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Wiederkehr der Herrlichkeit

Die Körber-Stiftung stößt Fenster auf – und läßt stickige Luft hinein. Sie prüft die alten und sucht neue Kriege

Von Otto Köhler *

Kaiser Friedrich Barbarossa auf dem Kreuzzug zur vollständigen Vergebung seiner Sünden kurz vor Jerusalem beim Baden im Saleph jämmerlich ersoffen? Das ist Feindpropaganda. Der große fränkische Dichter Friedrich Rückert (1788–1966) verbreitet die historische Wahrheit: »Er ist niemals gestorben«. Er hat im Kyffhäuser zum Schlaf sich hingesetzt und hat »hinabgenommen des Reiches Herrlichkeit und wird einst wiederkommen mit ihr, zu seiner Zeit«.

Die Zeit ist da. Auf der Brooksbrücke, die Hamburg mit seiner modernen Hafen-City verbindet, da steht er, der ständig Krieg führen mußte, weil er seine oder des Reiches Ehre verletzt sah, bereit zu neuen Taten. Vor ihm das Schild »Kehrwieder«. Das war ursprünglich nicht als Aufforderung gedacht. Doch wenn er von seinem Sockel herabsteigt und weiterschreitet bis zu Kehrwieder 12, wo die Fritz-Körber-Stiftung ihren prächtigen Sitz hat – da gibt es wieder viel für ihn zu tun.

Die Stiftung will uns Mores lehren: 14. Januar 2014. 19 Uhr. Der Saal ist überfüllt. Ein Herr bittet um ein wenig Geduld, bis der Videostream funktioniert. Das geht schnell. Die ganze Welt kann jetzt mitsehen und mithören. Sven Tetzlaff stellt sich vor als »Bereichsleiter Bildung« der Körber-Stiftung und sagt, was es zu feiern gibt: »2014 – ein Jahr, das es erinnerungspolitisch in sich hat: Uns steht eine Fülle von Jubiläen ins Haus in diesem Jahr. Und drei von diesen Jubiläen ragen aufgrund ihrer, ja man muß sagen, weltpolitischen Bedeutung besonders heraus.« Jubeltage, Jubiläen, was gibt es da – gleichermaßen? – zu bejubeln? Der Körber-Bildungsleiter sagt es: »Das ist im August die Erinnerung an hundert Jahre Erster Weltkrieg, im September Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und im November fünfundzwanzig Jahre friedliche Revolution.«

Er verschweigt nicht, daß zum zweiten Jubiläum, zu dessen, ja, Ausbruch, die »Monstrosität der Verbrechen« gehört, die im Zweiten Weltkrieg – von wem doch gleich? – »in deutschem Namen begangen« wurden und begrüßt Sven Felix Kellerhoff vom »Kooperationspartner« Welt. Die Leitung der Podiumsdiskussion übergibt er an Cora Stephan – eine, wie man hört, begabte Kriminalschriftstellerin (»Nichts als die Wahrheit«), ebenfalls Mitarbeiterin der Welt. Sie eröffnet – Moment aber. Bevor es weitergeht: Was ist das für ein Ort, an dem wir uns befinden, am Kehrwieder 12, dem Sitz der Körber-Stiftung?

Den Krieg gewinnen

Ihren Namen verdankt die Stiftung Kurt A. Körber, dem Sproß einer alten Kommunistenfamilie. »Liebe Mutter«, so glaubte sich der Sohn fünf Jahre nach dem Tod von Rosa Körber ins Jenseits hinein erinnern zu dürfen, »wie Du in Deinem Streben nach sozialen Reformen im Gefolge von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht die USPD mitgegründet hast, eine politische Organisation, aus der später die Kommunistische Partei hervorgegangen ist«. Und auch das war Körber »lebhaft in Erinnerung« geblieben, »wie ich unter Deiner Anleitung 1919 während der November-Revolution als Zehnjähriger in Parteiversammlungen auf dem Podium stand und zur Neugestaltung Deutschlands deklamiert habe:

Und käme Christus noch einmal,
die Welt von Sünde zu befrei’n
fürwahr, er wär ein Sozialist
und kämpfte mit in unseren Reih’n.


Biograph Hermann Schreiber, der ehemalige Spiegel-Reporter für Schönschreibung, nimmt Körber, der auch sein Mäzen war, vor Verirrungen in Schutz: »Politische Ideologien interessierten ihn nicht; er war zeitlebens im Grunde unpolitisch.« Und darum trat der erfolgreiche Unternehmer 1940 der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei bei. Überzeugung, so beteuerte er später, spielte dabei keine Rolle – nicht die geringste. Es war reiner Opportunismus, der ihn in die Partei des Führers trieb.

Das mußte sein, um des Vaterlands willen. Als Direktor der Dresdner Maschinenfabrik Universelle ließ er unter anderem Torpedos montieren, die den jeweiligen Feind zielsicher vernichten sollten, wie nicht erst bei Kundus solcherlei Morden genannt wurde.

Noch drei Jahre bevor er am 10. August 1992 verstarb sorgte Körber in einem Interview mit der Welt für sein staatsbürgerliches Renommee: »Ich wollte den Krieg gewinnen, dafür habe ich gearbeitet. Tag und Nacht.« 3000 Zwangsarbeiter halfen mit. Hermann Schreiber: »Nein, Kurt Körber war kein Nazi, selbst wenn er Tag und Nacht für den ›Endsieg‹ gearbeitet haben sollte«. Das hat er. Und da konnte man sich nicht wehren: »Bedarf an Arbeitskräften wurde während des Krieges überwiegend mit der« – so glaubt Schreiber es mit Sicherheit selbst – »Zuweisung von Zwangsarbeitern gedeckt, auch in der Universelle«.

Nach dem Krieg, dem er so vorbildlich gedient hatte, kehrte er um und fand ein anderes, aber vor allem nachhaltiges Mittel zur Dezimierung der Menschheit. Er erfand die Zigarettendrehmaschine, und seine 1946 neugegründeten Hauni-Werke in Hamburg wurden Weltmarktführer im Maschinenbau für die Tabakindustrie. So ist Körber gelungen, Millionen und Abermillionen von Menschen gerade in den benachteiligten Schichten und in den Entwicklungsländern in den Krebstod zu schicken. Seine eigenen Nachkommen hatte er vor so etwas bewahrt – er hatte keine. Deshalb brachte er vor seinem Tod sein ganzes Erbe – es beruht auf der Droge Nikotin – in die Körber-Stiftung ein.

Und die macht sich unter der Schirmherrschaft der jeweiligen Bundespräsidenten auch schon an Kinder und Heranwachsende heran. Dabei hilft der konzerneigene Geschichtswettbewerb, der der Körber-Stiftung Zugang zu den Schulen verschafft.

Für die Universitäten gibt es das Kuratorium des deutschen Studienpreises – sehr preisgünstig, nur dreimal 30000 Euro für die Erstplatzierten – dessen Schirmherrschaft hat Bundestagspräsident Norbert Lammert übernommen. Zwar verlangt eine Richtlinie der Weltgesundheitsorganisation, Politiker dürften »Aktivitäten der Tabakindustrie, die als gesellschaftlich verantwortlich bezeichnet werden, weder gutheißen oder unterstützen noch als Partner solcher Aktivitäten auftreten oder sich daran beteiligen«. Aber Lammert sieht dergleichen nie sehr eng. Und wer behauptet schon, daß die Aktivitäten der Körber-Stiftung tatsächlich als »gesellschaftlich verantwortlich« bezeichnet werden dürfen.

Darum gibt es auch auf der sogenannten »Münchner Sicherheitskonferenz« seit Jahren schon das von der Körber-Stiftung veranstaltete Sondertreffen »Munich Young Leaders«. Dort ist vom Oberstleutnant im Generalstab über den Bundesgeschäftsführer der Grünen bis zum unbekannten Spiegel-Redakteur alles vertreten, wovon sich der Lungenkrebskonzern Zukunft verspricht.

Klaftertief begraben

Nach diesem notwendigen Exkurs sind wir jetzt am 14. Januar endlich wieder im schönen Haus Kehrwieder 12 bei der Weltkriegsjubiläumsreihe der Körber-Stiftung mit der Welt. Für Springers Zeitungsrest sitzt der anerkannte Geschichtsdefraudant (jW vom 14.9.2013) Sven Felix Kellerhoff gegenüber der Moderatorin Cora Stephan in der ersten Reihe und steht auf Zuruf dem Podium hilfreich zur Seite. Gut so, es gab von dort immer mal wieder Rückfragen an diesen Geschichtssachverständigen.

Allerdings hatte die Moderatorin das Hauptergebnis des Abends bereits am 14. November 2013 in der Welt, für die sie auch arbeitet, festgeschrieben. Erstens: »klaftertief begraben« werde durch Christopher Clarks »Schlafwandler« die These von der Hauptverantwortlichkeit des Deutschen Reichs am Ersten Weltkrieg. Zweitens: »Kein Zweifel aber besteht an der provozierenden Rolle Frankreichs« – und drittens: »daran, daß Großbritannien kein eigenes Eisen im Feuer hatte, also kein legitimes Interesse, das ihm das ›Ius ad bellum‹ verliehen hätte«.

Eigentlich war das Thema des Abends in Hamburg im Januar: »Der inszenierte Hitler«. Darüber sollte Thomas Weber, der Direktor des Centre for Global Security and Governance an der University of Aberdeen und Fritz-Thyssen-Fellow am Weatherhead Center der Harvard University, mit dem Filmregisseur Niki Stein streiten. Weber hat ein Buch heraus gebracht (»Hitlers erster Krieg: Der Gefreite Hitler im Weltkrieg – Mythos und Wahrheit«, Berlin 2011), das sich mit der wichtigen Frage beschäftigt, wie mutig dieser Militär gekämpft habe. Stein ist mit dem bekannten TV-Schmachtfetzen über den tapferen General Rommel hervorgetreten und dreht jetzt für das ZDF eine – Achtung, Knopp-Gefahr! – zehnteilige Serie über Hitlers Leben von 1914 bis zu dessen Ende 1945.

Doch Moderatorin Cora Stephan hatte elf Tage vorher, am 3.1.2014, in der Welt noch einen zweiten Artikel über Christopher Clarks Freispruch für Deutschland geschrieben, in Form einer Grundsatzerklärung, die drei echte Historiker mitunterzeichneten: der anwesende Thyssen-Fellow Weber, der ständige Guido-Knopp-Begleiter und Professor an der London School of Economics, Sönke Neitzel – er tritt auch gleich auf. Und der Thatcher-Enthusiast Dominik Geppert, sein Termin bei der Körber-Stiftung ist noch nicht bekannt.

Dieses Welt-Quartett verwahrte sich gegen eine angeblich »unter deutschen Politikern, in Schulen und Redaktionsstuben verbreitete Weltsicht, Deutschland habe nicht nur den zweiten, sondern auch den ersten der beiden Weltkriege angezettelt«. Diese Sicht sei aber hochgefährlich: »Bei manchen unserer europäischen Nachbarn« verdichte sich das heute zu dem – unwahren? - »Diktum, mit seiner Euro-Politik drohe Deutschland den Kontinent ein drittes Mal zu ruinieren«. Dagegen aber stehe der durch Christopher Clarks »Schlafwandler« und durch Herfried Münklers »Der Große Krieg« vollzogene »Paradigmenwechsel« der »Geschichtswissenschaft«.

Was zumindest von Thomas Webers Wissenschaft zu halten ist, wurde deutlich, als hier das Podium reflektierte, wer das bessere Geschichtsbild vermittle: die historische Wissenschaft oder filmische und journalistische Darstellungen. Historiker Weber legte einen Offenbarungseid ab, der von totaler Insolvenz kündet. Impulse, sagte er, gebe es in beide Richtungen: »Aber ich glaube schon, daß wir ohne Nico Hofmann, ohne Herrn Kellerhoff, ohne Herrn Wiegrefe, in der Wissenschaft zum Dritten Reich ganz schön dumm dastehen würden« (die letzten beiden haben durch Welt und Spiegel die Goebbels-Weisheit verbreitet, daß Hitler, als der Reichstag brannte, ahnungslos Eier mit Salat speiste).

Als dann am Ende aus dem Publikum die Kritik kam: »Wir erleben hier eine völlige Umdeutung der Geschichtsbilder. Deutsche Verantwortung wird völlig relativiert – dank Christopher Clark« –, da stöhnte Cora Stephan auf und fragte schnippisch nach: »Hm, wie soll ich das versteh’n?«

Clark ist eine Kugel

Zusammen mit Herfried Münkler, der sich einen Lehrstuhl an der Humboldt-Universität erobert hat, und dem Düsseldorfer Weltkriegshistoriker Gerd Krumeich trat zehn Tage später, am 24. Januar, in der Berliner Dependance der Körber-Stiftung der erwähnte Sönke Neitzel auf. Der verdiente Werner-Hahlweg-Preisträger für Wehrwissenschaften fing genial an. Er erläuterte: Seit Christopher Clark und seinem Freispruch für Deutschland wissen wir: Die Erde ist eine Kugel. Klar: Fritz Fischer ist die Scheibe.

Die drei tauschten sich aus zu dem von der Körber-Stiftung gesetzten Thema »Schlafwandler oder Brandstifter?« und waren sich schnell einig. Deutschland war kein Brandstifter. Der Brite und der Franzose aber …

Münkler erläuterte, daß die deutschen politischen Akteure aus Angst vor der Bevölkerung sich für Krieg entschieden, sie standen unter dem »Druck der Massen«. Diese Massen hätten noch bis in den Juli 1914 für den Frieden demonstriert, doch das kippte zusehends, die Massen, die auf »Erlösung« durch Krieg hofften, setzten die politischen Akteure unter Druck: Die fürchteten sich, ohne Krieg vor die Bevölkerung treten zu müssen. Es gab kein Zurück.

Richtig, hätte dieses Volk seine Regierer nicht so eingeschüchtert, Krieg wäre nie von deutschem Boden ausgegangen. Die Entscheider hätten doch alle anders entschieden, wenn sie – auch das ist Münkler – gewußt hätten, wie sich Krieg – etwa an der Somme – anfühlt. Sie dachten: Weihnachten sind wir – vielmehr die Soldaten – wieder zu Hause.

Jüngers Stahlhelm

Der Politologe Münkler sagte auch in der Berliner Niederlassung der Körber-Stiftung, zu welchem dringlichen, ja patriotischen Zweck er sein geschichtliches Urteil fällt: »Wir führen jetzt noch einmal eine Debatte um Fragen der historischen Wahrheit, aber vor allem auch um die Frage, welche Bedeutung hat Deutschland für die nächste Zeit im Spiel der Europäischen Union und wie muß ein Land, das in dieser zentralen Position wieder angekommen ist, wie muß sich das zu seiner Vergangenheit verhalten können, wieviel Selbstbewußtsein muß das haben, um zu sagen: Wir sind bereit, nicht nur die Hände uns fesseln zu lassen sondern« – er lachte – »im Gegenteil Verantwortung zu übernehmen.« Korrekt fügt er hinzu: »Insofern ist das schon eine politische Diskussion.«

Und warum hat eigentlich ein in England lebender australischer Historiker das Buch zum Freispruch Deutschlands von der Kriegsschuld geschrieben? Münkler: »Die schmerzliche Antwort ist, daß natürlich ein deutscher Historiker dieses Buch hätte schreiben müssen.« Und fügte neckisch hinzu: »Ich bin ja kein Historiker.«

Das heißt: Sein bei Rowohlt kurz nach Clark erschienenes Buch »Der Große Krieg – Die Welt 1914–1918« ist das deutsche Pendant zu den »Schlafwandlern« des Australiers – 924 Seiten für nur 29,95 Euro! Geschrieben übrigens mit Mitteln der Thyssen-Stiftung, vor allem aber ermöglicht durch – das wußten die schon – das »Opus-Magnum-Stipendium« der VW-Stiftung, die sich immer so schwer tat, ihren Zwangsarbeitern eine kleine Entschädigung zu zahlen. Münkler: »Ein solches Buch kann nicht entstehen ohne Hilfe und Zuspruch, Rat und Tat.«

Weltkriegshistoriker Krumeich freut sich: »Wir können die Fenster aufstoßen!« Egal, was da reinstinkt? Richtig, Krumeich bekennt: »Ich habe mir jetzt voller Schuldbewußtsein das Buch von Hölzle gekauft.«

Hölzle? Der Nazihistoriker und bekennende Antisemit Erwin Hölzle von der Arbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung der bolschewistischen Weltgefahr im Amt Rosenberg? Hölzle, der bis zu seinem Tod 1976 Fritz Fischer bekämpfte? Ja, der. Das neue große Deutschland muß Hölzles Andenken wieder in Ehren halten. Krumeich hat damit angefangen: »Ist doch schön, daß es so gekommen ist – die Fenster aufgestoßen!«

Fenster stößt Krumeich gern auf. Vor zehn Jahren war er der entscheidende wissenschaftliche Beirat der Ausstellung zum neunzigsten – müssen wir sagen? – Jubiläum des Ersten Weltkriegs im Deutschen Historischen Museum Berlin. Da lagen in der Vitrine zwei Helme aus dem Besitz Ernst Jüngers. Seiner und der Helm eines britischen Soldaten, den er erschossen hatte. Jünger hatte noch für ein Foto neben dem von ihm erlegten Feind posiert. Trophäen sammeln, das ist Geschichtswissenschaft.

Am Kreuz der Geschichtspolitik

Aber da schreibt bei der Zeit immer noch einer – es ist nur ein einziger – der trotzt, der gegen Christopher Clark anstänkert. Herfried Münkler ist enttäuscht und erregt: »Es gibt auch diejenigen, die die Wissenschaft wieder ans Kreuz der Geschichtspolitik nageln wollen Und wenn ich mir das anschaue, was Volker Ullrich jüngst in der Zeit geschrieben hat – da spricht er von Errungenschaften. Also was ist das für ein Begriff – im Hinblick auf Wissenschaft von Errungenschaften sprechen zu wollen.« Münkler japst: »Leute, die das Fenster wieder zustoßen.«

Letzten Donnerstag abend zeigte sich, daß die Körber-Gesellschaft mitten im Weltgeschehen steht. Auf dem Kehrwieder im Körber-Forum machte auf dem Weg von Brüssel nach Kiew die Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms Zwischenstation. In der Ukraine hat sie Julia Timoschenko immer im Gefängnis besucht. Diesmal kam sie wohl zu spät – die Exoligarchin ist schon losgelassen. Aber das wußte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament: »Die Demonstranten beziehen sich auf das europäsche Wertesystem« – wohl auch beim Schießen? Nein, es ist eine sehr vielschichtige Protestbewegung. Man müsse hinsehen: Von wem geht die Gewalt aus – ja, da gibt es Leute die schmeißen Steine, Leute, die sich bewaffnet haben. Aber: »Die Eskalation entspricht den Plänen der Regierung.« »Janukowitsch ist nie bereit, sich auf eine friedliche Lösung einzulassen. Alle Hoffnungen richten sich auf Brüssel, Warschau und Berlin.« Wir müssen zum Ende kommen, sagte der Moderator am Donnerstag, »Sie haben morgen eine anstrengende Reise«.

Barbarossa ist auch wieder in der Ukraine angekommen. Dort gibt es nicht nur alte, sondern auch neugeschneiderte SS-Uniformen, die übriggebliebenen Lenin-Statuen sind gestürzt und die Denkmäler für Stepan Bandera aufgebaut, jenen Freiheitskämpfer, der 1940 von den Deutschen in Krakau geschult, 1941 den Truppen des Bundesvertriebenenministers Theodor Oberländer (CDU) vorauseilte, in Lemberg mit seinen Leuten 7000 Juden und Kommunisten umbrachte und heute in Lwiw als Held der Ukraine verehrt wird.

Als Rebecca Harms in Kiew ankam, waren Demonstranten mit Bezug auf das europäische Wertesystem dabei, die Parteibüros der Kommunisten zu stürmen und anzuzünden. Und die erblondete Freundin Julia Timoschenko, die ihr Geld mit Porno und Öl gemacht hat, war am Samstag auch schon wieder auf freiem Fuß.

Am Donnerstag aber, dem 13. März, gibt es am Kehrwieder Numero 12 richtiges Theater: »Wie Europa gelingt. Eine EU-Familienaufstellung«. Frei nach der Idee des freundlichen Geschäftemachers Bert Hellinger. Angekündigt sind allerdings bis jetzt nur aus dem Osten die Familienmitglieder Polen und Estland. Doch dieses Baltenland kann mit den regelmäßigen Aufmärschen der aus Berlin bezahlten SS-Senioren die Rolle der Ukraine gleich mitübernehmen.

Marscherleichterung aber bitte jetzt endlich für den großen Verstorbenen, den Gründervater Kurt A. Körber. So langsam sollte er den Punkt weglassen, den er sich 1945 des leichteren Umgangs wegen setzte. Freiheit für die vier unterdrückten Buchstaben. Fenster auf für Kurt Adolf Körber.

Kehrwieder – das schafft ein wenig Hoffnung – ist ein norddeutscher Ausdruck für Sackgasse. Das sollte auch Barbarossa kapieren. Wenn nicht, bitte, dann stolpert er beim ständige Anrennen gegen das Mäuerchen – dies wenigstens ist stabil, und er fällt in die Elbe. Und ersäuft wie damals im Saleph. Endgültig. Ob wir Deutschen so viel Glück haben?

* Aus: junge welt, Dienstag, 25. Februar 2014


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