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Lügen und Legenden – eine vergleichende Studie zur Kriegspropaganda

Nur der Gegner ist niederträchtig

Von Kurt Pätzold *

Das Thema, dem sich Klaus-Jürgen Bremm annahm, hat schon viele Historiker beschäftigt, vor allem in Staaten, die als Großmächte am Ersten Weltkrieg beteiligt waren. Und das hat sie alle schließlich zur Frage geführt, welchen Anteil die Propaganda am Verlauf und dem Ausgang des Krieges tatsächlich besaß. Sie bleibt unklar mangels verlässlicher Angaben darüber, was sie bei Millionen Menschen an den Fronten und im Hinterland, das es damals noch gab, bewirkte.

Bremm entschied sich für eine vergleichende Perspektive. Dabei steht die Konfrontation der britischen und der deutschen Propagandapraxis nach Inhalten, Methoden und Organisationsformen im Vordergrund. Doch sind auch den Anstrengungen in Frankreich und den USA eigene Kapitel gewidmet, nicht aber denen in der K.u.K. Monarchie, im Osmanischen Reich und in Russland. Nachgespürt wird den Gemeinsamkeiten wie den Unterschieden in der Inlands- wie der Auslandspropaganda der Kriegführenden.

Zu ersteren gehört durchweg das Interesse der regierenden und herrschenden Kreise und Schichten, keine Kriegsschuld zu tragen, die eigenen Kriegsziele als hehr und edel und die der Gegner als niedrig und verächtlich darzustellen und das eigene Volk zu den größten Kriegsanstrengungen zu bewegen – sei es als Soldat oder als Zivilist. Dazu kam selbstredend, den Glauben an den »eigenen« Sieg zu stärken, wozu gehörte, die eigene Kriegslage, verhieß sie wenig Gutes, zu verschweigen oder mindestens aber zu beschönigen. Jenseits der Grenzen des jeweiligen Staates galt der propagandistische Aufwand Versuchen, in neutralen Ländern keine Parteinahme für die Feinde entstehen zu lassen und in den gegnerischen Reihen geistige und emotionale Unruhe zu stiften oder – besser noch – gar Kriegsverweigerung zu erreichen.

Die Urteile, die aus diesen Vergleichen für die deutsche Propaganda entstehen, sind bunt. An die Masse gerichtet war sie zunächst der britischen überlegen. Hinsichtlich ihrer Überzeugungskraft im Ausland, neutral oder feindlich, stand sie jedoch bereits nach den ersten beiden Kriegsmonaten auf aussichtslosem Posten. Dafür sorgte das Bekanntwerden deutscher Kriegsverbrechen vor allem in Belgien, Geiselnahmen, Erschießungen und Morde selbst an Frauen und Kindern, Brandstiftungen und Brandschatzungen. Das gab den Boden für die Gegenpropaganda von den »Barbaren« und »Hunnen« des deutschen Kaisers und machte selbst Übertreibungen und Erfindungen von Gräueltaten glaubwürdig. Mehr noch aber wurde die deutsche Reklame dadurch unwirksam, dass sie keine eigenen Kriegsziele anzugeben vermochte, die außerhalb des Reiches irgendjemanden beeindrucken und zur Zustimmung veranlassen konnte.

Die Schwäche auch der neuen Arbeit liegt darin, dass nicht einmal abschätzend versucht wird, die Reichweite der Propagandainstrumente zu beurteilen. Es ist kaum etwas von der Auflagenhöhe von Zeitungen und Zeitschriften, dem Verbreitungsgebiet von Flugblättern, der Kenntnisnahme von Meldungen und Kommentaren in den Schützengräben oder Besucherzahlen in Kinos, die Kriegsfilme zeigten.

Unter den an der Propaganda beteiligten Personen besetzen in der Abhandlung Schriftsteller und Wissenschaftler einen (verdienten) vorderen Platz. Doch stehen die Staatsoberhäupter, man denke an die beteuerte Friedensliebe Kaiser Wilhelms II. und seines hochbetagten Wiener Kollegen, die Regierungschefs und Minister dahinter zu weit zurück. Widerspruch dürfte des Autors These hervorrufen, wonach die Kriegspropaganda kaum Stimmungen und Haltungen erzeugt, sondern die vorhandenen, spontan in den Massen entstandenen nur verstärkt habe. Sie erledigt sich, wenn man sich der jahrelangen Einstimmung der Millionen Deutschen lange vor Kriegsbeginn erinnert. Schließlich, sein Spezialgebiet verlassend, vertritt Bremm die abstruse These, dem Nachfolgestaat des deutschen Kaiserreiches wäre eine Hypothek erspart geblieben, wäre die deutsche Kapitulation nicht so plötzlich erfolgt und man den Krieg, wenn auch militärisch aussichtslos, noch an der Rheingrenze fortgesetzt hätte. Da schwingt ein später Wunsch nach burgfriedlichem Eintritt in die Republik mit. Wohin Versuche, Originalität zu bezeugen, so alles führen?!

Klaus-Jürgen Bremm: Propaganda im Ersten Weltkrieg. Theiss, Darmstadt 2013. 188 S., geb., 24,95 €.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 14. Februar 2014


Deutschland und der Erste Weltkrieg

Auf- statt Verklärung

Von Manfred Weißbecker **


Wissbegierige Leser mit Scheu vor jenen in großer Zahl erscheinenden und zumeist sehr umfangreichen Wälzern über den Ersten Weltkrieg dürfen sich freuen: Es gibt nun auch eine kleinere Publikation, leicht lesbar und zugleich außerordentlich lesenswert.

Kenntnisreich versteht es Gerd Fesser, auf knappen Raum komplizierte Vorgänge zu erhellen sowie das Handeln der Regierenden darzustellen. Seine sachlich korrekte Benennung der Fakten und überzeugende Argumentation helfen, das jüngst wieder aus der Versenkung hervorgeholte Bild vom »Hineinschlittern« in den Ersten Weltkrieg als falsch und bestimmten Zwecken dienlich zu erkennen. Klar grenzt er sich von der gegenwärtig in den Vordergrund geschobenen These des Historikers Christopher Clark ab, wie »Schlafwandler« seien die Führungen aller Mächte gleichermaßen am Ausbruch des Krieges schuld gewesen. Er charakterisiert demgegenüber die besondere Verantwortung der deutschen Politik für Herbeiführung und Auslösung dieses Krieges. Dies ganz im Sinne des Buches »Griff nach der Weltmacht« (1963), in dem Fritz Fischer eindeutig belegte, dass es in Deutschland vor 1914 keinen Willen zur Kriegsverhütung, dafür aber unter Militärs und in rechtsorientierten Kreisen völlig Gegenteiliges gegeben hat. Und damit heftigen Streit in der BRD auslöste.

Die 23 Kapitel des Bandes bieten jeweils in sich geschlossene Darstellungen zur Vorgeschichte des Krieges, zu dessen Verlauf sowie zu einzelnen Problemfeldern. Sie enthalten treffende Aussagen auch zu Auswirkungen des Krieges auf das Leben in Deutschland, zur Entwicklung der wirtschaftlichen Situation und zum politisch-geistigen Zustand einer in sich zerrissenen Gesellschaft der Deutschen. Mit Interesse lässt sich lesen, wie die Mehrheit führender Sozialdemokraten sich auf die Politik des »Burgfriedens« mit den Herrschenden einließ, was im Grunde wohl als Versagen und »Urkatastrophe« der SPD bewertet werden muss. Viel Raum wird den Bemühungen linker und bürgerlich-demokratischer Oppositioneller gegen den Krieg gewidmet.

Das Ganze darf als eine gelungene Synthese von historisch-chronologischer und systematisch- ausgewählter Darstellung von Ursachen, Verlauf, Ergebnis und historiographischer Deutung jener schlimmen vier Jahre deutscher Geschichte gekennzeichnet werden. Und es fordert 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten und 75 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges aktuelle Nachdenklichkeit heraus – sei es über das erneut unverantwortliche Drehen an der Rüstungsspirale, über die aus dem Ringen der Großmächte Rohstoffressourcen und Einflusszonen erwachsenden Gefahren, über eine selbst vor Lügen nicht zurückschreckende Rechtfertigung militärischer Aktionen oder Ähnliches mehr.

Es bleibt ein Wunsch an den Verlag: Selbst wenn nur »Basis«-Wissen vermittelt werden sollte, hätten topografische Skizzen gut getan.

Gerd Fesser: Deutschland und der Erste Weltkrieg. Papyrossa, Köln 2014. 123 S., br., 9,90 €.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 14. Februar 2014


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