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Misere par excellence

Jahresrückblick 2014. Heute: Hochschulen. Der Reformeifer der Regierungskoalition bewahrt bestenfalls den Status quo

Von Ralf Wurzbacher *

Die große Koalition hat geliefert. Was auf zentralen Baustellen im Wissenschaftsbereich jahrelang an Arbeit liegen geblieben war, haben Union und SPD angepackt. Und so gab es »Reformen« satt, im Jahr 2014: Der Hochschulpakt zur Finanzierung zusätzlicher Studienplätze wurde verlängert, die Fortdauer der Exzellenzinitiative für Spitzenforschung und des Pakts für Forschung und Innovation beschlossen. Das »Kooperationsverbot« in Bildungsfragen wird gelockert, der Bund übernimmt die vollen Kosten der Bundesausbildungsförderung, und obendrein winkt auch noch eine »umfassende« BAföG-Novelle. All das lassen sich Bund und Länder etliche Milliarden Euro extra kosten. Gibt es sie also doch, die »Bildungsrepublik« Deutschland?

Dagegen spricht einiges. Das geht damit los, dass sich bestimmte Entscheidungen einfach nicht mehr länger hatten aufschieben lassen. Die zweite Programmphase des Hochschulpakts läuft 2015 aus, ebenso der Forschungs- und Innovationspakt, und mit der Exzellenzinitiative wäre Ende 2017 Schluss gewesen. Um die Dinge am Laufen zu halten, mussten Bund und Länder handeln. Natürlich hätten sie es auch lassen können, was mindestens im Fall der Exzellenzinitiative kein Schaden wäre. Alles, was weiter an Geld für die Profilierung einzelner Leuchtturmprojekte locker gemacht wird, fehlt den Hochschulen in der Breite. Nur leider haben es die Hochschulplaner nicht so mit der Gleichheit.

Das Wörtchen »Elite« will man sich trotzdem lieber verkneifen. Die Überlegungen gehen dahin, die dritte Förderlinie, bei der sich ganze Hochschulen mit sogenannten Zukunftskonzepten den Status »Eliteuniversitäten« verdienen können, einzustampfen und die Mittel darauf zu konzentrieren, einzelne Forschungsbereiche (»Exzellenzcluster«) in die »Weltspitze« zu führen. Womöglich soll sogar die Lehre profitieren, freilich nur punktuell und für den Fall »innovativer« Ansätze. Bisher haben Studierende von der seit bald zehn Jahren praktizierten Elitenmacherei praktisch nichts gehabt. Im Gegenteil: Innerhalb der begünstigten Unis werden die knappen Mittel häufig zu Gunsten der prämierten Sahnestückchen umverteilt, wodurch andere Bereiche qualitativ abfallen und sich die Differenzierung nach »Leistung« und Renommee weiter zuspitzt.

Aber noch ist nichts entschieden. Zunächst will die Politik abwarten, was die eingeleitete Prüfung der Exzellenzinitiative durch eine »unabhängige« internationale Kommission bringt. 2016 soll es mit dem Abschlussgutachten soweit sein, und vielleicht empfiehlt der Chefexperte Dieter Imboden am Ende ja das Undenkbare, mit der Wetteiferei um staatliche Extramilliarden Schluss zu machen. Obwohl – für den Schweizer Umweltphysiker ist das Programm ein »Leuchtturm in der Wissenschaftsgeschichte der letzten zehn Jahre«, das »eine nationale Bewegung von einer Größenordnung und Konsistenz« wie in keinem anderen Land der Welt bewirkt habe. Soll wohl heißen: Die Sache geht weiter, vielleicht sogar noch besser als bisher. Etwa so wie an der Eidgenössischen Technischen Universität (ETH) in Zürich, Europas Vorzeige-Uni schlechthin. Dort nämlich lehrt Imboden.

Weiter geht es auch mit dem Hochschulpakt, und immerhin kommt der allen Einrichtungen zugute. Nach dem Beschluss der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Ende Oktober wollen Bund und Länder bis 2020 rund 19 Milliarden Euro zusätzlich zur Schaffung neuer Studienplätze bereitstellen. Was nach viel klingt, ist bei genauerem Hinsehen knauserig. Die im Rahmen des Paktes in den vergangenen Jahren zu Hunderttausenden neu entstandenen Studienplätze werden lediglich mit 26.000 Euro in vier Jahren ausgestattet. Damit ist jeder einzelne billiger als ein »Normalstudienplatz«. Die mindere Qualität schlägt sich unter anderem in hohen Abbrecherquoten nieder. Fast 30 Prozent aller Bachelor-Anwärter beenden ihr Studium vorzeitig, in den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern scheitern zum Teil 40 Prozent und mehr.

Und was unternimmt die Politik dagegen? Sie will von den Mitteln aus dem Hochschulpakt III zehn Prozent für »zielgerichtete Maßnahmen« abzweigen, »um mehr Studierende qualitätsgesichert zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen«. Damit bleiben pro Jahr und Studienplatz noch 5.850 Euro, womit die Qualität weiter den Bach runtergehen und der Trend zum Abbrechen noch einmal verstärkt werden dürfte.

Am Mittwoch dieser Woche hat das Berliner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) eine Studie zur Betreuungssituation an Deutschlands Hochschulen vorgelegt. Vor allem in den Ingenieurwissenschaften, den Naturwissenschaften und in der Mathematik sei die Lage »fast schon als dramatisch« zu bezeichnen, befand FiBS-Direktor Dieter Dohmen. In den Ingenieurfächern kamen im Jahr 2012 auf eine Lehrkraft im Schnitt 22,4 Studierende, 2003 lag das Verhältnis noch bei eins zu 15,6. In den Universitäten machte die Relation einen Sprung von eins zu 11 auf eins zu 19,4, während sich an den Fachhochschulen ein Dozent inzwischen durchschnittlich um 25,4 Studierende kümmern muss.

Bildungsforscher Dohmen erklärt diese Entwicklung mit den geringen Mittelzuweisungen im Rahmen des Hochschulpakts. »Das Geld mag ausreichen, um Verbesserungen bei den Lehrkapazitäten in den Sozial-und Geisteswissenschaften herbeizuführen, aber nicht in den deutlich teureren Ingenieurwissenschaften.« Dazu komme, »dass keine nachhaltigen Strukturen aufgebaut werden«. Die Gelder würden immer nur zeitlich begrenzt vergeben, wodurch in aller Regel auf »kurzfristige und möglichst billige Lösungen« gesetzt werde. »Man schafft vor allem Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter oder Tutoren und kaum noch solche für Professoren.« Tatsächlich werden Professoren immer mehr zur Ausnahmeerscheinung. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts von 2012 kamen damals auf einen Professor 64 Studierende, vier Jahre zuvor lag das Verhältnis noch bei 1 zu 58. An den »normalen« staatlichen Hochschulen ohne Spezialisierung betrug die Quote gar eins zu 70, mancherorts ist ein Professor sogar für 100 Studenten zuständig.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat dieser Tage für einen Paukenschlag gesorgt – der von den Mainstreammedien jedoch weitgehend ungehört blieb. Die Forderung: Pro Jahr müssten 57 Milliarden Euro mehr für ein »qualitativ besseres und zukunftsfähiges Bildungssystem« investiert werden. Gemäß der GEW-Studie »Bildungsfinanzierung für das 21. Jahrhundert« hätten allein die Hochschulen eine Geldspritze von jährlich 14,51 Milliarden Euro nötig – um damit beispielsweise die Betreuungsquote auf höchstens 13 Studierende pro Lehrkraft zu senken oder die Hochschulbauten in Schuss zu bringen.

Die Bundesregierung rühmt sich aktuell damit, neun Milliarden Euro extra in Bildung, Wissenschaft und Forschung zu stecken. Dabei ist längst nicht ausgemacht, ob die bei den Ländern durch den Wegfall ihres BAföG-Anteils freiwerdenden Mittel tatsächlich bei Kindern, Schülern und Studenten landen. Auf die beschlossene BAföG-Erhöhung muss auf alle Fälle noch gewartet werden – bis zum Wintersemester 2016/17.

* Aus: junge Welt, Samstag, 20. Dezember 2014


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