Militarisierung der Hochschulen und Zivilklauselbewegung
Von Anne Geschonneck *
Im zunehmenden Maße werden Hochschulen Orte für die Entwicklung von
neuer Kriegstechnik und militärischer Forschung. Die Rüstungsindustrie
nimmt immer mehr Einfluss auf Forschung und Lehre. Seit einigen Jahren
gibt es jedoch eine intensiver werdende Auseinandersetzung an den Hochschulen
um solche Prozesse der Indienstnahme für Rüstungsforschung und
Kriegswissenschaft. Verschiedene Akteure kämpfen gegen die Verbindung
der Wissenschaft mit Wirtschaft und Militär.
Gegenstand und Anstoß für solche Debatten ist dabei in den meisten Fällen
die Auseinandersetzung um die Einführung einer Zivilklausel in die Ordnungen
der Hochschulen. In einem 2011 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
erschienen Artikel wird das Erstarken einer Bewegung gegen die Militarisierung
der Hochschulen konstatiert, die so genannte Zivilklauselbewegung.[1]
1. Was ist eine Zivilklausel?
Zunächst ist eine Begriffsklärung notwendig. Innerhalb der Zivilklauselbewegung
gibt es durchaus Diskussionen über die unterschiedliche Verwendung der
Begriffe Zivil- und Friedensklausel.[2] Im folgenden Beitrag wird der Begriff Zivilklausel
verwandt, da der Begriff zivil die Abgrenzung von der militärischen
Nutzbarmachung von Forschung und Lehre am ehesten beschreiben kann.
Unter einer Zivilklausel versteht man zunächst die Selbstverpflichtung von wissenschaftlichen Einrichtungen ausschließlich für zivile Zwecke zu forschen und zu lehren. Dies bedeutet vor allem, Ergebnisse der Forschung nicht für militärische
Zwecke zur Verfügung zu stellen, keine Mittel vom Bundesministerium
für Verteidigung und von Rüstungskonzernen anzunehmen und diesen Institutionen
auch nicht zu gestatten, an der Hochschule Lehrveranstaltungen abzuhalten. Im Studium wird eine Zivilklausel auch darauf bezogen, dass keine Leistungspunkte vergeben werden, die bei der Bundeswehr, beim Bundesministerium
für Verteidigung oder bei Rüstungsunternehmen erbracht wurden.
Eine weitgehende Auslegung schreibt Zivilklauseln nicht nur Verbote, sondern
auch Gebote zu. Die Universitäten haben nicht nur die Pflicht, sich gegen
die militärische Nutzung ihrer Einrichtung zu wehren, sondern sie müssen
auch aktiv friedliche Zwecke verfolgen und zwar nur auf zivilen Wegen. Bei
der Forderung nach einer Zivilklausel handelt es sich somit nicht nur um einen
reinen Abwehrkampf, sondern auch um eine positive Forderung.
Hendrik Burmester nennt drei Kriterien, die eine Klausel erfüllen muss, will sie als Zivilklausel gelten. So muss sie zunächst eine Verpflichtung sein, die
in einem rechtskräftigen Dokument, wie in einem Senatsbeschluss, festgehalten ist. Weiterhin muss eine Zweckrichtung in Bezug auf den Gegenstand von Forschung, Lehre oder Studium bestehen. Zuletzt müssen Zivilklauseln auch explizit die Begriffe „zivil“ oder „friedlich“ im Wortlaut enthalten, um eine Umgehung der Intention von Zivilklauseln zu verhindern.[3]
Die erste Zivilklausel wurde 1986 an der Universität Bremen vor dem Hintergrund der Diskussion über die Stationierung nuklear ausgerüsteter Mittelstreckenraketen in Deutschland eingeführt. In dieser Klausel sprach sich der Akademische Senat gegen „jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung beziehungsweise Zielsetzung“ aus [4].
Eine Zivilklausel kann dabei auf unterschiedlichen Ebenen eingesetzt werden: Eine Absichtserklärung kann zunächst auch von nur einzelnen Instituten oder Fachbereichen verabschiedet werden, in der sie sich gegen die Unterstützung militärischer Zwecke aussprechen. Ein weiterer Schritt kann die Einführung einer
Zivilklausel in die Grundordnung der Hochschule sein. Meist muss dazu ein Beschluss im Akademischen Senat erfolgen. In den letzten Monaten ist dies anverschiedenen Universitäten immer wieder passiert, meist auf Druck von Studierenden,
die sich in Urabstimmungen für ein Bekenntnis zur zivilen Ausrichtung
ihrer Hochschule eingesetzt haben. Die sicherlich verbindlichste Festschreibung kann in den jeweiligen Landeshochschulgesetzen erfolgen, wobei dort auch Sanktionen gegen Verstöße festgelegt werden können. Im Moment gibt es jedoch im keinem Landesgesetz eine entsprechende Formulierung.
1993 hatte die damalige niedersächsische Landesregierung eine Zivilklausel in das Landeshochschulgesetz aufgenommen. Sie wurde jedoch 2002 wieder gestrichen. In den Landeshochschulgesetzen von Thüringen, Bremen und Hessen lassen sich allerdings Formulierungen finden, die einen Ansatzpunkt für die Implementierung von Zivilklauseln zulassen.
Die Zivilklausel ist allerdings nur ein notwendiger Zwischenschritt im Widerstand gegen den Missbrauch von Hochschulen für militärische Zwecke. Ihr Sinn ist nicht von selbst gegeben, sondern muss für jede einzelne Hochschule definiert und diskutiert werden. Zudem sind Zivilklauseln zumeist sehr allgemein formuliert und damit nur schwer operationalisierbar bzw. institutionalisierbar.
Zwischenschritt ist sie deshalb, weil der Einführung einer Zivilklausel oft lange Vorarbeit vorausgeht. Dies fängt mit der Aufklärung der Situation an der eigenen Hochschule an: Von wem bekommt sie Gelder, welche KooperationspartnerInnen gibt es, in welche Projekte sind Institute oder Fachbereiche einbezogen? Des Weiteren stellt sich oft die Frage nach der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit einer Zivilklausel unter den Hochschulangehörigen. Die Debatte hierum ist mit Öffentlichkeitsarbeit in Form von Veranstaltungen, alltäglichen Diskussionen und Herausgabe von Informationsmaterial verbunden.
Notwendig ist oft auch die Auseinandersetzung mit den WissenschaftlerInnen, die all zu schnell ihre Unabhängigkeit in Gefahr sehen.
Nach Verabschiedung verhindern Zivilklauseln nicht zwangsläufig, dass an einer Hochschule Rüstungsforschung betrieben wird. Man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass Zivilklauseln unmittelbar etwas an den realpolitischen Machtverhältnissen
ändern können. Auch mit einer Zivilklausel entzieht sich eine Hochschule
nicht den imperialistischen bzw. kapitalistischen Interessen der deutschen Politik. Zivilklauseln sind jedoch das geeignetste, Mittel solche Interessen offen zu legen, zu kritisieren und im besten Fall zu durchkreuzen.
Die Diskussion um Zivilklauseln dient jedoch der Schaffung einer kritischen Öffentlichkeit, die Transparenz in der Arbeit der Hochschule einfordert und als Korrektiv dienen kann. Die kritische Öffentlichkeit bezieht sich dabei
nicht nur auf Fragen von Rüstungsforschung, sondern generell darauf, welcher Verantwortung Forschung und Lehre innerhalb der Gesellschaft nachkommen soll. Ihr kommt eine grundlegende Bedeutung zu, denn alle Klauseln und Verpflichtungen sind bedeutungslos, wenn ihre Umsetzung und Einhaltung nicht aktiv eingefordert werden.
Mit der Einführung einer Zivilklausel sollte also zudem auch die Diskussion um ihre Durchsetzbarkeit und Überprüfbarkeit einhergehen. Eine Zivilklausel ist also eher aktives Element politischer Arbeit. Denn die Verquickung von
Militär und Wissenschaft ist in den allermeisten Fällen nicht augenscheinlich, sondern nur mit viel Recherche aufdeckbar. Zivilklauseln müssen dabei als
ein Schritt in einem umfassenderen Prozess betrachtet werden.
2. Die Notwendigkeit einer Zivilklausel
2.1 Wissenschaft im Kapitalismus
Der Wissenschaft im Kapitalismus kommt in ökonomischer Hinsicht eine
doppelte Funktion zu. Zum einen soll über die Forschung die Produktionsweise stetig verbessert und weiterentwickelt werden, ohne dass dies von den privaten Unternehmen allein geleistet werden kann. Eher sind sie auf einen leistungsfähigen öffentlichen Forschungssektor angewiesen.
Im Bereich der Ausbildung soll das Bildungssystem Arbeitskräfte mit passenden Qualifikationsprofilen zur Verfügung stellen.[5] Durch die Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise wird auch das Bildungssystem permanent umgestaltet,
um es immer wieder an die veränderte Arbeitsteilung und Reproduktionsverhältnisseanzupassen. Denn kapitalistische Produktion ist immer auch mit einem permanenten Wettlauf um technologische Innovation verbunden.
Auf die Hochschulen hatte dies vor allem die Auswirkung, dass naturwissenschaftlichen
und andere anwendungsorientierten Fächern ein immer größerer
Stellenwert zu kommt. Diese Entwicklung geht mit den jüngeren Prozessen
des Umbaus der Hochschule nach neoliberalem Modell einher.
Seit Jahrzehnten haben die Hochschulen mit massiver Unterfinanzierung zu
kämpfen. Seit den 70er Jahren hat sich die Hochschulfinanzierung nicht wesentlich erhöht, obwohl mittlerweile ungefähr die Hälfte eines jeden Schuljahrgangs studiert. Dies führt zu massiven Problemen, wie überfüllten Hörsälen, einer schlechten Betreuung von Studierenden und der permanenten Überlastung des wissenschaftlichen Personals.
Die chronische Unterfinanzierung wird dabei bewusst als Argument eingesetzt, um Marktmechanismen im öffentlichen Bildungssektor durchzusetzen. Zwei wesentliche Bestandteile dieser Strategie bilden dabei die Konkurrenz der Hochschulen untereinander um öffentliche Mittel und die Fokussierung auf die Einwerbung von Finanzmitteln privater Geldgeber. So hat sich das Verhältnis zwischen Grund- und Drittmitteln massiv verschoben.
Drittmittel machen inzwischen ein Fünftel der gesamten Hochschulfinanzierung aus, im Jahr 2008 beispielsweise 5,35 Milliarden Euro.[6] Zwei Drittel dieses Geldes kommen aus der öffentlich-rechtlichen Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG), dass andere Drittel stammt von privaten Unternehmen.
Gefördert wird dabei naturgemäß, was privat verwertbar und damit gewinnversprechend ist. Die Drittmittelstrategien, die Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb öffentlicher Förderinstitutionen ausloten, sind in vielen Fällen jedoch
problematisch. Sie führen zu einer engen Interessenüberschneidung von
Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
2.2 Militarisierung der Hochschulen
Den Bedeutungswandel der Hochschulen und den stetigen Trend zur Drittmittelabhängigkeit
machen sich im zunehmenden Maße auch Rüstungskonzerne
zu Nutze. An Hochschulen ist es möglich, solide Grundlagenforschung relativ günstig zu betreiben. Die Hochschulen sehen oft keine andere Möglichkeit, ihre Institute und Forschungsprojekte ausreichend finanziell auszustatten, als sich
von Geldern privater Unternehmen abhängig zu machen. Durch die Zusammenarbeit mit öffentlichen Einrichtungen wie den Hochschulen kann die Rüstungsindustrie ihre Forschungs- und Entwicklungskosten senken und wird durch öffentliche Mittel zudem subventioniert. Kriege und bewaffnete Konflikte schaffen
einen weltweit wachsenden Markt für Rüstungs- und Militärgüter. Die deutsche Regierung hat daher ein großes Interesse an einem ausgeprägten und leistungsfähigen Forschungs- und Entwicklungssektor im wehrtechnischen Bereich.
Die Militarisierung der Hochschulen vollzieht sich dabei in verschiedenen Bereichen.
Rüstungsforschung
Unter Rüstungsforschung, euphemistisch auch als Verteidigungsforschung
bezeichnet, ist die (nicht nur naturwissenschaftliche) Forschung zu verstehen, die unmittelbar vom Bundesministerium für Verteidigung und/oder Rüstungskonzernen bezuschusst wird. Die Ergebnisse werden direkt absehbar in die Entwicklung und Verbesserung von Waffensystemen im weiteren Sinne eingehen, also beispielsweise in die Entwicklung von Aufklärungs- und Überwachungssystemen. Deutschland (Staat und Wirtschaft) gibt dabei jährlich etwa 3,3 Milliarden Euro für militärische Forschung und Entwicklung aus [7]. 2010 wurde an deutsche Hochschulen ca. 3 Millionen Euro Drittmittel vom Bundesministerium
für Verteidigung ausgeschüttet.[8] Rüstungsforschung findet vor allem
in speziellen wehrtechnischen Forschungseinrichtungen statt, wie z.B. der Forschungsgesellschaft für Angewandte Naturwissenschaft (FGAN), welche 2011 in die Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung eingegliedert wurde, oder dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Diese Institutionen erhalten ihre Grundfinanzierung vom Bundesministerium für Verteidigung.
Immer häufiger werden jedoch die Fälle von Kooperationen mit jenen Institutionen
und zivilen Hochschulen. Beispielsweise gibt es ein Kooperationsprojekt
zwischen der technischen Universität München und dem dortigen Bundeswehrinstitut.[9] Solche Kooperationen sind zumeist sehr undurchsichtig und nur schwer aufzudecken, selten geben Universitäten und militärische Einrichtungen
offen Einblick in ihre wie auch immer gearteten Beziehungen.
Sicherheitsforschung
Die (zivile) Sicherheitsforschung hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Treffend formulierte es Verteidigungsminister Thomas de Maizière „Wehrwissenschaftliche Forschung setzt grundsätzlich auf den Erkenntnissen der zivilen Forschung auf. [...] Konzepte und entsprechende Technologien, die sowohl für wehrwissenschaftliche Forschung als auch für die zivile Sicherheitsforschung relevant sind, bilden die Schnittstelle für das BMVg zur zivilen Sicherheitsforschung.“[10]
Der Bundesregierung liegt die zivile Sicherheitsforschung am Herzen. Mit dem Programm „Forschung für die zivile Sicherheit“ wurden in den letzten sechs Jahren schätzungsweise 339 Millionen Euro ausgegeben, ein Großteil davon ging direkt an Hochschulen, die an dem Forschungsprogramm beteiligt sind.[11]
In diesem Projekt sollen drohende Gefahren (und deren Verhinderung) durch Terrorismus und organisierte Kriminalität für Leib und Leben der Bevölkerung, Versorgungsinfrastrukturen und Wertschöpfungsketten untersucht werden.
Nach Angaben der Bundesregierung werden hier rein zivile Zwecke verfolgt. Jedoch sind Gemeinsamkeiten mit militärischen Fragen offensichtlich.
In den Bereich der Sicherheitsforschung fallen vor allem Projekte, die sich unter dem Stichwort der „Dual-Use-Problematik“ zusammenfassen lassen. Der Terminus „Dual-Use“ wurde einst geprägt, um kostspielige Rüstungsforschung
mit dem Argument der gleichzeitigen zivilen Nutzung zu rechtfertigen.
Die Problematik bezieht sich darauf, dass Entwicklungen der Rüstungsforschung
sich fast immer zur zivilen Nutzung eignen, wie dies auch immer
andersherum möglich ist.
Zivilklauseln sind gerade deshalb notwendig. Sie zwingen die Hochschule dazu, die Positionen der beteiligten Institutionen – Geldgeber und WissenschaftlerInnen gleichermaßen – auszuhandeln und Orientierungspunkte in der Grauzone des Dual-use zu setzen. Darüber hinaus muss sich die Hochschule zur Transparenz verpflichten, nämlich zur Offenlegung ihrer Drittmittelquellen und der Auftraggeber im Hintergrund.
Wehrmedizinische Forschung
Die Wehrmedizin beschäftigt sich mit der Vorbeugung, Erkennung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen, die im Zusammenhang mit militärischen Aktivitäten entstehen. Grundlage bietet dabei die allgemeine Humanmedizin, jedoch konzentriert sich die wehrwissenschaftliche Forschung auf militärisch besonders relevante Aspekte. Wehrmedizinische Forschung findet vor allem an den Universitäten der Bundeswehr in München und Hamburg statt, jedoch wird im Auftrag des Bundesministeriums für Verteidigung und finanziert durch selbiges an zahlreichen weiteren deutschen Hochschulen
zu diesen Zwecken gearbeitet, wie beispielsweise an der Universität Tübingen, wo bestimmte Auswirkungen von Organophosphaten erforscht werden.[12]
Anwendungsorientierte Sozialwissenschaften
Ein Bereich, der oftmals bei der Betrachtung der Militarisierung der Hochschulen übergangen wird, sind die Sozialwissenschaften. Dabei nehmen diese einen immer wichtigeren Stellenwert ein.
Beispielhaft für solche Entwicklungen ist der Studiengang „Military Studies“ an der Universität Potsdam. Dieser Studiengang wird unter anderem vom Militärgeschichtlichen
Forschungsamt und vom Sozialwissenschaftlichen Institut
der Bundeswehr mit dem Ziel unterstützt, SozialwissenschaftlerInnen für die Bedürfnisse der Bundeswehr auszubilden.
Denn Krieg wird nicht nur mit Technik geführt, sondern benötigt auch immer eine ideologische Basis in Staat und Bevölkerung. Ein Augenmerk in den Sozialwissenschaften liegt daher auch auf der Entwicklung und empirischen Untersuchung politischer Legitimationsstrategien.
Ein weiterer Fokus ist die Erforschung von sozialen Auswirkungen von
Kriegseinsätzen, so z.B. an der Universität Oldenburg. Untersucht werden ebenso Auswirkungen auf die Gesellschaft, die vom Militär-Einsatz direkt betroffen ist, wie die Wahrnehmung des Militär-Einsatzes innerhalb der Gesellschaft des Staates, der die SoldatInnen entsendet. Dabei soll herausgefunden werden, wie die Akzeptanz von militärischen Eingriffen in der Bevölkerung erhöht bzw. wie zu diesem Zweck Einfluss auf öffentliche Diskurse genommen werden kann.
2.3 Sicherheitspolitischer Kontext
Die Militarisierung von Forschung und Lehre läuft in einem ganz bestimmten Kontext ab. Eine wichtige Rolle spielt die Neuausrichtung der Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz“. Es findet eine Spezialisierung der Bundeswehr auf die eigentliche Kriegsführung statt; viele Aufgabenbereiche, die sonst den Bereich einer Verteidigungsarmee geprägt haben, werden an private Unternehmen ausgegliedert, so beispielsweise Lagerhaltung, Logistik und Instandhaltung
von technischem Gerät. In den gleichen Kontext gehören veränderte Militärstrategien, wie die Entwicklung des Konzepts der „menschlichen Sicherheit“ (Human Security) und in dieser Frage speziell die Konzepte der humanitären Intervention und der „Schutzverantwortung“ (Responsibility to Protect). Zwar liegt die Grundlage dieser Neukonzeptionalisierung nicht bei WissenschaftlerInnen an den Hochschulen, jedoch spielen gerade die Sozialwissenschaften eine
wichtige Rolle bei der Entwicklung, Untersuchung und Rechtfertigung solcher Konzepte.
Die zivil-militärische Zusammenarbeit gewinnt zunehmende Bedeutung. Darunter fällt, so die Definition der NATO, die Koordination und Kooperation zur Unterstützung des militärischen Auftrags zwischen dem NATOKommandeur und zivilen Akteuren. Die Bevölkerung vor Ort und lokale Autoritäten sind dabei ebenso eingeschlossen wie nationale, internationale und Nicht-Regierungsorganisationen und Behörden.[13]
Mit zunehmendem Widerstand gegen den Prozess der Militarisierung der
Hochschulen, wird auch die Informationspolitik in Regierungs- und Wirtschaftskreisen immer restriktiver. Mittlerweile verweigert das Bundesministerium für Verteidigung in den allermeisten Fällen die Herausgabe von Informationen bezüglich seiner Finanzierung von Hochschulen, da diese als Verschlusssache behandelt werden.[14]
3. Normativer Kontext
Zivilklauseln sind immer wieder Gegenstand formaler bzw. juristischer Diskussionen, obwohl es sich im Kern um einen politischen Streit handelt. Selten werden von GegnerInnen der Zivilklausel politische Argumente ins Feld geführt; Abwehrversuche werden zumeist auf eine rein formale Ebene der Zulässigkeit verlagert, ohne eine Diskussion über Notwendigkeiten und Hintergründe führen zu wollen.
3.1 Zivilklauseln und Wissenschaftsfreiheit
Gängigste Kritik ist dabei, dass Zivilklauseln die Freiheit von Forschung und Lehre beeinträchtigen, wie sie im Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes garantiertwird. Dieses Grundrecht soll WissenschaftlerInnen vor ungerechtfertigten
Eingriffen, also die Freiheit verkürzenden Akten und Maßnahmen des
Staates schützen.
Begibt man sich auf die Ebene der juristischen Diskussion, lässt sich festhalten, dass das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit im Grundgesetz nicht schrankenlos gewährt wird. Die Schranken bestehen dabei nicht konkludent,sondern werden inzident über den Gesamtauftrag des Grundgesetzes definiert. Dies betrifft im Hinblick auf die Verfassungskonformität von Zivilklauseln
insbesondere die „Friedensfinalität“. Dieser vor allem vom Verfassungsrechtler Erhard Denninger geprägte Begriff bezeichnet – abgeleitet aus dem Zusammenspiel verschiedener Bestimmungen des Grundgesetzes – die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, dem „inneren und äußeren Frieden zu dienen“ oder diesen zu fördern.[15] 1973 hat das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil beschieden, dass Wissenschaftsfreiheit nicht unbegrenzte
Freiheit bedeutet, sondern auch in einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaft und Forschung gesehen werden muss.[16]
Insgesamt stehen Friedensfinalität und Wissenschaftsfreiheit in einem rechtlichen Spannungsverhältnis, welches immer auftritt, wenn grundrechtlich geschützte Interessen im Sinn des Grundsatzes der praktischen Konkordanz gegeneinander abgewogen werden müssen. Die Zivilklausel lässt sich dabei als Fortführung des Auftrages der Friedensfinalität interpretieren. Mitnichten ist sie
also ein verfassungswidriges Element. Eher nehmen die Befürworter der Zivilklausel das Grundgesetz ernster als so mancher scheinbare „Verfechter“ der Wissenschaftsfreiheit, dem es all zu oft nur um eigene Interessen, ökonomischer oder ideeller Art, geht.
3.2 Unabhängigkeit der Wissenschaft und universitärer Tendenzbetrieb
Weiterhin wird gegen die Zivilklausel oft vorgebracht, dass entsprechende Klauseln die Unabhängigkeit der Universität gefährden und sie zu einem „Tendenzbetrieb“ machen. Als „Tendenzuniversität“ wird eine Hochschule bezeichnet, „die sich schon institutionell mit bestimmten gesellschaftlichen Interessen oder gesellschaftspolitischen Zielsetzungen identifiziert“.[17]
Zunächst ist Wissenschaft nie völlig unabhängig, denn Hochschulen existieren
nicht im luftleeren Raum, sondern im Rahmen konkreter gesellschaftlicher
Verhältnisse. Unter den skizzierten Bedingungen einer neoliberalen Hochschulreform
sind diese Verhältnisse gekennzeichnet von Ressourcenknappheit
und Konkurrenz um Mitteleinwerbung unter den Hochschulen.
Die Zivilklausel soll gerade verhindern, dass an Hochschulen nach dem Diktat von Rüstungskonzernen geforscht und studiert wird, die sich diese prekären
Verhältnisse zu Nutze machen, dass mithin eine Abhängigkeit von militärischer Zwecksetzung entsteht. Es wird also oft außer Acht gelassen, dass es nicht die BefürworterInnen einer Zivilklausel sind, die die Unabhängigkeit der Hochschulen in Gefahr bringen, sondern dass dies gerade die prekäre Finanzierungspolitik
des öffentlichen Bildungssektors ist, die Hochschulen in Abhängigkeit
von Drittmitteln und in einen Konkurrenzkampf mit verschärfter
Profilbildung treibt.
Die Auseinandersetzung um eine Zivilklausel ist damit auch immer mit konkreten
Finanzierungs- und Verteilungsfragen verbunden.
4. Perspektiven
Im zunehmenden Maße formiert sich gegen diese Vereinnahmung der Hochschulen Widerstand unter Studierenden und dem wissenschaftlichen Personal. Mittlerweile gibt es an zwölf Hochschulen in Deutschland Zivilklauseln, fünf davon sind so genannte „historische“ Klauseln, bestehen also schon seit über fünf Jahren.
Sieben Hochschulen haben in den letzten zwei Jahren eine Zivilklausel eingeführt.
Die Universität Tübingen schrieb die Zivilklausel im September 2010 in ihre Grundordnung. Ende 2010 stimmten in Köln 65 Prozent der Studierenden für die Einführung einer Zivilklausel. Im Juni 2012 setzten sich die Studierenden der Universität Augsburg auf einer Vollversammlung mit 77 Prozent (144 dafür,38 dagegen, 4 Enthaltung) für die Aufnahme einer Zivil- und Transparenzklausel in die universitäre Grundordnung ein. Auch in Frankfurt sprachen sich 2013 in einer Urabstimmung über 76 Prozent der Studierenden dafür aus,
einen Passus in die Grundordnung zu übernehmen, dass „Forschung und Studium zivilen und friedlichen Zwecken“ dienen soll.
Gerade unter Studierenden findet die Vorstellung einer Hochschule, die friedlichen und zivilen Zwecken verpflichtet ist, großen Anklang. Oft gehen von ihren Urabstimmungen wichtige Signale für einen gesamtuniversitären Prozess aus.
Eine Auseinandersetzung über den größeren Kontext, in dem die Militarisierung die Hochschulen stattfindet, ist unumgänglich und kann deswegen nicht nur innerhalb der Statusgruppe der Studierenden erfolgen, sondern muss von allen vier Gruppen, also HochschullehrerInnen, MitarbeiterInnen, Studierendem
und nichtwissenschaftlichem Personal, getragen werden. Gerade wenn es
darum geht, Beschlüsse im Akademischen Senat zu erwirken, ist die Einbindung aller Gruppen dringlich.
Auch in der medialen Öffentlichkeit werden diese Prozesse wahrgenommen.
Vor allem im letzten Jahr hat die Berichterstattung bis weit hinein ins bürgerliche Presselager zugenommen. Spiegel Online berichtete gleich mehrfach über den Streit an der Universität Bremen über die dortige Zivilklausel, die Süddeutsche Zeitung titelte vor kurzem von einem „Balanceakt zwischen Krieg und Frieden“, die ZEIT widmete der Zivilklausel eine ausführliche pro/contra-Gegenüberstellung.[18]
Den medialen Aufwind sowie die Dynamik an vielen Hochschulen sollte die
Zivilklausel-Bewegung nutzen, um an möglichst vielen Hochschulen die
symbolische Normsetzung einer Zivilklausel zu erwirken. Denn aus der Symbolpolitik kann echter Widerstand gegen die Militarisierung der Hochschulen und gegen die vollständige Unterwerfung der Wissenschaft unter kapitalistische Verwertungslogiken erwachsen.
Dem Philosophen Jaques Derrida ist zuzustimmen, wenn er schreibt, dass die Universitäten nur in kritischer Distanz zur militärischen Staatsmacht, zu ökonomischen
Mächten, zu medialen, ideologischen, religiösen und kulturellen
Mächten ihrer gesellschaftlichen Aufgabe nachkommen können.[19]
Fußnoten-
O. Jungen, Wenn sie dir morgen befehlen ..., in: F.A.Z. vom 12. 1. 2011.
- Weiterführend dazu E. Denninger, in: V. Harms u.a., Zivilklausel und Wissenschaftsfreiheit des Grundgesetz: Was ist möglich?, Baden-Baden 2012.
- H. Burmester, in: Th. Nielebock u.a., Zivilklauseln für Forschung, Lehre und Studium, Baden-
Baden 2012, S. 81.
- Beschluss Nr. 5113 X/24. Sitzung v. 14. Mai 1986.
- N. Gohlke/F. Butollo, Hochschule im Kapitalismus, Supplement der Zeitschrift Sozialismus 5/2012, S. 15.
- Fraktion DIE LINKE http://www.linksfraktion.de/themen/drittmittelfoerderung-hochschulen/ .
- Altmann 2007.
- http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/062/1706200.pdf (zuletzt 01.05.13)
- http://www.mri.tum.de/node/1792 (zuletzt 01.05.13)
- Ressortforschungsplan des Bundesministeriums für Verteidigung für 2011, Bonn, S. 6.
- Bundestagsdrucksache 17/12172.
- http://www.rainer-rilling.de/texte/8310800m.htm und http://asatue.blogsport.de/2011/09/16/
universitaet-tuebingen-militaerforschung-und-tierversuche/ (zuletzt 01.05.13).
- NATO: MC411/1 – NATO Military Policy on Civil-Military Co-operation, Military Council,
Brussels 2001, Para. 4.
- Bundestagsdrucksache 17/3337.
- E. Denninger, in: Th. Nielebock u.a., Zivilklauseln für Forschung, Lehre und Studium, a.a.O.,,
S. 72.
- BVerfGE 35, 79, 121f.
- Rupert Scholz in Maunz/Dürig, GG, Band I, Art. 5 Abs. III, RN. 97.
- http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/ruestungsforschung-der-uni-bremen-moeglicherverstoss-
gegen-zivilklausel-a-833259.html; http://www.sueddeutsche.de/bildung/unis-undruestungsforschung-
balanceakt-zwischen-krieg-und-frieden-1.1637873;
http://www.zeit.de/studium/hochschule/2013-01/zivilklausel-uni-kassel-pro-contra
- J. Derrida, Die unbedingte Universität, Berlin 2012.
* Anne Geschonnek, Halle, studiert Jura; Vorstandsmitglied von Die LINKE.SDS
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