war Franz Ferdinand eine feindselige oder auch nur ablehnende Stimmung entgegengeschlagen, und nach dem Anschlag hatte sich der Zorn von Einwohnern gegen die Täter, auf sie einprügelnd, gerichtet.
So merkwürdig dieses Gedenken an die Exponenten eines Staates auch sein mag, der sechs Jahre vor dem Attentat, 1908, Bosnien und Herzegowina annektiert hatte, was eine internationale Krise hervorrief: Auf nackte Geschichtsfälschung oder gar Heuchelei läßt sich die Wiedererrichtung des Denkmals für den Habsburger und seine Frau nicht heruntersetzen, wenn ihr auch, nicht anders als heutzutage vielerorts, ein gehöriger Schuß Touristenreklame beigemischt sein mag.
Ausstehende »Bewältigung«
Auch nach dem 100. Jahrestag des Attentats werden die Bilder und Urteile über das Geschehen gegensätzlich bleiben. Während Princip und seine Mitverschworenen den einen als Freiheitskämpfer und mithin als Vorbild gelten mögen, sind sie anderen die bloß mißbrauchten Handlanger großserbischer Interessen, die mit jenen der serbischen Minderheit innerhalb der österreichischen Monarchie nichts gemein gehabt hätten. Bedenklich daran ist, daß die Parteinahmen in vielen Fällen nicht aufgrund von Prüfungen der Tatsachen erfolgen, sondern in Vorurteilen wurzeln, die wiederum in nationalen und ethnischen Schützengräben gepflegt werden. Viele könnten ihrer Konservierung entgegenwirken. Nicht zuletzt die Republik Österreich. Dazu müßte sie den Tag nutzen und an die Nachkommen ihrer einstigen Untertanen gewandt, ein offenes Wort zu der Politik im Vielvölkergefängnis verlauten lassen. Und auch zu den Kriegsverbrechen, begangen auf dem unter maßgeblicher Beteiligung deutscher Truppen eroberten serbischen Boden. Womit gesagt ist, daß die Deutschen an diesem 28. Juni 2014 eigene in ihrer Geschichte gelegene Gründe besitzen, sich des Tages zu erinnern. Denn die Schritte vom Attentat zur Kriegseröffnung bleiben ohne das Beistandsversprechen der Führung des Deutschen Kaiserreichs nicht denkbar. Die Lunte wurde nicht in Sarajevo, sondern gemeinschaftlich in Wien und Berlin gezündet, und das Pulverfaß gaben nicht die Gegensätze auf und um den Balkan ab, dort existierte ein Pulverfäßchen. Das große Faß füllten imperialistische Interessen europäischer Großmächte, die sich auf dem Kontinent und weltweit kreuzten.
Mit dem Rückbesinnen ist es freilich eine eigene Sache. Es besitzt Voraussetzungen. Die sind schon vor Zeiten skeptisch beurteilt worden. Im Jahre 1955 drehte Fritz Kortner in Österreich einen Film, der die letzten zwölf Stunden im Leben des Erzherzogs und seiner Gattin in Bilder setzte. Der konnte, da sich die Filmemacher mit einem jugoslawischen Partner nicht zu einigen vermochten und wohl dem Verdacht ausgesetzt wurden, das Geschehen ohne Objektivität wiederzugeben, nicht an historischen Orten gedreht werden. Er erhielt den Titel »Sarajevo« und erregte, schauspielerisch hervorragend besetzt, das Interesse westdeutscher Verleiher. Doch kam das Geschäft schwer und auch erst zustande, als eine Einwilligung gegeben war, seinen Titel für die Vorführungen zwischen Rhein und Elbe zu verändern. Er hieß nun »Um Thron und Liebe«, womit die der Opfer zueinander gemeint war. Denn, so begründete der Verleih sein Verlangen, »Sarajevo« sage dem bundesrepublikanischen Publikum zu wenig. Damals stand die »Bewältigung« der Vergangenheit als Aufgabe erst noch bevor.
* Aus: junge Welt, Samstag 28. Juni 2014
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