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Kriegsverbrecher steht Pate

An der Uni Bonn soll mit Geldern des Verteidigungsministeriums eine Professur nach Henry Kissinger benannt werden. Der AStA protestiert

Von Peer Heinelt *

Die Studierendenvertreter der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn sind zur Zeit – freundlich formuliert – etwas genervt. Grund dafür ist die von der Hochschulleitung beabsichtigte Einrichtung einer Stiftungsprofessur »für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung unter besonderer Berücksichtigung sicherheitspolitischer Aspekte«. Zwei Dinge erhitzen die Gemüter der Nachwuchswissenschaftler besonders: die Finanzierung des neuen Lehrstuhls und dessen Namensgeber. 250000 Euro will das Bundesverteidigungsministerium beisteuern, weitere 50000 Euro das Auswärtige Amt. Die Professur soll nach Henry Kissinger benannt werden, der in den Jahren 1969 bis 1977 den US-Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford als Sicherheitsberater und Außenminister diente.

Während Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) Kissinger nach eigener Aussage zu den »großartigsten Staatsmännern des 20. Jahrhunderts« zählt, hält es der Allgemeine Studierendenausschuß (AStA) der Universität Bonn für »völlig unverständlich«, daß ausgerechnet eine Professur für Völkerrechtsordnung nach Kissinger benannt werden soll, und bezeichnet die damit verbundene akademische Ehrung als schlicht »nicht akzeptabel«. Gegen den US-Politiker würden »bis heute schwere Anschuldigungen erhoben, für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich zu sein«; entsprechenden »Gerichtsverfahren in mehreren Ländern« habe er sich »nie gestellt«, heißt es. Auch für das Studierendenparlament der Bonner Hochschule ist die Benennung eines Lehrstuhls nach Kissinger daher »mehr als abwegig«.

Vieles von dem, was der Bonner AStA recht vorsichtig als »Anschuldigungen« bezeichnet, ist längst wissenschaftlich belegt – etwa durch die Arbeiten des in der US-Hauptstadt beheimateten National Security Archive der George-Washington-Universität. So steht mittlerweile fest, daß Kissinger die politische Verantwortung für die Flächenbombardements trägt, mit denen die US-Luftwaffe während des Vietnamkriegs versuchte, Rückzugsgebiete und Transportrouten der nordvietnamesischen Armee in den neutralen Staaten Laos und Kambodscha zu treffen. Den Angriffen fielen nach heutigen Schätzungen fast eine Million Menschen zum Opfer. Wie die Berliner Bürgerrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights in einem Dossier schreibt, »plante und überwachte (Kissinger) die Operationen, las die entsprechenden Aufklärungs-, Angriffs- und Schadensberichte«. Fest steht zudem Kissingers maßgebliche Beteiligung an der Vorbereitung des Militärputsches in Chile, der am 11. September 1973 zum Sturz der Regierung des sozialistischen Staatspräsidenten Salvador Allende führte. In der Folgezeit ermordeten die Truppen des Putschistengenerals Augusto Pinochet mit Rückendeckung der USA Tausende von Chilenen, die ihnen politisch nicht genehm waren. Auch der argentinischen Militärdiktatur gab Kissinger 1976 grünes Licht für die gnadenlose Verfolgung der linken Opposition. Ebenso fanden die Massaker der pakistanischen Armee im heutigen Bangladesch (1971) und die Massenmorde der indonesischen Streitkräfte in Osttimor (1975) seine Unterstützung.

Der Universität Bonn hingegen gelten die geschilderten Fakten als »mehr oder weniger fernliegende Desiderate (sic!) irgendwelcher Akteure«, wie der Direktor der dortigen Institute für Öffentliches Recht und Völkerrecht, Matthias Herdegen, dem Online-Portal Telepolis mitteilte. Passend dazu hält der Sprecher der Hochschule, Andreas Archut, die Benennung eines Lehrstuhls nach Kissinger für ebenso »unproblematisch« wie die Finanzierung der Professur durch das Verteidigungsministerium. Ein entsprechendes Ausschreibungsverfahren könne selbst der AStA »nicht aufhalten«, sagte Archut der Nachrichtenagentur dpa. Einen Weg, das Projekt doch noch zu Fall zu bringen, hat unterdessen der »Fachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung« des ver.di-Landesbezirks Nordrhein-Westfalen gewiesen: die Implementierung einer universitären »Zivilklausel«, die jede Zusammenarbeit mit militärischen Stellen strikt untersagt.

* Aus: junge welt, Samstag, 16. November 2013


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