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Freiheit für Bananen

Initiative für eine Zivilklausel an der Universität Kiel empört Hochschulleitung und »Sicherheitsforscher«. In Bremen wird Militärforschung vielleicht untersagt

Von Ralf Wurzbacher *

Der Vorstoß zur Durchsetzung einer Zivilklausel an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) erhitzt die Gemüter. Nachdem sich zuletzt Studierende bei einer Befragung mit deutlicher Mehrheit für eine explizit friedenpolitische Ausrichtung der universitären Forschung ausgesprochen hatten (jW berichtete), setzte es jetzt Kritik von den Gegnern des Vorhabens. Dieses greife zu kurz und bedrohe den Grundsatz der Forschungsfreiheit, heißt es seitens der Hochschulleitung. Schweres Geschütz fährt auch der Chef des unieigenen Instituts für Sicherheitspolitik (ISPK) auf: Er wettert gegen Umtriebe »von linken und vor allem linksextremen Gruppen«, die den Unibetrieb »zu steuern oder diesen zu stören« versuchten.

Gegen derlei Anwürfe verwahrt sich Ruben Reid, der den Arbeitskreis Zivilklausel an der Uni Kiel koordiniert. Wie er am Wochenende im Deutschlandfunk sagte, gehe es bei der Initiative zunächst einmal darum, Militärforschung »öffentlich und transparent« zu diskutieren. So müsse etwa der Frage nachgegangen werden, ob dieser Wissenschaftszweig »überhaupt einen langfristigen Ansatz bildet, um Frieden herstellen zu können«. Viele seiner Kommilitonen haben da offenbar ihre Zweifel. Bei besagter Umfrage vom 20. Juni stimmten fast drei Viertel der knapp 4000 abstimmenden Studierenden dafür, die Grundordnung der Hochschule um folgenden Passus zu ergänzen: »Forschung, Studium und Lehre sind zivil, dienen friedlichen Zwecken und sind frei von Kooperationen mit Rüstungskonzernen und militärischen Akteuren.«

Die Uni Kiel soll zwischen 2007 und 2012 im Rahmen von zehn Projekten 2,7 Millionen Euro vom Bundesverteidigungsministerium (BMVg) und der NATO erhalten haben, was gut einem Prozent ihrer Drittmitteleinnahmen entspricht. Laut einem Hochschulsprecher sei mit dem Geld unter anderem untersucht worden, wie U-Boote Meeressäuger beeinflussen. Das ist aber wohl nur ein Teil der Wahrheit: Das Internetportal german-foreign-policy.com hatte Anfang Mai berichtet, in Kiel werde im BMVg-Auftrag ein Konzept zur Aufstandsbekämpfung für die Bundeswehr entwickelt. Verlangt wird darin unter anderem die Intensivierung der Auslandsspionage und eine stärkere staatliche Nutzung von Nichtregierungsorganisationen bei Militärinterventionen. Gemäß der in der Studie beschriebenen sogenannten Counterinsurgency-Strategie muß Deutschland »in Zukunft mehr Verantwortung für die Wahrung von Stabilität und Sicherheit der an Europa angrenzenden unruhigen Regionen übernehmen«.

Ausgeheckt haben die Planspiele Forscher des ISPK, und nicht zufällig sagt dessen Direktor Joachim Krause zu einer Zivilklausel »Nein, danke«. In einer ausführlichen Stellungnahme nennt er das Vorhaben eine »politische Mogelpackung«, die darauf abziele, Kontakte mit der Bundeswehr oder der wehrtechnischen Industrie »zu diskreditieren und zu unterbinden«. Dahinter stehe zumeist die Absicht, Stimmung gegen Auslandseinsätze »im Rahmen von internationalen Friedensmissionen und Missionen der Friedenskonsolidierung« zu machen. Es gehe, so Krause weiter, »um politisch motivierte Einschränkungen der Freiheit von Forschung und Lehre. Das ist für eine freie Universität in einer demokratischen Gesellschaft völlig inakzeptabel.«

Bemerkenswert ist, wie der ISPK-Chef den Spieß umdreht und den Aktivisten den schwarzen Peter zuschiebt. Die Zivilklausel ist nämlich laut Krause »keine Friedensklausel«, eben weil ihre Betreiber die deutsche Truppe als vermeintlichen Friedensstifter nicht anerkennen. »Das ist etwas völlig anderes als ein Bekenntnis zum Frieden und diese kleine sprachliche Differenz macht politisch einen enormen Unterschied.« Merke: Wer Militärforschung verhindert, befördert in Wahrheit den Krieg. Das bewegt sich auf derselben Argumentationsebene wie ein aktueller Werbespot der deutschen Marine. Darin wird der Einsatz der Bundeswehr zu Wasser damit verklärt, Kindern den ungehinderten Zugang zu Bananen zu sichern.

Studierende schlucken solchen Unfug offenbar nicht. Inzwischen gibt es an 13 Hochschulen Initiativen, Forschung und Lehre von rüstungs- und militärpolitischen Einflüssen zu befreien. Was Krause als eine »regelrechte Kampagne« aus dem »linken (oft linksextremen), antimilitaristischen Spektrum« verteufelt, ist längst eine Erfolgsgeschichte, die Rüstungsindustriellen, Politikern und Rektoren ernste Sorgen bereitet. Auf ihren vorläufig größten Triumph steuert die Bewegung aktuell an der Uni Bremen hin: Dort soll die bereits seit 1986 bestehende Zivilklausel nicht länger nur Selbstverpflichtung sein, sondern demnächst Eingang ins Landeshochschulgesetz finden.

* Aus: junge welt, Dienstag, 9. Juli 2013


»Das klingt nett, hat aber einen Haken«

Gesetzliche »Friedensklausel« wie in Bremen geplant, würde Rüstungsforschung nicht zwingend ausschließen. Gespräch mit Max Forster **

Max Forster ist im Allgemeinen Studierendenausschuß (AStA) der Universität Bremen für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig.


Die Universität Bremen hat sich als bundesweit erste Hochschule schon 1986 zum Verzicht auf militärische Forschung verpflichtet. Nun schickt sich die regierende SPD-Grünen-Koalition an, die sogenannte Zivilklausel sogar ins Landeshochschulgesetz zu überführen. Warum hält sich Ihre Freude darüber in Grenzen?

Im Moment zeichnet sich nur die gesetzliche Etablierung einer »Friedensklausel« ab. Das ist ein bedeutender Unterschied. Bei einer Friedensklausel ist Forschung erlaubt, die friedlichen Zwecken dient. Das klingt nett, hat aber einen Haken: Wenn »humanitäre Interventionen« mit militärischen Mitteln als friedensschaffende Maßnahmen definiert werden, bleibt Rüstungsforschung prinzipiell gestattet.

Aber wäre ein Gesetz nicht immer noch besser als eine reine Selbstverpflichtung der Landeshochschulen?

Wenn es zur Etablierung einer echten, substantiellen Zivilklausel kommt, wäre dies ein großer Schritt. Dann nämlich hätten Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter und auch Studierende eine gesetzliche Handhabe, wenn es zu Verstößen kommt. Das ist wichtig, zumal bislang praktisch alle Verstöße gegen die Klausel im Prinzip ungeahndet blieben. Da gab es zum Beispiel ein Forschungsprojekt des Bremer Satellitenbauers OHB, bei dem es um die Erforschung effizienterer Datenübermittlung von Kampfflugzeugen an Bodenstationen ging. Wie gesagt: In solchen Fällen würde nur eine substantielle Zivilklausel greifen – eine Friedensklausel hingegen nicht oder nur bedingt.

Ist es nicht faktisch so, daß der Einfluß von Militär und Rüstungsindustrie auf die Hochschulen trotz aller inzwischen bestehenden Zivilklauseln in den letzten Jahren eher zu- statt abgenommen hat?

Davon ist auszugehen. Deutschland zählt im Rüstungsbereich zu den exportstärksten Nationen. Allerdings gibt es hierzu keine verläßlichen Zahlen. Die Verstöße an der Uni Bremen sind vor allem durch anonyme Hinweisgeber aufgedeckt worden. Es mangelt insgesamt an Transparenz, aber auch hierfür arbeiten wir an Lösungen. Die neuerdings im AStA der Uni Bremen vertretenen Hochschulpiraten wollen dazu eine Art »Science Leaks«-Plattform etablieren.

Angenommen, es wird qua Gesetz nur eine Friedenklausel geben: Könnte Militärforschung dadurch vielleicht sogar zusätzlich legitimiert werden?

Leider ja. Die ursprüngliche Absicht, Rüstungsforschung von den öffentlichen Hochschulen fernzuhalten, könnte sich mit einer Friedensklausel ins Gegenteil verkehren. Das ist natürlich ein sehr düsteres Szenario, aber es ist auch nicht ganz abwegig. Wenn die Aufgabe der Bundeswehr, im Rahmen von Auslandseinsätzen, juristisch als friedensfördernd bezeichnet wird, könnte die Erforschung von Rüstungstechnologie, welche ja dem Schutz der Soldaten dient, als friedensklauselkonform und notwendig definiert werden.

Uni-Rektor Bernd Scholz-Reiter hält ein Gesetz für überflüssig, weil es doch nur die vermeintlich gute, bewährte Praxis nachvollziehen würde. Das klingt immerhin so, als paßte ihm die Sache nicht.

Warum sich Scholz-Reiter gegen eine gesetzliche Regelung verschließt, bleibt letztlich Spekulation. Das Argument der Hochschulautonomie gegenüber der Politik ist für mich zu schwach. Es geht bei der Zivilklauseldebatte um grundsätzliche Fragen unserer Gesellschaft. Eine gesetzliche Regelung, die den Einfluß von Verteidigungsministerium und Rüstungsunternehmen auf öffentliche Bildungseinrichtungen untersagt, ist nicht nur grundgesetzkonform, sondern auch geboten.

Die SPD will keine Friedensklausel per Gesetz, sondern die Hochschulen lediglich per Gesetz zur Selbstverpflichtung verpflichten. Was halten Sie davon?

Nichts. Eine solche Formulierung zeigt nur, daß es um eine Abschwächung geht. Eine Gesetzesinitiative hat nur dann Sinn, wenn dabei eine substantiell verpflichtende Zivilklausel herauskommt.

Von seiten der Grünen heißt es, mit ihnen werde es »keine Pseudo-Lösung« geben. Was geben Sie darauf?

Dem Verlauf der grünen-internen Debatte nach, nicht viel. Ich erwarte zwar, daß die grüne Fraktion in Bremen eine »Verpflichtung zur Selbstverpflichtung« als Pseudo-Lösung bezeichnet, aber selbst nicht über eine Friedensklausel hinausgehen wird.

Interview: Ralf Wurzbacher

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 10. Juli 2013


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