Friedliche Zwecke
Erklärung der Initiative gegen Militärforschung an Universitäten zum Antikriegstag am 1. September
Mehr als 20 Gruppen und 40 Personen, überwiegend Studierendenvertretungen, Friedensgruppen, Uni-Professoren, Gewerkschafter und Pfarrer, haben sich anläßlich des Antikriegstags mit einem Offenen Brief an die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer gewandt. Sie erwarten, daß den Wahlaussagen von Bündnis 90/Grüne und SPD zur Landtagswahl, die Hochschulforschung möge nur friedliche Zwecken verfolgen (Zivilklausel), nunmehr Taten folgen.
Der Brief wendet sich gleichzeitig an die Präsidenten des Karlsruher Instituts für Technologie KIT und den Rektor der Universität Tübingen mit der Erwartung, eine friedenspolitische Kurskorrektur einzuleiten. Bei der Fusion des (Kern)-Forschungszentrums mit der Universität Karlsruhe zum KIT, sei dessen über Jahrzehnte erfolgreich praktizierte Zivilklausel nicht auf die Universität übertragen worden, entgegen der Forderung der Studierenden und vieler anderer. Die bislang unvorstellbare Folge: Kern- und Waffenforschung unter einem Dach.
Die Universität Tübingen habe mit der Bestellung des Chefs der NATO-»Sicherheitskonferenz« zum Honorarprofessor gegen die Selbstverpflichtung der Ende 2009 beschlossenen Zivilklausel verstoßen. Das gleiche gelte für die wehrmedizinische Forschung, die vom Bundesverteidigungsministerium unter Geheimschutz gestellt worden ist, wie der DGB-Arbeitskreis Tübingen in einem Schreiben an den Rektor Anfang August festgestellt und Konsequenzen angemahnt hat. Die Unterzeichnenden erklären zivile und humanitäre Konfliktlösungen anstelle von Krieg und Militäreinsätzen als unabweisbares Gebot der Vernunft und die Friedensbeiträge der Wissenschaft als unverzichtbar. Dem möge die Landesregierung Baden-Württemberg bei den anstehenden Novellierungen des KIT-Gesetzes und des Landeshochschulgesetzes durch Einfügung der Zivilklausel Ausdruck verleihen.
Einer der Initiatoren des Offenen Briefs, Dietrich Schulze, erläutert dazu, daß die kurz vor der Landtagswahl an das KIT-Präsidium übergebene Petition für eine KIT-Zivilklausel mit 450 Unterzeichnern, darunter viele internationale Persönlichkeiten wie der Bürgermeister von Hiroshima und mehrere Nobelpreisträger sowie Ministerpräsident Kretschmann und die Minister Bauer und Schmid, ignoriert wurde und nun die Landespolitik gefordert ist, ebenso wie im Fall Tübingen. Die dreijährige Auseinandersetzung um Zivilorientierung und Friedensbindung des KIT habe den Anstoß für bundesweite und internationale Initiativen gegen Forschung und Lehre für militärische Zwecke an Hochschulen gegeben. Im Mai fand nach längerer Pause ein Kongreß mit Studierenden aus 30 Hochschulen an der TU Braunschweig statt, der einerseits die ständig zunehmende Militarisierung in den Hochschulen, aber auch den anwachsenden Widerstand dagegen bilanzierte.
Dazu zählt die auf Initiative des AStA der Universität Bremen und des Bremer Friedensforums seit letztem Jahr geführte Kampagne, die dort seit 1986 bestehende Zivilklausel zu erhalten. (...) Seit kurzem gebe es an der Universität Konstanz, die seit 1991 eine Zivilklausel hat, eine ähnliche Auseinandersetzung wegen eines Kooperationsvertrags mit EADS. Erkennbare Erfolge, wie sie in der bundesweiten Bewegung gegen die Militarisierung der Schulen durch Streichung von Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr erzielt wurden, stehen hier allerdings noch aus, so Dietrich Schulze weiter. (...)
* Aus: junge Welt, 29. August 2011
D o k u m e n t i e r t :
Offener Brief
an die Ministerin für Wissenschaft,
Forschung und Kunst Baden-Württemberg
Theresia Bauer, an die Präsidenten des
Karlsruher Instituts für Technologie KIT
Prof. Dr. Horst Hippler und
Prof. Dr. Eberhard Umbach und
den Rektor der Universität Tübingen
Prof. Dr. Bernd Engler
Zivilklausel in das Landeshochschulgesetz
einfügen • Verzicht auf Militärforschung
• Studierendenvotum und
Verfassungsauftrag respektieren •
Zivilklausel in das KIT-Gesetz übernehmen
• Keine Kern- und Waffenforschung
unter einem Dach • Zivilklausel
der Uni Tübingen schützen
Sehr geehrte Frau Ministerin,
vor zwei Jahren ging aus gleichem Anlass ein ähnlicher
Offener Brief, auf dessen begründete Forderungen wir uns
ausdrücklich beziehen, an Ihren Amtsvorgänger und den
Rektor der Universität Karlsruhe.
Inzwischen haben sich bedeutende Veränderungen
ergeben:
-
Im Dezember 2009 wurde auf Initiative der Tübinger
Studierenden eine Zivilklausel (Kasten) in die Uni-
Grundordnung eingefügt, die Ende 2010 rechtskräftig
wurde.
Zivilklausel Universität Tübingen
„Lehre, Forschung und Studium an der Universität
sollen friedlichen Zwecken dienen, das Zusammenleben
der Völker bereichern und im Bewusstsein
der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen
erfolgen.“
-
Im Dezember 2010 war unter
den Studierenden der Uni Köln
eine Abstimmung für die Zivilklausel
erfolgreich, wie im Januar 2009 die Urabstimmung
an der Uni Karlsruhe mit einem 2/3-Zustimmungsvotum.
- Im Januar 2011 wurde der auf eine KIT Zivilklausel
bezogene Internationale Appell vom Mai 2009
www.inesglobal.com/abandonment-of-militaryresearch.phtml
erweitert und der Verzicht auf Militärforschung für alle Universitäten gefordert (Kasten), erneut von Hiroshima-Bürgermeister Tadatoshi Akiba
und einer Reihe von Nobelpreisträgern unterzeichnet.
Internationaler Appell Januar 2011
JA zur Friedensbindung der Universitäten – Nein
zur Militärforschung. Es ist Zeit zum Handeln!
Wir rufen dazu auf, keine Forschung und Lehre für
militärische Zwecke durchzuführen, und fordern Hochschulleitungen
und die zuständigen akademischen
Gremien überall dazu auf, entsprechende bindende Verpflichtungen,
ähnlich wie die Zivilklauseln in einigen
Ländern, in den Satzungen der Hochschulen zu
verankern.
-
Im März 2011 hat es in Baden-Württemberg einen
perspektivreichen Regierungswechsel gegeben.
- Im Mai 2011 fand ein bundesweiter-Zivilklausel-
Kongress an der TU Braunschweig mit Teilnehmer-
Innen aus über 30 Hochschulen statt, mit Berichten
über vielfältige anwachsende Aktivitäten, mündend
in einer Erklärung „Hochschulen für den Frieden! -
Nein zur Kriegsforschung! - Ja zur Zivilklausel!“.
Wir bitten Sie und die Koalitionspartner in der
Landesregierung darum, bei den anstehenden
Novellierungen des Landeshochschulgesetzes und
des KIT-Gesetzes die Zivilklausel zu verankern.
Dazu verweisen wir auf die entsprechenden Aussagen in
den Landtagswahlprogrammen Ihrer Partei ebenso wie der
SPD, sowie auf die Ihnen bekannten Stellungnahmen und
Beschlüsse der LandesAstenKonferenz, der Gewerkschaften
ver.di und GEW, des fzs („freier zusammenschluss
von studentInnenschaften“), der NaturwissenschaftlerInnen-
Initiative „Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit“ und vieler anderer. Für die KIT-Zivilklausel haben Sie, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Minister Dr. Nils Schmid dankenswerter Weise persönlich
unterzeichnet. Die zugehörige Unterschriftensammlung
mit 450 unterzeichnenden Persönlichkeiten, die am
21. März an KIT-Präsident Hippler persönlich übergeben
wurde, ist vom KIT-Senat ignoriert worden.
An dieser Stelle möchten wir Sie auch auf die Ihnen
bekannte, völlig unakzeptable Interpretation der Zivilklausel
der Uni Tübingen hinweisen. Dort wurde der Chef der
NATO-„Sicherheitskonferenz“ zum Honorarprofessor
ernannt und „wehrmedizinische“ Forschung vom
Bundesverteidigungsministerium unter Geheimschutz
gestellt. Zwei Verstöße gegen Geist und Wortlaut der
Tübinger Zivilklausel.
Der Arbeitskreis „Universität in ziviler Verantwortung“ (Kasten) hat gefordert, die Professur rückgängig zu machen. Der DGB-Arbeitskreis
Tübingen hat den Rektor zum Handeln gegen den Geheimschutz
aufgefordert (Kasten). Wenn eine Universität ihre
Autonomie dazu benutzt gegen die selbst auferlegten Verpflichtungen
zu verstoßen, sind Öffentlichkeit und Politik
gefordert.
Aus dem Presse-Info des Arbeitskreises “Universität in ziviler Verantwortung“ an Uni Tübingen 21. Juli
„Honorarprofessur widerspricht der Zivilklausel - kein Kriegsbefürworter als Lehrkraft!“
„Wir fordern die Universität Tübingen auf:-
die in der Grundordnung verankerte Selbstverpflichtung zu respektieren;
-
die Verleihung der Honorarprofessur an Herrn Ischinger rückgängig zu machen.“
Eine ähnliche Stellungnahme erfolgte tags darauf vom DGB Arbeitskreis Tübingen.
Aus einem Brief vom 2. August DGB Arbeitskreis Tübingen an Rektor
und Senat der Universität
„Seit Mitte Juni ist aufgrund einer Bundestagsanfrage (BT Drs 17/5832) bekannt, dass die Universität Tübingen seit
2002 bis heute im Durchschnitt 170.000 € aufgrund von
Drittmittelaufträgen des Bundesministeriums für
Verteidigung (BMVg) erhält. ... Dies ist aufgrund einer
BMVg-Verfügung … seit Oktober 2010 unter
Geheimschutz gestellt worden. ... Organophosphate
kommen zivil bei Düngemitteln und militärisch bei
Nervengasen vor. ... Unabhängig von unserer prinzipiell
ablehnenden Haltung zur Zulässigkeit der
Geheimschutzverfügung ... gibt es denklogisch nur zwei
Möglichkeiten:
-
Entweder es handelt sich um Forschung, die für
militärische Zwecke relevant ist und deswegen
vom BMVg unter Geheimschutz gestellt wurde.
Dann muss die betreffende Forschung wegen
Unvereinbarkeit mit der Zivilklausel beendet
werden.
-
Oder aber die Geheimschutzverfügung ist nicht
berechtigt. Dann muss sie durch eine Intervention
der Universität Tübingen gegenüber der
Bundesregierung aufgehoben werden.“
Die gerade hinter uns liegenden Jahrestage der Atombombenabwürfe
in Hiroshima und Nagasaki und die Katastrophe
von Fukushima haben uns die Verletzlichkeit der menschlichen
Zivilisation vor Augen geführt.
Im diesjährigen
DGB-Aufruf zum Antikriegstag heißt es:
„Wir fordern die Bundesregierung einmal mehr auf, Rüstungsexporte in Krisenregionen zu verbieten
und Rüstungsausgaben nachhaltig zu senken! Das Ende der zivilen Nutzung der Atomkraft muss auch das Ende aller Atomwaffen sein. Trotz der
Abrüstung nach dem Kalten Krieg sind noch immer
über 23.000 Atomwaffen einsatzbereit. Wir fordern
die Bundesregierung auf, sich für eine atomwaffenfreie
Welt einzusetzen!“
Zivile und humanitäre Konfliktlösungen zu suchen, statt
mit Krieg und Militäreinsätzen Sicherheit oder gar Gerechtigkeit
schaffen zu wollen, ist das unabweisbare Gebot
der Vernunft. Die Beiträge der Wissenschaft dazu sind
unverzichtbar und entsprechen der Friedensfinalität der
Verfassung, wie im Zivilklausel-Gutachten von Prof. Dr.
Erhard Denniger nachgewiesen wurde.
Sehr geehrte Herren Präsidenten,
sehr geehrter Herr Rektor,
wir appellieren an Ihr Verantwortungsbewusstsein
und erwarten eine friedenspolitische Kurskorrektur.
Sehr geehrte Frau Ministerin,
sehr geehrte Herren,
wir freuen uns auf Ihre Antworten und zählen auf
Ihre Bereitschaft zum Dialog.
Unterzeichnende (Stand 26.08.11)
Gruppen: AStA TU Braunschweig • AStA Uni Bremen •
AStA Uni Kön • Bremer Friedensforum • DFG-VK Baden-
Württemberg • Evang. Arbeitnehmerschaft Baden ean •
FaVeVe+ Studierendenvertretung Uni Stuttgart • freier
zusammenschluss von studentInnenschaften • Friedensplenum
/ Antikriegsbündnis Tübingen • Friedensnetz
Baden-Württemberg • Friedensrat Markgräflerland •
Informationsstelle Militarisierung IMI e.V. • Grüne
Hochschulgruppe, Uni Karlsruhe KIT • Initiative „Hochschule für den Frieden - Ja zur Zivilklausel“ • Initiative
gegen Militärforschung an Universitäten • Juso-Hochschulgruppen
Baden-Württemberg • LandesAsten-Konferenz
Baden-Württemberg • Landesausschuss der Studentinnen
und Studenten in der GEW Baden-Württemberg
LASS • U-AStA Uni Konstanz • UStA PH Freiburg • UStA
Uni Karlsruhe KIT
Personen: Hagen Battran, Leiter Vorstandsbereich Grundsatzfragen
GEW Baden-Württemberg • Prof. Dr. Rudolph
Bauer, Bremer Erklärung OHB-Stiftungsprofessur • Roland
Blach, Geschäftsführer DFG-VK Baden-Württemberg, Koordinator
der Kampagne „unsere zukunft atomwaffenfrei“ •
Dr. Hartmut Blum, Akademischer Oberrat Uni Tübingen •
Sören Böhrnsen, Student Uni Bremen • Nadja Brachmann,
Sprecherin Alternative Liste, Hochschulgruppe Uni Karlsruhe
KIT • Reiner Braun, Vorstand NatWiss, Geschäftsführer
IALANA • Dr.-Ing. Peter Brödner, Gastdozent Uni Siegen •
Stefan Dreher, Landessprecher AG Betrieb & Gewerkschaft
DIE LINKE Baden-Württemberg • Hartmut Drewes, Pfarrer
i.R. Bremen • Frederico Elwing, wiss. Mitarbeiter, Tübingen
• Benno Malte Fuchs, DGF-VK, IMI, Student Uni Tübingen •
Jürgen Grässlin, Aachener Friedenspreis 2011 • Dagmar
Hamdi, Dr. Roland Munser, ver.di Vorstandsmitglieder FB5
Bezirk Mittelbaden-Nordschwarzwald • Dr. Volker Harms,
Akademischer Oberrat a. D. Uni Tübingen • Klaus
Herrmann, Köln • Wolfgang Hinderer, Moshe Krieger, attac
Karlsruhe • Jochen Kelter, Schriftsteller Ermatingen/Schweiz
• Prof. Dr. Wilhelm Kempf, Uni Konstanz • Eva Kowalzik,
AStA Referentin für Hochschulpolitik, HS Bremen • Nils
Langer, Mitglied AStA und AK Zivilklausel Uni Stuttgart •
Sven Lehmann, Sprecher Bundesausschuss der Studentinnen
und Studenten in der GEW BASS • Lothar Letsche,
Vorsitzender GEW Fachgruppe HuF Baden-Württemberg •
Prof. Dr. Georg Lind, Ausbilder für Moral- und Demokratiekompetenz,
Konstanz • Dr. Ullrich Lochmann, Pfarrer i.R.
Rheinstetten • Dr. Cornelia Mannewitz, Vorsitzende GEW
Fachgruppe HuF Mecklenburg-Vorpommern und Mitglied
Bundesvorstand HuF • Richard Marbach, Mitglied Gewerkschaftliche
Studierendengruppe Karlsruhe am KIT Uni
Karlsruhe • Prof. Dr. Matthias Maring, Uni Karlsruhe KIT •
Dr. Tomas Martin, KoKreis attac Karlsruhe • Doro Moritz,
Vorsitzende GEW Baden-Württemberg • Senta Pineau, AK
Zivilklausel Uni Köln • Paul Russmann, Ohne Rüstung Leben
• Rainer Schmid, Pfarrer, Friedrichshafen • Dr.-Ing. Dietrich
Schulze, Beirat NatWiss • Sonnhild Thiel, Friedensbündnis
Karlsruhe • Wolfgang Weber, Vorsitzender DGB-Ortsverband
Ettlingen-Malsch-Albtal • Christoph Wiesner, Sprecher LASS
GEW Hessen • Lucas Wirl, Geschäftsführer NatWiss • Uwe
Wötzel, Gewerkschaftssekretär • Jürgen Ziegler, ver.di
Geschäftsführer Bezirk Mittelbaden-Nordschwarzwald
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