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Forschung im Elfenbeinturm oder wirksame Politikberatung?

40 Jahre Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Ein Beitrag von Barbara Renne in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Jürgen Webermann (Moderation):
In Deutschland hatte die Friedensforschung anfänglich einen schweren Stand. Inzwischen hat man sich etabliert. Viel Renommee hat sich das Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik IFSH erworben. Gründungsdirektor war 1971 der Vater der Inneren Führung, der frühere Bundeswehr-General Wolf Graf von Baudissin. In dieser Woche feierte das Institut sein 40-jähriges Bestehen – u.a. mit einer Podiumsdiskussion. Barbara Renne über bewegte Jahre:


Manuskript Barbara Renne

Idyllisch war damals nur der Standort: ein gediegenes Waldgrundstück im noblen Hamburg-Blankenese. Als die Friedensforscher dort 1971 ihre Arbeit aufnahmen, war die politische Großwetterlage alles andere als friedlich. Das Land war geteilt, die Welt in zwei feindliche Lager gespalten. Die Bedrohung durch einen alles vernichtenden Atomschlag war stets gegenwärtig.

Der Kalte Krieg mit seinem nuklearen Rüstungs-Showdown – heute ist er Geschichte. Auch dank unserer Arbeit, sagt Michael Brzoska selbstbewusst. Er ist der heutige Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Der Einfluss seiner Disziplin auf die reale Politik – für Brzoska ist er unbestritten:

O-Ton Brzoska
„Die Friedensforschung hat große Beiträge dazu geleistet, einmal einerseits die Waffen zu kontrollieren, Rüstungskontrolle möglich zu machen und zu unterstützen. Und dann auch den Ausgleich zwischen Ost und West zu befördern. Dass man erkannt hat, man kann im Atomzeitalter nicht mehr alleine für sich Sicherheit schaffen. Man kann es nur zusammen mit dem anderen. Das heißt, man muss die Interessen des anderen ernst nehmen und versuchen, durch Verhandlungen zu gemeinsamen Lösungen zu kommen.“

Durch Nachrüstung noch mehr und noch tödlichere Waffen eine trügerische Sicherheit schaffen – diese Gleichung geht nicht auf, warnten damals Anfang der 80er die Friedensforscher. Doch sie mussten zunächst einmal dicke Bretter bohren. Denn die vorherrschende Meinung im politischen Establishment der Bonner Republik war eine andere, erinnert sich der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Verteidigungsexperte der Grünen, Winfried Nachtwei:

O-Ton Nachtwei
„Meine Einstellung war, wenn Abschreckung versagt, ist alles aus. Wir haben also nicht mehr weitergedacht. Erst Anfang der 80er ist mir deutlich geworden, zum Beispiel durch die Anstöße des IFSH, was das für eine Konstruktion war. Wir haben Riesenschwein gehabt, dass es funktioniert hat. Aber es war im Grunde eine wahnhafte Konstruktion, das wäre der nukleare Selbstmord gewesen. Also insofern hat (diese Bewegung) mit der Delegitimierung von nuklearer Abschreckung sehr recht gehabt.“

Für eine bessere Welt, für den Frieden forschen, nicht für den Bücherschrank, war der Anspruch. Aber nicht immer wurden die Wissenschaftler des IFSH diesem Anspruch gerecht - sagt ausgerechnet ihr ehemaliger Chef: Egon Bahr, von Mitte der 80er bis Mitte der 90er Direktor des Instituts. Bahr kennt beide Seiten des Geschäfts. Er war enger Berater von Willy Brandt, Minister und einer der renommiertesten Sicherheitspolitiker der Bonner Republik. Die Politik, sagt Egon Bahr, hätte ja gerne so manches Mal auf die Friedensforscher gehört, wenn ihre Vorschläge ein wenig origineller gewesen wären:

O-Ton Bahr
„Der Nachahmungstrieb oder das Mitsegeln auf der jeweiligen politischen Mode, ist eine Eigenschaft, von der auch die Wissenschaft nicht unbeleckt ist, auch nicht die Friedensforschung. Das heißt, die Politik guckt nach Qualitäten, Inhalten. Den üblichen Quatsch nochmal zu hören, ist ja nicht so schrecklich interessant. Das heißt: hat die Friedens- und Sicherheitsforschung zur Substanz etwas zu sagen, was bisher nicht in allen Zeitung steht? Das ist verdammt selten.“

Doch am IFSH hat man gelernt mit Kritik umzugehen. Vor einigen Jahren musste sich das Institut mit der Verteidigung in eigener Sache beschäftigen. Der Wissenschaftsrat durchleuchtete die Einrichtung, der Landesrechnungshof machte Druck. Die Haushaltswächter der Stadt forderten, den Erfolg des Instituts stärker zu überprüfen. Und: Die Wissenschaftler sollten nicht nur für ihre eigene Karriere forschen und veröffentlichen, sondern ihr Wissen in Seminaren und Vorlesungen auch an Studenten weitergeben.

Die Stadt Hamburg, die wichtigste Geldquelle des IFSH, drohte die Mittel zu kürzen. Die 2000er Jahre waren eine schwere Zeit, erinnert sich der heutige Institutsdirektor. Verantwortlich dafür macht Michael Brzoska auch den Regierungswechsel im Hamburger Rathaus. 2001 wurde der rot-grüne Senat von einer Mitte-Rechts-Koalition aus CDU, FDP und Schill-Partei abgelöst. Für die Hamburger Friedensforscher mit ihren unbequemen Meinungen und Mahnungen brach eine schwere Zeit an, sagt Michael Brzoska:

O-Ton Brzoska
„Insofern war nach dem Regierungswechsel hier in Hamburg die Meinung, das Institut wäre nicht nur zu nah dran an Rot-Grün, sogar noch gegen Rot-Grün kritisch. Also das wäre etwas, was man eigentlich nicht mehr in dem Umfang fördern würde. Also das war, denke ich, ein wesentlicher Grund für die Kritik. Wenn auch offiziell gesagt wurde: Ihr müsst wissenschaftlicher werden. Also insofern: damals ist das Institut in schweres Fahrwasser gekommen. Zum Teil aus richtigen Gründen. Zum Großteil aber auch aus Gründen, die mit dem Regierungswechsel hier in Hamburg zu tun hatten.“

Das IFSH reagierte auf die Kritik und öffnete sich – vor allem für den akademischen Nachwuchs. 2002 richtete das Institut einen Aufbaustudiengang ein, den es bis dahin in der Form noch an keiner anderen deutschen oder ausländischen Universität gegeben hatte. Er führt alle wissenschaftlichen Disziplinen zusammen, die die Friedens- und Konfliktforschung berühren: die Politikwissenschaft, das Völkerrecht, die Naturwissenschaften und die Ethik.

Im Rahmen dieses Studiengangs entstand ein enger Verbund mit den namhaftesten Instituten der Branche, der Bundeswehr Universität und der Führungsakademie. Mit Erfolg: Aus der ganzen Welt kommen nun junge Akademiker nach Hamburg, um am IFSH zu studieren. Jedes Jahr übersteigt die Zahl der Bewerber die Zahl der Studienplätze bei weitem. Andere deutsche Universitäten ahmen nach, führen ähnliche Studiengänge ein.

Auch räumlich rückte das Institut näher an die Universität heran. 2007 verließ es seine gediegene Villa am Stadtrand und zog in die Innenstadt. Und: Künftig will das Institut bei seiner Arbeit neue Akzente setzen. Zurück zu den Wurzeln lautet die Losung von Direktor Michael Brzoska:

O-Ton Brzoska
„Wir werden versuchen, wieder stärker die Verbindung zwischen Friedensforschung und Sicherheitspolitik, den beiden wesentlichen Bestandteilen des Namens des IFSH, zu pflegen und dabei aktuelle Sicherheitspolitik, die häufig ja noch mit Instrumenten betrieben wird, die aus der Vergangenheit kommen, darauf hin zu untersuchen, ob diese Instrumente wirklich friedensbildend sind. Ob wirklich Frieden geschaffen wird und nicht nur kurzfristig mehr Sicherheit geschaffen wird. Also der Versuch, wirklich grundsätzlicher die aktuelle Sicherheitspolitik zu kritisieren.“

Themen wird es für die Hamburger Friedensforscher genug geben: Weltweiter Terror, Kampf um Rohstoffe, Piraterie. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat die Arbeit für Friedensforscher nicht ab-, sondern zugenommen , sagt Winfried Nachtwei, bis vor kurzem verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen:

O-Ton Nachtwei
„In den letzten Jahren ist in der Bundesrepublik der Krieg von unten zurück gekehrt, nämlich über die Soldaten, die im Krieg stehen, Guerillakrieg, Terrorkrieg usw. Das ist die eine Realität von abertausenden jungen Männern und Frauen. Und auf der anderen Seite haben wir auf den Hochebenen der Politik weiterhin eine friedenspolitische Selbstzufriedenheit. In jedem Koalitionsvertrag seit Rot-Grün steht drin: deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik.“

Egon Bahr sieht insbesondere auf einem Feld dringenden Handlungs- und vor allem Beratungsbedarf: Die immer weiter sinkende Hemmschwelle beim Einsatz von Kriegswaffen. Dass die Amerikaner zum Beispiel in Pakistan bewaffnete Drohnen im Anti-Terrorkampf einsetzen, ist für den Sicherheitspolitiker ein klarer Bruch des Völkerrechts:

O-Ton Bahr
„Ja, selbstverständlich, was denn sonst? Ohne Kriegserklärung, ohne sich dagegen wehren zu können, wird das einfach gemacht auf dem Boden eines fremden Staates. Und ich höre, wir entwickeln auch sowas. Die Bundesregierung wird das tun, was sie für richtig hält. Aber ich rede über die Wissenschaft und Institute für Friedens- und Konfliktforschung. Die sind unabhängig und frei.“

Unabhängig und frei, unbequeme Mahner: das wollen sie auch weiterhin sein, die Mitarbeiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Wenn sie in zehn Jahren ihren nächsten runden Geburtstag feiern, werden wahrscheinlich noch einige neue globale Probleme hinzugekommen sein. Themen wie etwa der Klimawandel, für die es damals noch nicht einmal Begriffe gab - 1971, als die Friedensforscher begannen, am Falkenstein in Hamburg.

*Aus: NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien", 19. November 2011


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