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Story mit Happy-End

Eine Ausstellung in 3000 Exemplaren weist an, wie bundesweit das "Supergedenkjahr 2014" begangen werden soll

Von Daniel Bratanovic *

Noch vor zwei Monaten forderte der Mann von Spiegel online die Hilfe des Bundespräsidenten an. Joachim Gauck müsse das »Supergedenkjahr 2014« retten, da die Bundesregierung bei den Planungen für die Feierlichkeiten getrödelt habe, schrieb Klaus Wiegrefe damals. Nun kann Entwarnung gegeben werden.

Im Paul-Löbe-Haus des Bundestages wurde am Mittwoch die Ausstellung »Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme« vorgestellt, die sich der zu gedenkenden Ereignisse annimmt und sie, wie der Titel bereits verrät, nach Gusto der staatsoffiziellen Erinnerungspolitik angemessen bewertet.

Urheber der Ausstellung sind das Münchner Institut für Zeitgeschichte, Deutschlandradio Kultur und die »Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur«. Sponsor ist die Daimler AG.

Die Schau, heißt es in der Ankündigung, »erzählt Europas 20. Jahrhundert als dramatische Geschichte zwischen Freiheit und Tyrannei, zwischen Demokratie und Diktatur«. Also Geschichte als ein Ringen zwischen Gut und Böse mit Happy-End. »Urkatastrophe« sei der Erste Weltkrieg, der vor einhundert Jahren »ausbrach«. Mit ihm hebt der Reigen der runden Jahrestage an. Vor 75 Jahren der Beginn des Zweiten Weltkriegs, vor 25 Jahren die, wie die Ausstellungsmacher sagen, »friedlichen Revolutionen«, vor zehn die EU-Osterweiterung. Man könnte es auch anders formulieren, doch das wäre nicht im Sinne der Erfinder: Erster und Zweiter Griff nach der Weltmacht, territoriale Vergrößerung, Ausdehnung der Einflußsphäre.

Eingeladen wird zu »einer historischen Ortsbestimmung«, »zu der das Jahr 2014 herausfordert«. Wer der Einladung folgt, erlebt eine konventionell konzipierte Ausstellung, die auf 26 Tafeln ein altbekanntes Geschichtsbild mit den üblichen Deutungsmustern präsentiert: Die Bolschewiki hätten ihren Staatsstreich zur Oktoberrevolution »verklärt«, NSDAP und KPD hätten im Juli 1932 »eine antidemokratische Mehrheit« im Reichstag besessen, nach dem Zweiten Weltkrieg dann »Demokratie im Westen, Diktatur im Osten« und so weiter und so fort. Fluchtpunkt ist die Europäische Union als »Friedensmacht«, zu der es keine Alternative gebe.

Um diese Orts- bzw. Positionsbestimmung größtmöglich und gleichförmig zu verbreiten, wird sie flächendeckend angeboten. Beabsichtigt ist, bundesweit rund 3000 Exemplare der Exposition in bis zu 1000 Städten und Gemeinden, an Schulen- und Volkshochschulen, in Stadtbibliotheken, Rathäusern, Museen und Gedenkstätten zu zeigen, außerdem auch international in zehn Sprachen.

Bereits jetzt seien 1900 Exemplare ausgeliefert, wußte Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung gestern zu berichten. Vorbildlich verhält sich das hessische Kultusministerium mit 580 bestellten Exemplaren, die an verschiedene Bildungsträger weitergereicht werden sollen.

Schlichte Sachinformationen, das war alles. Inhaltliche Aussagen blieben Fehlanzeige. Die hätte vielleicht der Autor der Schau, der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte Andreas Wirsching liefern können. Doch der Historiker hatte abgesagt. Peter Lange, Chefredakteur von Deutschlandradio Kultur fiel nichts weiter ein, als auf unterstützende Audiodateien hinzuweisen, die man mit dem Smartphone aufrufen könne. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) drohte immerhin mit einer ganzen »Kampagne politischer Erinnerungskultur«. Insgesamt aber herrschte, um mit Karl Kraus zu sprechen, ein Ton, in dem alle Quantität der Leere dumpf zu Boden schlug. Nichtsdestotrotz ist das Supergedenkjahr gerettet, und der deutsche Staatsbürger wird wissen, wie er Geschichte zu deuten hat.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 16. Januar 2014

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