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Einsatz für Zivilklauseln

Eine Aufgabe (auch) für das Jahr 2014

Von Cornelia Mannewitz *

Von der Giftgas-Forschung im Ersten Weltkrieg bis zu ballistischen Untersuchungen heutzutage wird Forschung für den Krieg betrieben. Doch es formiert sich durch die Zivilklauselbewegung zunehmend Widerstand gegen die militärische Forschungsförderung. Cornelia Mannewitz plädiert in ihrem Artikel für Widerstand gegen die Kriegsforschung.

Das erste serienmäßig gebaute Jagdflugzeug, automatisch gesteuerte Torpedos, Geschütze von bis zu 130 Kilometern Reichweite: Erfindungen im und für den Ersten Weltkrieg. Der deutsche Chemiker Fritz Haber soll es als eine Sache der naturwissenschaftlichen Phantasie bezeichnet haben, wie man feindliche Soldaten töten könnte, wenn Geschosse an den Brustwehren ihrer Schützengräben abprallten: mit Giftgas. Damals wie heute arbeiten Wissenschaftler/innen für den Krieg. Nur wird es manchmal nicht so genannt. An der LMU München wird eine ökologische Generation von Sprengstoffen entwickelt, anderswo beschäftigt man sich mit posttraumatischen Belastungsstörungen und fast alle deutschen Universitäten forschen an Komponenten für unbemannte Systeme, unter anderem die profilgebenden Waffen der künftigen Kriege: Drohnen.

Bis jetzt hat die Rolle Deutschlands in der Kriegsgeschichte des 20. Jahrhunderts zumindest im Alltagsdiskurs noch nachgewirkt. Aber das Schuldbewusstsein soll den Deutschen gerade in diesem Jahr durch Bücher wie „Die Schlafwandler“ von Christopher Clark ausgetrieben werden und der Bundespräsident fordert erstmalig als Redner auf der Münchner „Sicherheitskonferenz“, Deutschland müsse sich international „früher, entschiedener und substantieller“ einbringen.

Bezogen auf die Wirtschaft heißt das im Koalitionsvertrag so: „Der Bereich Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ist nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern auch aus technologie- und sicherheitspolitischer Sicht von nationalem Interesse. Daher werden wir sicherstellen, dass Kernkompetenzen und Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben sowie Technologien und Fähigkeiten weiterentwickelt werden.“ Daraus dürften sich auch einige Aufgaben für die Forschung ergeben.

Militärische Forschungsförderung

Forschungsförderung durch das Pentagon, von der in den letzten Monaten viel die Rede war, ist besonders spektakulär. Über sie gerät aber leicht aus dem Blickfeld, wie aktiv das bundesdeutsche Militär forschen lässt: während der letzten zehn Jahre an fast fünfzig Hochschulen. Förderung kann sich auch in der Einrichtung von Stiftungsprofessuren ausdrücken: So sponsert man an der Uni Bonn eine Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrecht, die – soll man sagen: bezeichnenderweise? – den Namen Henry Kissingers tragen soll; die Finanzierung teilen sich Bundesverteidigungsministerium (BMVg) und Auswärtiges Amt im Verhältnis 5:1. Bald werden übrigens auch von Deutschland aus vermehrt Aufträge ins Ausland gehen: Schon jetzt lässt das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr die Universität Bern ballistische Untersuchungen durchführen.

Die deutsche Wissenschaftspolitik begünstigt diese Entwicklung. Drittmittel müssen die sinkende staatliche Grundfinanzierung ersetzen und werden gleichzeitig zum Kriterium für die Qualität von Forschungsprojekten hochgelobt. Die neue Bundesregierung will Forschungsinfrastrukturen fördern, in denen Hochschulen und Unternehmen noch enger kooperieren. Parallel dazu wird Forschungsförderung zunehmend intransparent und seit 2010 betrifft das, mit besonderer politischer Brisanz, auch die Verwendung der Forschungs(steuer)gelder, die das BMVg verteilt: Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke zu BMVg-geförderten Projekten stellte Details damals zum ersten Mal unter Geheimschutz.

Streit um Zivilklauseln

Dagegen gibt es an inzwischen über einem Dutzend Hochschulen Zivilklauseln. Das sind freiwillige Selbstverpflichtungen zu ausschließlich ziviler und friedlicher Lehre und Forschung. Dieser augenscheinlichen Selbstverständlichkeit für öffentliche Einrichtungen, die junge Menschen für selbstbestimmte gesellschaftliche Aktivität bilden und an der nachhaltigen Lösung globaler Probleme forschen sollen, wird sich aber gern verweigert. Die gängigen Argumente gegen Zivilklauseln lauten „Grundlagenforschung“, „Dual Use“ (gleichermaßen zivile wie militärische Nutzbarkeit von Forschungsergebnissen) und „Artikel 5 GG – Freiheit der Wissenschaft“. Sie gehen natürlich nicht darauf ein, dass man sich auch bei Grundlagenforschung genau den Geldgeber ansehen muss (handelt es sich etwa um das BMVg?), dass die Möglichkeit des Dual Use bei vielen Entwicklungen gleich mitgeplant wird und dass Wissenschaft im Auftrag des Militärs keineswegs frei ist. Sie lassen ganz außer Acht, dass auch geisteswissenschaftliche Forschung kriegsunterstützende Forschung sein kann und dass eine Hochschule gesellschaftliche Verantwortung trägt – mit diesen Argumenten streiten zurzeit (Februar 2014) Professor/ innen der Pädagogischen Hochschule Weingarten für eine Zivilklausel. Und: Nachdem sich seit einigen Jahren die Zivilklauselbewegung vernetzt, formieren sich nun auch die Gegner. Akademische Spezialisten für Sicherheitspolitik bezichtigen die Zivilklauselaktivist/ innen, Anhänger/innen missliebiger politischer Richtungen zu sein. Existierende Zivilklauseln werden zu reinen Diskussionsangeboten umgedeutet oder gleich ganz gebrochen, da Kontrollmechanismen fehlen. Daran muss bei der Arbeit für die Implementierung weiterer Zivilklauseln gedacht werden.

Unter den Reden und Stellungnahmen dieses Jahres waren auch schon solche, die Parallelen zwischen der Situation 1914 und der 2014 zogen: europäische Machtansprüche, Pläne zur ethnischen Desintegration von Staaten, koloniale Ambitionen, Militarisierung der Gesellschaft. Wie weit man dem im Einzelnen folgen will, mag offen bleiben. Für uns ist es wichtig, unsere Vorstellungen von der gesellschaftlichen Verantwortung der Wissenschaft durchzusetzen. Das bedeutet auch, die Zivilklauselbewegung zu unterstützen. Die GEW hat gute Positionen dazu: Der Gewerkschaftstag 2013 beschloss den Antrag für Zivilklauseln in allen Grundordnungen und Landeshochschulgesetzen und unterstützte die Unterschriftenkampagne „Lernen für den Frieden“. Jeder Kollege und jede Kollegin kann dafür vor Ort viel tun. Gesamtgewerkschaftlich, auch gewerkschaftsübergreifend, sollten wir auch in diesem Jahr die Verbindung mit den Aktiven gegen die Bundeswehr an Schulen und mit der neu entstehenden Bewegung für Rüstungskonversion suchen und weiter ausbauen.

* Cornelia Mannewitz engagiert sich in der GEW und in der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen.

Aus: read.me – Zeitung für Studierende - Sommersemester 2014, hrsg. von der GEW



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