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Friedliche Kriegshilfe

Eine Reihe von Konfliktforschungsinstituten bemüht sich um die Akzeptanz der herrschenden militärpolitischen Doktrinen im friedenswissenschaftlichen Diskurs

Von Peer Heinelt *

Mitte November vergangenen Jahres war der Karlsruher Naturwissenschaftler Dietrich Schulze wirklich wütend. In der von ihm abonnierten Vierteljahresschrift Wissenschaft & Frieden (W & F), die sich selbst als »kritische Stimme gegen Krieg und Militarismus« bezeichnet, musste er einen Aufsatz des Soziologen Michael Daxner lesen – eines Mannes, der gemeinhin als »Friedensforscher« gilt und gleichzeitig Kriegsgegnern wahlweise moralisches und politisches Versagen vorwirft oder sie als Steigbügelhalter islamistischer Kräfte diffamiert. Zum Beleg lässt sich die folgende Aussage Daxners aus dem im Jahr 2010 von ihm mit herausgegebenen Sammelband »Interventionskultur« anführen: »Wenn in Deutschland die Partei Die Linke heute den militärischen Rückzug aus Afghanistan für alles westliche Militär fordert, nimmt sie damit billigend in Kauf, dass verheerende Bürgerkriege und erneute undemokratische und unrepublikanische Hierarchien die Afghanen heimsuchen.«

»Interventionskultur«

Besonders allerdings ärgerte Schulze, der seit Jahren gegen die Militärforschung an deutschen Hochschulen kämpft, dass W & F seiner Ansicht nach just einem Protagonisten ebendieser Forschung ein Forum geboten hatte. In der Tat fungierte Daxner bis zu seiner Emeritierung 2011 als Leiter der »Arbeitsstelle Interventionskultur« der Universität Oldenburg. Die hier beschäftigten Wissenschaftler betrachteten laut einer Selbstdarstellung Militärinterventionen wie in Afghanistan als groß angelegte »Sozialreformprojekte« mit dem Ziel einer durchgreifenden »Modernisierung« der betroffenen Gesellschaften nach westlichem Vorbild. Mit der Legitimationsbeschaffung für Kriegsoperationen wollten sich die Mitarbeiter der Arbeitsstelle indes nicht begnügen, sondern lieferten auch gleich handfeste Vorschläge zu deren Optimierung: Gefordert wurde eine umfassende »Sensibilität für kulturelle Faktoren« auf seiten der Besatzungstruppen, was Daxner selbst um den Hinweis ergänzte, dass gerade in Deutschland ein erheblicher »Nachholbedarf an Wissen« bestehe, »das die ehemaligen Kolonialmächte noch gespeichert haben« (siehe jW-Thema vom 21.12.2010).

Für Dietrich Schulze, Beiratsmitglied der Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit«, war damit die Grenze des Erträglichen überschritten. »Professor Daxner hat (...) nichts mit Wissenschaft und Frieden, sondern mit Pseudowissenschaft und Besatzungspolitik zu tun«, teilte er der Redaktion von W & F in einem offenen Brief mit. Ultimativ verlangte er »befriedigende Antwort(en)« auf die Fragen, »warum ein Kriegsunterstützer Autor in W & F sein kann und wie der Wiederholung solcher Fälle vorgebeugt werden soll«. Ansonsten bleibe ihm nur die Kündigung seines Abonnements, so Schulze.

Nur ganz am Rande setzt sich Schulze mit Daxners Beitrag in der aktuellen Ausgabe von W & F auseinander. Dessen Thema sind die Kriegsveteranen der Bundeswehr, die er nach eigenem Bekunden gemäß der offiziellen Rede von den »Auslandseinsätzen« des deutschen Militärs lieber als »Einsatzrückkehrer« bezeichnen möchte. Was es mit diesen »Einsätzen« auf sich hat, interessiert den Soziologen nicht; dass die Existenz von »Veteranen« einzig der Militarisierung der deutschen Außenpolitik und den daraus resultierenden weltweiten Gewaltoperationen der deutschen Streitkräfte geschuldet ist, hält er offensichtlich für unwichtig. Gefragt wird denn auch ausschließlich nach der sozialen Funktion der kampferprobten Krieger, nach der Rolle, die sie für Bundeswehr, private Sicherheitsfirmen, Politik oder Wissenschaft spielen können. Daxner empfiehlt in diesem Zusammenhang, die Traumata der Kriegsheimkehrer ernst zu nehmen und ihre Erlebnisberichte in die Planung künftiger Gewaltmaßnahmen einzubeziehen: »Für die Friedensbewegung ist das achselzuckende ›Selber schuld!‹ angesichts des Leidens von Veteranen ebenso unangemessen wie eine reduzierte Form der Heldenverehrung, weil sie ja im Feld gewesen sind. Vielmehr sollten sie ihre Erfahrungen in die Diskussion um Konfliktprävention und friedensschaffende Funktionen des Militärs einbringen können.«

Seine positivistisch-affirmative Sicht auf Krieg und Militär teilt Daxner mit etlichen anderen Autoren der aktuellen W & F-Ausgabe zum Thema »Soldat sein«. So konstatiert etwa Sabine Mannitz von der in Frankfurt am Main ansässigen, nicht zuletzt mit Steuermitteln finanzierten Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) befriedigt, dass sich die »Soldatenbilder« in den »europäischen Demokratien« aufgrund des »Facettenreichtum(s) der Militäreinsätze« mittlerweile durch eine starke »Pluralisierung« auszeichneten: »Auch wenn häufig widersprüchlich ist, was Soldaten an ideellen Ressourcen zur Ausbildung eines professionellen Selbstverständnisses zur Verfügung steht, gelingt vielen der Spagat zwischen konkurrierenden Rollenbildern und Einsatzanforderungen erstaunlich gut. Die Erwartung, in einer Person Kämpfer, Diplomat und Sozialarbeiter, Landesverteidiger und international einsatzfähiger Repräsentant westlicher Werte zu sein, ist Angehörigen der Streitkräfte vor allem dort bestens vertraut, wo die militärische Ausbildung in hohem Maße ethische, staatsbürgerliche, sicherheits- und verteidigungspolitische Bildungsinhalte einschließt.«

Auch die Frauenbeauftragte der mit Universitätsgeldern ausgestatteten Augsburger Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK), Cordula Dittmer, verschwendet in ihrem Beitrag für W & F keine Zeile an eine grundsätzliche antimilitaristische Kritik. Anstatt das Militär als Ort gewaltförmiger patriarchalischer Zurichtung zu analysieren, untersucht sie die Probleme, mit denen Frauen bei der Bundeswehr konfrontiert sind, wenn sie »männlich besetzte Räume erobern« und ein »positives soldatisches Selbstbild entwickeln« wollen. Von »sexueller Belästigung« und von der Reduktion auf das »militärische Weiblichkeitsideal« der »schwachen und zu beschützenden Frau« ist da die Rede – freilich nicht, ohne gegenläufige Tendenzen gleichermaßen zu würdigen: »Durch den zunehmenden Einsatz von Drohnen werden traditionelle Vorstellungen vom Soldatenberuf, in dem körperliche Leistungsfähigkeit eine so zentrale Rolle einnimmt, verstärkt in Frage gestellt und damit auch die Gestaltungs- und Handlungsspielräume von Frauen – und Männern – erweitert. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass Phasen zunehmender Technisierung von Kriegswaffen historisch immer wieder mit der Aufwertung kognitiver und der Abwertung körperlicher Fähigkeiten einhergingen, traditionelle Männlichkeitskonzepte in Frage stellten und mehr Frauen die Teilhabe an soldatischer Identität ermöglichten beziehungsweise diese erzwangen.«

»Breite Vernetzung«

Es ist kein Zufall, dass die zitierten Beiträge von Daxner, Mannitz und Dittmer Eingang in die aktuelle Ausgabe von W & F fanden. Die von den Autoren repräsentierten Institutionen sind auf vielfältige Weise mit der Zeitschrift liiert: Die Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung gehört ebenso zu den Herausgebern wie das Marburger Zentrum für Konfliktforschung (Center for Conflict Studies, CCS), das Daxner zu seinen Mitgliedern zählt und darüber hinaus maßgeblich an dessen »Netzwerk Interventionskultur« beteiligt ist, für das die gleichnamige »Arbeitsstelle« die Grundlage bildete (siehe jW-Thema vom 21.12.2010). Die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung wiederum ist im Beirat von W & F vertreten. Nicht nur das Marburger CCS, auch AFK und HSFK haben sich längst vom Paradigma des Antimilitarismus verabschiedet.

So ist etwa der Vorstandsvorsitzende der 1968 gegründeten AFK, Conrad Schetter, eng mit den deutschen Streitkräften verbunden. Schetter, der zugleich das Amt des Forschungsdirektors beim Bonn International Center for Conversion (BICC) bekleidet, wird vom in Potsdam beheimateten Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) als Mitglied des dort angesiedelten »Wissenschaftlichen Beirats Einsatzunterstützung« geführt. Wie das ZMSBw auf seiner Website erklärt, stelle der besagte Beirat »die Qualitätssicherung neuer Produkte durch Prüfung von Manuskripten und durch die Beratung in konzeptionellen Fragen sicher«. Zu den von Schetter betreuten »Produkten« zählt unter anderem der vom ZMSBw herausgegebene »Wegweiser zur Geschichte – Afghanistan«, der es den Soldaten der Bundeswehr ermöglichen soll, »sich rasch über die Geschichte und Kultur, aber auch über aktuelle Konfliktstrukturen in Afghanistan zu informieren«. Über die Kriegsziele des Westens heißt es hier in einem von Schetter namentlich gezeichneten Beitrag: »Afghanistan (ist) durch die Ereignisse des 11. September 2001 kaum noch von der Landkarte der internationalen Politik wegzudenken: Hier muss sich beweisen, dass es die internationale Gemeinschaft mit dem Krieg gegen den Terror ernst gemeint hat. Scheitert der Wiederaufbau Afghanistans, hat die internationale Gemeinschaft als Antiterrorkoalition versagt.«

Als es 2010 um die Einrichtung einer Geschäftsstelle ging, entschied sich die AFK zudem für einen Kooperationspartner, der sich nicht gerade durch eine übertriebene Distanz gegenüber den deutschen Streitkräften auszeichnet. Die Wahl fiel auf Christoph Weller und seinen Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Augsburg, über den die AFK seither zu erreichen ist. Weller veranstaltet regelmäßig sogenannte Exkursionen nach Berlin und Potsdam, bei denen er gemeinsam mit seinen Studierenden nicht nur den Bundestag und das Auswärtige Amt besucht, sondern auch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr. Seiner Auffassung nach sind diese Ausflüge Ausdruck einer »breiten Vernetzung«, von der insbesondere die Lernenden profitieren: »Sie können so genau die Kontakte knüpfen, die sie in ihrem Studium und beim Berufseinstieg weiterbringen.« Gerne rühmt sich Weller auch seiner guten Kontakte zu Wolfgang Ischinger, den er in einer Pressemitteilung von 2010 als den »erfahrensten außen- und weltpolitischen Experten Deutschlands« bezeichnete. Dass der Leiter der »Münchner Sicherheitskonferenz«, bei der sich alljährlich Politiker, Militärs und Rüstungsindustrielle die Klinke in die Hand geben, noch so ziemlich jeden Interventionskrieg des Westens bejubelt hat, ficht den »Friedensforscher« Weller offenbar nicht an.

»Militärischer Humanismus«

Ähnlich wie mit der AFK verhält es sich mit der in Frankfurt am Main beheimateten Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Die 1970 von der hessischen Landesregierung ins Leben gerufene HSFK bezeichnet sich selbst als das »größte Friedensforschungsinstitut in der Bundesrepublik Deutschland« und legt besonderen Wert auf die Feststellung, über »völlige wissenschaftliche Freiheit« zu verfügen. Bei der Betrachtung der personellen Zusammensetzung der Stiftungsgremien dürften allerdings selbst einem wohlmeinenden Beobachter ernsthafte Zweifel daran kommen. Den Vorsitz im »Stiftungsrat« der HSFK, der laut einer Selbstdarstellung die Geschäftsführung »überwacht« und den Haushalt »genehmigt«, führt der hessische Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU) – ein Ziehsohn des ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der seine politische Karriere nicht zuletzt einer rassistisch unterlegten Wahlkampfkampagne verdankte. Rhein zur Seite steht Kochs Nachfolger Volker Bouffier (CDU), der zuletzt von sich reden machte, weil er einen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes gegen Strafverfolgung abschirmte, obwohl dieser bei einem Mordanschlag des »Nationalsozialistischen Untergrunds« unmittelbar zugegen war.

Mit dem Frankfurter Politologen Christopher Daase gehört zudem ein Mann dem Vorstand der HSFK an, der direkt in das von der Bundesregierung mit dreistelligen Millionensummen geförderte Programm »Forschung für die zivile Sicherheit« involviert ist. Bis Ende 2013 leitete Daase das zugehörige Projekt »Sicherheitskultur im Wandel«, dessen Mitarbeiter unter anderem Strategien entwickelten, die die Erfolgsaussichten westlicher Militärinterventionen in den Ländern des globalen Südens erhöhen sollten. Grundsätzlich bekannte sich Daases Team dabei laut einer Selbstdarstellung des Projekts zu einem »militärischen Humanismus«, der eine »völkerrechtliche Verantwortung des externen Eingreifens« überall dort zu sehen glaubt, »wo Regierungen die Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht mehr gewährleisten können«. Gleichzeitig sahen sich die Wissenschaftler jedoch mit einem »Dilemma« konfrontiert: »Einerseits werden diffuse Anforderungen gegenüber der Politik artikuliert, um weitere Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu verhindern; andererseits erscheinen vielen Beobachtern aber militärische Handlungsinstrumente entweder als zu kostspielig, ineffektiv oder gar illegitim.« Gefragt wurde daher danach, welche »institutionellen Veränderungen« sich »empfehlen« ließen, um das »Spannungsverhältnis« zwischen »völkerrechtlich und öffentlich eingefordertem internationalen Eingreifen« und dem »tatsächlichen politischen Willen« dazu aufzuheben. Empirisch ermittelt wurden die entsprechenden Anregungen für die Politik nach eigenem Bekunden nicht zuletzt anhand der Untersuchung der »interministeriellen Zusammenarbeit« im Rahmen der »Provincial Reconstruction Teams« der Bundeswehr in Afghanistan.

»Saubere Kriege«

Neben der HSFK ist auch das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) im Beirat der Zeitschrift W & F vertreten. Die 1971 gegründete Einrichtung zeichnet sich durch besonders enge Beziehungen zur Bundeswehr aus: Der erste Direktor des IFSH war Generalleutnant Wolf Stefan Traugott Graf von Baudissin, vormals Generalstabsoffizier im von Erwin Rommel befehligten »Afrikakorps« der Naziarmee. Anfang der 1950er Jahre arbeitete Baudissin im »Amt Blank«, der Vorläufereinrichtung des Bundesverteidigungsministeriums, an der Aufstellung einer »neuen Wehrmacht«, wie es damals hieß. Mit seiner Hilfe entstand unter anderem die sogenannte Himmeroder Denkschrift, in der vormalige Nazigeneräle ihre Bedingungen für die Mitwirkung an der von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) forcierten Remilitarisierung Westdeutschlands formulierten. Gefordert wurden hier die »Freilassung der als ›Kriegsverbrecher‹ verurteilten Deutschen«, die »Einstellung jeder Diffamierung der deutschen Soldaten (einschließlich der im Rahmen der Wehrmacht seinerzeit eingesetzten Waffen-SS)« und die Einleitung entsprechender »Maßnahmen zur Umstellung der öffentlichen Meinung im In- und Ausland«. Seit seiner Gründung zählt stets ein deutscher Offizier zu den ständigen Mitarbeitern des IFSH. 1997 erhielt das Institut einen explizit »militärischen Anteil« – eine eigene Dienststelle der Bundeswehr, die seit 2007 dem Planungsamt der Streitkräfte unterstellt ist.

Analog zur HSFK ist auch das IFSH in das Sicherheitsforschungsprogramm der Bundesregierung eingebunden. Laut einer Mitteilung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung befassten sich Wissenschaftler des Instituts zuletzt mit der Frage, »inwieweit externe Konflikte und außenpolitisches Handeln der Bundesrepublik Deutschland sowie dessen Darstellung in den Medien Rückwirkungen auf islamistische Radikalisierungsprozesse in Deutschland zeigen«. Erklärtes Ziel war es, »politischen Entscheidungsträgern«, Polizei und Geheimdiensten »Handlungsempfehlungen« zur Abwehr ebendieser »Radikalisierungsprozesse« zu unterbreiten. Was darunter zu verstehen ist, hat die Projektleiterin des IFSH, Matenia Sirseloudi, in einem Interview vom 20. März 2013 mit einem von der staatsfinanzierten Deutschen Welle speziell für Muslime eingerichteten Internetportal deutlich gemacht. Wie die Soziologin ausführte, dürfe sich die Bundesregierung auf keinen Fall »von irgendwelchen dschihadistischen Gruppierungen erpressen lassen«: »Sollte es im deutschen außen- und sicherheitspolitischen Interesse notwendig sein, sich an militärischen Interventionen zu beteiligen, so darf es kein Entscheidungskriterium sein, ob Dschihadisten dies befürworten oder nicht.« Gleichzeitig müssten entsprechende Gewaltoperationen propagandistisch so aufbereitet werden, dass sich der muslimische Teil der inländischen Bevölkerung hierin »wiederfinde«. Für »entscheidend« erachtet Sirseloudi dabei, inwieweit es deutschen Truppen gelinge, »Kollateralschäden« zu vermeiden und »saubere Kriege« zu führen: »Die Tötung von Zivilisten sollte so weit wie möglich vermieden werden, nicht nur weil sie gegen Menschenrechte und geltendes Kriegsvölkerrecht verstößt, sondern auch weil die Dschihadisten dies sofort für ihre Propaganda zu nutzen wissen.«

»Einmischung Dritter«

Gemeinsam mit der HSFK, dem bereits erwähnten Bonn International Center for Conversion und anderen namhaften Institutionen der bundesdeutschen »Friedensforschung« zeichnet das IFSH verantwortlich für das alljährlich erscheinende »Friedensgutachten«. 2014 beschäftigte sich dieses insbesondere mit dem Bürgerkrieg in der Ukraine – und sparte nicht mit eindeutigen Schuldzuweisungen. In einer Presseerklärung vom 3. Juni 2014 aus Anlass des Erscheinens der Publikation heißt es: »Der völkerrechtswidrige Anschluss der Krim an Russland und die anhaltende Destabilisierung der Ostukraine stellen (...) die Europäische Union vor eine ihrer größten Herausforderungen.« Allen Kriegsdrohungen westlicher Politiker zum Trotz wird behauptet, »niemand« erwäge ernsthaft, »Russland militärisch entgegenzutreten« – nur um gleich danach selbst eine Drohung auszustoßen: »Die Rückkehr zu traditioneller Großmachtpolitik, die sich mit dem Recht des Stärkeren über multilaterale Vereinbarungen und das Völkerrecht hinwegsetzt, (ist) nicht zu akzeptieren.«

Passend dazu phantasieren die Herausgeber in einer Stellungnahme von der EU als »Friedensmacht«, was ihrer Ansicht nach jedoch nicht grundsätzlich gegen das Führen von Kriegen spricht. So diskutieren sie in ihrem Gutachten denn auch breit die Aufstellung einer »europäische(n) Armee«. Für gemeinsame multinational zusammengesetzte Streitkräfte spreche, dass die EU damit über ein »Mittel« verfüge, »um militärischen Interventionen in ihrer weiteren Nachbarschaft den Ruch neokolonialer Interessenpflege und Machtentfaltung zu nehmen«, heißt es. Darüber hinaus werden »handfeste ökonomische Gründe« bemüht: »Die nationale Organisation der Streitkräfte in Europa ist teuer. Sie bewirkt die Multiplikation des Finanzbedarfs bei Unterhalt, Ausrüstung und Einsatz der Streitkräfte. (…) In Zeiten schrumpfender Verteidigungsetats führen kostspielige Mehrfachstrukturen dazu, dass die EU-Staaten nicht mehr alle benötigten militärischen Fähigkeiten für internationale Einsätze aufbringen können.« Ähnlich argumentieren die Herausgeber des »Friedensgutachtens« bei ihrem Plädoyer für die Entsendung von Polizisten in »Krisenregionen«: »Die EU und Deutschland sollten Polizeieinsätzen in Friedensmissionen mehr Gewicht verleihen. Das Engagement dafür ist personell und finanziell unverhältnismäßig gering im Vergleich zu dem für militärische Einsätze.«

Für die Finanzierung des »Friedensgutachtens« sorgt die in Osnabrück beheimatete Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF). Die im Jahr 2000 von der Bundesregierung gegründete Institution verfügt über ein Kapital von rund 27 Millionen Euro, das aus Mitteln des Bildungsministeriums und des Verteidigungsministeriums stammt. Ihre Aufgabe sieht sie nach eigenem Bekunden in der Förderung von Projekten zur »Identifizierung von Eskalationspfaden«, da deren Kenntnis »unerlässlich« sei, wenn eine »Einmischung Dritter« in »manifeste Auseinandersetzungen zwischen Staaten, Ethnien und sozialen Großgruppen« wirklich »erfolgversprechend« ablaufen solle. Eine mögliche Form der »Einmischung« besteht dabei laut DSF in der »direkte(n) Intervention mit Streitkräften« – etwa bei »massenhaften Menschenrechtsverletzungen«, »Umwelt- und Ressourcenkonflikten« oder »Verletzungen des Nachhaltigkeitsprinzips«. Mit anderen Worten soll also immer dann interveniert werden, wenn es darum geht, »deutsche Interessen« weltweit durchzusetzen.

Wie deutlich geworden sein dürfte, sind etliche Einrichtungen der sogenannten Friedensforschung Teil des Politikberatungs- und Propagandabetriebs der BRD. Ihre Mitwirkung an Zeitschriften wie W & F ist einzig der Absicht geschuldet, für die Akzeptanz der herrschenden militärpolitischen Doktrinen im friedenswissenschaftlichen Diskurs zu sorgen. Antimilitaristen sollten sich hierüber im klaren sein.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 8. Januar 2015


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