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Unimitarbeiter im Stress

GEW-Studie: Bologna-Reform hat Hochschulbeschäftigten viele Zusatzaufgaben gebracht. Parallel Prekarisierung durch befristete Jobs

Von Jana Frielinghaus *

Die Befunde der Untersuchung, die die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am Donnerstag in Berlin vorstellte, sind überwiegend nicht neu: Hochschulbeschäftigte müssen neben ihren eigentlichen Aufgaben in Lehre und Forschung immer mehr Verwaltungsjobs bewältigen. Außerdem sind sie für die Teilfinanzierung ihrer Forschungsvorhaben via Einwerbung sogenannter Drittmittel verantwortlich. Dazu kommt, dass die große Mehrheit der wissenschaftlichen Mitarbeiter an Unis nur befristet angestellt ist.

Diese Trends haben viel mit den auf dem Bologna-Gipfel 1999 beschlossenen Reformen im Hochschulbereich der Europäischen Union zu tun. Die Autorinnen der GEW-Studie, Franziska Leischner und Julia Rüthemann, waren insbesondere davon überrascht, dass auch die Mehrheit der Professoren, die sich an ihrer Befragung beteiligten, erklärte, ihre Arbeitsbedingungen hätten sich durch den damit verbundenen gewachsenen bürokratischen Aufwand verschlechtert. Fast 59 Prozent äußerten sich in dieser Richtung.

Die Studie war Teil eines länderübergreifenden Projektes des Forschungsinstituts der Bildungsinternationale (Education International, EI), Dachverband der Gewerkschaften in diesem Bereich, an dem sich zehn Mitgliedsorganisationen mit eigenen Beiträgen beteiligten. Sein Titel »Schaffung eines förderlichen Arbeitsumfeldes an Hochschulen« ist zugleich ein Appell, der den Teilnehmern des Bologna-Gipfels der europäischen Bildungsminister am 14. und 15. Mai in der armenischen Hauptstadt Jerewan vorgelegt werden soll.

Andreas Keller, stellvertretender GEW-Chef und Hochschulexperte der Gewerkschaft, forderte Bund, Länder und Hochschulen angesichts der aktuellen Umfrageergebnisse – 1.100 Beschäftigte aus allen Bereichen haben sich beteiligt – auf, die Beschäftigten bei der Umsetzung der Bologna-Reform stärker zu unterstützen. Lehrende müssten »von bürokratischem Aufwand durch qualifizierte Wissenschaftsmanager entlastet werden«. Darüber hinaus brauchten Dozentinnen und Dozenten qualifizierte Fort- und Weiterbildungsangebote in der Hochschuldidaktik. Zudem müssten endlich mehr Dauerstellen geschaffen werden – »Professuren, aber auch unbefristete Beschäftigungsverhältnisse im akademischen Mittelbau«.

78 Prozent der Hochschulbeschäftigten gaben an, der Druck, Drittmittel einzuwerben, habe in den letzten Jahren zugenommen. Und 74 Prozent erklärten, sie müssten häufiger in international renommierten Zeitschriften publizieren, um bei der »leistungsorientierten« Vergabe solcher Zuwendungen, vornehmlich aus der Wirtschaft, zum Zuge zu kommen.

Die enorme Ausweitung befristeter Arbeitsverhältnisse ist offenbar vornehmlich ein deutsches Phänomen. Nach Angaben des »Bundesberichts Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013« haben 90 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter nur einen Job auf Zeit. Die Hälfte von ihnen hat zudem einen Vertrag für weniger als ein Jahr. Im Durchschnitt der an der Studie beteiligten Länder hatte nur ein Drittel sämtlicher Hochschulbeschäftigten einen Arbeitsvertrag auf Zeit, in der Bundesrepublik waren es zwei Drittel.

Die Bundesregierung habe zwar erkannt, dass das Befristungsunwesen auch dem Forschungsstandort Deutschland schadet, sagte Andreas Keller auf jW-Nachfrage. Allerdings gebe es bislang nur Absichtsbekundungen, den Arbeitsplatz Universität für die derzeit 150.000 Nachwuchskräfte attraktiver zu machen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 8. Mai 2015

Info:

Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung der Bildungsinternationale „Schaffung eines förderlichen Arbeitsumfeldes an Hochschulen“ und des im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung erstellten deutschen Beitrags zur Untersuchung hat die GEW heute vorgestellt. Die vollständige Fassung des von Franziska Leischner, Humboldt-Universität Berlin, und Julia Rüthemann, Universität Mannheim, erstellten deutschen Beitrags kann unter dem Downloadlink in der Infobox rechts oben abgerufen werden (siehe Link unten!).
Der deutsche Beitrag enthält auch eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der europäischen Studie. Deren vollständige Ergebnisse sind auf der Website der Bildungsinternationale (in englischer Sprache) zu finden.

Schaffung eines förderlichen Arbeitsumfeldes an Hochschulen
Die vollständige Studie zum Herunterladen (pdf-Datei) [externer Link]




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