Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"In den USA mangelt es an politischem Bewußtsein"

Friedensforschung spielt an US-Universitäten so gut wie keine Rolle. Übermächtiger Einfluß des Militärs. Ein Gespräch mit Subrata Ghoshroy *


Der ehemalige Rüstungsforscher Subrata Ghoshroy lehrt am »Massachusetts Institute of Technology« (MIT) in Cambridge im US-Staat Massachusetts. Er leitet dort ein Projekt zur Förderung der nuklearen Stabilität in Südasien.

Die Forschung wird immer mehr für Militärzwecke in Anspruch genommen – stirbt die Friedensforschung an den Universitäten aus?

Ich fürchte ja. Anders als in Deutschland gibt es bei uns in den USA keine Disziplin »Friedensforschung«. Es sind Einzelpersonen, die sich gegen Kriege artikulieren. Sie stehen oft in der Tradition des »Manhattan-Projekts«, mit dem die USA in den 40er Jahren die Atombombe entwickelte. Alle Wissenschaftler von Top-Universitäten hatten daran mitgewirkt – nach Projektablauf waren sie aber erklärte Atombombengegner.

Diese ablehnende Haltung ist vereinzelt in US-Behörden noch anzutreffen. Vor allem in physikalischen Instituten finden sich noch Kriegsgegner, die offen über das Problem der militärischen Forschung sprechen und schreiben. Allerdings sind es nur sehr wenige.

Wieviel investiert das US-Verteidigungsministerium jährlich in die Universitäten?

Etwa drei Milliarden Dollar. In den Physik- und Ingenieurswissenschaften dominiert die Unterstützung durch das Militär. Das betrifft vor allem Weltraumforschung, Materialentwicklung, Mechanik, Chemie und Informatik.

Auf einer Friedenskonferenz in Berlin sagten Sie kürzlich, neue US-Waffensysteme würden weltweit in Kriegen getestet. Wo zum Beispiel?

Einen Monat nach dem Fall der Berliner Mauer kam es zur Invasion von US-Truppen in Panama – die Aktion wurde »Operation gerechte Sache« genannt. Es debütierten F-117-Tarnkappenjäger und Hellfire-Raketen, die von Apache-Hubschraubern abgefeuert wurden. Und direkt nach Auflösung der Sowjetunion wurden im Krieg gegen den Irak Tomahawk-Marschflugkörper erstmals eingesetzt.

Der Krieg, den die USA und die NATO 1999 gegen Serbien führten, diente wiederum zum Testen der »Predator«-Kampfdrohne. Und seitdem sich die USA 2001 aus dem ABM-Abkommen zurückzogen, das sie mit der Sowjetunion zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen geschlossen hatte, erleben wir, wie Weltraum-Satellitenbilder für kriegerische Zwecke genutzt werden.

Es gibt keinen Gegner, der im traditionellen Sinn zurückschlagen könnte. Ich glaube, daß diese Kriege im Irak, Afghanistan und anderswo als Laboratorien dienen, in denen neue Waffen getestet und alte aufgebraucht werden, um noch mehr neue bauen zu können. Es geht letztlich um Geld.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind die USA die stärkste Macht. Was sind die Folgen?

Die politische Klasse der USA war zunächst von der neuen Machtkonstellation geblendet, Gegenargumente zählten plötzlich nicht mehr. Als ich Berater des US-Kongresses war, hieß es immer wieder: »Wir sind maßgebend. Und wenn es auch ein paar Leute gibt, die Krach schlagen, macht das nichts. Wir sind es, die das Sagen haben.«

Erleben wir eine Entwertung der Diplomatie?

Auf jeden Fall. Die US-Außenpolitik spricht zwar immer noch von Diplomatie – verglichen mit dem militärischen Aspekt spielt sie aber nur eine untergeordnete Rolle. Diplomatie nach Art der USA bedeutet, mit leiser Stimme zu reden und dabei den Knüppel in der Hand zu halten.

Doch allmählich schlägt die Stimmung um. Die Mehrheit der US-Bürger ist für den Abzug der Truppen aus dem Irak und aus Afghanistan. Ich stimme mit anderen Experten überein, die die Zurückhaltung der USA im Syrien-Konflikt auch auf Probleme zurückführen wie die Finanzkrise, das riesige Haushaltsdefizit und die beispiellose Rezession.

Sehen Sie eine Chance, den Krieg gegen den Krieg zu gewinnen?

In den USA mangelt es an politischem Bewußtsein. Das Land ist isoliert und in den Medien liest man nur das, was das Establishment vorgibt. Auf den Vietnamkrieg hat die Öffentlichkeit erst reagiert, als Tausende Soldaten in Leichensäcken zurückkehrten. In Kriegen wie im Irak und in Afghanistan ist die Zahl der Opfer relativ gering. Und es gibt einen weiteren Unterschied: Die Soldaten, die in diesen Kriegen getötet werden, gehören nicht der Mittelschicht an, die das System beeinflussen kann.

Interview: Karina Böckmann (IPS)

* Aus: junge Welt, Freitag 13. Juni 2014


Zurück zur Wissenschafts- und Hochschul-Seite

Zur Wissenschafts- und Hochschul-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur USA-Seite

Zur USA-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage