Wissenschaftsfreiheit, Verantwortung und verdeckte Rüstungsforschung
Die Zivilklausel-Bewegung an den Hochschulen hat viel zu tun. Beiträge aus dem "neuen Deutschland" von René Heilig und Peter Strutynski *
Vor über einem Vierteljahrhundert hatte sich die Universität Bremen verpflichtet, »jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung« abzulehnen. Das war beispielgebend für andere. Doch nicht einmal die Bremer Vorreiter hielten sich an diese Zivilklausel. Die Frage, was als militärische Forschung betrachtet werden muss, sei kompliziert zu beantworten, sagen Verantwortliche. Nur eine Ausrede, ein Trick, um an benötigte Forschungsmittel zu kommen? Ein genauerer Blick auf die Praxis der Bundesregierung bei der Vergabe von Forschungsmitteln an die Hochschulen in Deutschland zeigt zwar, dass die Grenzen zwischen ziviler und militärischer Forschung fließend sind. Er zeigt aber auch, dass diese Grauzone gezielt genutzt wird, um die Absichten einer durch die Bundeswehr verwertbaren Rüstungsforschung zu verschleiern. Es sind nicht nur Einrichtungen der Bundeswehr selbst, die sich der Entwicklung biologischer und chemischer Kampfstoffe widmen, sondern auch zivile Einrichtungen. Und wo es angeblich nur um die Möglichkeiten der Abwehr solcher Massenvernichtungsmittel geht, fallen immer auch Erkenntnisse an, die den eigenen offensiven Fähigkeiten des Militärs dienen. In ihren Beiträgen gehen "nd"-Redakteur René Heilig
und der Friedensforscher Peter Strutynski dem Thema nach. (Uwe Kalbe)
Die Forschung ist frei - von Verantwortung?
Forschung für Rüstung und Militär wird bestens verschleiert
Von René Heilig
Vor über einem Vierteljahrhundert hatte sich die Universität Bremen verpflichtet, »jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung« abzulehnen. Das war beispielgebend für andere. Doch nicht einmal die Bremer Vorreiter hielten sich an diese Zivilklausel. Die Frage, was als militärische Forschung betrachtet werden muss, sei kompliziert zu beantworten, sagen Verantwortliche. Nur eine Ausrede, ein Trick, um an benötigte Forschungsmittel zu kommen?
Reiht man ihre offiziellen Porträts aneinander, so scheint: Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) entstammt dem Land des Lächelns. Sie hat Erziehungswissenschaften, Philosophie und katholische Theologie studiert und promovierte mit einer Arbeit über Gewissensbildung.
Gewissensbildung und Wissenschaft - viele, die in Schavans Bereich arbeiten, berufen sich darauf, dass ihr Gewissen frei und rein sei. Und die große Mehrheit der Forscher und Hochschullehrer fühlt sich dem Frieden und dem Wohlstand der Menschheit verpflichtet. Nie im Leben würden sie sich für Rüstung und Krieg missbrauchen lassen. Wenn manche von ihnen wüssten ...
Einiges, das im Verantwortungsbereich der netten Frau Dr. Schavan und ihres Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) »schief« läuft, kann man herausbekommen. So erfährt man, dass Rüstungsfirmen wie Diehl Defence, Rheinmetall Defence, Thales Defence oder die Rüstungssparte von EADS Cassidian üppig aus dem Haushalt des BMBF genährt werden.
Es ist nicht immer einfach zu erkennen, was zivilem Schutz dient und was vor allem militärisch interessant ist. Eindeutiger wird die Verwendung der BMBF-Forschungsmittel, wenn sie wehrwissenschaftlichen Instituten der Bundeswehr zugeleitet werden. Doch was ist mit dem Programm »Forschung für die zivile Sicherheit«? Für dieses hat Schavans Amt in den vergangenen fünf Jahren 279 Millionen Euro ausgegeben. Seit Anfang 2012 fließen weitere 60 Millionen jährlich. Alles für die zivile Sicherheit?
Es scheint so, denn im Rahmenprogramm 2012 bis 2017 kann man noch so intensiv suchen - einen Hinweis auf Militär, Rüstung oder Bundeswehr findet man nicht. Erhellender wird es, wenn man die Recherche am anderen Ende beginnt. Beispielsweise in der Zeitschrift »Europäische Sicherheit & Technik«, Ausgabe 3/2012. Darin findet sich ein Beitrag über »Vor-Ort-Analytik von biologischen Agenzien«. Kurzum, es geht um Forschungen zum Thema Anthrax/Milzbrand. Das ist ein biologischer Kampfstoff, der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington in kleinen an US-Behörden verschickten Briefchen für zusätzliche Bedrohung und Panik sorgte.
Natürlich geht es um Bevölkerungsschutz, doch der Zeitschriftenartikel, in dem prononciert auf das Programm »Forschung für die zivile Sicherheit« hingewiesen wird, erhellt auch ansatzweise die militärische Bedeutung der Forschungen. Er weist darauf hin, wie wichtig sie für das »Programm zur Verbesserung und Entwicklung von Material für die B-Abwehr« auf europäischer Ebene ist. An den entsprechenden acht Einzelprojekten sind außer Deutschland zehn weitere Staaten beteiligt.
Kooperation ist ein Geheimnis guten Forschungsmanagements, auch im Fall militärischer Forschung. Das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr Sanitätsakademie und das Wehrwissenschaftliche Institut für Schutztechnologien-ABC-Schutz können nicht alles alleine machen. Insgesamt ist die eine Milliarde Euro, die das Verteidigungsministerium pro Jahr für Wehrforschung ausgibt, zu knapp für die hohen Anforderungen. Deshalb schießt Frau Dr. Schavan zu. Beispielsweise 408 700 Euro für besagtes Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr - zur Analyse biologischer »Gefahrenstoffe«, die im Institut dann sachgerecht als biologische Kampfstoffe bezeichnet werden.
Eine weitere Unterstützungsmöglichkeit ist die Nutzung von Forschungs- und Entwicklungskapazitäten im »zivilen Bereich, hier vorzugsweise an Universitäten«. So liest man es schon 2002 in einem Bundestagspapier. Darin verweist das Verteidigungsministerium auch auf den »Gefahrstoff« Botulinumtoxin.
Kurzer Sprung an die Technische Universität Braunschweig, also ins »aktuelle Niedersachsen«. Dort gibt es ein Forschungsvorhaben »Antibot ABE«. Es geht um die Neutralisierung von Botulinumtoxin. Auch die Entwicklung von Schnelltests für Influenzaviren geschieht im Bereich der Uni Braunschweig. Wehrforschung in Niedersachsen wird auch an den Universitäten Göttingen und Hannover sowie an fünf außeruniversitären zivilen Einrichtungen betrieben. Auch chemische Kampfstoffe stoßen auf Interesse. Es geht zudem um Weltraumtechnik und Funkwellenausbreitung, die Integration von Drohnen in den zivilen Luftraum ist so interessant wie neue Flugzeugstrukturen. Bedient wird ebenso das Interesse des Bundesinnenministeriums an Sicherheits- und Aufklärungstechnik.
Vieles ist schon thematisch geheim. Ungewöhnlich offen ist die Landesregierung Niedersachsens jedoch in der Antwort auf eine Anfrage der LINKEN. Geldgeber werden genannt. Neben der Bundeswehr und nicht näher bezeichneten EU-Stellen findet man die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und das Bundesforschungsministerium. Die Bundesregierung verleugnete bislang diesen Sachverhalt konsequent, weiß Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag. Antworten werden, so sie gegeben werden, als geheim deklariert.
»Nun scheint klar, dass Gelder des BMBF tatsächlich über das Deckmäntelchen »zivile Sicherheitsforschung« in wehr- und sicherheitstechnische Forschung fließen«, meint Gohlke gegenüber »nd« und verweist auf die Notwendigkeit der bundesweiten Zivilklausel-Bewegung. Dem Parlament liegt ein Antrag (Bundestagsdrucksache 17/9979) vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, gemeinsam mit den Ländern Forschungsfolgenverantwortung zu übernehmen und sich dafür einzusetzen, Zivilklauseln in den Statuten der Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie in den jeweiligen Landeshochschulgesetzen zu verankern.
Rückgriff auf leere Floskeln
Zivilklausel-Bewegung an Hochschulen und Instituten ist notwendiges Gegengewicht zu militärischen Auftraggebern
Von Peter Strutynski
Im Rahmen der aufkeimenden Zivilklausel-
Bewegung an deutschen
Hochschulen ist deutlich geworden,
wie schwierig es sein kann,
rüstungsrelevante Forschungsvorhaben
aufzudecken und belastbare
Informationen über den
Charakter entsprechender Projekte
zu erhalten. Hochschulleitungen
tendieren auf Anfrage in der Regel
zunächst dazu, Militär- und Rüstungsforschung
an ihren Einrichtungen
zu leugnen oder, wenn das
nicht mehr geht, herunterzuspielen.
Wo sich Rüstungsforschung
nicht mehr leugnen lässt, suchen
sie häufig Zuflucht in der Floskel
von der »Wissenschaftsfreiheit«.
Auch Militärforscher/innen berufen
sich bei ihrem Tun auf das
Grundgesetz, in dessen Artikel 5
die Freiheit von Forschung und
Lehre verankert ist. Und das zu
Recht, war doch auch eine Lehre
aus der deutschen Geschichte,
dass eine Indienstnahme wissenschaftlichen
Geistes durch ein antihumanes,
verbrecherisches Regime,
wie es der Nationalsozialismus
darstellte, ein für alle Mal
ausgeschlossen werden müsse.
Nur: Die Freiheit von Forschung
und Lehre ist nicht grenzenlos. In
Art. 5 Abs. 3, Satz 2 heißt es ja
auch: »Die Freiheit der Lehre entbindet
nicht von der Treue zur
Verfassung.«
Damit sind wir auf das Friedensgebot
des Art. 26 sowie auf
den Vorrang des Völkerrechts
nach Art. 25 des Grundgesetzes
verwiesen. Nehmen wir den Einigungsvertrag
von 1990 hinzu mit
seiner ultimativen Friedensformel,
wonach »von deutschem Boden
nur Frieden ausgehen wird«, dann
haben wir einen verlässlichen
normativen Rahmen für eine friedensorientierte
Außen- und Sicherheitspolitik.
»Freiheit der Wissenschaft«
verpflichtet demnach dazu, sich
für den Frieden und das solidarische
Miteinander von Menschen
und Nationen einzusetzen. Dies
schließt ein die Ablehnung jeglicher
Mitarbeit an Forschung und
Entwicklung für militärische
»Hardware« (Waffen und sonstige
Rüstungsgüter sowie deren technische
Fortentwicklung) und
»Software« (sozial- und kulturwissenschaftliche
oder ethnologische
Forschungen, die der Rechtfertigung
ungerechtfertigter Kriege
oder Kriegsabsichten oder im weitesten
Sinn der »psychologischen
Kriegsvorbereitung« dienen).
Über das Schlupfloch »Wissenschaftsfreiheit
« dürfen keinerlei
kriegsrelevante Aktivitäten für
private Rüstungsunternehmen
oder staatliche Auftraggeber toleriert
werden. Und »kriegsrelevant
« ist heute sehr vieles, was im
Auftrag von Rüstungsfirmen und
Bundeswehr geforscht wird, auch
wenn es auf den ersten Blick
»harmlos« erscheint. Ein Beispiel:
Nach Auskunft der Universität
Kassel wurden Projekte bearbeitet,
die von den Panzerschmieden
Kraus Maffei-Wegmann (KMW)
und Rheinmetall bezahlt wurden.
Dabei ging es um das »Qualitätsmanagement
der Produktion« oder
um die »Berechnung einer Montageanlage
« (»Hessische Allgemeine
«, 24.06.2012). Nicht belegt sei
dagegen laut Pressesprecher der
Uni, dass »das Wissen der Kasseler
Forscher direkt in ein Militärprodukt
geflossen sei«. Für
meinen Geschmack
genügt aber schon die
»indirekte« Arbeit
für ein Rüstungsunternehmen,
um von »Rüstungsforschung
« ausgehen zu müssen. Vor
allem wenn man berücksichtigt,
dass sowohl KMW als auch Rheinmetall
in Kassel ausschließlich militärische
Güter produzieren, handelt
es sich bei allen Projekten, die
deren Produktionsablauf »optimieren
«, selbstverständlich um
Rüstungsforschung.
Da hilft dann auch nicht der
Hinweis auf die »Legalität« dessen,
was die Forscher/innen tun.
Laut Pressesprecher der Uni Kassel
findet die Freiheit von Forschung
und Lehre »ihre Grenzen
dort, wo strafrechtliche oder völkerrechtliche
Normen verletzt
werden«. Die örtliche Zeitung
macht daraus: »Alles, was legal ist,
darf in Kassel erforscht werden.
Das schließt Rüstungstechnik ein.«
Diese simple Gleichung gilt aber nur, wenn »legal« auch wirklich »legal« ist. Als der Bundestag
1998 einen Vorratsbeschluss
über einen evtl. Angriff auf Jugoslawien
fasste (der dann im März 1999
auch erfolgte), war die Mitwirkung
an einem Angriffskrieg »legal«
vom dafür zuständigen Gremium
beschlossen worden. Er war aber
grundgesetz- und völkerrechtswidrig,
denn er widersprach sowohl
dem GG Art. 26 als auch dem
Gewaltverbot nach Artikel 2 der
UN-Charta.
Für Zivilklauseln und deren
Umsetzung im praktischen Wissenschaftsbetrieb
zu kämpfen, erfordert
also mehr als nur die Herstellung
einer komfortablen »Beschlusslage
«. Es wird auch deshalb
kompliziert, weil – um noch
einmal den Pressesprecher der Uni
Kassel zu zitieren – »in einer
hochtechnisierten Welt eine klare
Abgrenzung, welches Wissen zivil
und welches auch militärisch genutzt
werden kann, kaum noch
möglich« ist. Das mag im Einzelfall
richtig sein. Bei Aufträgen von
Rüstungsunternehmen oder aus
dem Verteidigungsministerium
oder der NATO oder der Europäischen
Verteidigungsagentur wird
man doch nicht fehl in der Annahme
gehen, dass hier kein ziviler,
sondern ein genuin militärischer
Zweck Pate gestanden hat. Sie sind
daher – solange sich Bundeswehr,
NATO und EU an völkerrechtswidrigen
Kriegseinsätzen beteiligen
– prinzipiell abzulehnen. Das
gilt auch für Universitäten, die
(noch) keine Zivilklausel haben.
Dr. Peter Strutynski ist Politikwissenschaftler
und Sprecher des Bundesausschusses
Friedensratschlag
* Beide Beiträge aus: neues deutschland, Montag, 6. August 2012
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Widerstand nicht nur auf dem Dienstweg
Kriegsforschung und Zivilklauseln an deutschen Hochschulen und Instituten - Anregungen für Studierende und Friedensgruppen. Von Peter Strutynski (10. August 2012)
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