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Deutsche forschen für US-Militär

Auch andere Länder finanzieren deutsche Wissenschaft *

Bereits seit mehr als zehn Jahren forschen deutsche Wissenschaftler im Auftrag ausländischer Verteidigungsministerien. Seit November ist bekannt, dass deutsche Universitäten vom Pentagon in den USA rund zehn Millionen Euro erhalten haben. Doch nach Informationen der Linkspartei ist die gesamte Summe aus Verteidigungsetats anderer Staaten für sowohl universitäre wie außeruniversitäre deutsche Forschungseinrichtungen mindestens doppelt so hoch. Das Geld stammt auch aus Singapur, Großbritannien, Korea, Australien und der Schweiz, heißt es in der Antwort der Bundesregierung zu einer Kleinen Anfrage der LINKEN.

In den vergangenen zehn Jahren erhielten demnach 42 Projekte an außeruniversitären Forschungseinrichtungen insgesamt fast zehn Millionen Euro aus den Etats ausländischer Verteidigungsministerien. Dazu gehören öffentlich geförderte Fraunhofer Institute, Max-Planck-Institute und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Auftraggeber von 33 Projekten waren Abteilungen des US-Verteidigungsministeriums.

Die Kleine Anfrage bezieht sich auf Recherchen von »Süddeutscher Zeitung« und NDR, die im November veröffentlicht worden waren. Demnach hatten 22 deutsche Hochschulen finanzielle Förderungen in Höhe von mehr als zehn Millionen US-Dollar vom Pentagon erhalten. Zu diesen Kooperationen wollte die Bundesregierung in ihrer Antwort keine Angaben machen. »Die Hochschulen liegen im Zuständigkeitsbereich der Länder«, schreibt sie lapidar in Bezug auf 26 Fragen zu konkreten Forschungsprojekten.

Den Zweck der Forschungskooperationen an außeruniversitären Einrichtungen erklärt die Bundesregierung in den meisten Fällen mit der »Grundlagenforschung«. Inwieweit das beispielsweise für Projekte zu präzisionsgelenkter Munition gilt, bleibt offen. »Diese Akteure engagieren sich, weil sie sich davon perspektivisch einen militärisch verwertbaren Nutzen erhoffen«, ist Nicole Gohlke überzeugt, die als hochschulpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag die Anfrage gestellt hatte. jot

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 9. Januar 2014


Verschleierte Wissenschaft

Johanna Treblin über die Intransparenz deutscher Unis **

Bildungspolitik ist im föderalen System Deutschlands Ländersache. Insofern hat die Bundesregierung Recht, wenn sie in ihrer Antwort auf eine Anfrage der LINKEN zur Finanzierung von Projekten an deutschen Hochschulen durch den Verteidigungshaushalt ausländischer Staaten auf die Zuständigkeit der Bundesländer verweist. In den Ländern wiederum verweisen die entsprechenden Ministerien auf die Hochschulautonomie. Und schon fühlt sich niemand zuständig für die Frage, woran deutsche Universitäten forschen und von wem sie finanziert werden. Wozu auch? Die Freiheit von Forschung und Wissenschaft ist schließlich im Grundgesetz verankert. Auch darauf verweist die Bundesregierung in ihrer Antwort zu der Anfrage.

Wissenschaftliche Freiheit ist in einer Demokratie natürlich unabdingbar. Doch mit gewissen Grenzen und vor allem: mit ausreichender Transparenz. Forschungseinrichtungen müssen daher Einblick in ihre Projekte geben, den Zweck der Forschung erkennbar und die Auftraggeber kenntlich machen. Diese Informationen müssen für die Öffentlichkeit leicht zugänglich sein und Bund und Ländern zur Verfügung stehen. Diese wiederum dürfen sich auf Nachfrage nicht auf die Autonomie der Hochschulen berufen. Sonst drängt sich lediglich der Verdacht auf, dass die Bundesregierung Informationen zu militärischer Forschung für ausländische Auftraggeber verschleiern will. Stattdessen muss sie eine entsprechende Gesetzesgrundlage schaffen.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 9. Januar 2014 (Kommentar)


"Die blocken bei dem Thema immer wieder ab"

Rüstungsforschung an deutschen Hochschulen: Bundesregierung tut ahnungslos, die Länder sagen nichts. Ein Gespräch mit Nicole Gohlke **

Nicole Gohlke ist hochschul­politische ­Sprecherin der ­Fraktion Die Linke im Bundestag.


Vor sechs Wochen hatten der NDR und die Süddeutsche Zeitung (SZ) über Forschung deutscher Hochschulen und außeruniversitärer Einrichtungen für das US-Pentagon berichtet. Seit 2000 sollen an 22 Einrichtungen rund zehn Millionen Dollar (7,35 Millionen Euro) geflossen sein. Sie haben mit einer Kleinen Anfrage bei der Bundesregierung nachgehakt. Was weiß die von den Vorgängen?

Der sind all diese Dinge offenbar bekannt. Nur stört sie sich weder daran, noch hält sie es für erforderlich, daß auch die Öffentlichkeit davon erfährt. Tatsächlich hat die Regierung in ihrer Antwort lediglich Auskunft zu außer­universitären Forschungseinrichtungen wie den Max-Planck- oder den Fraunhofer-Instituten gegeben. Um Aussagen zu Kooperationen mit öffentlichen Hochschulen drückt sie sich damit herum, dies sei allein Sache der Bundesländer. Die blocken bei dem Thema aber immer wieder mit Verweis auf die Hochschulautonomie ab. Man gewinnt den Eindruck, als wolle keiner der politisch Verantwortlichen wirklich Bescheid wissen, was an den Hochschulen in puncto Militärforschung läuft.

Und wie steht es um die außeruniversitären Einrichtungen?

Die Regierung hat Kenntnis von 42 Forschungsprojekten, von denen 33 durch Stellen des US-Verteidigungsministeriums mit einem Volumen von 4,6 Millionen Euro finanziert wurden und werden. Dazu kommen neun Aufträge im Umfang von 4,4 Millionen Euro, bezahlt aus den Verteidigungsetats von Singapur, Großbritannien, Südkorea, Australien und der Schweiz. Die im November enthüllte Zahl von zehn Millionen Dollar ist damit schon überholt. In der Berichterstattung war damals von mindestens sechs Millionen Dollar allein im Bereich der Hochschulen die Rede. Damit wären wir also schon bei mindestens 18 Millionen Dollar, die das Ausland in die deutsche Rüstungsforschung gesteckt hat.

Ist das mit der Militärforschung immer so eindeutig?

Die Regierung meint nein und argumentiert, daß praktisch all die fraglichen Aktivitäten der Grundlagenforschung dienten und stets auf eine auch zivile Nutzung hinausliefen. Das ist natürlich eine Schutzbehauptung. Es stimmt zwar, daß die Rüstungs- und Raumfahrtforschung viele Innovationen im Zivilbereich angestoßen hat. Das sind aber nur Nebenprodukte von zuallererst militärischen Anwendungen. Außerdem: Wenn das australische Militär am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt an einem Hyperschalljet forschen läßt, und die Schweizer Luftwaffe dort ein Programm für Fallschirmjäger und Pilotenanwärter unterhält – wo bleibt da, bitteschön, die zivile Nutzung?

Immerhin sorgt sich die Regierung um die Wale …

In ihrer Antwort wird das Thema in der Tat sehr umfassend behandelt. Es mag ja sein, daß es US-Seestreitkräfte traurig macht, wenn Wale durch Unterwasserlärm zu Schaden kommen, und sie deshalb nach Lösungen forschen lassen. Das US-Pentagon finanziert aber auch Projekte, die durchaus die Entwicklung von Drohnen vorantreiben könnten. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß die gewonnenen Erkenntnisse nicht irgendwann auch zu kriegerischen Zwecken mißbraucht werden?

Die Frage ist wohl eher, ob sie das überhaupt sicherstellen will?

Ich sehe auf jeden Fall eine Tendenz, solche Kooperationen politisch in die Wege zu leiten und sich auch ganz aktiv darum zu bemühen. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, daß praktisch alle fraglichen Projekte in den zurückliegenden zehn Jahren und 70 Prozent davon in den letzten fünf Jahren begonnen wurden. Neben einem politischen Willen, solche Kooperationen zu befördern, spielt dabei aber gewiß auch der Umbau der Hochschulen eine Rolle – vor allem deren starke Abhängigkeit von Drittmitteln.

Glauben Sie, das Thema hat das Zeug zum Aufreger? Die Regierung sieht jedenfalls »keinen Handlungsbedarf«.

Der Mangel an Transparenz kommt ja nicht von ungefähr. Sowohl die Hochschulen als auch die Forschungsinstitute tun ja ihr möglichstes, alles totzuschweigen. Wenn die Regierung jetzt sagt: Alles kein Problem, dann zeugt das nicht nur von mangelnder Sensibilität. Das ist außerdem ein weiterer Versuch, sich aus der politischen Verantwortung zu stehlen und eine öffentliche Debatte zu verhindern.

Interview: Ralf Wurzbacher

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 9. Januar 2014


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