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Die Solidarität selbst

Ohne starke außerparlamentarische Bewegungen ist vom Parlament nichts zu erhoffen – zum Tod von Arno Klönne

Von Eckart Spoo *

Die Linke in Deutschland hat einen ihrer Besten verloren. Wenige haben so viel bewirkt wie er. Aber viele haben ihn nie persönlich erlebt, kennen vielleicht nicht einmal seinen Namen: Arno Klönne, am 4. Mai 84 Jahre alt geworden, ist am 4. Juni in Paderborn gestorben, wo er aufgewachsen war und den größten Teil seines Lebens verbracht hat, von Beruf Soziologieprofessor an der dortigen Gesamthochschule. Für Veranstaltungen außerhalb des östlichen Westfalen war er seit Jahren immer seltener zu gewinnen.

In dieser Region aber kannten und schätzten ihn alle Linken – und nicht nur sie – vor allem als Ratgeber. Mit seinem Wissen, seiner politischen Klugheit, seinem Realitätssinn, seiner Bescheidenheit und Sachlichkeit half er, kleine und große Konflikte zu lösen, vermittelte, orientierte aufs Gemeinsame und Vordringliche und bestärkte alle, die ihn fragten. Ein guter Lehrer war er nicht nur seinen Studentinnen und Studenten, sondern auch Gewerkschaftern, die ihn gern zu Seminaren holten. Und auch gleichaltrige emeritierte Professoren sagen jetzt: »Wir haben unseren Lehrer verloren.«

Ich habe Arno Klönne immer an meiner Seite gewusst. Als wir uns Ende der 1950er Jahre kennenlernten, hatte er schon seine Promotion bei Wolfgang Abendroth in Marburg abgeschlossen und arbeitete als hessischer Landesjugendpfleger. Thema seiner Dissertation war die Hitler-Jugend gewesen. Es folgte das Buch »Gegen den Strom« über den antifaschistischen Widerstand von Jugendlichen. Ihn bewegte die Frage: Wie hatte es dazu kommen können, dass Millionen Jugendliche im Gleichschritt der Nazis mitmarschierten und mitgröhlten? Und was hatte manche befähigt, sich zu verweigern oder sogar aktiven Widerstand zu leisten? Was war daraus für die Gegenwart und die Zukunft zu lernen? Besonders wichtig war ihm das Beispiel der »Deutschen Jungenschaft vom Ersten Elften« (dj.1.11), die sich am Ende der Weimarer Republik, das heißt am 1.11.1929, anders als die meisten bündischen Gruppen, für einen linken Kurs entschieden hatte. Arno beteiligte sich an der Wiederbelebung der dj.1.11. Er war Mitherausgeber ihrer Zeitschrift Pläne. Ich arbeitete dort eine Zeitlang als Redakteur.

Als 1960 in mehreren deutschen Städten Hakenkreuzschmierereien bekannt wurden, gab Arno mir die Möglichkeit, in der Frankfurter Paulskirche eine Ausstellung über die Nazivergangenheit zu konzipieren und aufzubauen. Dafür Material aufzutreiben, war im Adenauer-Staat äußerst mühsam. 15 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation der großdeutschen Wehrmacht schien alles verdrängt und vergessen zu sein. Wichtige Fotos fand ich erst durch Vermittlung der VVN bei einem Besuch in der zentralen Bild-Agentur der DDR. Gegenüber Arno musste ich diese Quelle nicht verschweigen – aber er war bis heute der einzige, dem ich darüber berichtete. Die Ausstellung wurde zu einem großen Erfolg: 35. 000 Besucher, viele Schulklassen. Die Eintragungen im Besucherbuch stimmten überein: »Davon haben uns unsere Eltern und Lehrer nie etwas gesagt.« Arno hat diese Buch als wertvolles Zeitdokument aufbewahrt.

1960 fand auch der erste Ostermarsch statt, an dessen Vorbereitung ich mitgewirkt hatte. Arno wurde neben Klaus Vack und später Andreas Buro zum Sprecher des Veranstalterbündnisses (»Kampagne für Abrüstung«, später »Kampagne für Abrüstung und Demokratie«). Die Ostermärsche wuchsen von Jahr zu Jahr und erlangten auch im Widerstand gegen die Notstandsgesetzgebung einen heute kaum noch vorstellbaren politischen Einfluss – bis sie 1968 zerschlagen wurden. Die Schüsse auf Rudi Dutschke am Gründonnerstag 1968 und zwei meines Wissens bis heute nicht aufgeklärte Todesfälle in München sowie allerlei Provokationen schreckten ab; etliche Jahre konnten keine Ostermärsche mehr stattfinden. Aber Arno Klönne ließ nicht locker. Illusionen waren ihm so fremd wie Zerknirschung. Zuverlässig war er immer zur Stelle, wenn es galt, Initiativen gegen Aufrüstung, Antikommunismus, Springer-Presse und Demokratie-Abbau zu entwickeln. Arno war die Solidarität selbst – ohne jedes Pathos. Zum Beispiel haben ihm viele Opfer der Berufsverbote, ohne ihn zu kennen, auch materielle Hilfe zu verdanken (Heinrich-Heine-Fonds).

Zu seinem 80. Geburtstag erschien ein Sammelband mit Aufsätzen von Linken verschiedener Fraktionen unter dem Titel »Oppositionsfähig werden!« – gezielt gegen das Gerede in der Partei Die Linke, ihre Hauptaufgabe sei es, regierungsfähig zu werden. Arno Klönne hob sich weit von denen ab, die immer nur Parlamentswahlen im Blick haben und Parteiprogramme schnell wechselnden Taktiken unterwerfen. Sein Herz gehörte immer der APO. Er lehrte: Ohne starke außerparlamentarische Bewegungen ist vom Parlament nichts zu erhoffen.

1997 gründete er gemeinsam mit Rolf Gössner, Otto Köhler, Reinhard Kühnl und mir die Zweiwochenschrift Ossietzky. Hauptanlass für ihn war der damalige Anpassungsschwenk der Blätter für deutsche und internationale Politik, aus deren Herausgeberkreis er sich verabschiedete. Arno war seitdem – mit etlichen Pseudonymen - der fleißigste aller Ossietzky-Mitarbeiter. Im Sterbebett schrieb er auf dem Laptop seine letzte »Bemerkung« für die Ausgabe, die am Wochenende erschienen ist.

Mit der letzten Unterschrift, die er gab, unterstützte er eine Initiative, die demnächst an die Öffentlichkeit treten soll: Das wiedererstehende Berliner Stadtschloss, für dessen Nutzung bisher kein Konzept vorliegt, soll zentraler Ort des lernenden Gedenkens an die Nazivergangenheit werden. Ich halte diesen Gedanken, je genauer ich ihn prüfe, für zwingend.

* Aus: junge Welt, Montag, 8. Juni 2015


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