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Auftrag: Weniger Kriegsforschung

Hochschulen in Nordrhein-Westfalen sollen bald "friedliche Ziele" verfolgen

Von Marcus Meier *

Alle reden von Rüstungsforschung deutscher Hochschulen auch für das US-Militär. Rot-Grün in NRW will Unis und Fachhochschulen nun zu »friedlichen Zielen« verpflichten. Gute Idee, aber arg halbherzig.

Paragraf 3, sechster Absatz des rot-grünen Gesetzentwurfes klingt wirklich nicht übel. »Die Hochschulen ... sind friedlichen Zielen verpflichtet und kommen ihrer besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung nach innen und außen nach«, ist da zu lesen. Das ist nicht die einzige Passage im geplanten Hochschulzukunftsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen, die halbwegs fortschrittlich erscheint – fortschrittlicher jedenfalls als jenes Hochschulfreiheitsgesetz, mit dem die damalige schwarz-gelbe Regierung 2006 die Unis und Fachhochschulen des einwohnerstärksten Bundeslandes entdemokratisierte und auf Wettbewerb und unternehmerisches Denken trimmte.

DIE LISTEN

Deutsche Hochschulen, die mit dem US-Verteidigungsministerium kooperieren
19 Hochschulen mit insgesamt 30 Projekten und den jeweiligen Drittmitteln
Forschungseinrichtungen und Stiftungen im Dienst des Pentagon
4 Institute mit 9 Projekten und den jeweiligen Finanzmitteln



Wird Rot-Grün nun als erste Landesregierung eine Zivilklausel in Gesetzesform gießen, nachdem bereits ein gutes Dutzend Hochschulen sich selbst zum Verzicht auf Forschung für Militärs und Rüstungskonzerne verpflichtet hatte? So klingt es jedenfalls seitens der grünen Landtagsfraktion, die in diesen Tagen schlagzeilenträchtiges Entsetzen über deutsche Wissenschaftler im Dienste des Pentagon bekundet. Auch im federführenden Wissenschaftsministerium spricht man intern von einer »Zivilklausel«. Das ist sogar SPD-geleitet.

Peter Förster, Aktivist der Initiative »Hochschulen für den Frieden« ist nicht wirklich überzeugt. Zwar lobt er die Zielbestimmung »Frieden« als Erfolg einschlägig engagierter Studenten und Gewerkschafter. Gleichzeitig aber kritisiert er den Gesetzentwurf als halbherzig. Denn die Abkehr von der »unternehmerischen Hochschule« mit Konzernvertretern in mächtigen »Hochschulräten« werde nicht vollzogen.

Vor allem blieben die Bildungseinrichtungen auch künftig unterfinanziert und seien deshalb weiterhin auf externe Finanzspritzen, sogenannte Drittmittel, angewiesen – auch auf solche aus fragwürdigen Quellen. »Die Hochschulen würden nicht real aus der finanziellen Abhängigkeit vom Pentagon, Deutsche Bank, Bayer und Co. befreit«, glaubt Förster.

»Es kann kein Verbot für Militär- und Rüstungsforschung geben, denn das wäre grundgesetzwidrig«, meint Ruth Seidl, hochschulpolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion. Doch im Gesetz werde eine Rahmenverpflichtung zu Forschung mit friedlicher Zielsetzung verankert. »Gleichzeitig sollen die Hochschulen künftig alle Drittmittel und Geldgeber offenlegen.« Auch würden die Hochschuletats milliardenschwer erhöht und der Einfluss der Hochschulräte begrenzt, hält die Grünen-Politikerin dem Kritiker Förster entgegen.

Doch ganz so klar wird der Rahmen nicht ausfallen. Die angebliche Verpflichtung zum Frieden ist real ein »Auftrag«. Und dessen Umsetzung soll in den Grundordnungen der Universitäten geregelt werden. Es bliebe also viel Spielraum. »Hochschulindividuelle Lösungen sind möglich«, bestätigt das Wissenschaftsministerium. Im parlamentarischen Prozedere dürfte der Gesetzentwurf zudem noch verwässert werden. Aktuell werden diverse Verbände angehört.

Mindestens seit dem Jahr 2000 ließ das US-Verteidigungsministerium Rüstungs- und »Grundlagen«-Forschung in Deutschland betreiben. Zehn Millionen Dollar sollen laut Medienberichten an insgesamt 22 Forschungseinrichtungen geflossen sein. Themen waren unter anderem die hochgradig umstrittenen Kampfdrohnen, mit denen US-Militärs aus der Ferne teils »Feinde« exekutieren, teils unbeteiligte Zivilisten töten, sowie militärische Sprengstoffe. Auch drei NRW-Hochschulen erhalten demgemäß Drittmittel des Pentagon, konkret die Ruhr-Universität Bochum, die Bergische Universität Wuppertal und die RWTH Aachen.

Bei all dem herrscht ein hohes Maß an Intransparenz. »Wir haben derzeit keine Kenntnis von etwaigen konkreten Projekten oder einer Zusammenarbeit mit dem US-Verteidigungsministerium an bestimmten Standorten«, sagte ein Sprecher desWissenschaftsministeriums in NRW gegenüber »nd«. Denn die NRW-Hochschulen seien nicht verpflichtet, »uns Kooperationen im Forschungsbereich anzuzeigen oder diese anzumelden«.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 27. November 2013


"Wir brauchen eine gesetzliche Verankerung"

"Grundlagenforschung" schlägt Zivilklausel. Was deutsche Hochschulen für das Pentagon tun. Ein Gespräch mit Marvin Pollock **

Marvin Pollock ist Referent für Hochschulpolitik im Allgemeinen Studierendenausschuß (AStA) der Universität Bremen.

Das US-Pentagon läßt seit Jahren an deutschen Hochschulen für die amerikanische Rüstungsindustrie forschen. Seit 2010 sollen dafür mehr als zehn Millionen Dollar an 22 deutsche Universitäten und Institute geflossen sein. Auch die Universität Bremen soll betroffen sein. Wissen Sie, um welches Projekt es dabei geht?

Ja, es geht bei den aufgedeckten Aktivitäten an der Uni Bremen um Satellitenforschung. Auf den ersten Blick könnte man meinen, es handele sich dabei um ein recht harmloses Forschungsprojekt. Allerdings sollte das amerikanische Verteidigungsministerium als Auftraggeber ein klares Alarmsignal sein. Oft wird mit dem Argument der Grundlagenforschung die Zivilklausel unterlaufen, während der mögliche Mißbrauch für militärische Zwecke ausgeblendet wird. Wer hinter Forschungsaufträgen steckt, ist oft nicht oder nur schwer nachvollziehbar.

Die Uni Bremen war die erste von inzwischen 13 deutschen Universitäten mit einer Zivilklausel. Diese soll eigentlich verbürgen, daß Forschung und Lehre einzig und allein friedlichen Zwecken dienen. Läuft besagtes Projekt noch, oder gibt es Anschlußprojekte?

Laut Recherchen des NDR lief das jüngste Projekt von 2010 bis 2013. Bereits 2012 wurden einige Verstöße gegen die Zivilklausel aufgedeckt. Damals wurde uns versichert, daß alle Projekte auf eine mögliche militärische Verbindung überprüft werden würden. Nur, was ist diese offizielle Versicherung wert, daß keine weiteren Projekte geplant sind und das aktuelle Projekt ausgelaufen ist? Der Wahrheitsgehalt ist aufgrund der mangelnden Transparenz auf alle Fälle sehr schwer zu überprüfen.

Für Aufregung hatte die Uni Bremen zuletzt mit der Einrichtung einer Stiftungsprofessur für Raumfahrttechnik mit Unterstützung der auch im Rüstungsbereich tätigen OHB System AG gesorgt. Das Unternehmen produziert unter anderem Satelliten, die auch der militärischen Aufklärung dienen können. Ist die Zivilklausel nur ein Papiertiger?

Daß gegen Zivilklauseln verstoßen wird, ist nichts Neues. Und das zeigt genau das grundsätzliche Problem auf: Solange die Zivilklausel als reine Selbstverpflichtung existiert, ist sie eine reine Farce. Was wir brauchen, ist eine gesetzliche Verankerung der Zivilklausel. Nur dann haben wir bei Verstößen überhaupt eine Handhabe, etwas dagegen zu unternehmen.

Immerhin gibt es aber doch einen gemeinsamen Vorstoß der Regierungsparteien von SPD und Grünen, eine gesetzliche Regelung auf den Weg zu bringen. Wie ist da der Stand er Dinge?

Das Problem an diesem Regierungsvorhaben ist, daß die geplante Regelung nur ein Verbot von direkter Zusammenarbeit mit der privaten Rüstungswirtschaft vorsieht. Die aufgedeckten Fälle, um die es aktuell geht, wären hiervon nicht betroffen. Oft werden entsprechende Aufträge auch nicht direkt vergeben, sondern hinter dem Namen diverser Subunternehmen verschleiert. Es bleiben eine ganze Menge Schlupflöcher, die es unmöglich machen, die Pläne von SPD und Grünen als ernstzunehmenden und ernstgemeinten Vorstoß für eine echte Zivilklausel zu bezeichnen.

Wie verhält sich die Hochschulleitung zu dem aktuellen Fall?

Die Hochschulleitung hält sich in der Frage der Zivilklausel gewohnt bedeckt. Es fehlen im Unihaushalt an allen Stellen Gelder, also wird alles, was irgendwie Geld einbringt, schön geredet. So wird etwa die Satellitenforschung zur Grundlagenforschung erklärt und andere, noch kritikwürdigere Projekte, werden einfach an externe Institute auf dem Campus weitergeleitet.

Was sagen die Studierenden dazu?

Die Zivilklausel ist für viele Studierende vermutlich sehr abstrakt. Es ist enorm schwer, überhaupt erst einmal an Informationen heranzukommen. Diese dann zu vermitteln und auf die Problematiken der Militärforschung aufmerksam zu machen, ist eine ebenso schwierige Aufgabe, die uns in der nächsten Zeit beschäftigen wird. Das wichtigste für uns ist deshalb Aufklärung. Die Forderung nach einer gesetzlichen Verankerung der Zivilklausel muß transportiert und verständlich gemacht werden. Und natürlich muß endlich eine ausreichende Grundfinanzierung der Universität gewährleistet werden.

Interview: Ralf Wurzbacher

** Aus: junge welt, Mittwoch, 27. November 2013


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