Missbrauch des Geistes
Wissenschaftler im Dienste des Militärs – im Ersten Weltkrieg und heute *
Prof. Mario Keßler arbeitet am Zentrum für Zeithistorische Forschung und lehrt an der Universität Potsdam. Auf der Konferenz »Wissenschaft zwischen Krieg und Frieden«, die am vergangenen Wochenende in Potsdam stattfand, leitete er eine Arbeitsgruppe zum Thema »Militarismus und Wissenschaft vom Ersten Weltkrieg bis heute«. Mit ihm sprach für »nd« Stephan Fischer.
Herr Keßler, worin bestand die Militarisierung der Wissenschaften vor und während des Ersten Weltkrieges?
Zunächst haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor und während des Ersten Weltkrieges direkt für Kriegsforschungen in Dienst nehmen lassen. Zum Großteil aus nationalistischen Überlegungen und freiwillig, nicht weil sie dazu gezwungen wurden. Was aber ebenso bedeutsam ist: Wissenschaftler haben sich damals wie kaum eine andere Berufsgruppe zu Propagandisten des Krieges gemacht.
Wie wirkte sich dies auf das Kriegsgeschehen aus?
Der Einfluss ist nicht zu unterschätzen, allein wenn man sich beispielsweise die Konstruktion von Feindbildern ansieht. Wenn sich Wissenschaftler dazu hergaben, mit pseudowissenschaftlichen Begründungen den Gegner herabzusetzen. Und natürlich besonders bei der sogenannten Durchhaltepropaganda, die zum Teil einen kriegsverlängernden Einfluss hatte.
Und direkt mit ihrer Forschung?
Das ist ganz klar. Bei Naturwissenschaftlern wie Fritz Haber, dessen Forschungen zum deutschen Giftgaseinsatz führten, liegt es auf der Hand. Aber natürlich waren auch Sozialwissenschaftler und insbesondere Historiker an der Kriegsplanung beteiligt; Ökonomen schrieben Expertisen zur Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen in besetzten Gebieten.
Meist liegt der Fokus beim Thema Wissenschaft und Krieg ja auf den Naturwissenschaften, es ist aber ein Thema, dem sich alle Wissenschaften stellen müssen?
Ja, alle Wissenschaften gleichermaßen.
Gab es vor und während des Krieges Widerstände in den wissenschaftlichen Disziplinen gegen ihre Dienstbarmachung für den Krieg?
Es gab Einzelne, die sich beispielsweise im Oktober 1914 gegen den Aufruf »An die Kulturwelt« wandten, eine Kriegspropagandaschrift von 93 Hochschullehrern. So erhielt die von Georg Friedrich Nicolai privat versandte Gegenerklärung nur vier Unterschriften, darunter von Albert Einstein. Dem folgte wiederum die »Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches«, die den deutschen Sieg als Rettung der europäischen Kultur beschwor. Sie fand rund dreitausend Unterschriften. Vier gegen dreitausend. Viele mit Gewissensbissen trauten sich allerdings nicht, Anpassung und Selbstanpassung der Wissenschaftler ist also ein trauriges Phänomen nicht erst unserer Zeit.
Wie beeinflusst das Militär aus ihrer Erfahrung Forschung heute?
Wenn ich das im Detail wüsste, dürfte ich dem »nd« wahrscheinlich gar kein Interview geben. Aber natürlich erfolgt sie auf dem direkten oder indirekten Weg durch die Vergabe von Rüstungsforschungsaufträgen oder zum Beispiel durch den Einsatz von Psychologen in der Militärpsychologie. Aber auch durch Präsenz von Werbern der Armee an den Universitäten. Das ist in den USA teilweise noch stärker der Fall als in Deutschland.
Wie können sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gegen diese Beeinflussungen und damit gegen die Militarisierung ihres Fachgebiets wehren?
Die Wissenschaftler haben ein wichtiges Mittel: Sie können leicht Öffentlichkeit herstellen, durch ihre Verbindungen zu Medien, allein dadurch, dass sie sich mündlich und schriftlich auszudrücken verstehen. In der Friedensbewegung vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart waren und sind immer auch mutige Wissenschaftler vertreten. Daneben müssen sie, und das gilt besonders für die Naturwissenschaftler, in ihren eigenen Fächern aufklärend wirken, was die Folgen ihrer Forschung in militärischen Auseinandersetzungen und besonders in Nuklearkriegen sind.
Noah Chomsky nannte in einer Großbotschaft Nuklearwaffen und den menschgemachten Klimawandel die beiden größten Bedrohungen für den Frieden weltweit. Welche Bedrohungen sehen sie akut?
Ich stimme Chomsky vollkommen zu, möchte die Bedrohungen aber erweitern: Generell sind Massenvernichtungswaffen, also auch biologische und chemische Waffen, eine Riesenbedrohung. Besonders auch durch ihre Proliferation, wenn sie beispielsweise Terroristengruppen in die Hände fallen.
* Aus: neues deutschland, Montag, 19. Mai 2014
Wissenschaft zwischen Krieg und Frieden
Konferenz debattiert das Militärische im Alltag
Von Stephan Fischer **
Große Kriege zwischen den Industrienationen könnten »nur noch um den Preis des Selbstmords« geführt werden: wegen der wissenschaftlichen Fortschritte der Waffentechnik und ihres enormen Vernichtungsvermögens. Diese Voraussage traf der polnische Eisenbahnindustrielle Ivan Bloch bereits 1899 in seinem Werk »Der zukünftige Krieg«. 15 Jahre später, vor einhundert Jahren, begann der Erste Weltkrieg.
Die Tagung des »Netzwerks 1914« in Zusammenarbeit mit den Studierendenausschüssen der Technischen und Freien Universität Berlin sowie der Uni Potsdam zum Thema »Wissenschaft zwischen Krieg und Frieden« am vergangenen Wochenende zeigte, wie sich große Teile der Wissenschaft auch heute vor den Karren der Militärs spannen lassen. Prof. Dr. Jürgen Scheffran, Geograf an der Universität Hamburg, erläuterte, wie auch nach dem Zweiten Weltkrieg, der mit den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki endete, das nukleare Wettrüsten im Kalten Krieg die Menschheit mehrmals an den Rand der Vernichtung brachte.
Und auch nach dem Ende des Kalten Krieges werde unvermindert an der Aufrechterhaltung und Modernisierung von Waffensystem gearbeitet, so Scheffran. »Wissenschaftler erdenken neue waffentechnische Möglichkeiten und suchen dann politische Zwecke zu ihrer Rechtfertigung. Die Mittel des Krieges verselbstständigen sich, sie brauchen den Feind, ob er nun real existiert oder nur in der Fantasie.« Dabei sei das Schlachtfeld längst räumlich entgrenzt. Vom Weltraum bis auf die Nanoebene im menschlichen Körper: Der Krieg der Zukunft werde, so Scheffran, auch in unserer Arbeits- und Privatsphäre ausgefochten, wie der NSA-Skandal zeige.
Am Beispiel der Bundeswehr zeigte Lena Sachs vom Bündnis »Schulfrei für die Bundeswehr«, wie das Militärische mittlerweile fast selbstverständlich Einzug in den Alltag hält: Neben Kampagnen, mit denen bereits Kinder ab 14 Jahren offensiv angesprochen würden, sei die deutsche Armee zunehmend durch Jugendoffiziere in die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften einbezogen.
** Aus: neues deutschland, Montag, 19. Mai 2014
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