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"Es geht darum, die Köpfe auf Kurs zu bringen"

Ein US-Wissenschaftler lobt den Krieg – sein Buch wird am Montag in der Deutschen Nationalbibliothek vorgestellt. Ein Gespräch mit Arndt Müller *


Arndt Müller wendet sich gemeinsam mit den »Ordensleuten für den Frieden« dagegen, daß am Montag in der Deutschen Nationalbibliothek das Buch des US-Autors Ian Morris »Krieg – wozu er gut ist« vorgestellt wird.


Am Montag will der US-Historiker Ian Morris in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main sein Buch »Krieg – wozu er gut ist« vorstellen. Jetzt äußert sich Protest: Unter anderem die Ordensleute für den Frieden fordern, die Veranstaltung abzusagen. Welche Thesen vertritt der Autor?

Er macht, was in Sudelbüchern dieser Art üblich ist: Auf 537 Seiten versucht er, die Geschichte umzuschreiben, in der Absicht, die Friedenssehnsucht der Menschen zu Kriegsbereitschaft umzufunktionieren: Kriege hätten die Menschheit – auf ganz lange Sicht betrachtet – sicherer und reicher gemacht, behauptet er. Sie hätten es der Menschheit ermöglicht, stabile Gemeinschaften und friedliche Gesellschaftsordnungen zu errichten.

Ohne Kriege wären »nie die großen Nationalstaaten entstanden, die den einzelnen vor willkürlichen Gewalttaten weitgehend schützen und den Menschen ungeahnten Wohlstand beschert haben«, heißt es in der Einladung zur Veranstaltung. Ähnlich wird sein Werk im Klappentext des im Campus-Verlag erschienenen Buches beworben. Angeblich fernab jeder kriegsverherrlichenden Argumentation zeige Morris »das Paradoxon des Krieges auf«: »Die Menschen haben sich für Gewalt als Methode entschieden, um Konflikte zu lösen und sich weiterzuentwickeln.« Dies sei »zwar brutal«, habe sich aber »auf lange Sicht als wirkungsvoll erwiesen«. Dem ist energisch zu widersprechen – und auf die geschätzten 20 Millionen Toten des Ersten Weltkriegs und die 80 Millionen des Zweiten Weltkriegs im vergangenen Jahrhundert zu verweisen.

Wie ist der Autor Ian Morris, der als Professor an der Stanford University in den USA lehrt, politisch einzuordnen?

Er wird vom Kapitalismus bezahlt und schreibt dafür: Oberflächlich reiht er Erscheinungen aneinander; vergleicht beispielsweise den Burenkrieg 1900 mit dem Irak-Krieg 2003. Er resümiert, die Briten – respektive die US-Amerikaner – seien einer Aggression zuvorgekommen. Die einen hätten sich präventiv gegen die Buren, die anderen gegen den Irak wehren müssen. Was völlig verdreht ist: Die Buren wurden nämlich von Großbritannien angegriffen! Und der Irak hat nie daran gedacht, die USA zu attackieren.

Festzuhalten ist: Angreifer waren in beiden Fällen imperialistische Staaten, kapitalistisch geprägt, mit weißer Bevölkerung. Morris argumentiert sozialdarwinistisch: Der Mensch ist ein Gewalttier. Auch das unvermeidliche Kapitel über Affen fehlt nicht.

Der Antikommunismus zieht sich durch das ganze Buch: Die Sowjetunion habe es nur nicht geschafft, den Westen anzugreifen, weil der Sozialismus gescheitert sei. Drohnen verharmlost er als »positives technisches Kriegsgerät«. Den ehemaligen US-Präsidenten George Bush lobt er. Und ökonomische Gründe, die letztlich Kriege auslösen, ignoriert er.

Diverse Nichtregierungsorganisationen fordern, die Buchvorstellung abzusagen – mit welchen Argumenten?

Dieses Werk der Kriegspropaganda wird vom Campus-Verlag und dem US-Generalkonsulat präsentiert – woraus zu ersehen ist, wem es nützt. Die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen Kriege, sie soll manipuliert werden. Motto: »Laßt uns mal ganz unbefangen über Krieg reden.« Es geht darum, zu relativieren und Akzeptanz für die imperialistischen Raub- und Raffkriege zu schaffen. Zu Veranstaltungen wie dieser kommen keine Hartz-IV-Empfänger, sondern Entscheidungsträger und Meinungsführer – sie wird auch in englischer Sprache abgehalten.

Sind Wissenschaftler wie Morris zur Zeit eher isoliert, oder hat ihre Denkweise Konjunktur?

Es geht darum, auch in Deutschland die Köpfe auf Kurs zu bringen. Nahezu alle im Bundestag versammelten Parteien neigen mittlerweile dem Bellizismus zu, begreifen militärische Einsätze als legitimes Mittel der Konfliktlösung. CDU, SPD und die Grünen unterscheiden sich da kaum. In den Medien von taz bis FAZ sieht es ähnlich aus. Wir Bürger wollen da gegenhalten: Zahlreiche Initiativen äußern Protest. Morris spricht hingegen vom Krieg als »letzter Hoffnung« für die USA und den Westen, um deren Interessen durchzusetzen.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Freitag, 18. Oktober 2013


Dokumentiert: Ein Briefwechsel mit der Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek

Der Brief von Frank Skischus:

An die
Generaldirektorin
Deutsche Nationalbibliothek
Frau Dr. E. Niggemann

PROTEST gegen die Veranstaltung in Kooperation mit US-Generalkonsulat
Buchvorstellung „Krieg – wozu er gut ist“ am 21.10.13


Sehr geehrte Frau Generaldirektorin,

gegen die von Ihrem Hause geplante Veranstaltung zu dem Buch „Krieg – wozu er gut ist“ protestieren die Unterzeichner auf das Schärfste.

Es ist unfassbar, dass eine staatliche Institution wie die „Deutsche Nationalbibliothek“ dem Autoren Morris sowie dem Campus-Verlag dieses Haus - ein anerkanntes Podium - zur deutschsprachigen Neuerscheinung des Buches für diese Werbeveranstaltung zur Verfügung stellt.

Die Tatsache, dass diese Veranstaltung in Kooperation mit dem US-Konsulat stattfindet, lässt nur den eindeutigen Schluss zu, dass hier aus politischer Intention des Autoren menschenverachtende Theorien positiver Konsequenzen von Kriegen verbreitet werden und somit der Vorbereitung weiterer Kriege seitens interessierter Staaten dienlich sein sollen.

Gewinner von Kriegen sind seit jeher führende Militärchargen, die gesamte Waffenindustrie, die Finanziers der Kriege und die an der Führung von Kriegen interessierten Politiker diverser Couleur. Tiefstes menschliches Elend traf und trifft die Zivilbevölkerung: durch Drohnen ermordete Menschen, durch Splitterbomben Verkrüppelte, vergewaltigte Mädchen und Frauen, in Geheimgefängnissen Gefolterte. Millionen Kriegsflüchtlinge belegen weltweit die Grausamkeit der durch Militäreinsätze verursachten Verbrechen und nach Aussage von Herrn Morris und seines Verlages „haben Kriege die Menschheit – auf ganz lange Sicht betrachtet – sicherer und reicher gemacht“.

Dieser Zynismus ist kaum noch zu überbieten – die Unterzeichner fordern die Absagung dieser kriegsverherrlichenden Veranstaltung!

Mit freundlichen Grüßen
Frank Skischus


Die Antwort von Frau Dr. E. Niggemann:

Sehr geehrter Herr Skischus,

ich bedauere es sehr, wenn es zu dem Eindruck gekommen ist, bei dem neuen Werk von lan Morris handele es sich um ein den Krieg als solchen verherrlichendes oder auf sonst eine Weise für den Krieg Propaganda machendes Buch.

Bitte lesen Sie die unten stehenden Erläuterungen des Verlages. Sie sind meiner Ansicht nach bestens geeignet, entstandene Missverständnisse zu klären.

Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Niggemann

„Weder der Autor noch sein Verlag verschweigen das riesige Leid, das der Krieg über die Menschheit gebracht hat. Der Text der Einladung unterstreicht diesbezüglich, was im Buch selbst zu lesen ist: Der Krieg ist eines des größten Übel der Menschheit. Doch wie lässt sich dann seine Rolle in einem "Prozess der Zivilisation" (Norbert Elias) erklären, der unleugbar von Fortschritten gekennzeichnet ist? lan Morris fragt also nicht als Philosoph nach der Vertretbarkeit des Kriegs - es ist dies kein Beitrag zur Debatte um den "gerechten Krieg" -, sondern als Historiker nach der Rolle des Kriegs in der Weltgeschichte.

Als Historiker, der auf Grundlage archäologischer Funde und intensiven Quellenstudiums argumentiert, kommt lan Morris nun zu dem – zugegeben provokanten – Schluss, dass der Krieg die Entwicklung hin zu einer Weltgesellschaft befördert hat, die, allen Konflikten und Ungleichgewichten zum Trotz, auf lange Sicht eine friedlichere, wohlhabendere und langlebigere geworden ist. Freilich weiß Morris: "Diese Statistiken dürften kaum all die Millionen trösten, die erschossen, erstochen, erschlagen, gehängt, verbrannt, ausgehungert oder sonst wie zu Tode gebracht wurden", doch er macht auch die für uns heutige unbequeme Feststellung: "wir anderen jedoch verdanken unsere Annehmlichkeiten ihrem Verlust." Hierüber wäre mindestens zu reden.

lan Morris stellt fest, dass, auf die gesamte Weltgeschichte betrachtet und trotz scheinbar grausamerer Kriege, die Wahrscheinlichkeit eines gewaltsamen Todes für heutige Menschen weitaus geringer ist denn je. Heute sind wir aber, und das gehört zu Morris' zentralen Argumenten, an einem historisch beispiellosen Punkt angelangt: Im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen ist das Kriegen innewohnende Risiko unermesslich hoch geworden. Es ist also mitnichten in lan Morris' Sinn, weitere Kriege zu befürworten. Er versteht es aber durchaus als seine Aufgabe als quantitativ arbeitender Historiker, uns mit Blick auf die Vergangenheit auch vor möglicherweise verstörende Rechnungen zu stellen.

Dass der Fortschritt eine Kehrseite hat, gehört aus naheliegenden Gründen zu den Grundannahmen von Philosophie und Kulturkritik, gerade in und seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Doch lan Morris erinnert uns daran, dass sich dieses Böse nicht säuberlich vom Guten trennen lässt, sondern dass die Geschichte einen komplexen Prozess darstellt, in dem gute Absichten Böses hervorbringen können – und, wie oft im Falle des Krieges, auch umgekehrt. Daraus ist kein Plädoyer für böse Absichten abzuleiten.

Der Campus Verlag hätte dieses Buch nicht verlegt ohne die Überzeugung, dass lan Morris alles andere als ein Kriegspropagandist ist und seine Thesen hoch relevant für das Verständnis der Weltgeschichte sind. Wir freuen uns daher sehr, dass der renommierte Historiker den weiten Weg von der Stanford University in Kalifornien nach Frankfurt am Main nicht scheut, um seine Überlegungen persönlich zu erläutern, zu erklären, wie er zu seinem Standpunkt gekommen ist, und anschließend mit dem Publikum darüber zu diskutieren.“





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