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Dr. h.c. Edward Snowden?

Rostocks Uni will den NSA-Aufklärer ehren – und legt hohe Maßstäbe an sich selbst an

Von Velten Schäfer *

Wer Snowden ehren will, muss kritischen Debatten gegenüber offen sein – mahnen der Politologe Claus Leggewie und der Parlamentarier Hans-Christian Ströbele in Richtung Rostocker Universität.

Die Zeitungen sind voll, der NDR berichtete per Livestream, bei der Diskussion am Montagabend platze der Hörsaal aus den Nähten. Bereits mit ihrem lauten Nachdenken über die Verleihung einer Ehrendoktorwürde an den NSA-Aufklärer Edward Snowden hat die Rostocker Universität einen bundesweit beachteten PR-Coup gelandet. Sollte man sich dazu tatsächlich durchringen, könnte sich die Uni eine Art Markenzeichen zulegen: ein Haus des Einstehens für die Freiheit, gegen Überwachung und Meinungsunterdrückung. Schließlich befindet sich, wie die Rostocker Medienwissenschaftlerin Elizabeth Prommer kürzlich in dem Zusammenhang unterstrich, die Philosophische Fakultät der Universität in einem ehemaligen »Stasigebäude«.

Auf der Podiumsdiskussion am Montag sowie in der Lokalpresse drehte sich die Debatte vor allem darum, ob denn Snowden einer Rostocker Ehrendoktorwürde würdig sei. Die Universität hat zu dieser Frage prominente Gutachter von außen gewinnen können – große, teils gar international bekannte Namen wie Noam Chomsky, Ulrich Beck, Claus Leggewie, Micha Brumlik sowie als nicht-akademischen Unterstützer den Grünenabgeordneten Hans-Christian Ströbele. Im April wird aller Voraussicht nach ein Ehrenpromotionsverfahren eröffnet.

Kaum öffentlich zur Sprache kommt bisher indes die Gegenfrage – die nämlich, ob umgekehrt die Rostocker Uni der richtige Ort für eine Ehrung des »Whistleblowers« wäre. Zumindest die linke Studierendeninitiative »Kritische Uni« ist nicht dieser Meinung. Sie wirft der Uni auf Flugblättern vor, in der Vergangenheit immer wieder kritische Veranstaltungen unterbunden zu haben.

Mit diesen Konflikten kenne er sich in Einzelnen nicht aus, sagt Wissenschaftler Claus Leggewie gegenüber »nd«. Doch müsse, wer sich mit einer Ehrung für Snowden hervortun wolle, selbst »natürlich auch Snowden-Inhalte leben« und »mit großer Offenheit und Transparenz auch einer sehr kritischen Uniöffentlichkeit« gegenübertreten. Ganz ähnlich reagiert Hans-Christian Ströbele auf »nd«-Nachfrage: »Eine kritische Befragung von wissenschaftlichen Inhalten – nicht nur bezüglich der agrarischen Gentechnik – muss an Universitäten immer möglich und willkommen sein.« Mit der Snowden-Initiative, so auch Ströbele, stelle die Universität durchaus auch an sich selbst hohe Anforderungen.

Bei den Vorwürfen der studentischen Kritiker geht es etwa um die Rostocker Posse um den kanadischen Gentechnik-Kritiker Percy Schmeiser. Der Landwirt, Träger des alternativen Nobelpreises, tritt im Rahmen von Vortragsreisen immer wieder auch an Unis auf. Nur ausgerechnet an der Rostocker Universität, die um die Agrobiotechnologie-Professorin Inge Broer einen Knotenpunkt der agrarischen Gentechnik beherbergt, war ein Schmeiser-Vortrag nicht möglich. Gleich zweimal – 2010 und 2012 – untersagte die Uni auch einen Auftritt des gentechnik-kritischen Autoren Jörg Bergstedt, der von der Grünen-Hochschulgruppe eingeladen worden war. Die Uni schrieb den Veranstaltern damals, absehbar nicht »ausgewogene« Veranstaltungen könne man im Hause nicht genehmigen. Die Bergstedt-Vorträge fanden dann in der Rostocker Heinrich-Böll-Stiftung statt – wie auch 2012 eine Veranstaltung mit dem schillernden Publizisten Justus Wertmüller, der politisch vor allem für eine uneingeschränkte Solidarität mit Israel eintritt.

Um einen vom AStA geförderten und der Hochschulgruppe der Deutsch-Israelischen Gesellschaft veranstalteten Wertmüller-Auftritt zu stoppen, rief man gar beim Landesamt für Verfassungsschutz an. Dort hält man Wertmüller, der für einen Großteil des tatsächlich linksradikalen Spektrums aufgrund seiner bedingungslosen außenpolitischen Parteinahme für Israel und teils auch für die USA ein rotes Tuch darstellt, für einen gefährlichen Extremisten. Auf eine diesbezügliche Landtagsanfrage der LINKEN und der Grünen hieß es unter anderem, die Hochschulgruppe sei kein offizieller Teil der Uni, weshalb die Wissenschaftsfreiheit hier nicht greife. Daraufhin beschwerte sich der mitveranstaltende AStA bitter über seine Missachtung.

Erst wenige Wochen alt ist der jüngste derartige Aufreger. Gegen die Autoren und Verbreiter eines Flugblattes, das sich mit vermeintlich oder tatsächlich rechten Geschichtsdozenten an der Universität befasste, erstattete man eine Strafanzeige.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 22. Januar 2014


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