Die Zeichen weisen wieder auf Aufrüstung
Sicherheitspolitische Spielräume jenseits der Supermächte - Eine Analyse von Herbert Wulf und Michael Brzoska*
Prof. Dr. Herbert Wulf, Direktor des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC), und Dr. Michael Brzoska, Forschungsleiter des BICC.
Beim folgenden Text handelt es sich um eine Zusammenfassung der Ergebnisse des Jahresberichts des BICC, der am 14. Juni in Bonn der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Das Buch, "Conversion Survey 2001", ist bei der Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, erschienen. Wir folgen der entsprechenden Dokumentation der Frankfurter Rundschau vom 15. Juni 2001, haben aber etliche Kürzungen vorgenommen.
...
Zwei Aspekte der Krise der traditionellen Rüstungskontrolle sollen im Folgenden
betrachtet werden: die zunehmende militärische Dominanz der USA und die
gewandelte Wahrnehmung militärischer Bedrohungen.
Hegemoniale Supermacht USA
Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden viele Rüstungskontrollabkommen
möglich, weil die Sowjetunion und später Russland in einer schwachen Position
waren. Später war ein mögliches Wiedererstarken Russlands für die USA und die
Nato-Staaten ein wichtiges Motiv, die gleichzeitige und gleichgewichtete Abrüstung
in Ost und West als gewinnbringend anzusehen. Aber mit der fortschreitenden
Desintegration des russischen Militärs und dem offensichtlichen Ende des
russischen Supermachtstatus nahm das US-amerikanische Interesse an
strategischer Stabilität durch bilaterale Rüstungskontrolle ab. Mit zunehmender
politischer und militärischer Dominanz glauben die USA, kleinere Staaten
militärisch unter Kontrolle halten zu können, selbst wenn diese nach Nuklearwaffen
oder anderen Massenvernichtungswaffen streben. Die USA wollen eine Form der
Rüstungskontrolle, die die Waffensysteme der anderen Staaten begrenzt, aber den
eigenen Handlungsspielraum für weltweite militärische Aktionen nicht einschränkt.
Das wird am deutlichsten bei den Planungen zur Raketenabwehr.
Ein auch schon aus der Geschichte der Abrüstungspolitik bekanntes
Sicherheitsdilemma tritt erneut auf: Sobald es eine Hegemonialmacht gibt oder
militärische Macht asymmetrisch verteilt ist, kommt Rüstungskontrolle zum
Stillstand. Die Überlegenen sehen keinen Anlass mehr, ihre Übermacht
aufzugeben. Dies wiederum hat die fatale Folge, dass sich die Unterlegenen
ihrerseits zur Aufrüstung genötigt sehen. Zwar kann auch eine solche Situation
durch einseitige Abrüstung und regionale vertrauensbildende Maßnahmen
aufgebrochen und damit zum Ausgangspunkt für neue Runden von
Rüstungskontrolle werden. Gleichwohl ist es noch zu früh zu beurteilen, ob der
Abrüstungstrend der 1990er nachhaltig genug ist, um die gegenwärtige Krise der
Rüstungskontrolle zu überdauern, oder ob, wie einige Indikatoren nahe legen, ein
neuer Aufrüstungsschub bevorsteht.
Neue militärische Bedrohungen
Viele Staaten haben damit begonnen, militärische Bedrohungen zu überprüfen und
neu zu bewerten, um dies zur Grundlage für den Umbau ihrer Streitkräfte zu
machen. Die Anzahl von umfassenden militärischen Interventionen hat
zugenommen. Multilaterale UN-Missionen sind in das Zentrum der Diskussion
neuer und zukünftiger Militäreinsätze gerückt; regionale und interne Kriege ziehen
die internationale Aufmerksamkeit auf sich. Es ist allerdings nicht nur notwendig,
solche Einsätze vorzubereiten, sondern auch die Waffen, die in solchen Kriegen
vornehmlich genutzt werden - Landminen, Kleinwaffen, leichte Waffen -, auf die
internationale Rüstungskontrollagenda zu setzen.
Klassische Rüstungskontrolle, wie sie während des Kalten Krieges praktiziert
wurde, hat sich für die neue Situation als unzureichend erwiesen. Das zentrale
Problem der gegenwärtigen Kriege ist nicht ein Mangel an internationaler Stabilität,
sondern die Zerstörungswirkung von Waffen und ihre hohen Kosten. Das
bekannteste Beispiel der beginnenden Neuorientierung der Rüstungskontrolle
stammt aus den Verhandlungen über das Verbot der Landminen. Während einige
Staaten, darunter die USA, Russland, China und Indien, analog zur gängigen
Praxis der traditionellen Rüstungskontrolle an einigen Typen oder begrenzten
Mengen von Antipersonenminen festhalten wollten, wurde dies von Mehrheit der
Staaten nicht akzeptiert. Daraufhin handelten "gleichgesinnte Staaten" in einem
neuen Forum, dem "Ottawa-Prozess", einen Vertrag aus. Auch
zivilgesellschaftliche Organisationen - NGOs - wirkten daran mit und wurden so
zum Akteur der Rüstungskontrolle. Die neue Kombination von "gleichgesinnten"
Regierungen und einem weit gespannten Netzwerk von nationalen und
internationalen NGOs machte das Abkommen erst möglich und ist auch die
einzige Garantie für seine erfolgreiche Umsetzung.
Es gibt keinen Anlass für übertriebenen Optimismus. Viele Staaten -
Minenhersteller wie Minenanwender, von den USA bis Jugoslawien, von Russland
bis Pakistan, von China bis Myanmar - haben das Abkommen nicht ratifiziert. Auch
Staaten, die dem Abkommen beigetreten sind, haben Antipersonenminen verlegen
lassen. Verstöße gegen das Abkommen werden nicht bestraft. Bestimmte Typen
von Minen, die für Menschen gefährlich sind, sind nicht verboten. Außerdem hat
das Abkommen neue militärische Forschung zur Umgehung seiner Vorschriften
stimuliert.
Ob es möglich sein wird, ähnliche Abkommen im Bereich der Kleinwaffen und
leichten Waffen zu erzielen, muss sich erst noch zeigen, zum Beispiel während
der UN-Konferenz zum Thema "Illegaler Handel mit Kleinwaffen und leichten Waffen
in all seinen Aspekten" im Juli 2001. ...
Abrüstung am Wendepunkt
Abrüstung ist einfacher als Rüstungskontrolle. Jede Regierung kann einseitig
entscheiden abzurüsten und muss nicht auf Rüstungskontrollabkommen warten.
Genau so haben sich viele Staaten während der zweiten Hälfte der 1980er und
insbesondere während der 1990er Jahre verhalten. Dies wird durch den BICC-Index
der Abrüstung und des Konversionsbedarfes bestätigt. Der BIC3D Index weist für
1999 einen Wert von 30 auf und zeigt damit an, dass weltweit die militärischen
Sektoren seit dem Ende des Kalten Krieges um 30 Prozent verkleinert worden
sind.
Doch trotz des historisch zu nennenden Abbaus sind die Militärapparate weltweit
immer noch enorm groß. 1999 betrugen die weltweiten Militärausgaben 686
Milliarden US-Dollar (in Preisen von 1993); der gegenwärtige Bestand an
konventionellen Großwaffen liegt bei über 422.000 Stück. Es gibt über 21,7
Millionen Soldaten in regulären Streitkräften, und fast 8 Millionen Menschen
arbeiten weltweit in der Rüstungsindustrie. ...
Anstieg der Militärausgaben
Nach mehreren Jahren des Rückgangs steigen die weltweiten Militärausgaben seit
1999 wieder. Diese Entwicklung kehrt einen Trend um, der zu einer starken
Verminderung der Militärausgaben führt, und signalisiert ein mögliches Ende von
Abrüstung und Konversion. Obwohl die Mehrheit der Staaten ihre Militärausgaben
weiterhin reduziert, haben eine Reihe von Staaten mit hohen Militärausgaben, wie
die USA, Frankreich, Deutschland, China, Russland, Brasilien und Australien, ihre
Militärausgaben erhöht oder deren Wachstum angekündigt.
Die weltweiten Ausgaben für militärische Forschung und Entwicklung (F&E)
sanken in den frühen 1990er Jahren nicht so stark wie andere Bereiche der
Militärausgaben. Während die militärische F&E in Russland stark vermindert
wurde, nahm sie in den westlichen Marktwirtschaften nur wenig ab. Als in den
1990er Jahren die Waffenproduktion zeitweilig zurückging, diente die Finanzierung
von militärischer F&E dazu, technologische Fähigkeiten zu erhalten. Durch
militärische F&E wurde ein "Beschaffungstal" überbrückt. Mit der erneuten
Zunahme der Militärausgaben nimmt die F&E wieder ab. Dadurch könnte
möglicherweise Bedarf für Konversion in militärischen Forschungslaboratorien
entstehen.
Nach dem rapiden Rückgang der weltweiten Rüstungsproduktion mehren sich die
Anzeichen, dass dieser Abbau mittlerweile gestoppt wurde. In einigen größeren
Rüstungsproduktionsländern wie den USA, Frankreich, Großbritannien, Russland
und Japan steigt die Produktion sogar wieder. Die Zahl der Beschäftigten hingegen
sinkt jedoch weiterhin. Nach einer Anzahl von Mega-Fusionen in den letzten
Jahren, insbesondere in den USA, konzentriert sich die Entwicklung nun vor allem
auf internationale Zusammenarbeit und Firmen-Übernahmen. Aber immer noch ist
die "Globalisierung" im Rüstungsbereich weit weniger fortgeschritten als in anderen
Sektoren der Industrie. Während in kleineren und mittleren Unternehmen
Konversion und Diversifikation weiter voranschreiten, sind die meisten großen
Rüstungsfirmen dabei, sich auf Rüstung als Kerngeschäft zu konzentrieren.
Demobilisierung
Seit zehn Jahren nimmt die Anzahl der Soldaten kontinuierlich ab, auch wenn der
Rückgang inzwischen vergleichsweise geringer geworden ist. Von einem
Höchstwert von 28,8 Millionen Soldaten im Jahre 1987 sank die Zahl bis auf 21,7
Millionen im Jahre 1999. Während einige Länder wie Russland und Deutschland
weitere Einschnitte erst planen, sind andere bereits mitten in der Demobilisierung.
Dies trifft insbesondere dort zu, wo wie in Kambodscha und Osttimor Kriege
beendet wurden.
Das Ende von Kriegen erfordert regelmäßig Demobilisierungsprogramme. Die
meisten solcher Programme in Nachkriegssituationen werden mit allgemeineren
Reformen des Sicherheitssektors, von Militär, Polizei und Justiz, verknüpft, wobei
die demokratische Kontrolle der Streitkräfte ein wichtiges Element ist. ...
Die weltweite Umstrukturierung von Streitkräften hat zu einer deutlichen
Verminderung der Zahl der militärischen Standorte geführt. Dies betrifft vornehmlich
Europa, aber auch andere Länder, z. B. Australien, Panama, Philippinen,
Südafrika, USA und Vietnam. Für eine große Zahl von freigezogenen
Liegenschaften muss noch eine zivile wirtschaftliche Nutzung gefunden werden. Es
ist zu erwarten, dass in einer Reihe von Ländern weitere Runden von
Standortschließungen anstehen, weil dort die Streitkräfte umstrukturiert,
rationalisiert oder verkleinert werden (z. B. in Deutschland, Nordirland, Russland, Südafrika und den USA).
...
Militarisierung von Politik
Heute ist es populär, "humanitäre Sicherheit", also ein Sicherheitskonzept zu
fordern, in dessen Zentrum der Mensch steht. Die Sicherheit der Menschen und
nicht so sehr der Territorien solle das Hauptziel der Sicherheitspolitik sein. Im
Gegensatz zu diesen politischen Absichtserklärungen steht die Feststellung des
UN-Generalsekretärs Kofi Annan in seinem Millenniumreport, dass die Kriege in
den 90er Jahren gerade eben "die Menschen, nicht so sehr die Grenzen verletzt
haben". Die Welt der Machtpolitik steht zu Beginn des neuen Jahrtausends mit
den Gefahren, die die Massenvernichtungswaffen weiterhin darstellen, und mit den
oft praktizierten militärischen Interventionen in starkem Kontrast zu den
propagierten Konzepten menschlicher Sicherheit. Das Militär wird weiterhin häufig
als das primäre Instrument zur Problemlösung angesehen.
Zwar werden die internationalen Beziehungen nicht mehr durch die Feindschaft
zwischen den Supermächten dominiert, doch das nukleare Abschreckungssystem
existiert weiter. Selbst auf der operationellen Ebene der Zielplanung sowohl der
USA als auch Russlands sind die nuklearen Arsenale gegeneinander gerichtet.
Viele Länder halten an exzessiven konventionellen militärischen Kapazitäten fest,
die weit über ihre legitimen Sicherheits- und Verteidigungsinteressen hinausgehen. ... Obwohl nationalstaatlich begründete militärische Sicherheitspolitik im
Zeitalter der Globalisierung überholt zu sein scheint, halten viele Regierungen
weiterhin an diesem Konzept fest.
Gleichzeitig aber ist das traditionelle Konzept der Selbstverteidigung als
Hauptaufgabe von Streitkräften völlig in Frage gestellt, nachdem in vielen Ländern
die Wahrscheinlichkeit von Aggressionen von außen weitgehend oder ganz
verschwunden ist. Mehr Wert wird jetzt auf andere, sekundäre Funktionen gelegt.
Hierzu gehören Friedensmissionen und Friedenserzwingungsmaßnahmen,
humanitäre Interventionen oder Hilfe bei Naturkatastrophen und kriegsbedingten
Flüchtlingsströmen, die Bekämpfung des Drogenhandels oder anderer Formen
transnationaler Kriminalität sowie innergesellschaftliche Interventionen in die Politik
oder bei der Niederschlagung von Aufständen. Diese Tendenz der Betonung
nichtzentraler Aufgaben des Militärs kann zu einer Militarisierung der Politik führen,
zu unklaren zivil-militärischen Beziehungen sowie einer reduzierten
demokratischen Kontrolle und zivilen Verantwortlichkeit für das Militär.
Militärische Interventionen durch die Vereinten Nationen oder mit deren Mandat
können als letztmögliches Mittel angesichts der Konflikte in der Welt nicht ganz
ausgeschlossen werden. Die internationale Gemeinschaft musste gelegentlich zur
Kenntnis nehmen, dass "noch so gut gemeinte Absichten die grundsätzliche
Kapazität, eine glaubwürdige militärische Kraft einzusetzen, nicht ersetzen
können, wenn komplexe Friedensmaßnahmen erfolgreich sein sollen". Einige der
Interventionen in der Vergangenheit waren jedoch eindeutig nicht die Option des
"letztmöglichen Mittels". Nicht alle nichtmilitärischen Kanäle waren genutzt
worden, bevor die Streitkräfte eingesetzt wurden. Gleichzeitig waren Regierungen
nicht immer in der Lage, sich zu einer Intervention zu entscheiden, auch wenn es
sich um Fälle grober Menschenrechtsverletzungen oder Genozide (wie im Falle
Ruandas im Jahre 1994) handelte.
Das Dilemma, wann und wo interveniert werden soll, bleibt bestehen. Organisierter
Massenmord und grobe Menschenrechtsverletzungen verlangen eine klare Antwort.
Doch sogar auf der Ebene der Vereinten Nationen wies die Praxis militärischer
Interventionen wenig Konsistenz auf. Schwache Staaten sind viel öfter das Subjekt
derartiger Interventionen als starke. Der selbstkritische UN-Bericht über
Friedensmissionen - der so genannte Brahimi-Report - schlägt nicht nur konkrete
Maßnahmen vor, um Friedenseinsatzkräfte auf zukünftige Aufgaben vorzubereiten,
er enthält auch eine Kritik an den Mitgliedsstaaten, die oft nach schnellen
Auswegen suchen, ohne die langfristigen Erfordernisse der Konfliktlösung
angemessen zu berücksichtigen und den Vereinten Nationen die notwendigen
Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Wiederbelebung von Abrüstung
Diese kurze Analyse von Rüstungskontrolle, Abrüstung, Konversion und militärisch
orientierter Sicherheitspolitik illustriert, dass viele Staaten in der Lage waren
abzurüsten, ohne formal internationale Abkommen abzuschließen, ja oft ohne ihre
militärischen Kapazitäten aufzugeben. Rüstungskontrollabkommen hätten jedoch
größere Abrüstungsschritte ermöglichen können; sie hätten neue
Aufrüstungsrunden und Instabilität verhindern sowie Vertrauen schaffen können,
das wiederum eine nachhaltige Abrüstungsdynamik ermöglicht hätte. Einige der
gestärkten Funktionen der Streitkräfte eröffnen Möglichkeiten zum Einsatz des
angehäuften militärischen Know-hows und Geräts für eigentliche
Sicherheitszwecke. Dennoch garantiert die Ausweitung der militärischen Missionen
keineswegs die effiziente und effektive Nutzung von Ressourcen.
Um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Sicherheit wieder zu beleben, erscheinen
einige Maßnahmen besonders geeignet:
1.Kontrolle des Militärs in Konflikten: Die Rolle des Militärs in Friedensmissionen,
bei humanitärer Hilfe und anderen Aufgaben, die nicht zu seinen ursprünglichen
Aufgaben gehören, sollte nur mit großer Vorsicht gestärkt werden. Nicht jeder
Konflikt bedarf einer militärischen Antwort. Im Gegenteil: Militärische Interventionen
können kontraproduktiv sein und waren es bereits in einer Reihe von Fällen. Das
Argument, es bestehe eine Notwendigkeit, die Rolle des Militärs zu stärken, wird
manchmal benutzt, um dessen Existenz zu rechtfertigen und um Kürzungen im
Militärhaushalt zu verhindern. Politiker zeigen sich oftmals wegen humanitärer
Anliegen besorgt und möchten hierfür militärisches Know-how nutzen. Doch die
Stärkung der Rolle des Militärs kann zu einer Verschwendung von Ressourcen
führen und seine demokratische Kontrolle schwächen. Deshalb muss eine klare
demokratische Kontrolle über militärische Interventionen gewährleistet sein.
2.Stärkung der Kapazität der Vereinten Nationen für Friedensmissionen: Da von
den Vereinten Nationen wesentlich mehr erwartet wird, als einen Puffer zwischen
kriegerischen Parteien zu bilden, müssen sie auch die notwendigen Mittel erhalten,
um den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen, wenn sie dazu aufgefordert
werden. Der fehlende politische Wille der Mitgliedsländer, die notwendigen
menschlichen, finanziellen und materiellen Mittel zur Verfügung zu stellen, ist zur
Genüge dokumentiert. Zurzeit können die Vereinten Nationen keine wirkliche und
nachhaltige Hilfe garantieren, wenn sie benötigt wird. Diese Situation kann
nichtautorisierte Organisationen dazu verleiten, zu intervenieren, wie etwa 1999
beim Nato-Einsatz in Kosovo. Die Charta der Vereinten Nationen muss die Basis
für internationale Friedenseinsätze bleiben.
3.Intensivierung der Abrüstung: Rüstungskontrolle sollte darauf gerichtet sein,
Abrüstung zu intensivieren und den Trend zur Abrüstung zu verstetigen. Dies ist
besonders dringend auf dem Gebiet der Nuklearwaffen. Das Ziel muss die
vollständige nukleare Abrüstung bleiben. Das Versprechen der Nuklearmächte,
vollständig nuklear abzurüsten, muss von entsprechenden Taten begleitet werden.
Außerdem sind - über die 1999 im Rahmen der KSE neu vereinbarten
Festlegungen für konventionelle Streitkräfte in Europa hinaus - weitere
substanzielle Abrüstungs- und Rüstungskontrollschritte möglich.
4.Beschränkung der technischen Modernisierung von Waffen: Rüstungskontrolle
sollte darauf ausgerichtet sein, den raschen Prozess der Waffenmodernisierung zu
verlangsamen. Dies betrifft zum Beispiel die Raketen-, aber auch die konventionelle
Waffentechnologie. Strategien technologischer Dominanz, wie sie derzeit in der
Nato und besonders von den USA praktiziert werden, müssen zu Gunsten
kooperativer Sicherheitsstrategien aufgegeben werden. Diese anstelle eines neuen
Wettrüstens möglichen Einsparungen könnten die Beschränkungen
technologischer Entwicklungen attraktiv machen.
5.Kontrolle von Kleinwaffen und leichten Waffen: Ein besonders vielversprechendes
Gebiet der Rüstungskontrolle - besonders angesichts der Toten und Verletzten in
den Kriegen und Konflikten - sind die Bemühungen zur wirksamen Kontrolle der
Proliferation von Kleinwaffen und leichten Waffen.
6.Reduzierung der Militärausgaben: Es gibt kaum Erfahrungen in Verhandlungen
zur Reduzierung der direkten Kosten von Militär und Waffen. Während des Kalten
Krieges wurden im Rahmen der Vereinten Nationen Vorschläge zur Begrenzung
oder Reduzierung von Militärausgaben gemacht. Erstaunlicherweise sind diese
Vorschläge in jüngster Zeit nicht wieder aufgegriffen worden, obwohl heute mehr
denn je Transparenz über Militärausgaben vorhanden ist, die einen solchen Ansatz
erleichtern würde. Stattdessen wird in der Nato eine Diskussion über angeblich zu
geringe Verteidigungsanstrengungen der Europäer geführt.
7.Durchsetzung selektiver Initiativen: Obwohl es wichtig ist, dass die großen
Mächte sich an Rüstungskontrolle und Abrüstung beteiligen, sollte man
Einzelinitiativen gleich gesinnter Staaten nicht von vorn herein ausschließen, wenn
die Großmächte die Zusammenarbeit versagen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass
die Unterschriften wichtiger Regierungen unter Rüstungskontrollverträgen fehlen.
Die Ottawa-Konvention ist hier keine Ausnahme. Wenn die Senkung der
Zerstörungskraft von Waffen das Hauptziel ist, können derartige selektive Initiativen
Fortschritt bedeuten. Die Möglichkeiten für gleich gesinnte Staaten, neue Normen
international durchzusetzen, sind in der "humanitären" Rüstungskontrolle groß.
8.Finanzielle und technische Abrüstungshilfe: Die Erhöhung der Abrüstungshilfe ist
dringend erforderlich. Oft sind die Abrüstungskosten die entscheidende Hürde für
eine schnelle und komplette Durchführung von Abrüstungsmaßnahmen,
beispielsweise bei Landminen oder chemischen Waffen. Eine Reihe von
Regierungen gewährt derartige Hilfe, doch diese Beträge sind im Vergleich zu den
weltweiten Militärausgaben minimal.
Jetzt, da Aufrüstung in einer Reihe von Ländern wieder auf der Tagesordnung steht,
steigt die Bedeutung der Rüstungskontrolle und der demokratischen Kontrolle der
Streitkräfte. Die Stärkung der Rüstungskontrolle und die Wiederbelebung der zivilen
Kontrolle über das Militär könnten als Barriere gegen ein neues Wettrüsten wirken.
"Humanitäre Sicherheit" würde dann sowohl durch ein niedrigeres Niveau der
Rüstung als auch des militärischen Engagements gefördert.
Aus: Frankfurter Rundschau, 15. Juni 2001 (gekürzt)
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