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Tenno gegen Kaiser

Am 23. August 1914 erklärt Japan auf Drängen Großbritanniens dem Deutschen Reich den Krieg

Von Alexander Bahar *

Während der sogenannten Meiji-Restauration war es in Japan ab 1868 zu einer innenpolitischen Neuordnung des Landes gekommen, wobei der Kaiser (Tenno) in den Rang eines Gottes (Arahitogami) gehoben wurde. Als westliches Vorbild für dieses »neue« Japan diente das drei Jahre später gegründete Deutsche Reich, das von Reichskanzler Otto von Bismarck beinahe in Alleinherrschaft regiert wurde. Dieser sicherte den Japanern für die Neuordnung nach deutschem Muster seine volle Unterstützung zu. Der Umstrukturierung des japanischen Militärapparats nach preußischem Vorbild folgte 1885 eine Bildungsreform, ebenfalls orientiert am deutschen Modell. Als es schließlich darum ging, eine neue Verfassung für das japanische Kaiserreich auszuarbeiten, die 1889 proklamiert wurde, war es wiederum das Deutsche Reich, dessen Verfassung Pate stand.

Zu einem Bruch in den guten deutsch-japanischen Beziehungen kam es 1895, als Deutschland gemeinsam mit Frankreich und Rußland die Rückgabe der von Japan nach dem Sieg im Chinesisch-Japanischen Krieg annektierten Liaotung-Halbinsel an China verlangte. Auf diese Weise wollte Berlin einerseits die japanische Aggressions- und Expansionspolitik eindämmen. Andererseits hoffte es, sich im Verbund mit anderen europäischen Mächten im Fernen Osten selbst Territorien aneignen und als international agierende Kolonialmacht etablieren zu können.

Ein offizieller Vorwand hatte sich bald gefunden. Nach der Ermordung zweier deutscher Missionare gab Kaiser Wilhelm II. am 1. November 1897 den Befehl zur Besetzung der Kiautschou-Bucht auf der Halbinsel Shandong an der chinesischen Ostküste durch die kaiserliche Marine. In der Folge wurde China gezwungen, ein an der Bucht gelegenes Gebiet für 99 Jahre an das Deutsche Kaiserreich zu verpachten. Damit hatte sich der deutsche Wunsch nach einem Flottenstützpunkt für die Kaiserliche Marine zum Schutz der deutschen Kolonien im Pazifischen Ozean erfüllt. Berlin begann daraufhin, seinen Einfluß auf die restliche Provinz Shandong auszuweiten und baute den Hafen von Tsingtau, der zum Hauptstützpunkt des Ostasiengeschwaders der Kaiserlichen Marine wurde. In der deutschen Präsenz in China sahen vor allem die Briten eine Bedrohung ihrer Interessen auf dem asiatischen Festland. Das führte zu einer Annäherung an Japan, die am 30. Januar 1902 in die Anglo-Japanische Allianz mündete – in den Augen Tokios ein weiterer Schritt auf dem Weg Japans zur Weltmacht.

Der Inselstaat hatte durch den Sieg im Russisch-Japanischen Krieg 1905 gegenüber den europäischen Großmächten enorm an Prestige gewonnen. Mit dem Sieg über Rußland hatte erstmals eine asiatische Macht eine europäische besiegt. Das erstarkte japanische Militär verlangte immer drängender nach einer Expansion des japanischen Einflußbereiches. Durch die Unterstützung Großbritanniens glaubte die Regierung unter Premierminister Okuma Shigenobu, auch die eigenen Militärs unter Kontrolle halten zu können.

Nach dem Eintritt Großbritanniens in den Ersten Weltkrieg am 4. August 1914 bat London auf der Grundlage des 1905 und 1911 erweiterten britisch-japanischen Bündnisvertrags um die Hilfe Japans. Die Beteiligung am Krieg auf seiten der Alliierten bot Tokio vor allem die Chance, den Deutschen ihre Besitzungen in China und im Stillen Ozean abzunehmen und sich für die durch Berlin erlittene Schmach zu rächen. Am 15. August 1914 stellte Japan dem Deutschen Reich ein Ultimatum. Danach waren alle deutschen Kriegsschiffe aus chinesischen und japanischen Gewässern abzuziehen und der Hafen in Tsingtau an Japan zu übergeben. Als das japanische Ultimatum bekannt wurde, war die Empörung in der deutschen Öffentlichkeit groß: Tokios Schritt wurde als »Raubzug«, die japanische Politik als unaufrichtig, heuchlerisch und perfide verurteilt. Japan, so die weitverbreitete Meinung, habe allen Grund, den Deutschen dankbar zu sein für alles, was dem Land seit dem preußisch-japanischen Freundschafts- und Handelsvertrag von 1861 »Gutes getan« worden sei. Noch im August 1914 kam eine Propagandakampagne gegen Japan in Gang, die einerseits auf den japanischen »Volkscharakter« abzielte, der sich nunmehr »enttarnt« habe, anderseits das Land als von Großbritannien »verführt« darstellte.

Nach Ablauf des Ultimatums am 23. August erklärte Japan dem Deutschen Reich den Krieg, und bereits ab dem 27. August begann die Belagerung Tsingtaus durch vereinigte japanische und britische Marineverbände. Am 7. November ergaben sich die deutschen Truppen gemeinsam mit ihren österreichisch-ungarischen Verbündeten, und die Stadt wurde unter »ehrenvollen« Bedingungen übergeben. Etliche Soldaten und deutsche Beamte wurden in der Folge in Japan interniert, die meisten deutschen Zivilisten aber konnten in Tsingtau bleiben und ihre Geschäfte fortführen. Bis Ende 1914 besetzten japanische Truppen auch die deutschen Kolonien (Marshall-, Karolinen- und Marianen-Inseln) im Pazifischen Ozean. Dem Verlangen von Briten und Franzosen, sich am Krieg in Europa zu beteiligen, versagte sich Tokio jedoch.

Im Januar 1915 legte Japan der chinesischen Regierung 21 weitreichende Forderungen vor, in denen die japanischen Hegemonialansprüche gegenüber China und dem gesamten ostasiatischen Raum erstmals in aller Deutlichkeit formuliert waren. Obwohl die Forderungen, mit denen Japan umfassende wirtschaftliche und politische Vorrechte in China für sich reklamierte, dessen Umwandlung in ein halbkoloniales Land unter japanischer Herrschaft bedeuteten, sah sich die chinesische Regierung zum damaligen Zeitpunkt gezwungen, sie in weitem Umfang zu akzeptieren. Ein Jahr später, 1916, überließ China Japan auch seine Handelsrechte in der Inneren Mongolei und der südlichen Mandschurei. Während des weiteren Kriegsverlaufs bemühte sich die deutsche Diplomatie, die ehedem so guten Beziehungen zu Japan zu erneuern. Doch der deutsche Plan, mit Japan einen sogenannten Sonderfrieden auszuhandeln, scheiterte an den zu engen Bindungen zwischen Japan und Großbritannien.

Im Ergebnis des Versailler Vertrages erhielt Japan nach Kriegsende vom Völkerbund die ehemals deutschen Marshall-, Karolinen- und Marianen-Inseln (mit Ausnahme von Guam, das an die USA ging) als Mandatsgebiete zugesprochen. Das von Deutschland gepachtete chinesische Kiautschou fiel ebenfalls an Japan, mußte aber aufgrund des chinesisch-japanischen Shandong-Vertrags, der am 6. Februar 1922 auf der Washingtoner Flottenkonferenz unter der Schirmherrschaft der USA und Großbritanniens unterzeichnet wurde, noch im selben Jahr an China zurückgegeben werden. Die Vereinbarung schloß neben der Übergabe von Shandong auch die Rücknahme der 21 Forderungen durch Japan sowie die Anerkennung der territorialen Integrität und Souveränität Chinas ein. Zugleich hatte sich Japan in Washington auf eine Begrenzung seiner Flottenstärke festlegen lassen. Trotz dieser »versöhnlichen« Gesten setzte Tokio seine imperialistische Interessenpolitik in China fort. Als bedrohlich wurde das insbesondere von der jungen Sowjetunion wahrgenommen, wo Japan im Bürgerkrieg auf seiten der »Weißen Armee« militärisch mit 70000 Mann interveniert hatte.

* Aus: junge Welt, Samstag 23. August 2014

Leo Trotzki über »die japanische Frage«

Das Vorgehen Japans auf dem fernöstlichen Kriegsschauplatz hatte eine gewaltige Bedeutung für das Land. Mit der Einnahme von Tjingdau (Tsingtau – jw) erhielt Japan nicht nur ein Kolonialgebiet von 552 Quadratkilometer – es übernahm damit auch das gesamte deutsche Erbe in China. Mit Kiao-Tjau (Kiautschou – jw) hatte Deutschland den Schlüssel zur gesamten Provinz Schaudung (Shandong – jw) besessen. Durch eine geschickte und hartnäckige Politik hatte es die Eisenbahnkonzessionen im Inneren Chinas erhalten, die großen Flüsse kanalisiert und politischen Einfluß in Peking erlangt. All das geht nun an die Japaner über. (…) Im Süden werden die Engländer ihre Position festigen, im Norden werden die Japaner die Hausherren sein. Somit kann sich Japan schon jetzt nicht über seinen Anteil an den Kriegsgewinnen beschweren. Die im Prinzip minimalen militärischen Anstrengungen und Opfer eröffnen dem Land ungeahnte Möglichkeiten. Unter solchen Bedingungen ist wohl klar, daß die neuen Gewinne, um derentwillen Japan sich entschließen könnte, eine halbe Million seiner Soldaten in den Strudel des europäischen Krieges zu werfen, außerordentlich attraktiv und populär im Land sein müssen. Nicht umsonst gibt es Zeitungsgerüchte, die japanische Regierung fordere als eine der Kompensationen (...) Hamburg. Aber Hamburg befindet sich vorerst noch in deutscher Hand.

Aus Kiewskaja Mysl, Nr. 6, 6. Januar 1915, zitiert nach: Leo Trotzki, Europa im Krieg, Mehring Verlag, Essen 1998, S. 42 f.




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